Schulze Band: "Axel S. Zauberwelt" (Album)
VÖ: 14.02.2020; Label: Eigenvertrieb; Katalognummer: ohne; Musiker: Die Gruppe Schulze-Band mit den Gästen Jörg Hogewitz (Gesang), Anett Kölpin (Gesang), Stefan Schirrmacher (Gitarre), Hans die Geige (Violine), Karsten Matschei (Schlagzeug); Produzent: André Kuntze; Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak, inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte. Die CD kam hier ohne beschreibenden Pressetext an, so gibt es u.a. leider keine Angaben dazu, wie und wo man die CD erwerben kann und auch nicht, wer zur Besetzung der Schulze-Band gehört. Laut Aussage eines Musikers direkt bei den Protagonisten. Eine Webseite hat die Band wohl nicht, so dass auch dies als Info-Quelle ausfällt;
Titel: Prolog • Zauberwelt • Kirschenzeit • Politsong • Vater und Sohn • Oh Lord • Augenblick (feat. Anett Kölpin) • Kleines Herz • Abschied (feat. Jörg Hogewitz) • Ostseestrand • Mach mich nicht an (Schwein) • In der Ferne (Falsche Propheten) • Ende |
Rezension:
Eine CD erreicht uns. Ein Albumtitel, die Songtitel, Texte und eine Danksagung an die Beteiligten. Thats it. Manchmal muss das halt reichen, damit umzugehen. Tut's ja auch hin und wieder. Gut, also was haben wir: Eine Band. Die Schulze-Band. Allem Anschein nach eher zur Kaste "Althasen" als "Junghüpfer" zählend. Mitnichten eine Schülercombo, die hätten sich etwas mehr Mühe mit dem Layout gemacht. Internet, oh Internet aus der Wand, sag mir wer ist diese Schulze Band? Das Internet antwortet prompt, aber mit einer ganz offensichtlich anderen Formation namens Schulze. Nun gut, mediales Neuland. Ohnehin spannender, mit nichts anderem als dem stumm vorgelegten Opus zu arbeiten. Los geht's!
Oh, was rollt mir denn da entgegen? Eine sauber gepickte Rockgitarre, wenig später das dazugehörige Stage Piano, gefilterte Backings - siegesgewisse Kämpfer im hitzigem Anmarsch, der stampfende Kick der Bassdrum setzt ein, dann endlich, das komplette Rockbesteck stürmt los! Alle Filter auf, Beine breit, die Kronjuwelen nach vorn und die vor den Knien hängende Rhythmusgitarre fett ihre Wand dem Auditorium entgegenstemmend! Yeah!! Das ist Rock pur, das ist die Schanze - errichtet für etwas Gewaltiges, etwas, das jeden Augenblick beginnen muss, die orgasmische Erlösung nach einer dreiviertel Minute harter Handarbeit an sich oder halt ersatzweise am Hals der Gitarre! Die Bühne bebt erwartungsvoll! Wo bleibt der Hammer, der dieses Fundament von Amboss bearbeiten wird? Da! Abseits des Scheinwerferlichts springt eine Klappe auf, heraus schnellt schelmisch grinsend Kay aus der Kiste und quäkt dünnlich: "Hallo, Hallo-o! Ich weiß nicht, ob ihr's wisst. Hallo, Hallo-o, hab ich's Euch schon gesagt?" Unwillkürlich zuckt mir der Finger. Ohjeh! Der Aus-Knopf! Schnell, bitte wo ist der Knopf? Eine Schrecksekunde, in der sämtliche Vorarbeiten der wackeren Mitstreiter zur unsinnigen Pharse degradiert wurden. Wie frisch geweißte Häuserkulissen auf einem Truppenübungsplatz. Leere Fassade. Nein, dies ist keine Stimme, die einer derartig studioproduzierten Gitarrenwand, aufgepumpt mit amtlichen Tools, Paroli zu bieten vermag! Nun gut, dieser Weg wird kein leichter sein, soviel dämmert mir nach diesem "Prolog".
Einen Keks und einen Tee später ...
Okay, ich hab mich wieder im Griff, bin bereit für den weiteren Parkour. Finger zum Play-Knopf, meine in Habachtstellung versetzten Sinne auf Grundhaltung "freundlich, offen, positiv" festgetaped, los geht's!
Immerhin, bereits Track 2 ist der Titelsong. "Zauberwelt" gibt mir Hoffnung, erklärt zu bekommen, wer denn eigentlich jener Axel S. aus dem Schriftzug des Frontcovers ist. Der Sänger kann's jedenfalls nicht sein, von dessen Zauberwelt berichtet wird, denn selbiger heißt ja Jörg Hogewitz. Das sei aber erstmal hintangestellt.
