Annett Louisan: "Kitsch" (Album)
VÖ: 21.08.2020; Label: SONY/Ariola; Katalognummer: 194397175028; Musiker: Annett Louisan (Gesang); Bemerkung: Ausschließlich auf CD erschienen. Nähere Angaben zu Musikern, Produzenten und anderen Credits sowie zum Artwork können nicht gemacht werden, da hier kein Original des Albums zu Rezensionszwecken vorlag;
Titel: Hello • Bitter Sweet Symphony • I Want It That Way • Bungalow • (I Just) Died In Your Arms • Words • Eternal Flame • Friday I'm In Love • Atemlos Durch Die Nacht • Nights In White Satin • Marleen • Reality • Torn • Somwhere Over The Rainbow • Bungalow (Single Edit) |
Rezension:
Kitsch ist keins der Worte, das mit positiven Attributen behaftet ist. Man assoziiert damit eher was Geschmackloses, wenig Wertiges oder übertrieben Sentimentales. Manche Leute mögen Kitsch nicht, er ist ihnen zuwider. Andere hingegen lieben ihn, er erhellt ihr Leben. Zu welcher Gruppe die Chanson-Sängerin Annett Louisan gehört, ist nicht ganz klar. Ihr neustes Studioalbum hat sie jedenfalls so genannt und wenn man dem Titel Glauben schenken darf, hat sie es damit auch gefüllt. Meint sie das ernst? Erlaubt sie sich mit uns einen Scherz?
Ganze 14 Lieder plus einen Bonus-Mix hat die gebürtige Havelbergerin auf ihr neues Album gepackt und schon die Namen der Songs verraten es gleich: Es ist ein Album mit Coverversionen. Die zweite Erkenntnis, ohne einen Ton gehört zu haben: Annett hat erstmals englisch gesungene Lieder auf ihrer Platte. Lionel Richies Schmachtfetzen "Hello" ist dann auch das Stück, das den Reigen der Louisan'schen Lied-Übernahmen im "Kitsch"-Anstrich eröffnet. Das Arrangement des über 35 Jahre alten Originals mit gedrückter Klavierbegleitung und leichter Bläserunterstützung hat die Sängerin kurzerhand komplett vom Tisch gefegt und gegen eine spanisch klingende Gitarre, Orgel-Sound und einen Bossa Nova-ähnlichen Rhythmus ersetzt. Fertig ist eine luftig-leichte Neufassung, der sie mit zerbrechlich klingender Stimme weiteres frisches Blut zugeführt hat. Kann man so machen, ja. Und es scheint auch die einzig richtige Möglichkeit gewesen zu sein, dieses Lied lebendig in die Neuzeit zu holen.
Das Ende der 90er von THE VERVE bereits neu interpretierte "Bittersweet Symphony" der ROLLING STONES erfährt bei Annett Louisan auch eine komplette Typ-Veränderung. Das schwarze Haar wurde der Symphonie blond gefärbt und es weht nun im lauen Sommerwind. Als Cha-Cha-Cha mit Gitarre und Percussion erlebt der Song seinen dritten Frühling, und Annett Louisan erreicht den Autor dieser Zeilen ein weiteres Mal mit ihrer Art des Vortrags. Hier ist etwas ganz anderes entstanden, als es das Original eigentlich vorgibt. Was soll ich sagen?! Es gefällt!
Einen Hauch von Kate Bush lässt Annett Louisan bei ihrer Version des CUTTING CREW-Klassikers "I Just Died In Your Arms Tonight" durch den Raum wehen. Auch hier reichen eine spanische Gitarre, Percussion und ein dezent dazu gespielter Fretless-Bass aus, um der Künstlerin eine glatte Fläche anzubieten, auf der sie unfallfrei ihre Stimme tanzen lassen kann. Und wie sie darauf tanzt. Das Lied ist eins der Highlights auf dieser CD und wieder erwischt man sich dabei, den "Kitsch" gut zu finden.
Gleiche Instrumente - anderer Song - andere Musikrichtung. "Words" von F.R. David ist jetzt ein Bossa Nova, den man an einem warmen Sommerabend beim Sonnenuntergang an der Strandbar quasi als Erfrischung zu sich nehmen könnte. All den Lesern, denen das Original inzwischen auch schon so richtig auf den Zünder geht, sei diese neue Fassung wärmstens ans Herz gelegt. Kein Vergleich mit der ollen Kamelle aus der Italo-Disco-Zeit … Eine spannende neue Version gibt es hier zu Entdecken - entstaubt, frisch bezogen und zum noch einmal neu Verlieben!
