Maschine: "Große Herzen" (Album)

lp06 20221116 1906909765VÖ: 30.12.2022; Label: Premium Records/Soulfood; Katalognummer: n.n.b.; Musiker: Dieter "Maschine" Birr (Gesang, Gitarren, Bass), Lukas Schaaf (Keyboard, Programming, Chorgesang), Marcus Gorstein (Keyboard, Chorgesang), Felix Lehrmann (Schlagzeug), André Kunze (Programming), Jana Groß (Gast-Gesang bei "Sternenkinder"), Charlotte Roelcke, Damian Ketteler (Chorgesang); Produzent: Dieter Birr, Lukas Schaaf; Bemerkung: Das Album erscheint als Doppel-CD, Doppel-Vinyl (verschiedenfarbig) und als Sammler-Box. Den Publikationen liegt je ein Booklet mit Abdruck der Songtexte bei;

Titel:
CD 1: " Gloria", "Bessere Tage", "Halte durch", "Meine erste Liebe", "Sternenkinder", "Das alles ist", "Legende aus Budapest", "Große Herzen", "Dafür oder dagegen", "Roadies", "Mein Freund aus alten Zeiten", "Weiter, weiter", "Wenn ich noch einmal leben könnte"
CD 2. "Das Warten ist vorbei" (mit Toni Krahl), "Große Herzen (Rock Version)", "Ewig leben" (Maschine & Männer), "Du braver Soldat" (Maschine & Männer), "Fernweh", "Auf das Leben" (Hofmann), "Magisches Licht" "Zusammen leben" (Maschine & Männer), "Eisbär'n", "Was bleibt" (Maschine & Goitzsche Front)


Rezension:


Fast jeden Abend springe ich mit jemand anderem in die Kiste. Nein, nicht was Ihr jetzt denkt … Ich nehme mir vielmehr das Album einer bestimmten Künstlerin, Band oder eines bestimmten Künstlers mit ins Bett und lasse mich von denen in den Schlaf "musizieren". Ich achte dabei eigentlich immer peinlich genau darauf, dass es nicht gerade ein Metal- oder Jazz-Album ist, zu dem ich greife, um nicht um 3:00 Uhr immer noch wild zuckend und mit hellen Scheinwerfern wach rum zu liegen … Am vergangenen Wochenende habe ich jedoch den Fehler gemacht, mir Maschines neues Werk mit ins Schlafzimmer zu nehmen und mir sein frisch zubereitetes Liedgut über die Kopfhörer zuzuführen. Mit fatalen Folgen!

Nach "Intim" (1986), "Maschine" (2014), "Neubeginner" (2016) und "Alle Winter wieder" (2018) steht nun "Große Herzen" in den Startlöchern. Das fünfte Solo-Album von Dieter Birr, der seit eh und je nur "Maschine" genannt wird, kommt am vorletzten Tag des Jahres in den Handel. Die Besonderheit dieser Platte ist wohl, dass der 78-jährige hier fast alles im Alleingang gemacht zu haben scheint. Sämtliche Texte und Kompositionen sind von ihm, Gitarre und Bass hat er selbst eingespielt. Aber natürlich sind auch noch weitere fleißige Hände mit dabei gewesen, denn so ganz allein geht's dann doch nicht. So teilte er sich die Aufgabe des Producers mit Lukas Schaaf, der hier zudem auch als Keyboarder aktiv war. Schaaf trat vorher schon für die Rock Legenden als Produzent in Erscheinung und hat aktuell auch an der neuen Musik von Kim Fisher seine Aktien. Im Studio trommelte Felix Lehrmann die Parts bei den Songs ein, die ohne Drum-Computer arrangiert wurden, und auch Marcus Gorstein war als Keyboarder mit an Bord. Das war's auch schon. Entstanden sind so 13 neue Lieder, die eine sehr beeindruckende Breite in Sachen Inhalt und Machart aufweisen. "Große Herzen" als Albumtitel klingt erst mal wenig nach Rock'n Roll, aber hier sollte man sich von der "Verpackung" nicht täuschen lassen, denn es wird sehr wohl gerockt. Und zwar kräftig.