Axel S Zauberwelt: Play!
Ein heiter stampfender Rock-Shuffle beginnt.
Ein knackig-fetter Keyboard-Bläsersatz, der mich im weiteren Verlauf sehnsüchtig an Großmeister Phil Collins' Solodebüt "Face Value" denken lässt, bereitet das Beet. Das Beet für "Kay" alias Jörg ...
Das gefährliche an muttersprachlicher, insbesondere an unserer in deutsch formulierten Musik ist, dass der (deutschsprachige) Hörer praktisch auditiv zwangspenetriert wird. Es ist ihm nicht möglich, wegzuhören, es schon irgendwie zu verknusen, wertungsfrei. Er nimmt zwangsläufig auf, was da gesungen wird, ob er nun will oder nicht.
Was bisher geschah:
Axel - wir wissen nicht, ob er oder wer gemeint ist, denn es heißt schlicht "Du" im Werk - wurde offenbar verzaubert geboren, unterm Himmelszelt. Verloren ist er deshalb nicht, denn er lebt in seiner eigenen Welt. Andere drehen sich freilich weg, wenn sie ihn ("Dich") sehen, denn so einer wie er ("Du") gehört nunmal nicht dazu. Wie bitte? Doch es geht sofort weiter; Axel ist oft allein, hat weder Hilfe noch Zeit noch Geld. Aber das kümmert ihn nicht, unseren Axel oder wen auch immer. Denn er lebt in seiner bunten Zauberwelt, wie es ihm gefällt.
Mir stellen sich bereits Fragen. Wer ist dieser Axel S., dessen Zauberwelt Kay alias Jörg da besingt? Ist Axel möglicherweise schwerst gehandicapt, früher hätten wir geschrieben "behindert"? Oder ist Axel möglicherweise von Geburt an drogenabhängig? Und behindert dazu? Oder haust Axel als hässlicher Nazi in seinem Loch, dass sich alle von ihm wegdrehen müssten? Doch halt, weitere Textzeilen schließen all das ziemlich gewiss aus. Steht Axel S. überhaupt in irgendeiner Beziehung zur erwähnten Zauberwelt? Und apropos, wo bleibt die denn nur? Hier zaubert jedenfalls noch gar nichts. Wir wissen all das nicht, wir erfahren es auch nicht. Sicher ist, Axel hat einen unangehm wirkenden Griff ("... hältst Du mich dann fest, gibst Du mir den Rest!") Er oder vielleicht (ein Gedanke durchzuckt mich!) auch SIE (?) verzaubert zugleich den Protagonisten mit einem einzigen Lächeln. Und man möge Jörg Hogewitz alias Kay aus der Kiste bitte glauben: Axel bzw. Axeline sei nicht allein! Wie jetzt? Gerade eben war er, sie, es doch noch, und zwar "oft"! - nun aber plötzlich doch nicht mehr? Ich bin verwirrt. Man nehme nun spaßenshalber an, es ginge vielleicht doch um eine handfeste Liebesbeziehung und Axel S. ist in Wahrheit tatsächlich eine Attraktion von Frau, vergöttert von unserem Protagonisten in persona Jörg. Nur, dann bestünde Klärungsbedarf darüber, wieso alle sich abwenden sollten und warum gehörte dann eine wie sie nunmal nicht dazu? Fragen über Fragen. Absoluter Tiefpunkt: "Ich bin für Dich da, auch wenn Du dich mal wehrst!" ... So eine offene Drohung gilt es erstmal wegzustecken!
Wie man es dreht und wendet, es kommt einfach kein Sinn hinein, kein Geschichtchen will dem hirnlos aneinander gereihten Quark aus der Fertigphrasen-Abteilung entsteigen. Hier wurde irgendwelchen allzu diffusen Gedankenwölkchen eben NICHT nachgespürt, stattdessen Wert darauf gelegt, die verwendeten Textbausteine mögen sich am Ende der Zeile wenigstens zu reimen beginnen ...
Unbeeindruckt von all diesem semantischen Kraut stampft der Shuffle der sich mühenden Schulze-Band tapfer dahin. Stefan Schirrmacher, Kennern der ostdeutschen Szene wohlbekannt durch sein gitarristisches Schaffen bei Neumis Rock Cirkus oder als Mitglied von Frank Schöbels Band, tut und macht, was er kann. Ein fettes Solo hier, solide Begleitarbeit da. Mir scheint, er kämpft als angeheuerter Söldner tapfer und unbeeindruckt auf verlorenem Posten. Der Chef versteckt sich derweil irgendwo im Dickicht. Die mit einem ausgesprochen einfachen Gemüt in die Welt gepresste Ente "Zauberwelt" vermag einfach nicht zu fliegen, ist möglicherweise sogar zu kurzsichtig, die Schwäne hoch oben am Himmel ziehend zu sehen.
