So, da haben wir's wieder … Es ist Advent. Die Nachbarn belichten Deine Netzhaut mit allerlei blinkenden Lichtern, teils schockierender Bastelkunst und Abbildungen aller Art von dicken, alten, bärtigen Kerlen in roten Klamotten, und gefühlt an jeder Ecke beschallt man Dich mit den immer gleichen Melodien zur Jahresendzeit, bis Dir die Ohren bluten. Gefühlt geht der Zirkus schon im August los, spätestens aber, nachdem zum letzten Mal der Grill im Garten angeworfen wurde, denn man muss ja frühzeitig in die richtige Stimmung versetzt werden. Alle Jahre wieder. The same procedure as … ach ne, das ist ja ´ne andere Veranstaltung. Umso erfreulicher, wenn sich manch ein kreativer Zeitgenosse etwas Besonderes einfallen lässt, um uns WHAM, die Carey und andere Erzeugnisse aus der Belanglosabteilung des großen Musikwarenhauses ertragen zu lassen. In diesem Jahr hat RAMMSTEINs Flake diese Aufgabe übernommen, und dafür kann man ihm dankbar sein!

RAMMSTEIN-Tastatur-Virtuose Christian "Flake" Lorenz ist laut Aussage des der Promo-CD hinzugefügten Beipackzettels kein Fan von Weihnachten. Da liegt es doch nahe, passend zum Fest der Liebe ein "Konzeptalbum" in die Welt zu entlassen, das genau dies zum Thema hat. Dies tat der Berliner Künstler mit "Flake feiert Weihnachten" nun und lässt die darauf befindlichen Lieder in seiner persönlichen Art erklingen. Dabei übernimmt er bei den meisten Stücken den Gesang, sich selbst an den Tasten begleitend. Nur hier und da bekommt er beim Musikmachen tatkräftige Unterstützung von jungen Nachwuchstalenten wie Doro Pesch, Käptn Peng oder Joey Kelly. Sogar ein "Comeback" einer alten DDR-Punkkapelle gibt's hier zu bestaunen.

Flake interpretiert die von ihm ausgewählten Stücke eher unaufgeregt und nicht auf Biegen und Brechen jeden Ton treffen wollend. So wirkt das gleich an den Anfang gesetzte "Happy X-Mas (War is over)", das John Lennon vor vielen vielen Jahren mal berühmt machte, locker und unverkrampft und in einer Art, wie man sie eigentlich nur in einer Piano-Bar oder einem Western-Saloon vermuten würde. Da kommt Stimmung auf …. Nur weihnachtlich ist sie nicht.
Auch sein "Ihr Kinderlein kommet" ist alles andere als dafür tauglich und Kinder werden davon wohl eher verscheucht, als angelockt. Gut … endlich mal Ruhe in der Bude.
Flake hat es aber auch geschafft, dass ich mich in "Last Christmas" völlig neu verlieben konnte, denn die "Icke & Er"-Version auf seiner CD, bei der Schorsch Michael nahezu 1:1 ins Deutsche übersetzt wurde, hat mich voll und ganz abgeholt. Die Nummer fetzt!
Fetzen tut auch der Besuch von Farin Urlaub bei Flakes Musizierexperiment zur Weihnachtszeit. Er hat dafür extra seine Gitarre ausgepackt, um bei "Süßer die Glocken nie klingen" zusammen mit dem Tasteninstrument spielenden Kumpel den Gesangssolisten Walter Ulbricht, Erich Honecker und John F. Kennedy die musikalische Unterlage zu stricken. Singen tut der ÄRZTE-Frontmann nicht, aber wer so schön den Darm zupft, muss das nicht auch noch mit seinen Stimmbändern machen. Das ist dann auch was für Mutti und kann zur richtigen Zeit am Heiligabend gespielt die Wartezeit bis zur Bescherung verkürzen.
Den schönsten Gesangsbeitrag liefert hier aber wohl Stumpen von KNORKATOR ab, der zu Flakes Klavierbegleitung "Tausend Sterne sind ein Dom" zelebriert. Da haut es einem glatt den Zimt aus dem Gebäck. Wirklich schön!
Punk und Radaumusik pur kann man bei "Freu Dich (Leise rieselt der Schnee)" in sich aufsaugen, denn die Herren von TAUSEND TONNEN OBST lassen es hier krachen, und zwar so, dass der Christbaum spätestens schon am vierten Advent alle Nadeln verloren hat.
Zu erwähnen wäre da noch Flakes Version von "Feliz Navidad", die wohl alle bisher in Umlauf geratenen Fassungen in den Schatten stellt und bei der man des Künstlers unzerbrechliche Liebe zur Musik dieser Zeit förmlich heraushören kann. Holla, was er sich da allein beim Klavierspielen Mühe gibt. Von wegen, er kann das nicht leiden. Gloob ick nich … Und natürlich die vom IN EXTREMO-Frontmann Michael Robert Rhein gegrummelte Version von "Es ist ein Ros' entsprungen", bei der man förmlich die Rose sehen kann, wie sie flieht, sei hier noch als Anspieltipp angehängt …

Alles in Allem hat Flakes Adventskalender nur 16 Türchen, aber hinter jeder steckt ein tolles Geschenk. Es sind alles ganz besondere Versionen von bekannten Weihnachtsliedern, die eben mal ganz anders gereicht werden, als man sie sonst von den einschlägig bekannten Unterhaltungsvertretern umgehängt bekommt. Dafür, Freude beim Hören dieser Lieder zu empfinden, ist von seinen Hörern aber eine ganze Menge erforderlich, allem voran die Kunst, nicht alles bierernst zu nehmen und sich auch mal an einem für sich selber fremd anfühlenden Humor zu erfreuen. Joy To The World, quasi … Und das hier enthaltene Programm macht Laune. Ich als jemand, der Weihnachten dufte findet und auch bei dem ganzen Parammpammpammpamm und Klingelingeling gute Laune behält, hatte jedenfalls eine Menge Spaß damit und empfiehlt das Ding deshalb guten Gewissens weiter.
(Christian Reder)

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