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"Tanzende Hunde" Paul Bartsch & Band Blue Bird Café 15. November 2013 1. So oder so 2. Der Bordkapelle Ouvertüre 3. Noch nicht alles 4. Tanzende Hunde 5. Heimat 6. Buttje 7. Nie zu spät 8. Der Teufel nimmt die ganze Hand 9. HimmelReich 10. Systemrelevant 11. Glaubensfragen 12. Was könnten wir 13. Wenn wir's wirklich wolln 14. Blut im Schuh 15. Diese Kinder 16. Beinah die Ewigkeit 17. Der Bordkapelle letzter Schluss 18. Das letzte Wort |
Begrüßt wird man auf diesem Album erst einmal mit der E-Geige von Wolfgang Singer und einem folkartigen Sound im Titel "So oder so". Es klingt wie ein Gundermann-Erbe-Antritt. Wenn es so wäre, wäre das alles andere als ein schlechter Ansatz.
Dann erst kommt der Auftakt: "Der Bordkapelle Ouvertüre". Die Kapelle des Paul Bartsch - des Barden, dessen Stimme mich (und nicht nur mich, da bin ich mir sehr sicher) ein wenig an Udo Jürgens erinnert - stellt sich, ihr Anliegen, ihr erdichtetes Schicksal und ihre kapellarische Biographie vor. Im Stil einer Moritat. Ein Eisberg spielt da natürlich auch eine kleine Rolle, aber nicht die zu erwartende, eher eine zu erwartende. Im Text. Noch gehen wir also nicht im Eismeer baden. Noch nicht ...
Eher begeben wir uns erst einmal in ein musikalisches Wellnessbad, dabei dem Titel "Noch nicht alles" lauschend, der gesungenen Selbstvorstellung von Paul Bartsch. Sowohl im Privaten als auch in seiner gesellschaftlichen Geisteshaltung. Wobei ja - wie wir wissen - immer alles in Bewegung ist. So der Mensch und auch sein Geist.
Fröhlich umtanzen uns danach die Hunde im Titelsong zu einem liedhaften Walzer. Auch die in diesem Lied erwähnten streunenden Hunde könnten eine Gundermann-Hommage sein. Musikalisch sehr lustig illustriert, das Ringelreihen der libidinösen Seelen.
Es ist immer wieder schön, die "Heimat" zu besingen. Wohl dem, der eine fühlt. Und um dieses Fühlen geht es bei diesem Lied. Etwas melancholisch-wehmütig teils, teils etwas sehnsüchtig-ermutigend. Heimatlieder sind sehr häufig auch Lieder übers Fortgehen. So auch dieses.
Manchmal kommen die Lieder von Paul Bartsch ganz einfach daher, manchmal geben sie sich ein wenig sperrig. Schließlich möchten sie ja auch gehört werden und das Eine wie das Andere mag hängenbleiben wollen. "Buttje" ist so eine Mischform von einfach und sperrig. Ein bißchen im Countrystyle, die Adaption der bekannten Mär vom Fischer und seiner Frau und natürlich dem Gaben schenkenden Fisch, der sich bei Paul Bartsch gar zu einer Nixe wandelt.
Und weiter tanzen wir fröhlich zu der Erkenntnis, dass es "Nie zu spät" ist. Für gar nichts. Das ist nun nicht gerade eine neue Weisheit, aber man kann sie wohl auch nicht zu oft sagen. Oder singen.
Ein bißchen Gundermann - wie erwähnt - schwingt latent immer ein bißchen mit. Ob es am Duktus der Texte liegt, an der musikalischen Grundbearbeitung der Lieder oder ob er sich wie eine geisterhafte Erinnerung in einer Liedzeile versteckt. Ich vermute sehr stark, das ist so gewollt. Sehr auffällig fand ich diese Verbindung so fast im Ganzen in "Der Teufel nimmt die ganze Hand". Ich finde das sehr schön, wie ich es auch einst beim Haasen schön fand, wenn jemand diese Stilistik des Songwriting mit neuen eigenen Liedern fortführt. Mir behagt das sehr.
Rockig setzt es sich fort in "HimmelReich". Udo Jürgens singt unbekannte Lieder von Gerhard Gundermann, musikalisch sehr schön gestaltet von Paul Bartsch und seinen Mitstreitern Michael Lehrmann (A- und E-Gitarren), Wolfgang Singer (E-Geige) und Thomas Wittenbecher (Akkordeon). Modern arrangierte Moritaten mit zeitbezogenen textlichen Themen. Und irgendwie wirkt dieses Album wie der Soundtrack zu einem Life-Road-Movie.