Soweit zum Titelsong "Zauberwelt", ob nun mit oder ohne oder von oder über oder wegen oder trotz Axel S. ... ich weiß es doch auch nicht!
Nächster Titel. "Kirschenzeit". Play!
Ein heiter stampfender Rock-Shuffle beginnt.
Ein knackig-fetter Keyboard-Bläsersatz, der mich im weiteren Verlauf ... wie? Ach, das hatten wir ja bereits zuvor. Egal, stimmt dennoch wieder.
Kurzfassung des Liedes: Als wir noch miteinander knackten wie pralle Kirschen, war alles dufte!
Energischer Groove, gute Laune! Magie? Nö.
Titel 4. "Politsong". Auf geht's.
Ein kräftig stampfender Rockblues-Shuffle beginnt.
Ich vermisse den knackig-fettigen Keyboard-Bläsersatz, der mich im weiteren Verlauf ...
Aus dem Text des "Politsongs" werde ich einfach nicht schlau weil Kay-Jörg zwar wütend von Lügen und Verrat allerorten schimpft, mich dabei jedoch nicht wissen lässt, wie er sich selbst zum Thema positioniert. Findet er nun, dass überall tatsächlich gelogen und verraten wird oder findet er, dass genau jene eingeschränkte Wahrnehmung der verbittert Besorgten das größere Problem darstellt? Unklar. Es müffelt irgendwie nach verschüttetem Bier unterm Stammtisch. Von einer Zauberwelt fehlt indes weiterhin jede Spur. Alles ist irgendwie deprimierend weltlich, alltäglich grau.
Der Gedanke und die Anlage von "Vater und Sohn" gefällt mir, ich wippe glatt synkopisch mit und wäre ich selbst Vater, hätte ich wohl einen Sohn. Oder eine Tochter, aber das ist hier nicht das Thema. Gutes Lied und mal kein Shuffle! (Running Gag - Pardon!)
"Oh, Lord" - mein persönlicher Liebling auf "Axel S. Zauberwelt". Auf geheimnisvolle Weise ergibt der Titel ein für mich schlüssiges Bild aus Sinn, Gesang und Arrangement. Möglicherweise schweife ich auch dank Stefans Gittarensounds zum verehrten Chris Rea und wünsche mir, er möge kurz vorbeikommen und zwei, drei Worte dazu hauchen. Mehr bräuchte es gar nicht. Vor allem aber schwebt endlichen ein Hauch philosophischer Übersinnlichkeit durch den Raum!
Zu den partiellen Aufhellungen während der inzwischen im Parforceritt durcheilten Titel von Schulze-Bands Album "Zauberwelt" gehören neben Stefan Schirmmachers konstanter, grundsolider Gitarrenarbeit auch die Gastauftritte von keinem Geringeren als Hans - der Geige - Wintoch und der hörbar stimmbeherrschenden Sängerin Anett Kölpin (Datzu) im Titel "Augenblick". Hätte der liebe Jörg die gute Anett doch nur allein durch diesen Augenblick gehen lassen, der Titel hätte als positiver Lichtblick des Albums vorgezeigt werden können. Hans Wintoch steuert ein sich gut in den Song passendes gepizztes Solo bei, ein akustisch willkommener Farbtupfer! Schirrmacher, Hans die Geige, Frau Kölpin, Produzent und Arrangeur Andre Kuntze, alle rotieren und geben ihr Bestes. Doch drängelt sich prompt ein unfreiwillig komischer Frosch Kermitt ins Bild und beklagt sich am Tor kratzend, dass sie ihn immer nur hinter verschlossener Tür lieben tät. Ich habe eine leise Ahnung, woran das liegen könnte. Anett ist aber trotz allem eine Nette, nimmt das Opfer auf sich und heuchelt liebevoll, er möge doch stehen bleiben und schön war die Zeit und so ...
