POND: "40 Jahre POND - Das Jubiläumskonzert" (Doppel CD)

lp16 20180329 2063441805VÖ: 21.03.2018; Label: PONDerosa Records; Katalognummer: 260031180546; Musiker: Wolfgang "Paule" Pond, Manfred Hennig und Frank Gursch; Bemerkung: CD und DVD im aufwändig gearbeiteten Digipak mit Faltblatt inkl. zahlreicher Fotos und Infos;

Titel:
CD: Tritonus • Sturmglocke • Baumgeflüster • Beginn • Promenade • Katakomben • Sprache der Toten • Baba Yaga • Große Tor von Kiew • Amerika • A Whiter Shade Of Pale • Jahr 2000
DVD: Baumgeflüster • Sturmglocke • Tritonus • Jumbo • Planetenwind vs. Am Fenster • Casablanca • Maschinenmensch • Futuria (Zugabe) • Cosmorama (Zugabe)


Rezension:
Manchmal, wenn ich die aktuellen Rock-To-Go-Aufgüsse von Mac Radio nicht mehr anhören kann und die Gleichförmigkeit der austauschbaren Digitalspuren mein Blut in Gele verwandelt, dann wünsche ich mir sehnsüchtig Musik zurück, die mich wieder emotional zu Entdeckungsreisen einlädt. Bands wie die englischen Genesis, Künstler wie der Pole Niemen oder kreative Konstellationen wie POND in der DDR waren nicht nur Herausforderungen für die Rock-Musik, sondern auch Erlebnis- und Hörgenuss für die interessierte Fan-Gemeinde. Diese Zeiten sind längst Geschichte, doch manchmal tauchen die Zeichen dieser Jahre in Form eines unscheinbaren Silberlings plötzlich wieder auf. Dann erinnert eine moderne, liebevoll gestaltete Vintage-CD-Verpackung daran, dass auch Tonträger so etwas wie ein Kunstobjekt statt nur ein Produkt sein können. Ohne überhaupt einen Ton gehört zu haben, beginnen die Augen zu leuchten und die Hände öffnen das Klapp-Cover wie eine wertvolle kleine Zaubertruhe. POND feiert in diesem Jahr 40-jähriges Band-Jubiläum und Mastermind WOLFGANG "Paule" FUCHS beschenkt sich und seine Fans mit einer CD-Jubiläumsausgabe für eben diese 40 Jahre, die ich hautnah und oft auch sehr direkt miterleben durfte.

Gegründet im Frühjahr 1978, erlebte ich mein erstes POND-Konzert am Nikolaustag 1978 auf "meiner" Bühne in Elsterwerda als Konzertveranstalter. Dort agierten zwei Keyboarder sowie ein Drummer. Eine Konstellation, die ebenso gewagt wie erfolgversprechend schien. Wie viele andere hoffte ich, das Live-Material bald auf einer Langspielplatte käuflich erwerben zu können. Der Traum erfüllte sich nicht und als POND endlich ihren Erstling "Planetenwind" (1984) veröffentlichen durfte, war das Power-Trio, den Neigungen ihres Bandleaders PAULE und dem Zeitgeist nachfolgend, schon längst ins Elektronik-Lager abgewandert, konnte sich dort etablieren und hat seither 15 (in Worten: fünfzehn) Alben, dieses neue mitgezählt, veröffentlicht. Auf der Doppel-CD & DVD "40 Jahre POND - das Jubiläum & Die Reunion" ist nun endlich jener Live-Mitschnitt zu hören, auf den die Fans so lange warten mussten.

CD: Die frühen Jahre - Konzertmitschnitt von 1979/80
Es beginnt mit leisem Gezwitscher der Synthesizer, in das kraftvoll ein Schlagzeug einbricht und von da an den Rhythmus vorgibt. "Tritonus", auch "Teufelsintervall" genannt, basiert auf drei Tönen, mit denen auf besondere Weise Spannung aufgebaut wird und genau das geschieht hier zu Beginn. Der Hörer wird direkt in den Sound gesogen, kann das Spiel der spannungsgeladenen Fanfare genießen und sich von den Improvisationen mitreißen lassen. Nach nur wenigen Augenblicken fühle ich mich in der Zeit zurück versetzt, höre zum ersten Mal wieder das wuchtige Original der "Sturmglocke": "Wenn im Herbst die Strände leer sind, Möwen kreischend übers Meer fliegen ..." rezitiert Manne Hennig über der pulsierenden Melodieschleife des POND-Klassikers. Der melodiös ausgestaltete Mittelteil malt viele Bilder voll starker Impressionen, ehe der kraftvolle Melodie-Puls und der Klang der Glocke die Szenerie abrunden. Ich liebe dieses kleine Opus, das so typisch ist für die Mini-Werke jener Jahre, wie auch das nachfolgende Stück "Baumgeflüster". Der kleine Zyklus wird mit "Beginn", einem dynamischen Tasten-Werk, abgeschlossen, beim dem FRANK GURSCH mit dem Sound der Hammondorgel spielt und Bachs "Toccata" zitierend aufleben lässt. Klassik-Atmosphäre in einem Rock-Konzert war bei vielen Bands fester Bestandteil des Programms und von den Fans wurden diese kunstvollen Stücke quasi erwartet.

