Titel: Interpret: Label: VÖ: Inhalt: |
"Woanders" Georg Ringsgwandl BlankoMusik 2. September 2016 1. Sitz de her 2. Koda (Kater) 3. Dawischt 4. Furchtbar 5. Die Spargelkönigin 6. Oberpfalz 7. Dorf 8. Krattla von Minga 9. Woanders 10. Schokoladenfee 11. Typ / Guitar |
„Ein intellektueller Robin Hood, ein Karl Valentin des Rock’n’Roll,
ein Mann wie ein Leuchtturm, ein Geheimtip der Verirrten.“
(Die ZEIT)
Vorbemerkung:
Nach zwei Jahren CD-Abstinenz trieb ihn die Sehnsucht wieder in ein Studio. Oder doch "woanders" hin? Genau: Die CD entstand nämlich in diesem Frühjahr an sechs Tagen in einem - man höre und staune - Zimmer einer Altbauwohnung. Eine völlig neue Erfahrung für ihn und seine Band. Selbstverständlich geschah alles, ohne die Nachbarn zu stören, wie er im Booklet verrät. Als Beweis sind im Klappcover einige Fotos der Aufnahmesession in ungewohnter Enge und einer Anhäufung von Aufnahmeequipment abgebildet. Heraus kam eine kammermusikalische Unplugged-Kreation mit Rock- und Funkrhythmen. Mit der neuen Veröffentlichung „Woanders“ ist nun (mindestens) das gute Dutzend voll. Man darf froh sein, dass Dr. Georg Ringsgwandl seinen Beruf als Oberarzt am Garmisch-Partenkirchener Klinikum beizeiten an den Nagel hängte, um uns mit seinen köstlichen skurrilen Texten zu erfreuen. Die Kompositionen stammen natürlich auch von ihm. Nicht nur tontechnisch ist die Scheibe erste Sahne. Vor allem ist es der Rhythm and Blues mit seinem inspirierenden Groove, der fasziniert. Dazu trugen hauptsächlich die Bandmusiker bei, die glänzende Referenzen aufweisen:
Neben Georg Ringsgwandl (Gesang, Akustikgitarre, Zither) spielen
Daniel Stelter (Gitarren, Dobro-Gitarre, Mandoline): Einer der besten Gitarristen des deutschsprachigen Raums. Spielte schon mit Xavier Naidoo, Till Brönner, Berliner Philharmoniker, NDR-Bigband u.a.
Christian Diener (Bass): Studium an der Musikhochschule München und Berklee College of Music, Boston/USA. Spielte mit Wolfgang Haffner, Thilo Wolf, RIAS Big Band, Billy Cobham, Pee Wee Ellis, No Angels, Max Herre, Fourplay-Gitarrist Chuck Loeb; Chuck Leavell (Musical Director Rolling Stones). Dozent Musikhochschule Nürnberg.
Tommy Baldu (Schlagzeug, Percussion): Six Was Nine, Xavier Naidoo, Söhne Mannheims, André Heller, Laith Al-Deen, Rebekka Bakken, Gaby Moreno, Herwig Mitteregger, Kosho, Studnitzky, Jazzanova, Emiliana Torrini, u.v.m.
Selbst sein ehemaliges langjähriges Bandmitglied, der renommierte Rock'n’Roll- und Bluesgitarrist Nick Woodland steuerte Hardware in Form einer hundertjährigen Gibson-Mandoline bei.
Zur CD:
Nach dem ersten Song „Sitz de her“ (Setze dich her) versetzt er sich beim „Koda“ (Kater) in die Gedankenwelt dieses Haustieres. Alles mit dem typisch-launigen Gesang und einem köstlichen Auszug wie diesen: „Kein Problem mit den Damen, i bin scho lang kastriert – i bin nett, aber weiter geht es net.“ Schöne Gitarrenläufe untermalen seine manchmal philosophischen Gedanken.
Bei „Dawischt“ (Erwischt) kommt erst nach langen Umwegen die Erkenntnis, dass man sich verliebt hat. Unterstützt wird alles durch gefühlvolle blueslastige Instrumentalpassagen. Selbst ein Psychologe konnte keine Besserung bringen, weil gegen die Liebe kein Kraut gewachsen ist. So die Quintessenz dieses Songs.
Die Nr. 4 „Furchtbar“ ist überhaupt nicht furchtbar, sondern furchtbar lustig. Hier geht Ringsgwandl völlig aus sich heraus – mit Kopfstimme und dem Timbre einer Opernsängerin. Diesmal sind es ausnahmsweise sich reimende Zweizeiler, die u.a. ein „Topgenie“ beschreiben, der mit schlechten Schulnoten keine Chance hat, angemessen unterzukommen. Eine absolut schräge Nummer, die an den wilden Ringsgwandl in seiner besten Sturm- und Drangzeit erinnert.
Weiter erzählt er von einer „Spargelkönigin“ deren vielbeschäftigter Mann sie verließ. Jetzt lebt sie mit einem jungen Typ aus Mozambique zusammen und ist (trotzdem?) Bürgermeisterin ihres Ortes geworden.
Über die „Oberpfalz“ mit ihrer oft dörflichen Enge kommt man zu einem weiteren „Dorf“, das – was immer im Trend liegt – schöner werden soll. Also werden Gewerbeflächen mit Blechhallen bebaut, eine Ampel muss her, eine Tiefgarage. Es herrscht irgendwann höllischer Lärm. Am Ende sind die Kühe verschwunden. Es gibt keine Wiese mehr – eben nur die modernen Segnungen. Aber schließlich, so das Resümee: Es war lange genug schön. Das Schulterzucken spürt man fast.
Zum „Krattla von München“ muss ich den Begriff erklären. Mit einem „Grattler“ ist mundartlich eine Person gemeint, die aus einem sozial schwachen Milieu stammt, um es etwas vornehmer auszudrücken. Er singt von einem Münchner, der aus einem ganz „verhauten Viertel“ kommt – in Ichform. Gut zu wissen, dass Ringsgwandl in Bad Reichenhall aufwuchs. Es ist jedenfalls eine schonungslose Milieustudie, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.
Der Titelsong „Woanders“ handelt von Dingen, die woanders anders sind, aber „nicht bei uns daheim“. Nach der „Schokoladenfee“ samt einer Liebesnacht beschließt der elfte Song „Typ/Guitar“ die über 40-minütige Scheibe.
Wenn man sich in die abwechslungsreichen Kompositionen vertieft, spürt man fast die eingangs beschriebene fast heimelige Zimmeratmosphäre. Es lohnt, sich diese ins eigene Zimmer zu holen. Seine Herbst- und Wintertour führt ihn auch in nördliche und westliche Gefilde bis nach Hamburg, Berlin, Köln, Düsseldorf, Wien und weiteren Städten. Um ein mögliches Vorurteil gleich zu entkräften: Man versteht ihn recht gut. Im vorliegenden Fall sind in der eingesteckten Farbbeilage alle Texte abgedruckt. Meist sogar in Hochdeutsch oder gut verständlichem Bayrisch. So steht dem Anhören quasi mit Netz und doppeltem Boden nichts im Wege. Und – wie schreibt Ringsgwandl als Schlusssatz im Booklet mit einem Augenzwinkern: „Keiner kann dir sagen, wo das Paradies ist, nur ER weiß es, aber ER wohnt definitiv WOANDERS.“
(Gerd Müller)