YELLO: "Point" (Album)

lp32 20200915 1864794636VÖ: 28.08.2020; Label: Polydor/Universal; Katalognummer: 08833779; Musiker: Boris Blank (Synthies, Keyboards, Programming, Gesang), Dieter Meier (Gesang), Jeremy Baer (Gitarre), Fifi Rong (Gesang); Bemerkung: Außer auf LP auch auf CD (# 0602508833748) erschienen. Als limitierte Sonderauflage erschien das Album auch in einer Box mit CD und einer Picture-Vinyl (# 060250883375 5). Auf der CD befinden sich die Bonus-Tracks "Insane", "Zephyr Calling" und "Meet My Angel". Desweiteren befinden sich eine DVD und eine Blue Ray mit dem Titel "Live At Montreux Jazz Festival - July 12, 2017" in dieser Box. DVD, Blue Ray und Pictrue Disc sind exklusiv nur in dieser Box erhältlich.;

Titel:
Waba Duba • The Vanishing Of Peter Strong • Way Down • Out Of Sight • Arthur Spark • Big Boy's Blues • Basic Avenue • Core Shift • Spinning My Mind • Hot Pan • Rush For Joe • Siren Singing


Rezension:
Man kennt das … Das alte Auto hat ausgedient und muss ersetzt werden. Während man sich umschaut, stellt man fest, dass sich auf dem Markt in den letzten Jahren so einiges getan hat. Inzwischen bekommst Du einen Neuwagen, hergestellt in Südost-Europa, für unter 10.000 EUR. Der Preis ist verlockend, zumal ein vergleichbares Modell von dem Anbieter mit dem Fadenkreuz auf dem Kühlergrill locker das Dreifache kostet. Schon beim Rundgang um die blecherne Balkanziege bemerkst Du die äußerst billig anmutenden Plastikanbauten. Im Innenraum setzt sich der Eindruck dann fort. Billig sieht es aus, billig ist es gemacht, und vermutlich hast Du den einen oder anderen Schalter nach vier bis fünf Mal Bedienen auch schon in der Hand. Etwas, das Dir bei dem Sternenkreuzer vom Autohaus nebenan nicht passieren wird. Hier ist alles solide verarbeitet und das, was aus Kunststoff ist, fühlt sich weder nach Kunststoff an, noch sieht es danach aus. Und mit der Zeit dürfte es so einiges überleben. Die gleichen Beobachtungen kannst Du auch in der Musik machen. Da hat sich in den letzen Jahren auch so einiges getan und seit der Existenz von diversen Veröffentlichungs-Portalen wird der Markt mit Musik nur so überflutet. Da gibt es "Bands", die sich den synthetisch erzeugten Klängen verschrieben haben. Schon toll, was der Computer so alles ohne viel machen zu müssen raus hupt und was man mit künstlichen Beats so alles unterlegen kann. Manch ein "Musikant" sitzt nur daneben und staunt, was ihm sein Prozessor da ausspuckt. Schnell ein Etikett drauf, also dem Kind einen Namen gegeben, ein qualitativ genauso simpel gestricktes Video gedreht und flott den ganzen Krempel als Single bei YouTube veröffentlicht. Schon beim ersten Hören brechen diverse Plastikanbauten ab, weil die Musik einfach viel zu billig ist, und der Konsument klagt über schlechte Verarbeitung und noch schlechtere Haltbarkeit. Nach zwei Wochen nehmen die, die überhaupt von der Produktion Notiz genommen haben, schon keine Selbige mehr davon und sind längst zur nächsten Kirmes weitergezogen. Und dann gibt es da die, die es schaffen, ihre musikalischen Ideen so umzusetzen, dass sie Tiefe haben, nicht nur für den Moment gemacht sind und bei denen auch nix abbrechen, knicken oder einreißen kann. Zu wertig ist das Ergebnis ihrer Studioarbeit. Zwei Vertreter der zuletzt genannten Güteklasse, die schon seit über 40 Jahren im Bereich Elektronik unterwegs sind, und die dieses Genre nicht nur mit gestaltet, sondern ein Stück weit auch mit erfunden haben, sind die Herren Blank und Meier, die unter dem Namen YELLO firmieren. Mit "Point" haben sie nun ihr neustes Werk vorgelegt - das inzwischen 14. Studioalbum.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone SDA sagt Boris Blank (68): "Unserer Musik liegen weder ein Hintergedanke noch eine Absicht im weitesten Sinne zu Grunde. Sie ist ein Spiel mit Klängen und Worten. Das war in den 80ern so und hat sich bis heute nicht geändert." Außerdem sei er oft selbst überrascht, was beim Musikmachen alles so entsteht. Darum darf man auf dem neuen Werk auch hinter Liedern wie "Waba Duba" oder "Hot Pan" keine große Lyrik oder wichtige Botschaften erwarten, die morgen schon den Weltfrieden herstellen oder den Corona-Virus besiegen können. Es ist Spaß haben mit Klängen, Sounds und Melodien auf einem hohen Niveau, weshalb sich "Waba Duba" auch nur auf den ersten Blick wie Blödsinn anhört. Anmachen, laut drehen und in die YELLO-Welt eintauchen.

