hassliebe2013 20130408 1781470315 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Sklave der Neuzeit"
Hassliebe
Muckypupmusic / SPV
22. März 2013

1. Sklave der Neuzeit
2. Perfekt
3. Deine Zeit
4. Wann ist der Mensch ein Mensch
5. Shit on TV (Jeden Tag)
6. Mut
7. Krieg im Digitalverkehr
8. Alltagsprogramm (Es Läuft)
9. Die Wolkenmaschine
10. Ein-Bild(ung)
11. 1321195.de
12. Vom Anfang bis zum Schluss





Wieder mal liegt ein Album zur Rezension vor mir, mit dem ich mich sehr schwer tue und zu dem mir einfach keine passenden Worte einfallen wollen. Dabei könnte es doch so simpel sein. Meine musikalischen Vorlieben liegen neben den bluesigen Klängen in den Sounds der härteren Gangart, da müsste ich doch normalerweise bei "Sklave der Neuzeit" von den bayerischen Deutschrockern HASSLIEBE in Endlosjubel ausbrechen, und der Text sollte nur so fließen. Doch leider funktionieren solche Mechanismen nicht immer wie gewünscht, und so höre ich seit Tagen den Silberling hoch und runter, ohne die dabei entstehenden widersprüchlichen Empfindungen in geordnete Bahnen lenken zu können.

Die Band selbst gibt es bereits seit 2005. Es dauerte nicht lange, und man erspielte sich nicht nur in Bayern, sondern auch überregional einen Namen und durfte mit Bands wie EDGUY, BONFIRE, DORO oder den TOTEN HOSEN die Bühne teilen. Im Ergebnis dessen entstand 2010 das Debütalbum unter dem Namen "Niemandsland", was schon allein dadurch Aufmerksamkeit erregte, dass mit Jon Caffery (u.a. Joy Division und Tote Hosen) ein Top-Produzent verpflichtet werden konnte. "Niemandsland" wurde von der Käuferschaft erstaunlich gut angenommen, so dass man sich guten Gewissens dem Nachfolgealbum "Sklave der Neuzeit" widmen konnte. Dieses jedoch stand zunächst unter keinem guten Stern, denn inmitten der Aufnahmen zur CD verließ der bisherige Sänger und Bassist Daniel Frisch aus bis heute nicht ganz geklärten Gründen plötzlich die Band. Nun ist das ja nicht so ganz einfach zu überspielen, wenn von jetzt auf gleich die Stimme einer Rockband fehlt. Doch die restlichen HASSLIEBE-Musiker verzweifelten nicht, sondern fanden schnell Ersatz. Man durfte also gespannt sein, wie der neue Shouter Matthias Münch ins Gefüge passt.

Irgendwie wird der Markt seit einiger Zeit regelrecht überschwemmt von Bands, die sich als Deutsch-Rocker verstehen. Ob sie nun BETONTOD, KÄRBHOLZ, FREI.WILD, UNANTASTBAR oder sonst wie heißen, ist völlig Banane, denn irgendwie klingt das für mich musikalisch wie textlich alles ziemlich ähnlich und austauschbar. Interessanterweise verspricht aber jeder dieser Namen bei einer Albumveröffentlichung, dass man sich mit der neuen CD entscheidend abhebt von der restlichen Masse des Genres… Gleiches gilt auch für HASSLIEBE, wie ein Zitat von deren Webseite beweist: "Inmitten der Heerscharen deutsch rockender Acts sind HASSLIEBE eine Ausnahmeband. Und der Beweis, dass es eben doch anders geht, als immer wieder den gleichen ausgetretenen Pfaden zu folgen." Nun, dann wollen wir mal hören, ob das nur lautes Getrappel ist, oder ob es hier tatsächlich innovative Kost zu hören gibt.