In einem lockeren klassischen Bierbar-Sound sinniert Paul Bartsch mit einer passenden Stimmakzentuierung über alles das nach, was "Systemrelevant" sein könnte und welche Folgen diese Relevanz haben würde. Oder auch nicht, bezogen auf beides. Ein sehr heiteres Klavierspiel dazu als Begleitung.
Damit es im gesellschaftspolitisch bezogenen Zeitgeist bleibt, werden ebenso heiter - es ist ja eine Bordkapelle - "Glaubensfragen" behandelt, von unterschiedlichen Stimmen und Glaubensangeboten oder eher tatsächlich -anfragen getragen. Worüber man halt so nachdenkt. Woran man so glauben kann. Und die Zeile "Ich fang einfach mal an" erinnert auch wieder an Gundermann.
Vieles kann man ja versuchen, manches erreichen. "Was könnten wir ändern (wenn nicht uns selbst)" ist so eine Frage, die darauf zielt. Gestellt zu einem virtuosen Gitarrenspiel. Bei den Texten bin ich mitunter etwas erschreckt, wenn sich die Diktion ein wenig dem nähert, was ich in der Semantik noch als Agit-Prop in Erinnerung habe. Vielleicht läßt sich so etwas jedoch gar nicht vermeiden, wenn man etwas Bestimmtes in allgemeinen Denkstrukturen erreichen oder verändern möchte. Was dieses Lied wohl gerne möchte.
"Wenn wir´s wirklich wollen" ist eine deutschsprachige Adaption von Bob Dylans "The Times They Are A-Changing". Beschreibend das Dasein eines Ostdeutschen, autobiographisch anmutend, bis in das Jahr 1989. "Wenn wir´s wirklich wollen, dann fallen die Mauern". Und dann - zwangsläufig, leider etwas holzhammerartig - der Verweis aufs Heute, da wir ja nun weiter in anderen Mauern leben, die wir uns immer selber schaffen.
Bei "Blut im Schuh" kommt witzigerweise tatsächlich der Udo Jürgens um die Ecke, nicht nur in Form des Zitates "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an". Letztendlich entpuppt es sich als Liebeslied, auch wenn es sich nicht, wie man beim Titel hätte annehmen können, um eine "Aschenputtel"-Story handelt. Zitate gibt es einige versteckte in diesem Titel, nicht nur von Udo Jürgens.
"Diese Kinder", wieder ein Lied, welches auch melodisch recht nahe an Gundermann angelehnt ist, aber nicht nur an ihn. Eine Hommage eben an die Kinder. Ein bißchen auch ein Lied übers Erwachsenwerden. Ein ziemlich idealisierendes. Aber dennoch sehr wahres.
Etwas idealisierend auch "Beinah die Ewigkeit". Wie eine Westernballade über den Lauf des Lebens und des Alltags und der Vergänglichkeit. Aber es gibt ja ein Mittel für das Weitergehen, das Weiterleben: das Leben zu feiern. Auch wenn der Tod immerzu lustig seine Geige spielt.
Und schon verabschiedet sich die Bordkapelle des Bartsch-Dampfers wieder. Mit "Der Bordkapelle letzter Schluss". Wahrscheinlich hat der Eisberg nun doch seine Arbeit getan. Recht witzig dieses Abschiedslied, wenn es auch eigentlich traurig ist. Aber so ist nun mal das wahre Leben. Vor allem das der Künstler, wie der Liedtext uns wohl zu Recht mitteilt: "Es ist die Bordkapelle, die am Ende stets ersauft."
Da man das nicht einfach so stehen lassen kann, gibt es noch "Das letzte Wort" vom Meister Paul Bartsch. Eigentlich ja das letzte Lied. Auf diesem Album jedenfalls. Ansonsten bin ich mir sicher, es werden noch viel mehr kommen. Auf weiteren Alben. Doch bis dahin lauschen wir den Liedern der tanzenden Hunde der Bordkapelle. Denn "das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, vielleicht nicht mal gedacht." Geschweige denn gesungen.
(Andreas Hähle)
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"Heimat" (live in der Akustikfassung)
"Schlafende Hunde" (live in der Akustikfassung)