Das "kleine Herz" (Titel 8), ganz eingeschüchtert zwischen voller (Keyboard-)Orchestrierung und epischen Gitarrenbögen, donnernden Toms des Drummers Karsten Matschei, weiß nicht recht, was es nun machen soll, das kleine Herz? Onkel Jörg singt mit zärtlich tätschelnder Stimme, es solle doch bei ihm bleiben, jedoch er selbst geht fort, voll von Schmerz. "Im Raum, im Raum, zwischen Leben und Traum. Im Raum, im Raum, spürst Du es kaum". Nein, es soll nicht fortgehen! Im März aber sieht er es an einem anderen Ort. Achso, es geht um sein eigenes Herz? In ihm selbst, richtig? Verwirrend, dieses Hin und Her ... Das ist zweifelsfrei anspruchsvoll, das ist Kunst! Kurz stolpert unser Herz über unisono brillierte Achteltriolen, aber schon findet es sich wieder im Raum, im Raum ... und glaubt es kaum! ...
"Abschied". Besonders interessant! Wärmende Synthieflächen in Tateinheit mit Schirmmachers Gitarren, durchaus schön anzuhören! Jörg Hogewitz featuring Jörg Hogewitz (siehe Titelliste) in Gestalt einer bestätigenden Off-Instanz, welche sich priesterlich, etwas peinlich erhaben vernehmen lässt (Und vor allem erschließt sich nicht, warum? Wofür?). Fast schon egal, beide, Jörg hier und Hogewitz da, sind sich einig: Alles hat einmal ein Ende. Ich ahne einen ernsten Hintergrund des Ganzen, möglicherweise den Tod eines geliebten Menschen im sterilen Klinikbett. Ach, wäre er nur konsequent und schlüssig ausformuliert und umgesetzt worden, dieser ansich tiefe Gedankenkern ... es hätte wirken können.
Am "Ostseestrand" stört mich am ehesten die plumpe, ungelenke Reimatik. Der sacht sich im Walzertakt wiegende Shanty ist durchaus fähig, zu gefallen.
"Mach mich nicht an" ... Schlimmer Finger Reggea, Fritzi Pop und der dumpfdrohende Protz Rammstein tanzen reihum irgendetwas miteinander aus. Aber was? *Schulterzucken*
Zauberfaktor: -11,4
"In der Ferne" - in der Tiefe seines Wesens ein keineswegs dümmlicher Song. Könnte mir sogar genießbar sein, stolperte Jörg nicht permanent hilflos über nicht ins rhythmische Raster passende Silben seines Textes (Da könnte man Texte leicht der Musik anpassen, sie etwas umschreiben, andere Wörter verwenden, Silben auszählen, Betonungen geschickter setzen! Muss man aber natürlich nicht. Lustiger ist's allemal so!).
Titel 13. Doch doch, ich kann jetzt das Licht sehen, von dem gerade noch die Rede war. Ich wittere finale Erlösung! Kermitt ist ganz gerührt und sagt für heute "bye bye". Rasch das Feuerzeug gezückt, denn die Läden des Rock-Kaleidoskop-Theaters schließen bereits ihre mit naiven Motiven bemalten Fensterflügel. Und vor einer letztmals unbeeindruckt ihren Sold abarbeitenden Gitarristen-Instanz Schirrmacher senkt sich gnädig der Vorhang.
Ich könnte mir vorstellen, Jörg Hogewitz, Schulze-Bands Stimme, mag charismatische Originale wie den rauchig angerauten Achim Reichel, den reim- und sprachrhythmisch autarken Herbert Grönemeyer oder den martialisch pumpenden Till Lindemann. Zumindest lassen das einzelne Passagen und Arrangements auf "Zauberwelt" vermuten. Jedoch, auf Andre Kuntzes supercleaner wie brutal schubstarker Studiorakete hinfortkatapultiert finden sich nicht etwa Reichel, Gröni oder Lindenmann, da hockt stattdessen der reanimierte Henry Valentino, mehr oder minder unfreiwillig des Mädchens vor ihm heischend, freilich ohne sie je einholen zu können.
Charlene Schmidt als Schöpferin der Songtexte möchte man herzlich bitten, zukünftig über diese oder jene Passage, insbesondere über grundsätzliche Belange der Sinnhaftigkeit lieber zweimal, dreimal - jedenfalls immer einmal mehr als bisher - nachzudenken.
Andre Kuntzes Bemühen, dem Album ein rockmusikalisches Gewand von Freudenberg'schem Schlager bis Rammsteins Metalmauer zu verpassen, ist sicher aller Ehren wert. Der "Sache Hogewitz'" dienlicher und weit weniger überambitioniert wäre aber eine bescheidenere Akustik-Produktion gewesen. Gern mit Starbesuch, dafür aber irgendwie stimmiger, ehrlicher!