Diesen Spaß lösen u.a. auch die Beats eines Songs wie "The Vanishing Of Peter Strong" aus, die einem ins Bein fahren. Dort hinein mischt sich die tiefe und in der Magengegend kitzelnde Stimme von Dieter Meier (75), der seit eh und je bei YELLO für das "Menschliche" im Synthetischen sorgt.
Gleiche Effekte löst der Song "Way Down" aus, wenn er mit hämmerndem Beat und elektrischen Effekten den Teppich für Meiers Stimm-Spielereien bildet. Das fasst Dir ans Bein, das geht Dir ins Ohr und es macht Dir gute Laune.
Bei "Out Of Sight" denkt man unweigerlich an den Titel "No Roots" von Alice Merton, man fühlt sich ob der Verspieltheit im Arrangement aber deutlich besser unterhalten. Schließlich stellt man fest, dass es eigentlich nur diese eine Melodie der Gitarre (oder Bass) aus der Merton-Nummer ist, die hier Ähnlichkeiten bemerken lässt. Der Rest ist eben YELLO. Und damit auch besser ...
Und so erinnert auch die computer-verzerrte Stimme in "Arthur Spark" vom Sound her ein wenig an Kraftwerk. Aber auch hier nur wieder einen Augenblick und für manch einen anderen Hörer vielleicht auch gar nicht … Am Ende ist es wieder YELLO, der spezielle Sound und diverse spezielle Effekte, die man eben nur von den Schweizern kennt.
Beim Hören von "Big Boy's Blues" ist man hocherfreut, dass mal wieder ein Gitarren-Sound mit verbaut wurde, der in YELLOs Anfangszeit nicht unüblich war und der dem Ganzen noch eine weitere Geschmacksnote mit auf den Weg gibt. Jeremy Baer ist dafür verantwortlich. Jener Jeremy Baer, der schon auf dem Vorgänger-Album "Toy" und der sich daran anschließenden Kurz-Tournee in die Saiten gegriffen hat. Locker und leger marschiert das Stück durch seine 3:20 Minuten Spielzeit und man ist am Ende nur wenig amüsiert darüber, dass die Nummer schon vorbei ist. Hier hätte die Gitarre durchaus noch sieben bis zwölf Minuten weiter ihr Lied singen und sich mit Meiers Gesang duellieren können. Aber wer weiß … vielleicht kriegen wir davon ja noch einen 12-Minuten Mix wie damals bei "The Race". Denn auch "Big Boy's Blues" ist ein Song mit typischen YELLO-Elementen, die man u.a. auch auf dem Album "One Second" von 1987 finden kann. Würde also gut passen.
Wer die Experimente der Schweizer in Bezug auf Sprach und Ton-Klängen mag, wird beim Song "Basic Avenue" voll auf seine Kosten kommen, um mit "Core Shift" wieder einen Sprung zurück in die 80er machen zu können.
Nach der "Kernverschiebung" ("Core Shift") verschieben die Schweizer in "Spinning My Mind" den Regler für die Beats per Minute nach unten. Etwas ruhiger geht es hier zur Sache und einmal mehr konzentriert sich Boris Blank als Komponist und Arrangeur auf die Stärken seiner Musik aus den 80ern. Der Eine mag es vielleicht als Selbst-Recycling bezeichnen, ich nenne es eher Verfeinern eines 30-jährigen Sounds und Transport dessen ins Heute. Andere Bands machen bei derartigen Ausflügen in die eigene Geschichte eine wesentlich schlechtere Figur! Blank setzt hier im übertragenen Sinne eine Telemarklandung.
Mit "Hot Pan", einem elektronischen Schleicher mit spacigen Effekten, biegt man schon auf die Zielgeraden des Albums ein. Hier wird mit einem Shuffle namens "Rush For Joe" nochmals ein weiteres Highlight gesetzt und die eh schon bunte Palette um ein paar kräftige Farben erweitert. Durch den Einsatz einer Trompete (Till Brönner lässt grüßen) und einer Flöte bekommt die Nummer einen hauchzarten Jazz-Anstrich verpasst und bringt durch seine Percussions ein Südamerika-Feeling mit. Ein angenehm lauschiger Stoff für die Chill-Out-Lounge.
Wie die Musik zu einem Film klingt "Siren Singing", dem die junge Sängerin Fifi Rong mit ihrer tatsächlich teils sirenenhaft klingenden Stimme ein Gänsehaut verursachendes Flair verleiht. Ruhig, mystisch und wie aus einer anderen Welt klingt das Stück, das das Album dann auch beschließt.

YELLO geht immer, YELLO enttäuscht seine Hörer nie und YELLO liefert seit über 40 Jahren hochwertigen Kunststoff, der als solcher gar nicht zu erkennen ist. Es ist Kunst, und zwar die Kunst, seine Ideen mal frei laufen und in Musik fließen zu lassen. Dabei wird die Vielfalt genutzt, die einem Synthies, Keyboards und Computer zur Verfügung stellen, aber nicht nur die aus dem Starter-Pack des Software-Herstellers, sondern gewachsen aus mehreren Jahrzehnten Umgang mit diesen sich immer weiter entwickelnden Möglichkeiten. Vermischt wird die Technik hier mit dem Sound, den "echte Instrumente" erzeugen. Das hat Klasse, das hat Wert. YELLO ist eben nicht die Gehhilfe aus dem Süden, sondern der leuchtende Stern auf der Elektronik-Autobahn. Weiter so!
(Christian Reder)





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