VÖ: 09/2017; Label: Mollwerk; Katalognummer: 201701; Bemerkung: CD im aufklappbaren Pappcover;
Titel: Soggetto • Apeiron • Saudade • Remission • Zeitnester • Camelionid • Noosphäre • Monade • Nachtmaschine • Leises Weiss #1 • Leises Weiss #2 • Leises Weiss #3 |
Rezension:
Aus der kunterbunten Popwelt in die elektronische Welt der Musik, um über den Umweg Deutschrock Schritt für Schritt zum Chanson, Protestlied und nun zur klassisch getränkten Instrumentalmusik zu wechseln. Wenn einer bis hierher eine lange und scheinbar noch längst nicht beendete Reise durch die Musik unternommen hat, dann ist es Ralf Schmidt alias IC, alias IC Falkenberg und alias (aktuell) Falkenberg. Wie seine Frisuren so wechselte der Hallenser Musiker bis heute mehrfach seine musikalische Identität. In den 80ern hat er sich diverse verbale Ohrlaschen eingefangen, als er der personifizierte Wandel vom Art-Rock zur Chart-tauglichen Popmusik im Hause STERN-COMBO MEISSEN war. Dabei konnte er dafür gar nix - zumindest nicht allein -, denn Bandchef Martin Schreier und die anderen Musiker wurden sicher nicht unter vorgehaltener Schusswaffe zum Stilwechsel gezwungen. Aber danach fragte niemand, als ein Sündenbock dafür gesucht wurde, dass die alte Kapelle plötzlich nicht mehr so klang wie sie vorher immer klang. Aber er war erfolgreich damit, sprach ein junges Publikum an (er selbst war ja auch kaum älter als 20) und machte sich mit noch mehr Einsatz von Elektronik letztlich sogar selbstständig. Als Zigeuner auf Zeit ganz tief im Traumarchiv grabend erschuf er Mitte bis Ende der 80er feinste Synthie-Popmusik, die ihn zum Posterboy der DDR-Jugend machte. Nach der Wende kam dann der stilistische Break und der fette Sound einer Rockband, der für die nächste Zeit seine zu Songtexten gewordenen Gedanken einkleidete. Das alles ist aber Geschichte, denn so klingt Falkenberg heute nicht mehr. Schon das letzte Studioalbum "Menschen auf Brücken" war ein deutliches Zeichen dafür, dass er der ernsten Musik inzwischen viel näher ist als der den Massengeschmack befriedigenden Musik für den täglichen Gebrauch. Mit "Pianosa" setzt er nun noch eins drauf und lässt neben all den anderen Zutaten von einst auch noch seine Stimme verschwinden. Mutig und überraschend zugleich ...
Schon beim Lesen der Titelliste ist Wissen oder aber ein gutes Lexikon nötig um zu erfahren, was die seltsam klingenden Songnamen wohl bedeuten. Da werden Lieder nicht etwa so benannt, dass man sofort weiß, wohin der Hase läuft, sondern Falkenberg bedient sich Fremdwörtern aus dem Bereich Philosophie, Musik und anderer Wissenschaften. Da wird gar der Weltschmerz ("Saudade") mit Synthie- und Klavierklängen zu Musik gemacht, und um dem Ganzen noch eine warme Note mit auf den Weg zu geben, mit dem Knistern einer Schallplatte gewürzt. Ein Effekt, der dem Hörer schon beim Stück "Apeiron" (übersetzt "Das Unendliche") und später auch - zumindest minimal - bei "Camelionid" begegnet. "Soggetto" bedeutet ins Deutsche übersetzt "Das Zugrundeliegende" und lässt dadurch, dass hier wirklich nur ein Flügel zu hören ist, nur erahnen, was sich Falkenberg dabei gedacht hat. Das Klavier ist in jedem Stück das tragende Element, wird aber von elektronischen Klangteppichen und künstlich erzeugten Effekten umrahmt, ohne dabei auch nur in Ansätzen in alte Muster zu verfallen. Pop ist anders. So bildet in "Remission" das Synthie einen fast hypnotischen Grundklang, der mit dem Klavierspiel Falkenbergs eine harmonische Einheit bildet. Dies ist auch bei "Zeitnester" zu hören, wobei das Ganze hier etwas verträumter und weniger sphärisch klingt. In anderen Stücken (z.B. "Noosphäre", "Monade") werden sogar Streicher eingesetzt und mit den Tönen des Flügels verheiratet, "Nachtmaschine" wartet gar mit Harfenklängen auf. An den Schluss der CD wurde die "Leises Weiss"-Trilogie gesetzt, die den Hörer zum Schluss mit dezenter Parkatmosphäre inkl. Vogelgezwitscher in den restlichen Tag entlässt. Jedes der Stücke auf "Pianosa" könnte auch der Soundtrack zu einem Film sein ... Überhaupt lassen die Stücke auf "Pianosa" für den Hörer reichlich Spielraum sich seine eigenen Geschichten zurecht zu träumen. Durch das Weglassen seines eigentlich wichtigsten Instruments, nämlich der Stimme und von Songtexten, bleibt dem Publikum auch nichts anderes übrig, den 12 Instrumentaltiteln ein Innenleben zu geben oder Vermutungen anzustellen, was der Künstler seinen Hörern sagen möchte und was seine Gedanken beim Schreiben und Arrangieren waren.
"Pianosa" ist ein reines Herbstalbum. Wenn es draußen grau, regnerisch und kalt ist, möchte "Pianosa" entspannt und aufnahmebereit bei einem Glas Wein, einer Tasse Tee oder irgendwas anderem, was einem gut tut, genossen werden. Es ist ein Album für den ruhigen Moment des Tages und eine Aufforderung an die Phantasie, mal wieder zum Einsatz zu kommen und Bilder zu malen. Bei den Liebhabern der seichteren Muse höre ich bis hierhin schon wieder die intellektuelle Zentralverriegelung einrasten und natürlich hat "Pianosa" auch nix im Rundfunk zu suchen. Hauptsache aber, die Leute, die es ansprechen soll, erreicht es auch. Meine Empfehlung!
(Christian Reder)