So aber bleibt mir auch nach mehrmaligem good-will-Durchhören der erstaunlich magie-armen Scheibe "Zauberwelt" der Eindruck, hier wäre ein überrumpelter VW Polo-Fahrer vom angeheuerten Formel-Team mit der falschen Streckenkarte bestückt in einen für ihn unbeherrschbaren Donner-Boliden gesteckt und durch den Rundkurs gejagt worden.
Fazit:
Eine oftmals beklemmend irdische Zauberwelt des sich beharrlich in Nebel hüllenden Axel S., handwerklich grundsolide rockig entworfen und professionell durchgezogen, jedoch zumeist erstaunlich konsequent an den stimmlichen und textlichen Gegebenheiten des Sängers vorbei geschnellt.
(Robert Brenner)
Eine CD erreicht uns. Ein Albumtitel, die Songtitel, Texte und eine Danksagung an die Beteiligten. Thats it. Manchmal muss das halt reichen, damit umzugehen. Tut's ja auch hin und wieder. Gut, also was haben wir: Eine Band. Die Schulze-Band. Allem Anschein nach eher zur Kaste "Althasen" als "Junghüpfer" zählend. Mitnichten eine Schülercombo, die hätten sich etwas mehr Mühe mit dem Layout gemacht. Internet, oh Internet aus der Wand, sag mir wer ist diese Schulze Band? Das Internet antwortet prompt, aber mit einer ganz offensichtlich anderen Formation namens Schulze. Nun gut, mediales Neuland. Ohnehin spannender, mit nichts anderem als dem stumm vorgelegten Opus zu arbeiten. Los geht's!
Oh, was rollt mir denn da entgegen? Eine sauber gepickte Rockgitarre, wenig später das dazugehörige Stage Piano, gefilterte Backings - siegesgewisse Kämpfer im hitzigem Anmarsch, der stampfende Kick der Bassdrum setzt ein, dann endlich, das komplette Rockbesteck stürmt los! Alle Filter auf, Beine breit, die Kronjuwelen nach vorn und die vor den Knien hängende Rhythmusgitarre fett ihre Wand dem Auditorium entgegenstemmend! Yeah!! Das ist Rock pur, das ist die Schanze - errichtet für etwas Gewaltiges, etwas, das jeden Augenblick beginnen muss, die orgasmische Erlösung nach einer dreiviertel Minute harter Handarbeit an sich oder halt ersatzweise am Hals der Gitarre! Die Bühne bebt erwartungsvoll! Wo bleibt der Hammer, der dieses Fundament von Amboss bearbeiten wird? Da! Abseits des Scheinwerferlichts springt eine Klappe auf, heraus schnellt schelmisch grinsend Kay aus der Kiste und quäkt dünnlich: "Hallo, Hallo-o! Ich weiß nicht, ob ihr's wisst. Hallo, Hallo-o, hab ich's Euch schon gesagt?" Unwillkürlich zuckt mir der Finger. Ohjeh! Der Aus-Knopf! Schnell, bitte wo ist der Knopf? Eine Schrecksekunde, in der sämtliche Vorarbeiten der wackeren Mitstreiter zur unsinnigen Pharse degradiert wurden. Wie frisch geweißte Häuserkulissen auf einem Truppenübungsplatz. Leere Fassade. Nein, dies ist keine Stimme, die einer derartig studioproduzierten Gitarrenwand, aufgepumpt mit amtlichen Tools, Paroli zu bieten vermag! Nun gut, dieser Weg wird kein leichter sein, soviel dämmert mir nach diesem "Prolog".
Einen Keks und einen Tee später ...
Okay, ich hab mich wieder im Griff, bin bereit für den weiteren Parkour. Finger zum Play-Knopf, meine in Habachtstellung versetzten Sinne auf Grundhaltung "freundlich, offen, positiv" festgetaped, los geht's!
Immerhin, bereits Track 2 ist der Titelsong. "Zauberwelt" gibt mir Hoffnung, erklärt zu bekommen, wer denn eigentlich jener Axel S. aus dem Schriftzug des Frontcovers ist. Der Sänger kann's jedenfalls nicht sein, von dessen Zauberwelt berichtet wird, denn selbiger heißt ja Jörg Hogewitz. Das sei aber erstmal hintangestellt.
Axel S Zauberwelt: Play!
Ein heiter stampfender Rock-Shuffle beginnt.
Ein knackig-fetter Keyboard-Bläsersatz, der mich im weiteren Verlauf sehnsüchtig an Großmeister Phil Collins' Solodebüt "Face Value" denken lässt, bereitet das Beet. Das Beet für "Kay" alias Jörg ...
