notausklang2013 20131014 1978204666 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Eigenleben"
Notausklang
Kerth Music
September 2013

1. Workaholic
2. Pessimist
3. Am Seil
4. Rock'n'Roll Armee
5. Gitarrist mit 3 Akkorden
6. Innerlich zerrissen
7. Meine Arroganz
8. Das unbekannte Land
9. Was zu leben heißt
10. Alte Liebe





Eine neue CD liegt vor mir auf dem Schreibtisch. Ich möge bitte eine Rezension schreiben, die Band wartet sicher darauf und mir wird bewusst, vor dem Schreiben kommt das Hören. Mehrmals! Das war beim letzten Mal in zwei Tagen locker erledigt. Beim Silberling davor zog sich dieser Prozess mal eben so ein paar Monate hin. Mir wird bei diesem Gedanken mulmig und damit sich das Gefühl nicht noch ausweiten kann, lege ich das Teil schnell in den Player und drücke auf Start:

Eine Tür wird zugeschlagen, Schritte, Kaffeetasse, Zigarette und dann eine E-Gitarre ohne Stöpsel. Was für ein Blues-Riff! Laut knallt das sicher ... und wie! Die Nummer am Anfang heißt "Workaholic" und stampft auf dicken fetten Bass-Füßen durch die Ohren. Guter Einstieg und mit dem "Pessimist" kommt gleich noch so ein ruppiger Typ hinterher. Zwei Texte, voll aus dem prallen Leben gegriffen, und allein von daher sehr gut nachvollziehbar. Der saftige Blues macht sich als Medium bestens, die Stimme, die da singend erzählt, stampft mir durch die Gehörgänge und jetzt bin ich neugierig geworden.
Die beiden ersten Nummer sind nicht wirklich glatt gebügelt, sondern rhythmisch in sich vertrackt und ein wenig verschachtelt, damit sie sich auch gut festhaken können. Danach braucht und bekommt der Hörer etwas Sinnlichkeit und "Am Seil" ist dafür bestens geeignet, sich auf den Text zu konzentrieren, ehe es mit "Rock'n'Roll Armee" wieder eins voll auf die Zwölf gibt. Da reißt die Gitarre ihre Riffs aus den sechs Saiten, die Felle und Becken knallen, dass es eine wahre Lust ist (und wer das versteckte Zitat erkennt, darf sich stolz Kenner nennen).
Als dann der "Gitarrist mit 3 Akkorden" aufspielt, kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. So schön augenzwinkernd beschrieben habe ich die Lust, mit der Gitarre zu klimpern, noch nie begriffen. Die Nummer ist ein echter Spaßmacher: kurz, ehrlich und knackig, aber kein Hit. Facettenreich geht es weiter, denn "Innerlich zerrissen" beschreibt auf gut nachvollziehbare Art und Weise einen Zustand, den so mancher gut kennen wird. Man möchte sich einerseits dem blanken Hörgenuss hingeben, dem stampfenden Bass und der trockenen Gitarre folgen, aber wie "barfuß auf heißem Stein" zwingen die Worte zum Zuhören, zum Verstehen. Erst dann kann ich mich in den wilden Rausch der Gitarre fallen lassen - was für'n geiles Solo - mich beinahe ganz hingeben, um dann doch wieder nüchtern der Botschaft zu Lauschen. Wechselbad der Emotionen und dramaturgisch geschickt gemacht.