Auch POND versuchte sich, so wie andere Bands, an der Interpretation der "Bilder einer Ausstellung" von Mussorgski, was dieser Mitschnitt eindrucksvoll belegt. Von der "Promenade", den "Katakomben" und "Sprache der Toten", bis zur "Baba Yaga" und dem "Großen Tor von Kiew" präsentierte das Trio POND seine Vorstellungen und instrumentalen Fähigkeiten der Musiker. Immer noch beeindruckend und noch immer ein Hörgenuss, auch wenn die Gehörgänge aufgefordert sind, über die altertümliche Tonqualität hinwegzuhören. Es überwiegt die Freude, ein seltenes Zeitdokument aus DDR-Zeiten in unser Heute und die Zukunft gerettet zu wissen. Als abschließenden Höhepunkt präsentierte die Band damals ihre wuchtige Bearbeitung des Bernstein-Klassikers "America", in Anlehnung an eine Version der Englischen Nice, sowie eine Cover-Version von "A Whiter Shade Of Pale", wozu zwei Keyboarder geradezu prädestiniert schienen. Dem 1979er Live-Rückblick angefügt ist die Komposition "Jahr 2000" von 1980, die für POND schon den Beginn der Elektronik-Phase einläutete und einen Fingerzeig in die Zukunft des (ost)deutschen Elektronikpioniers Paule-Pond ist. Kleine Randnotiz für alle eingefleischten Detail-Freaks: Das Hayman-Schlagzeug, das auf diesem Mitschnitt zu hören ist, gehörte zuvor Gunther Wosylus, das Paule nach dessen Ausstieg bei den Puhdys 1979 "übernommen" hatte.

Das Eintauchen in den Konzertmitschnitt von 1979 ist etwas ganz Besonderes. Es ist das Eindringen in eine andere Zeit und eine vergangene Klangwelt. Das digitale Zeitalter steckte noch in den Anfängen und Konzerte wurden mittels einer Bandmaschine konserviert. Die Live-Aufzeichnung dieses Konzertes erfolgte sogar nur mit einem handelsüblichen Tonbandgerät, ganz privat und in mono, was uns etwas zur Sound-Qualität verrät: Wo wenig drin ist, lässt sich nicht viel mehr extrahieren. Erst Jahrzehnte später entstand daraus ein digitales Format, nämlich die vorliegende Live-CD, und die spiegelt auch die Aufnahmemöglichkeiten eines Kassettenrecorders wider. Rockmusik in der DDR war stets auch ein Abenteuer für jeden Musiker, wovon wir Fans in aller Regel nur wenig ahnten. Nur wenn man mehr über die jeweiligen Umstände wusste oder erfuhr, bekam man einen vagen Hauch dieses Abenteuers Rockmusik gratis mitgeliefert. Mit der DVD, einem Schnitt-Mix aus den Jubiläumskonzerten von 2013, gelingt der Sprung in die digitale Gegenwart von POND und wird der Vergleich zu den frühen Jahren möglich.

DVD: Die späten Jahre - Cut-Mix aus den Jubiläumskonzerten von 2013
Dies ist wie ein Zeitsprung von Ton- und Filmaufzeichnungen über vier Jahrzehnte und irgendwie auch ein emotionaler Schritt für denjenigen, der diese Zeit als Musikliebhaber und Beobachter miterlebt hat. Es ist gleichzeitig ein Sprung vom Lichtspot zum Laser-Farbenspiel, das dem elektronischen Sound ein für die Augen nachvollziehbares Gewand überstreift und die Musik zum multimedialen Erlebnis werden lässt:

