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"Das Entzünden einer Kerze..." Wind und Farben lala Schallplatten 28.03.2013 1. Frag jeden meiner Freunde 2. 99544 3. Phoneutria 4. Gib ihm tausend, Boby 5. Lütjenholm 6. Herz vs. Füße 7. Palim 8. Kollege Kosmos 9. Die Memoiren des Reverend John Russell 10. Es ist alles so, wie es bleibt |
NEUMÜNSTERANER REBELLION
Drei junge Männer gründeten im - wie sie selber meinen - öden Neumünster ein Trio, nannten es WIND UND FARBEN und ihr Album "Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals". Ich kenne die Mär davon, was geschieht, wenn man eine Kerze entzündet (womit keine Zündkerze gemeint ist, sondern eine aus Paraffin oder Bienenwachs) etwas anders, aber wer kann das schon wissen, ob nicht doch die Kirche am Walsterben Schuld trägt. Doch darum soll es hier gar nicht gehen.
Es geht um gediegenen Rock im jugendlich-frischen Songwriter-Stil. Drei junge Männer also mit ausreichendem Sendungsbewusstsein, welche Musik machen in Form von textbetonenden Kompositionen und opulent tiefen Lyrics. Ihre Namen sind Niclas Bockelmann, Joe Reinke und Mats Groth. Man würde sich wundern, wenn sie anders hießen, da sie ja aus Neumünster stammen. Ihre Musik ist - wie die vieler Formationen dieser Art - partiell gewöhnungsbedürftig, aber an diese Art gewöhnen wir uns ja schon seit den 80ern, die Dinge wiederholen sich irgendwie, die Themen auch, ihre Behandlung ebenso, doch immer bleibt etwas Besonderes hängen und wenn man sich schon mal daran gewöhnt hat... hört man zu. Was anderes wollen sie ja sicher gar nicht. Und wenn doch, dann nur ein kleines bisschen mehr.
Bedauerlich fand ich, dass die Texte so klein und eng auf dem Cover gedruckt sind. Man mag hier nicht nur gerne zuhören, sondern ebenfalls gerne - und sehr gern auch unangestrengt - nachlesen. Kompositorisch steckt das Album voller Überraschungen. Jeder Song ist gut durchdacht und alles, was der schnellere - wenn auch sparsam instrumentierte - Rock zu bieten hat, bis hin zum Punk, wird hier geboten. Dabei können sie auch gut und gerne mal sowohl die Musik als auch den Text für sich alleine stehen lassen, was ich bei manchen jungen Formationen vermisse und auch bei manchen "alten", wenn sie modern wirken wollen. Was wir hier finden, sind rebellisch vertonte Gedichte. Keine Mitsing-Hits zwar, aber durchaus geeignet zum Nachhören und In-Sich-Einfühlen-Lassen. Auch da, wo es hin und wieder musikalisch härter zur Sache geht. Nicht immer - und das ist gut so - erschließt sich die inhaltliche Absicht der Texte gleich. Und wer von den Älteren etwas Einblick ins immer wiederkehrende in der Tiefe der Seele Jugendlicher nehmen will, sollte sich ebensoviel Zeit für dieses interessante Album nehmen wie auch Jugendliche selbst, die mit Sicherheit ebenso hirnarbeitend dechiffrieren müssen. Wer nicht nachdenken mag - jedenfalls nicht immer - kann getrost abhotten dabei, mitunter.
Besonders gefallen hat mir "Lütjenholm", eine eindringliche anfänglich - aber nicht durchgehend - balladeske Moritat vom Verlorensein. "wir sind hier um nie zu sein wie ihr".
Die drei jungen Männer haben keine Scheu vor ihren wahrlich auch vorhandenen gesanglichen Qualitäten, nicht vor Unisono-Chören, nicht vor Satzgesang, nicht vor den lauten, nicht vor den gepressten, nicht vor den geschrienen Tönen. Sie könnte auch Goethes "Leiden des jungen Werther" vertonen. Und irgendwie haben sie das auch mittels ihrer eigenen Texte getan ("Palim"). Ich bin alles andere als ein Freund überbordender oder überhaupt personifizierter Befindlichkeitslyrik in Liedtexten, doch bei diesem Album kann ich sehr gut damit leben. Es geht ja auch wieder irgendwann gut nach vorn ("Kollege Kosmos"): "wir schütten hier 'n meer aus". Und immer alles sehr klug musikalisch illustriert. Man wird dadurch sehr schnell wiederum auf die Texte aufmerksam. Die Musik macht sich selbst durch sich selbst auf sich aufmerksam. Manchmal übertreiben sie auch ein wenig in allem ("Es ist alles so, wie es bleibt"), wie es die jungen Menschen naturgemäß nun mal gerne so machen. Allerdings mindert das die Qualität des Albums nicht im geringsten.
(Andreas Hähle)
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"Gib ihm Tausend, Boby"