Und noch ein weiteres neues Puzzleteil, wieder andere Ingredienzien! Wechselhafte Vokal-Akrobatik auf fetten Gitarrenriffs, das ist "Meine Arroganz", ein Song, der mit Wechselspielereien überrascht, ohne dabei den rockenden Pfad zu verlassen. Auch "Das unbekannte Land" lässt weder uniformen Gleichklang, noch ein Gefühl von Spielroutine aufkommen. Die fesselnde Botschaft und eine Gitarre, auf deren Klängen ich mich mit meinen Gedanken gleiten lassen, dem inhaltlichen Nachklang folgen kann.
Dann werden unvermittelt die Gitarrensaiten gezupft und die gebrochene Stimme eines Mannes, etwas schwermütig, traurig fast, erfasst mich mit "Was zu lieben heißt". Eine Alltagsballade voll rauer Poesie, die sich überraschend von den anderen Liedern abgrenzt. Warum eigentlich erinnert mich dieses Stück Liedpoesie an einen gewissen Jürgen Kerth? Wenn der Hörer nach acht Powersongs und einer schlichten Ballade zum Ende noch einmal Instrumentalpower erwartet, so wird er mit "Alte Liebe" erst einmal liedhaft verführt, um erst dann, wenn man sich beinahe mit dem Zuckersound angefreundet hat, doch noch einen angedeuteten Stoß zu bekommen. Irgendwie - so scheint mir - passen die Zeilen "Alte Liebe rostet nicht" auch nicht zum ausufernden Saiten- und Drum-Gewitter am Ende. Der Song, am Ende platziert, irritiert mich leicht und etwas verstört lausche ich dem letzten Dröhnen hinterher - Bruch und Schluss. Was bleibt jetzt als letzter Eindruck, was als Gesamtbild?

Bei alten Säcken aus der Steinzeit, wie ich wohl einer bin, assoziiert die Dreierkombination Gitarre, Bass & Drums meist Erfahrungen a la Experience, Cream oder Grand Funk Railroad. Daraus lässt sich so manch eigene Suppe kochen, nur muss sie eben gut gemacht sein und Appetit anregend wirken. Das alles kann ich hier sicher finden. ROBERT NITZEL mit der Gitarre und am Bass FABIAN NEUMANN spielen fast durchgehend einen groovenden und sehr differenzierten Blues-Rock, der durch das Spiel von TOBIAS HULA als Drummer Drive und Auflockerung bekommt. Der Sound ist transparent, dort wo es sein sollte, auch fett, und die drei Musiker lassen es mitunter krachen, dass meine Assoziationen - siehe oben - genug Spielraum bekommen. Dieser Silberling hat also so ziemlich alle Voraussetzungen, um bei Fans und Profis gleichermaßen zu landen. Das steht für mich außer Frage und dennoch:
Eine oder zwei ganz simple Nummern dazwischen geschoben, statt an das beinahe Ende gesetzt, das wäre es für mich gewesen. Zwei schlichte Songs vielleicht, die ohne die Basis zu verlassen, auf der die dreiköpfige Band meisterlich musiziert, einfach mal das Potential für einen simplen Gassenhauer oder ein Bier-Liedchen für Blues-Kunden hätten, darauf habe ich gelauert. Ein oder zwei kleine Songs für Leute aus dem Durchschnitt, die man locken oder neugierig machen könnte, so wie es olle RENFT vor gefühlten Tausend Jahren mit dem "Baggerführer Willi" oder dem "Gänselieschen", das die Band noch heute fröhlich abspult, schafften, um gleich danach mit der "Gelben Straßenbahnballade" die intellektuellen Geister zu provozieren und zu verführen. So ein wenig ganz banales "Eigenleben" oder "etwas Bier für's Folk" und einen etwas aufgelockerten roten Faden durch die Gesamtproduktion, das hätte ich mir einfach noch gewünscht. Man muss nicht all sein musikalisch-dichterisches Potential in ein Werk stopfen, keinen Beweis führen wollen. Statt dessen lieber etwas mehr locken und verführen.

Die Fans des puren Blues und Rock allerdings werden wohl ihre Freude an dem Teil haben. Da bin ich mir ganz sicher und auch ich kann mich über weite Strecken der gehörten Faszination nicht entziehen. Warum auch?! Mein "kritisches Gemecker" sei bitte einzig als Anregung verstanden, denn ich wünschte mir auch, mehr junge Hörer mögen sich wieder mehr anspruchsvoller Rockmusik zuwenden. Aber dieser Wunsch richtet sich eben nicht nur an die Käufer, sich zu befleißigen, sondern auch an die Macher von Musik, sich besser ihrer Chancen bewusst zu sein, ihre Kunst an den Mann, sprich Käufer, zu bringen. Denn genau das hat auch das neue "Eigenleben" von NOTAUSKLANG verdient, meint HH.
(Hartmut Helms)




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