Berlin, Friedrichstraße, Feierabendverkehr und Straßenlärm. S-Bahnen fahren über die Straßenbrücke, Menschen sind in Hektik und der Admiralspalast lockt Menschen an. Drinnen gehen Konzertbesucher durch das Foyer, nehmen ihre Plätze ein. Auf der Bühne das Equipment einer Elektronik-Band. POND feiert das 35. Bandjubiläum. Die Kameras laufen mit und die elektronisch verfremdeten Stimmen der beiden Musiker begrüßen ihr Publikum. Das Konzert startet mit Stimmen- und Geräuschmodulationen in eine überarbeitete Version vom "Baumgeflüster". Die Klangstrukturen entwickeln sich, aus denen schließlich das Soundgemälde entsteht und der stille Beobachter darf sehen, bequem in seinem Sessel sitzend, wie PAULE FUCHS und MANNE HENNIG mit diversen Tasteninstrumenten Klangfolgen bauen und den Sound mit den Reglern variieren. Der heimische Zuschauer ist sowohl mittendrin, als auch gleichzeitig dabei und erlebt, wie die "Sturmglocke" an ihren Platz gehoben wird und sodann in ihrer elektronischen Variante von PAULE und MANNE, bis zur Rückblende, zum Klingen gebracht wird. Wir erleben, wie die Fanfare des "Tritonus" von den beiden POND-Gründern aus den Tasten gezaubert wird und danach der "Jumbo" über die Bühne schreitet. Würdevoll und in asiatische Melodik sowie die passende Rhythmik gekleidet, wird die Magie ferner Kulturen auf diese Bühne gebracht. Noch einmal erleben wir PAULE FUCHS beim Spiel in seinem ursprünglichen Metier als Rhythmiker, die zusätzlichen Einblendungen und Überlagerungen machen es möglich. Als MANNE dann noch zum Akkordeon greift, erreicht der Zauber seinen vorläufigen Höhepunkt.

Ab der Halbzeit entführen uns die beiden mit dem "Planetenwind" auf eine Reise zu den Sternen in ferne Galaxien. Sie flechten geschickt das Motiv von "Am Fenster" ein, ehe der Sternenflug beginnt. Passend dazu sehen wir die Bilder aus dem Untertage-Konzert in Pöhla und Sequenzen der Lasershow aus den Events in Dresden. Gerade in diesen Minuten kann man die Detailversessenheit und die Mühe entdecken, die PAULE sich beim Kombinieren gemacht hat, um - nur als Beispiel - die Einfahrt unter die Erde geschickt in die Dramaturgie einzubinden, als säße man selbst "Am Fenster". Ich bin begeistert und denke mich in das Jubiläums-Konzert von Dresden zurück. Noch einmal genieße ich "Casablanca" in der elektronischen Instrumentalvariante, noch einmal "tanzt" der "Maschinenmensch" sein furioses Finale, noch einmal pulsieren die Amplituden, schlägt Paule die Gongs, erklingt die POND-Glocke und Laserfinger malen Figuren in den Raum. Dann ist Schluss, die fantasievollen Klänge verstummt. Doch beide hängen noch einmal fünf Minuten "Futuria" an und lassen das Erleben, nach einer reichlichen Stunde Spielzeit, mit "Cosmorama" effektvoll ausklingen. Doch halt! Als Bonus kann man zusätzliche Einblicke vom Event im Besucherbergwerk Pöhla auf sich wirken und locker ausklingen lassen. Damals wäre ich auch gern dabei gewesen, so mein letzter Gedanke, ehe endgültig Schicht im Schacht ist.

Im 40. Jubiläumsjahr von POND erfüllen sich die beiden Ur-PONDler mit dieser Veröffentlichung einen Traum. Es ist ein Rückblick auf eine typische Musikerkarriere in der DDR und dennoch sehr besonders geworden, denn Paule-POND hat sich jeden Meilenstein, damals wie heute, hartnackig selbst erobert, um nicht erkämpft zu schreiben. Dass dieser historische Live-Mitschnitt und die umfassende DVD eine "Liebesgeburt" sind, kann man sowohl am Inhalt, als auch der liebevollen Gestaltung der Verpackung ablesen. Der Musikliebhaber bekommt ein aufwendig gearbeitetes Schmankerl in die Hände sowie eine geballte Ladung außergewöhnlicher Musik, abseits des Mainstream, auf die Ohren. Wer allerdings alle vorherige Veröffentlichungen wie "Transponder", die "Gemälde einer Vernissage", die "Space Night", "Live im Stahlwerk" oder das zauberhafte "Edelweiß" kennt und sein eigen nennt, der ahnt schon, was diesmal auf ihn zukommen könnte. Die produzierte Anzahl der Einheiten misst sich allerdings nicht im fünfstelligen Bereich - also zugreifen, liebe Leute! Wer am Besonderen oder an Rock-Historie seine Freude hat, wird es nicht bereuen. Darauf mein Wort als Kenner, als Musikliebhaber und natürlich als alter POND-Fan!
(Hartmut Helms)



   
   
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