Das gefährliche an muttersprachlicher, insbesondere an unserer in deutsch formulierten Musik ist, dass der (deutschsprachige) Hörer praktisch auditiv zwangspenetriert wird. Es ist ihm nicht möglich, wegzuhören, es schon irgendwie zu verknusen, wertungsfrei. Er nimmt zwangsläufig auf, was da gesungen wird, ob er nun will oder nicht.
Was bisher geschah:
Axel - wir wissen nicht, ob er oder wer gemeint ist, denn es heißt schlicht "Du" im Werk - wurde offenbar verzaubert geboren, unterm Himmelszelt. Verloren ist er deshalb nicht, denn er lebt in seiner eigenen Welt. Andere drehen sich freilich weg, wenn sie ihn ("Dich") sehen, denn so einer wie er ("Du") gehört nunmal nicht dazu. Wie bitte? Doch es geht sofort weiter; Axel ist oft allein, hat weder Hilfe noch Zeit noch Geld. Aber das kümmert ihn nicht, unseren Axel oder wen auch immer. Denn er lebt in seiner bunten Zauberwelt, wie es ihm gefällt.
Mir stellen sich bereits Fragen. Wer ist dieser Axel S., dessen Zauberwelt Kay alias Jörg da besingt? Ist Axel möglicherweise schwerst gehandicapt, früher hätten wir geschrieben "behindert"? Oder ist Axel möglicherweise von Geburt an drogenabhängig? Und behindert dazu? Oder haust Axel als hässlicher Nazi in seinem Loch, dass sich alle von ihm wegdrehen müssten? Doch halt, weitere Textzeilen schließen all das ziemlich gewiss aus. Steht Axel S. überhaupt in irgendeiner Beziehung zur erwähnten Zauberwelt? Und apropos, wo bleibt die denn nur? Hier zaubert jedenfalls noch gar nichts. Wir wissen all das nicht, wir erfahren es auch nicht. Sicher ist, Axel hat einen unangehm wirkenden Griff ("... hältst Du mich dann fest, gibst Du mir den Rest!") Er oder vielleicht (ein Gedanke durchzuckt mich!) auch SIE (?) verzaubert zugleich den Protagonisten mit einem einzigen Lächeln. Und man möge Jörg Hogewitz alias Kay aus der Kiste bitte glauben: Axel bzw. Axeline sei nicht allein! Wie jetzt? Gerade eben war er, sie, es doch noch, und zwar "oft"! - nun aber plötzlich doch nicht mehr? Ich bin verwirrt. Man nehme nun spaßenshalber an, es ginge vielleicht doch um eine handfeste Liebesbeziehung und Axel S. ist in Wahrheit tatsächlich eine Attraktion von Frau, vergöttert von unserem Protagonisten in persona Jörg. Nur, dann bestünde Klärungsbedarf darüber, wieso alle sich abwenden sollten und warum gehörte dann eine wie sie nunmal nicht dazu? Fragen über Fragen. Absoluter Tiefpunkt: "Ich bin für Dich da, auch wenn Du dich mal wehrst!" ... So eine offene Drohung gilt es erstmal wegzustecken!
Wie man es dreht und wendet, es kommt einfach kein Sinn hinein, kein Geschichtchen will dem hirnlos aneinander gereihten Quark aus der Fertigphrasen-Abteilung entsteigen. Hier wurde irgendwelchen allzu diffusen Gedankenwölkchen eben NICHT nachgespürt, stattdessen Wert darauf gelegt, die verwendeten Textbausteine mögen sich am Ende der Zeile wenigstens zu reimen beginnen ...
Unbeeindruckt von all diesem semantischen Kraut stampft der Shuffle der sich mühenden Schulze-Band tapfer dahin. Stefan Schirrmacher, Kennern der ostdeutschen Szene wohlbekannt durch sein gitarristisches Schaffen bei Neumis Rock Cirkus oder als Mitglied von Frank Schöbels Band, tut und macht, was er kann. Ein fettes Solo hier, solide Begleitarbeit da. Mir scheint, er kämpft als angeheuerter Söldner tapfer und unbeeindruckt auf verlorenem Posten. Der Chef versteckt sich derweil irgendwo im Dickicht. Die mit einem ausgesprochen einfachen Gemüt in die Welt gepresste Ente "Zauberwelt" vermag einfach nicht zu fliegen, ist möglicherweise sogar zu kurzsichtig, die Schwäne hoch oben am Himmel ziehend zu sehen.
Soweit zum Titelsong "Zauberwelt", ob nun mit oder ohne oder von oder über oder wegen oder trotz Axel S. ... ich weiß es doch auch nicht!
Nächster Titel. "Kirschenzeit". Play!