Schon bei den ersten Tönen von Helene Fischers "Atemlos" ergreifen viele Menschen inzwischen die Flucht. Manch einer scheut sich auch nicht davor, dies bei 120 km/h aus dem fahrenden Auto heraus zu tun, sobald Helenchen aus dem Radio auch nur die erste Zeile, "Wir ziehen durch die Straßen und die Clubs dieser Stadt", raushauen kann. Ganz behutsam versucht Annett Louisan auf ihrem "Kitsch"-Album diese Menschen nun wieder aufzusammeln und ihren Träumen musiktherapeutisch zu begegnen. Wesentlich im Arrangement entschleunigt kommt ihre Fassung daher. In einer Mischung aus Drafi Deutschers "Herz an Herz Gefühl" und Frank Duvals "Living Like A Cry" strahlt ihre Version der Kristina Bach-Komposition einen mir noch nicht richtig erklärbaren Reiz aus, dem man sich nicht entziehen kann. Ich traue es mich gar nicht zu schreiben, aber … auch das gefällt mir sehr gut!
Wer erinnert sich noch an das One-Hit-Wonder Natalie Imbruglia und ihr "Torn", mit dem sie uns vor knapp 20 Jahren die Schönheit von Sekundenschlaf näher brachte? Chansonette Louisan packt die Nummer ganz anders an, hebt die Taktzahl und lässt aus ihr einen im Raum tanzenden Anwärter für den Sommerhit des Jahres werden. Keine Chance, dabei wegzunicken! Im Gegenteil. Noch ein Stück, das mir besser als das Original gefällt.
Selbst das von so vielen anderen Musikern schon bis zum Erbrechen wiedergekäute "Somewhere Over The Rainbow" weckt in mir die Lebensgeister, hat Frau Louisan doch eine Jazz-Nummer mit südamerikanischen Spritzern gemacht. Die Art, wie sie das Lied singt, fügt noch den Rest dazu, dass ich `ne Menge Spaß an ihm habe und noch haben werde. Alle anderen bisher gehörten Versionen können damit also weg.
Ja, Annett Louisan ist in ihrer Stimme limitiert. Sie kann nicht viel anderes anbieten, als den allseits bekannten lasziven Tonfall und diesen stimmlichen Schlafzimmerblick, die sie vor 16 Jahren auch mit ihrem Hit "Das Spiel" deutschlandweit berühmt machten. Kratzig, dreckig oder kraftvoll wird sie nie, darauf wartet man vergeblich. Aber wer bitte würde sich erdreisten, an einer Cyndi Lauper rum zu kritisieren? Niemand! Also muss das auch keiner bei Annett Louisan tun, die für mich irgendwie sowas wie Deutschlands Antwort auf Mrs. Lauper ist. Manchmal will man sowas wie eine Rockröhre ja auch gar nicht hören, sondern eben eine so leichte und zerbrechliche Stimme wie diese. Eine, die mal wie die eines kleinen Mädchens klingen kann, dann aber auch wie die einer jungen Frau, die gerade ihr Instrument und dessen Wohlklang entdeckt hat, und es nun spielerisch ausprobiert. Allerdings weiß die Louisan genau, was sie da tut! Und ja, es ist alles andere als innovativ, alte Hits aus Jugendtagen zu covern und damit auch noch eine CD zu füllen. Für solche Anwandlungen gibt es eigentlich "Sing meinen Song", wo die 43-jährige vor Kurzem ja auch schon vorstellig wurde. Nichts langweilt mich eigentlich so sehr, wie eine CD mit Cover-Songs. Hier aber ist das anders, denn Annett Louisan macht - wie man so schön sagt - aus fremden Liedern ihre ganz eigenen. Sie liefert Überraschendes und Unerwartetes, und das mit einem so übersichtlichen Angebot in ihrem stimmlichen Farbkasten. Ob sie das nun bierernst meint, und die Neufassungen ihr ganz persönlicher Kniefall vor den Originalen und ihren Schöpfern ist, oder es ein versteckter Scherz ist, und morgen Guido Cantz um die Ecke kommt und uns alle fragt, ob wir Spaß verstehen, das vermag ich noch nicht zu beurteilen. Fakt ist aber, dass es der Sängerin gelungen ist, Originale besser zu machen, mich mit vielen der Lieder abzuholen und mir eine vergnügliche Stunde zu bereiten. Wenn das ein Scherz sein soll, bitteschön! Wenn das Kitsch ist, dann steh ich wohl drauf. Darum: Es lebe der Kitsch!