Der Titelsong "Sklave der Neuzeit" eröffnet den Reigen mit ruhigen Pianoklängen und sanft gezupften Gitarrensaiten, ehe schon bald ein rauerer Wind weht. Drums und ein heftiges Gitarrengewitter setzen ein, dann auch irgendwann der Sänger. Eine Nummer, die mich anfangs in meiner Befürchtung bestärkt, hier einen 08/15-Song zu hören, der verdammt nach den ONKELZ klingt. Hört man genauer und öfter hin, kommt man allerdings zu dem Urteil, dass es sich doch um eine der besseren Kopien handelt. Klar, es geht, wie so oft bei dieser Art Musik, um Kritik an der Gesellschaft, das Duckmäusertum vieler Zeitgenossen wird angeprangert und der Aufruf zur Gegenwehr erfolgt prompt. Jedoch habe ich das woanders schon viel platter und dumpfer gehört. Auch fällt bereits beim ersten Song auf, dass musikalisch zwar keine neuen Welten erkundet werden, aber die Kompositionen bei etlichen Songs des Albums über dem Durchschnitt der sonstigen Deutschrock-Truppenteile angesiedelt sind. Der Trend geht hier Gott sei Dank nicht in Richtung NDH (Neue Deutsche Härte) oder hingerotztem Punk, sondern man schippert eher in bekannten Metal-Gewässern umher, wie gleich der zweite Song ("Perfekt") unmissverständlich klar macht. Dabei verzichtet man auf irgendwelche soundtechnischen Spielereien und Effekte, sondern marschiert relativ straight geradeaus. Die Gitarren klingen satt, die Rhythmus-Abteilung trägt das Seine zum gelungenen Sound bei. Hier macht sich ohne Zweifel positiv bemerkbar, dass erneut schon erwähnter Jon Caffery für die Produktion verantwortlich zeichnet.

Was machen die Musiker um ihren Gitarristen und Songwriter Manuel "Kurt" Gläser denn nun anders als ihre Genre-Kollegen? Es ist schlicht und einfach die Vielseitigkeit der Songs. Was man auf dem Album hört, klingt nämlich nur anfänglich ziemlich gleichförmig und steril. Nimmt man sich die Zeit genauer hinzuhören, stellt man fest, es gibt doch einige Feinheiten zu entdecken. Da gibt es immer wieder Tempowechsel innerhalb der Songs, hier und da erstaunen eingestreute Pianoklänge, und selbst eine Kazoo (in "Wolkenmaschine"), sowie Posaune und Trompete ("Shit on TV") kommen zum Einsatz. Nicht zu vergessen das eine oder andere ordentliche Gitarrensolo. Was mich etwas überrascht hat: Die Jungs von HASSLIEBE (sorry, aber ich finde diesen Namen einfach dämlich) haben keinerlei Ängste, neben den vorhandenen knallharten Gitarrenwänden auch richtig wohlklingende Melodien einzubauen, vor allem die Refrains klingen stellenweise fast schon popverdächtig. Das böse M..(ainstream)-Wort verkneife ich mir jetzt mal. Der eine wird es mögen, anderen wird es eher schmecken wie aufgeweichter Zwieback. Mein Fall sind diese Melodie-Attacken nur bedingt. Zwangsläufige Vergleiche zu den einstigen Rockern von AC/DC, die mit ihren discotauglichen Nummern "Big Jack" und "Anything goes" vom aktuellen Album ja mittlerweile leider überhaupt nichts mehr mit den Helden meiner Jugend zu tun haben, sind sicherlich zu weit hergeholt, denn auf "Sklave der Neuzeit" hört man wenigstens noch anständige Gitarrenriffs. Aber irgendwie wirkt das alles auf mich doch manchmal schon ein bisschen "zu schön" und für eine Rockband zu freundlich, was ich da höre. Nein, ich bin kein Heavy Metal-Purist, weiß Vielseitigkeit und Abwechslung auf einem Rock-Album durchaus zu schätzen. Aber wenn ich tanzen will, lege ich mir andere Platten auf.

Diese angedeuteten gefälligen Melodiebögen werden aber noch überboten von den zwei zuckersüßen Gummibärchen-Balladen namens "Ein-Bildung" und "Mut". Kinder, wo sind wir denn hier gelandet? Vor allem "Ein-Bildung" gehört eigentlich ins Repertoire von PUR, aber nicht auf die Setliste einer Band wie HASSLIEBE. "Mut" kommt nicht viel besser weg, wird aber durch den angedeuteten Gitarrenwald im Mittelteil des Songs gerade noch vor dem Wurf in die Müllmaschine gerettet. Dass es auch anders geht, beweisen die beiden Nackenbrecher des Albums, nämlich "Perfekt" und "Krieg im Digitalverkehr". Auch der trashige Instrumentalteil am Ende des Titelsongs "Sklave der Neuzeit" geht ab. Da platzen die Nähte an der Hose, die Schädeldecke will abheben. Doch leider gibt es von dieser Sorte zu wenig auf dem Album.