Ein heiter stampfender Rock-Shuffle beginnt.
Ein knackig-fetter Keyboard-Bläsersatz, der mich im weiteren Verlauf ... wie? Ach, das hatten wir ja bereits zuvor. Egal, stimmt dennoch wieder.
Kurzfassung des Liedes: Als wir noch miteinander knackten wie pralle Kirschen, war alles dufte!
Energischer Groove, gute Laune! Magie? Nö.
Titel 4. "Politsong". Auf geht's.
Ein kräftig stampfender Rockblues-Shuffle beginnt.
Ich vermisse den knackig-fettigen Keyboard-Bläsersatz, der mich im weiteren Verlauf ...
Aus dem Text des "Politsongs" werde ich einfach nicht schlau weil Kay-Jörg zwar wütend von Lügen und Verrat allerorten schimpft, mich dabei jedoch nicht wissen lässt, wie er sich selbst zum Thema positioniert. Findet er nun, dass überall tatsächlich gelogen und verraten wird oder findet er, dass genau jene eingeschränkte Wahrnehmung der verbittert Besorgten das größere Problem darstellt? Unklar. Es müffelt irgendwie nach verschüttetem Bier unterm Stammtisch. Von einer Zauberwelt fehlt indes weiterhin jede Spur. Alles ist irgendwie deprimierend weltlich, alltäglich grau.
Der Gedanke und die Anlage von "Vater und Sohn" gefällt mir, ich wippe glatt synkopisch mit und wäre ich selbst Vater, hätte ich wohl einen Sohn. Oder eine Tochter, aber das ist hier nicht das Thema. Gutes Lied und mal kein Shuffle! (Running Gag - Pardon!)
"Oh, Lord" - mein persönlicher Liebling auf "Axel S. Zauberwelt". Auf geheimnisvolle Weise ergibt der Titel ein für mich schlüssiges Bild aus Sinn, Gesang und Arrangement. Möglicherweise schweife ich auch dank Stefans Gittarensounds zum verehrten Chris Rea und wünsche mir, er möge kurz vorbeikommen und zwei, drei Worte dazu hauchen. Mehr bräuchte es gar nicht. Vor allem aber schwebt endlichen ein Hauch philosophischer Übersinnlichkeit durch den Raum!
Zu den partiellen Aufhellungen während der inzwischen im Parforceritt durcheilten Titel von Schulze-Bands Album "Zauberwelt" gehören neben Stefan Schirmmachers konstanter, grundsolider Gitarrenarbeit auch die Gastauftritte von keinem Geringeren als Hans - der Geige - Wintoch und der hörbar stimmbeherrschenden Sängerin Anett Kölpin (Datzu) im Titel "Augenblick". Hätte der liebe Jörg die gute Anett doch nur allein durch diesen Augenblick gehen lassen, der Titel hätte als positiver Lichtblick des Albums vorgezeigt werden können. Hans Wintoch steuert ein sich gut in den Song passendes gepizztes Solo bei, ein akustisch willkommener Farbtupfer! Schirrmacher, Hans die Geige, Frau Kölpin, Produzent und Arrangeur Andre Kuntze, alle rotieren und geben ihr Bestes. Doch drängelt sich prompt ein unfreiwillig komischer Frosch Kermitt ins Bild und beklagt sich am Tor kratzend, dass sie ihn immer nur hinter verschlossener Tür lieben tät. Ich habe eine leise Ahnung, woran das liegen könnte. Anett ist aber trotz allem eine Nette, nimmt das Opfer auf sich und heuchelt liebevoll, er möge doch stehen bleiben und schön war die Zeit und so ...
Das "kleine Herz" (Titel 8), ganz eingeschüchtert zwischen voller (Keyboard-)Orchestrierung und epischen Gitarrenbögen, donnernden Toms des Drummers Karsten Matschei, weiß nicht recht, was es nun machen soll, das kleine Herz? Onkel Jörg singt mit zärtlich tätschelnder Stimme, es solle doch bei ihm bleiben, jedoch er selbst geht fort, voll von Schmerz. "Im Raum, im Raum, zwischen Leben und Traum. Im Raum, im Raum, spürst Du es kaum". Nein, es soll nicht fortgehen! Im März aber sieht er es an einem anderen Ort. Achso, es geht um sein eigenes Herz? In ihm selbst, richtig? Verwirrend, dieses Hin und Her ... Das ist zweifelsfrei anspruchsvoll, das ist Kunst! Kurz stolpert unser Herz über unisono brillierte Achteltriolen, aber schon findet es sich wieder im Raum, im Raum ... und glaubt es kaum! ...