"Bessere Tage", eine Ballade, die die seltsame Corona-Zeit sehr gut beschreibt, die treibende und rockige Pazifisten-Hymne "Gloria" und die zu Musik gewordene Gute-Besserung-Grußkarte "Halte durch" sind vorab schon als Singles veröffentlicht worden, wobei "Singles" heute nur noch Spielempfehlungen für den Rundfunk und YouTube-Clips sind, physisch aber nicht mehr in Umlauf gebracht werden. Wer also hier bei uns in den Videopremieren mal gestöbert hat, den richtigen Rundfunksender einschaltet oder auf YouTube unterwegs ist, könnte von diesen Liedern schon gehört haben; sie sind am Ende dieser Rezension aber natürlich auch noch eingebunden.
Dann gibt es da noch die Ballade "Meine erste Liebe", in der es mit viel Bombast und einem sich sofort ins Ohr bohrenden Refrain um eben die erste Liebe des "Neubeginners" - damals mit 16 in Ostberlin - und den Liebeskummer geht, den sie ausgelöst hat.
Nach dem Hören des Songs "Sternenkinder" ist man zum ersten Mal richtig angefasst. Diese ruhige Ballade mit der Simple-Minds-Gitarre im ersten Teil erzählt die Geschichte eines jungen Paares, das Nachwuchs erwartet. Alles ist schön, alles harmonisch, die Ankunft des neuen Erdenbürgers wird erwartet und vorbereitet. Dann kommt der Tag der Geburt und das Kind ist schon wieder gegangen, nachdem es gerade erst angekommen war. An dieser Stelle türmt sich in dem Lied eine Wand aus Klängen, greift die Tragik auf und versprüht mit dem Bild des Sternenhimmels, in dem all die Sternenkinder angekommen sind, doch auch Zuversicht und etwas Positives. Unterstrichen wird dies zusätzlich durch den Elfengleichen Gesang Jana Groß' (Bell Book & Candle), die hier als Gast zu hören ist. Maschine hatte zum Thema "Sternenkinder" eine Fernsehreportage gesehen, und war davon wohl ebenso berührt wie die Menschen, die nun dieses daraus entstandene Lied hören dürfen. Es ist ihm gelungen, diesen schlimmen Moment für junge Eltern und das Gefühl danach über seinen Song so zu transportieren, dass man sich in sie hinein versetzen kann. Gänsehaut pur! Nicht zum letzten Mal …
Ganz in der PUHDYS-Tradition komponiert und arrangiert kommt der Rocksong "Das alles ist" daher. Ein Stück mit hohem Wiedererkennungswert, typischen Elementen, derer sich die Band in den 80ern, 90ern und 2000ern schon bedient hat, und einer Hookline, die anschließend gar nicht mehr aus dem Ohr raus will. Den Text hat man zum laut Mitsingen auch ruck zuck drauf. Die Live-Premiere zum Abfeiern dieses Songs kann also kommen.
Einmal mehr unter die Haut fährt uns Maschine mit dem Lied "Legende aus Budapest", in dem der Musiker - der Titel lässt es schon erahnen - seinem Freund und Bühnenkollegen Mecky Kobor von der Gruppe OMEGA, der im vergangenen Jahr leider verstorben ist, ein musikalisches Denkmal setzt. Gekleidet in einer weiteren hymnisch angelegten Ballade, deren Trommelschläge und Chorgesänge sicht- und spürbare Effekte auf die Körperteile haben, die von kleinen Härchen bedeckt sind. Nach hinten raus bekommt der "Freund aus Budapest" mit einem Soundschnipsel aus dem OMEGA-Hit "Gyöngyhajú lány" auch noch einen Platz eingeräumt. Und wieder einmal Gänsehaut".
Wer nun glaubt, jetzt gibt es zum wieder Runterkommen mit dem nächsten Rocksong eins auf die Omme, der sieht sich getäuscht. "Große Herzen" ist der nächste "Unter-die-Haut-Schleicher". Es geht in der ruhig und entschleunigt in Szene gesetzten Nummer um diese ganz besonderen Menschen, die nur Engel sein können. Sie sind in dunklen Lebensabschnitten Trostspender und bringen Licht in die finsteren Augenblicke. "Große Herzen spenden Kraft | Für das was man allein nicht schafft", heißt es da, und so jemanden hat wohl jeder in seinem Leben. Ihnen ist dieser Song gewidmet und auch hier hat man einmal mehr großen Spaß an der musikalischen Umsetzung. Die Idee hat funktioniert, das Lied holt einen ab …