(Christian Reder)
Kitsch ist keins der Worte, das mit positiven Attributen behaftet ist. Man assoziiert damit eher was Geschmackloses, wenig Wertiges oder übertrieben Sentimentales. Manche Leute mögen Kitsch nicht, er ist ihnen zuwider. Andere hingegen lieben ihn, er erhellt ihr Leben. Zu welcher Gruppe die Chanson-Sängerin Annett Louisan gehört, ist nicht ganz klar. Ihr neustes Studioalbum hat sie jedenfalls so genannt und wenn man dem Titel Glauben schenken darf, hat sie es damit auch gefüllt. Meint sie das ernst? Erlaubt sie sich mit uns einen Scherz?
Ganze 14 Lieder plus einen Bonus-Mix hat die gebürtige Havelbergerin auf ihr neues Album gepackt und schon die Namen der Songs verraten es gleich: Es ist ein Album mit Coverversionen. Die zweite Erkenntnis, ohne einen Ton gehört zu haben: Annett hat erstmals englisch gesungene Lieder auf ihrer Platte. Lionel Richies Schmachtfetzen "Hello" ist dann auch das Stück, das den Reigen der Louisan'schen Lied-Übernahmen im "Kitsch"-Anstrich eröffnet. Das Arrangement des über 35 Jahre alten Originals mit gedrückter Klavierbegleitung und leichter Bläserunterstützung hat die Sängerin kurzerhand komplett vom Tisch gefegt und gegen eine spanisch klingende Gitarre, Orgel-Sound und einen Bossa Nova-ähnlichen Rhythmus ersetzt. Fertig ist eine luftig-leichte Neufassung, der sie mit zerbrechlich klingender Stimme weiteres frisches Blut zugeführt hat. Kann man so machen, ja. Und es scheint auch die einzig richtige Möglichkeit gewesen zu sein, dieses Lied lebendig in die Neuzeit zu holen.
Das Ende der 90er von THE VERVE bereits neu interpretierte "Bittersweet Symphony" der ROLLING STONES erfährt bei Annett Louisan auch eine komplette Typ-Veränderung. Das schwarze Haar wurde der Symphonie blond gefärbt und es weht nun im lauen Sommerwind. Als Cha-Cha-Cha mit Gitarre und Percussion erlebt der Song seinen dritten Frühling, und Annett Louisan erreicht den Autor dieser Zeilen ein weiteres Mal mit ihrer Art des Vortrags. Hier ist etwas ganz anderes entstanden, als es das Original eigentlich vorgibt. Was soll ich sagen?! Es gefällt!
Einen Hauch von Kate Bush lässt Annett Louisan bei ihrer Version des CUTTING CREW-Klassikers "I Just Died In Your Arms Tonight" durch den Raum wehen. Auch hier reichen eine spanische Gitarre, Percussion und ein dezent dazu gespielter Fretless-Bass aus, um der Künstlerin eine glatte Fläche anzubieten, auf der sie unfallfrei ihre Stimme tanzen lassen kann. Und wie sie darauf tanzt. Das Lied ist eins der Highlights auf dieser CD und wieder erwischt man sich dabei, den "Kitsch" gut zu finden.
Gleiche Instrumente - anderer Song - andere Musikrichtung. "Words" von F.R. David ist jetzt ein Bossa Nova, den man an einem warmen Sommerabend beim Sonnenuntergang an der Strandbar quasi als Erfrischung zu sich nehmen könnte. All den Lesern, denen das Original inzwischen auch schon so richtig auf den Zünder geht, sei diese neue Fassung wärmstens ans Herz gelegt. Kein Vergleich mit der ollen Kamelle aus der Italo-Disco-Zeit … Eine spannende neue Version gibt es hier zu Entdecken - entstaubt, frisch bezogen und zum noch einmal neu Verlieben!