"Abschied". Besonders interessant! Wärmende Synthieflächen in Tateinheit mit Schirmmachers Gitarren, durchaus schön anzuhören! Jörg Hogewitz featuring Jörg Hogewitz (siehe Titelliste) in Gestalt einer bestätigenden Off-Instanz, welche sich priesterlich, etwas peinlich erhaben vernehmen lässt (Und vor allem erschließt sich nicht, warum? Wofür?). Fast schon egal, beide, Jörg hier und Hogewitz da, sind sich einig: Alles hat einmal ein Ende. Ich ahne einen ernsten Hintergrund des Ganzen, möglicherweise den Tod eines geliebten Menschen im sterilen Klinikbett. Ach, wäre er nur konsequent und schlüssig ausformuliert und umgesetzt worden, dieser ansich tiefe Gedankenkern ... es hätte wirken können.
Am "Ostseestrand" stört mich am ehesten die plumpe, ungelenke Reimatik. Der sacht sich im Walzertakt wiegende Shanty ist durchaus fähig, zu gefallen.
"Mach mich nicht an" ... Schlimmer Finger Reggea, Fritzi Pop und der dumpfdrohende Protz Rammstein tanzen reihum irgendetwas miteinander aus. Aber was? *Schulterzucken*
Zauberfaktor: -11,4
"In der Ferne" - in der Tiefe seines Wesens ein keineswegs dümmlicher Song. Könnte mir sogar genießbar sein, stolperte Jörg nicht permanent hilflos über nicht ins rhythmische Raster passende Silben seines Textes (Da könnte man Texte leicht der Musik anpassen, sie etwas umschreiben, andere Wörter verwenden, Silben auszählen, Betonungen geschickter setzen! Muss man aber natürlich nicht. Lustiger ist's allemal so!).
Titel 13. Doch doch, ich kann jetzt das Licht sehen, von dem gerade noch die Rede war. Ich wittere finale Erlösung! Kermitt ist ganz gerührt und sagt für heute "bye bye". Rasch das Feuerzeug gezückt, denn die Läden des Rock-Kaleidoskop-Theaters schließen bereits ihre mit naiven Motiven bemalten Fensterflügel. Und vor einer letztmals unbeeindruckt ihren Sold abarbeitenden Gitarristen-Instanz Schirrmacher senkt sich gnädig der Vorhang.
Ich könnte mir vorstellen, Jörg Hogewitz, Schulze-Bands Stimme, mag charismatische Originale wie den rauchig angerauten Achim Reichel, den reim- und sprachrhythmisch autarken Herbert Grönemeyer oder den martialisch pumpenden Till Lindemann. Zumindest lassen das einzelne Passagen und Arrangements auf "Zauberwelt" vermuten. Jedoch, auf Andre Kuntzes supercleaner wie brutal schubstarker Studiorakete hinfortkatapultiert finden sich nicht etwa Reichel, Gröni oder Lindenmann, da hockt stattdessen der reanimierte Henry Valentino, mehr oder minder unfreiwillig des Mädchens vor ihm heischend, freilich ohne sie je einholen zu können.
Charlene Schmidt als Schöpferin der Songtexte möchte man herzlich bitten, zukünftig über diese oder jene Passage, insbesondere über grundsätzliche Belange der Sinnhaftigkeit lieber zweimal, dreimal - jedenfalls immer einmal mehr als bisher - nachzudenken.
Andre Kuntzes Bemühen, dem Album ein rockmusikalisches Gewand von Freudenberg'schem Schlager bis Rammsteins Metalmauer zu verpassen, ist sicher aller Ehren wert. Der "Sache Hogewitz'" dienlicher und weit weniger überambitioniert wäre aber eine bescheidenere Akustik-Produktion gewesen. Gern mit Starbesuch, dafür aber irgendwie stimmiger, ehrlicher!
So aber bleibt mir auch nach mehrmaligem good-will-Durchhören der erstaunlich magie-armen Scheibe "Zauberwelt" der Eindruck, hier wäre ein überrumpelter VW Polo-Fahrer vom angeheuerten Formel-Team mit der falschen Streckenkarte bestückt in einen für ihn unbeherrschbaren Donner-Boliden gesteckt und durch den Rundkurs gejagt worden.
Fazit:
Eine oftmals beklemmend irdische Zauberwelt des sich beharrlich in Nebel hüllenden Axel S., handwerklich grundsolide rockig entworfen und professionell durchgezogen, jedoch zumeist erstaunlich konsequent an den stimmlichen und textlichen Gegebenheiten des Sängers vorbei geschnellt.
(Robert Brenner)