Das folgende "Dafür oder dagegen" ist dann wieder so ein nach zuvor ruhigen Momenten erwarteter Klopper, mit dem die leisen Töne von lauten abgelöst werden. Hier erhöht sich die Schlagzahl wieder merklich und die Berg- und Talfahrt der Gefühle geht weiter. Keine Entscheidungshilfe, aber ein Lied der Gegensätze, das auch so ein Garant für gute Stimmung bei den Live-Konzerten sein dürfte. Da geht's ordentlich ab, und zum Mitsingen wird dem Fan auch reichlich Gelegenheit eingeräumt.
Noch einen Zacken schärfer und rockiger kommt uns dann "Roadies" ins Ohr gerauscht. Den im Titel genannten Mitarbeitern eines Rockmusikers oder einer Rockband wird hier - wie schon ein paar Songs zuvor Mecky Kobor - von Maschine mit einen Lied ein Denkmal gesetzt. Zu Stromgitarre, blubberndem Bass und heftigen Schlagzeugschlägen beschreibt Maschine die Knochenarbeit der Jungs und Mädels, von denen die Konzertbesucher später während der Show gar nix mitbekommen, und sagt artig "Danke" für Blut, Schweiß und Tränen im Dienste der Hauptdarsteller.
Das folgende "Ein Freund aus alten Zeiten" ist - wie "Sternenkinder" - eine weitere traurige Geschichte, die hier in Liedform gereicht wird. Sie spielt in Jugendtagen zu Zeiten, als Deutschland getrennt war, die Mauer aber noch nicht stand. Es geht um zwei Jungs, die dicke Freunde waren, die vieles geteilt und erlebt haben, und von denen einer mit den Eltern in den westlichen Teil Berlins zog. Als die Mauer im August ´61 errichtet wurde, gab es dann kein Wiedersehen mehr, denn der harte Beton trennte die Kumpels voneinander. Sie konnten sich nicht mehr treffen. Welch traurige Wendung diese Geschichte nimmt, und warum Maschine damit bei seinen Hörern schon wieder eine Piloarrektion verursacht, möge der interessierte Leser beim Hören bitte selbst herausfinden. Diesen besonderen Moment will ich ihm nicht nehmen.
Im Anschluss daran krachte es nochmal ordentlich, denn "Weiter weiter" hat ein treibendes Schlagzeug und kraftvolle Gitarren im Gepäck. Im Mittelteil lässt Angus Young von AC/DC schön grüßen, denn in diesem Stil haut uns Maschine hier ein feines Solo um die Ohren. Inhaltlich geht es um Verfehlungen, Pech und andere Dinge im Leben und das ständige "Weiter weiter" auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit. Das fetzt!
Das Album wird mit dem Stück "Wenn ich noch einmal leben könnt" abgeschlossen. In diesem Moment riecht es heftig nach Abschied, auch wenn Maschine dies vielleicht so gar nicht vor hatte. Nur zur Akustikgitarre beschreibt er, dass er im Großen und Ganzen den gleichen Weg noch einmal genauso gehen würde, wie er es in den 78 Jahren zuvor auch schon getan hat. Besonders bemerkenswert ist hier die Textstelle, in der er davon spricht, mit der gleichen Band wieder spielen zu wollen, aber "friedlich bis zum letzten Ton". Damit spielt er auf die PUHDYS und den bekannten Rechtestreit nach dem Aus im Jahre 2016 an. Ebenso die Passage, in der er sagt, dass er manches anders sagen würde, um niemanden zu verletzten. Das klingt danach, dass hier ein alter Mann seinen Frieden machen will, bevor das letzte Kapitel gelesen ist. Dieser Eindruck wird auch durch die deutlich gealterte Stimme genährt, mit der Maschine das Stück vorträgt. Auch wenn es eine positive Botschaft in sich trägt, liegt der Verdacht nahe, dass sich hier jemand zur Ruhe setzen will, was schade wäre, denn ganz offensichtlich hat der Künstler noch eine Menge zu erzählen, genügend Ideen, die Erzählungen auch in Musik zu kleiden, und überhaupt genügend Hörer, die ihn noch hören und sehen wollen.