Eine typische Unart der meisten Deutsch-Rock-Bands stößt mir auch bei HASSLIEBE sauer auf. Warum zum Henker werden viele Songs durch diese grauenvollen Mitgröhl-Refrains verschandelt? Das klingt manchmal, als wäre eine Horde Teutonen singenderweise auf einem Schlachtfeld unterwegs. Gruselig. Glücklicherweise gibt es von dieser Sorte auf dem Album nur ein paar Lieder. Ich weiß, auf Konzerten kommt so was prächtig, ich habe es mehrfach erlebt. Soll man das nun Bierzelt-Romantik nennen oder sonst wie umschreiben? Egal, mich nervt das einfach nur, da kann der Rest der Platte noch so toll klingen. Aber letztlich lebt diese Art Musik von solchen Details, dafür lieben die Fans ihre Helden.

Positiv fallen mir dagegen einige Texte auf. Da merkt man schon, hier wird nachgedacht und nicht nur einfach die übliche "Ich bin gegen alles und jeden"-Scheiße raus gebrüllt. Natürlich sind die Themen nicht unbedingt neu, die man anspricht. Man wendet sich gegen den medialen Blödsinn ("Shit on TV"), nimmt den Hang zum unbedingten Perfektionismus in allen Lebenslagen aufs Korn ("Perfekt"), übt Kritik an der Gesellschaft an sich ("Sklave der Neuzeit"). Mein absoluter Favorit aber ist eine Nummer, die eigentlich so gar nicht auf diese rockende CD passen will. Es ist "Die Wolkenmaschine". Im ersten Moment erschreckt man, weil man eine weitere triefende Schnulze zu hören glaubt und will gerade auf's Klo rennen, doch schon nach ein paar Textzeilen wird einem klar, hier passiert was richtig Großes. Es beginnt mit sanften Orgelklängen, begleitet von freundlich klingenden Worten, die noch nichts Böses vermuten lassen: "Die Wolkenmaschine vor unserer Stadt zaubert kleine bunte Lichter so hell und zart... Du blickst hinaus durch's Fenster, siehst wie die Blumen blühen... Am Horizont taucht die Sonne ein, purpurroter Zauber der Natur." Dann jedoch - man ahnt es irgendwie - wird der Sound intensiver und härter, und Matthias Münch singt laut und eindringlich "Die Wolkenmaschine ist explodiert, der schwarze Regen bahnt sich seinen Weg. Die Wolkenmaschine existiert nicht mehr, vaporisiert und menschenleer…" Musikalisch eher schlicht gehalten, wirken die im Mittelteil einsetzenden Gitarrenriffs fast schon bedrohlich, was das Thema des Songs absolut treffend unterstützt. Der Lalala-Chor am Ende des Songs lässt Platz für eigene Gedanken, soll aber sicher auch eine gewisse Sprachlosigkeit ausdrücken. Fukushima lässt grüßen. Ein hammermäßiger Song, der sich nun aber tatsächlich mal abhebt von allem, was in letzter Zeit aus der Deutsch-Rock-Ecke zu hören war.

Alles in allem lässt mich "Sklave der Neuzeit" einigermaßen ratlos zurück. Ja, einige Nummern hauen richtig rein, lassen vergessen, dass die Band HASSLIEBE aus dem qualitativ überschaubaren Pool der Deutsch-Rock-Gemeinde kommt. Ihr Hang zum Metal ist unverkennbar, und das ist gut so. Meinen anfänglichen Eindruck, dass hier wieder mal das geflügelte Wort: "Kennste einen Titel, kennste alle Titel" zutrifft, habe ich nach mehrfachem intensiven Hören der CD zwar ad acta gelegt, denn es gibt glücklicherweise doch mehr zu entdecken als das übliche Geschrammel und Abgekupfere bei den ONKELZ. Aber so richtig zünden will das Album als Ganzes bei mir nicht. Dazu klingt es mir an vielen Stellen zu gefällig und melodisch, und vor allem sorgen die beiden angesprochenen Balladen aus dem Schmalztopf bei mir für Unbehagen und Schüttelfrost. Ein Reinfall ist das Album jedoch keinesfalls. Müsste ich nach einem Punkteschlüssel urteilen, würde ich sagen: 6 von 10 Punkten.
(Torsten Meyer)




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