Schon bei den ersten Tönen von Helene Fischers "Atemlos" ergreifen viele Menschen inzwischen die Flucht. Manch einer scheut sich auch nicht davor, dies bei 120 km/h aus dem fahrenden Auto heraus zu tun, sobald Helenchen aus dem Radio auch nur die erste Zeile, "Wir ziehen durch die Straßen und die Clubs dieser Stadt", raushauen kann. Ganz behutsam versucht Annett Louisan auf ihrem "Kitsch"-Album diese Menschen nun wieder aufzusammeln und ihren Träumen musiktherapeutisch zu begegnen. Wesentlich im Arrangement entschleunigt kommt ihre Fassung daher. In einer Mischung aus Drafi Deutschers "Herz an Herz Gefühl" und Frank Duvals "Living Like A Cry" strahlt ihre Version der Kristina Bach-Komposition einen mir noch nicht richtig erklärbaren Reiz aus, dem man sich nicht entziehen kann. Ich traue es mich gar nicht zu schreiben, aber … auch das gefällt mir sehr gut!
Wer erinnert sich noch an das One-Hit-Wonder Natalie Imbruglia und ihr "Torn", mit dem sie uns vor knapp 20 Jahren die Schönheit von Sekundenschlaf näher brachte? Chansonette Louisan packt die Nummer ganz anders an, hebt die Taktzahl und lässt aus ihr einen im Raum tanzenden Anwärter für den Sommerhit des Jahres werden. Keine Chance, dabei wegzunicken! Im Gegenteil. Noch ein Stück, das mir besser als das Original gefällt.
Selbst das von so vielen anderen Musikern schon bis zum Erbrechen wiedergekäute "Somewhere Over The Rainbow" weckt in mir die Lebensgeister, hat Frau Louisan doch eine Jazz-Nummer mit südamerikanischen Spritzern gemacht. Die Art, wie sie das Lied singt, fügt noch den Rest dazu, dass ich `ne Menge Spaß an ihm habe und noch haben werde. Alle anderen bisher gehörten Versionen können damit also weg.
Ja, Annett Louisan ist in ihrer Stimme limitiert. Sie kann nicht viel anderes anbieten, als den allseits bekannten lasziven Tonfall und diesen stimmlichen Schlafzimmerblick, die sie vor 16 Jahren auch mit ihrem Hit "Das Spiel" deutschlandweit berühmt machten. Kratzig, dreckig oder kraftvoll wird sie nie, darauf wartet man vergeblich. Aber wer bitte würde sich erdreisten, an einer Cyndi Lauper rum zu kritisieren? Niemand! Also muss das auch keiner bei Annett Louisan tun, die für mich irgendwie sowas wie Deutschlands Antwort auf Mrs. Lauper ist. Manchmal will man sowas wie eine Rockröhre ja auch gar nicht hören, sondern eben eine so leichte und zerbrechliche Stimme wie diese. Eine, die mal wie die eines kleinen Mädchens klingen kann, dann aber auch wie die einer jungen Frau, die gerade ihr Instrument und dessen Wohlklang entdeckt hat, und es nun spielerisch ausprobiert. Allerdings weiß die Louisan genau, was sie da tut! Und ja, es ist alles andere als innovativ, alte Hits aus Jugendtagen zu covern und damit auch noch eine CD zu füllen. Für solche Anwandlungen gibt es eigentlich "Sing meinen Song", wo die 43-jährige vor Kurzem ja auch schon vorstellig wurde. Nichts langweilt mich eigentlich so sehr, wie eine CD mit Cover-Songs. Hier aber ist das anders, denn Annett Louisan macht - wie man so schön sagt - aus fremden Liedern ihre ganz eigenen. Sie liefert Überraschendes und Unerwartetes, und das mit einem so übersichtlichen Angebot in ihrem stimmlichen Farbkasten. Ob sie das nun bierernst meint, und die Neufassungen ihr ganz persönlicher Kniefall vor den Originalen und ihren Schöpfern ist, oder es ein versteckter Scherz ist, und morgen Guido Cantz um die Ecke kommt und uns alle fragt, ob wir Spaß verstehen, das vermag ich noch nicht zu beurteilen. Fakt ist aber, dass es der Sängerin gelungen ist, Originale besser zu machen, mich mit vielen der Lieder abzuholen und mir eine vergnügliche Stunde zu bereiten. Wenn das ein Scherz sein soll, bitteschön! Wenn das Kitsch ist, dann steh ich wohl drauf. Darum: Es lebe der Kitsch!
(Christian Reder)
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