Auf der zweiten CD befinden sich dann noch zehn weitere Songs, die als Bonus-Tracks anzusehen sein dürften. Es sind verschiedene Stücke, die in den letzten drei Jahrzehnten entstanden und bisher in der Form noch auf keinem Album von Maschine erschienen sind. Dazu gehören u.a. die drei Lieder, die kurz nach der Wende mit MASCHINE & MÄNNER im Studio eingespielt wurden, je ein Duett von Maschine mit der Gruppe GOITZSCHE FRONT ("Was bleibt") und CITY-Frontmann Toni Krahl ("Das Warten ist vorbei"), die verrockte Version von "Große Herzen", eine Coverversion des Stücks "Auf das Leben" von Hofmann und einige andere Raritäten. Mit diesen 23 Songs ist "Große Herzen" randvoll gepackt und liefert ein abendfüllendes Programm.

Erscheinen wird "Große Herzen" bei Maschines neuem Label Premium Records (Vertrieb Soulfood) und kommt entweder digital als Download oder Stream (von dem wir nur abraten können), auf Doppel-LP (in schwarzem, rotem, transparentem und in limitierter Auflage auch in gold-farbenem Vinyl, was wir absolut empfehlen möchten), auf Doppel-CD (ebenfalls empfohlen) und als Limited Boxset mit Doppel-CD, Poster, Grußkarte und einem Diabetrachter zum Anschauen von sieben Fotos aus Maschines Karriere.

Eigentlich ist man selbst schuld, wenn man sich dieses Album zum "Einschlafen" auswählt. Immerhin kennt man Maschine und seine Songs, um genau zu wissen, dass sie einem keine Chance dazu lassen, ein Auge zu zu machen. Auch keines der 13 neuen Lieder lässt dies zu. Auf "Große Herzen" sind durch die Bank Stücke, die unterschiedlicher nicht sein können, und die ihre Hörer alle in irgendeiner Form nicht zur Ruhe kommen lassen. Entweder rütteln die Inhalte an einem, oder die Musik tut es. "Sternenkinder" oder das zuletzt beschriebene "Wenn ich noch einmal leben könnt" gehen aus unterschiedlichen Gründen zu Herzen, wohingegen einen Lieder wie "Weiter, weiter", "Gloria" oder "Das alles ist" auf die Tanzfläche zerren und unwillkürliches Zucken in den Beinen verursachen. Das Album gefällt, überzeugt mit einem glasklaren und druckvollen Sound, und darf sich die Bezeichnung "Deutschrock" auf die Fahne schreiben. Für mich steht an dieser Stelle nur eins fest …. Ab sofort gehe ich nur noch mit anderen ins Bett!
(Christian Reder)





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