Titel: Interpret: Label: VÖ: Inhalt: |
"Neubeginner" Maschine (Dieter Birr) Heart Of Berlin/Universal 30. September 2016 1. Neubeginn 2. Helden meiner Generation 3. So viel erlebt (mit Ela Steinmetz von Elaiza) 4. Der große Magnet (mit János Mecky Kóbor) 5. Unterm Himmel von Berlin 6. So wie du bist 7. Irgendwie begabt (mit Heinz Rudolf Kunze) 8. Deine Stille 9. Mein Zug ist abgefahren 10. Zwei Hände mehr (mit Dirk Michaelis) 11. Ehe der Krieg beginnt 12. Auf das Leben Anmerkung: Auch auf Vinyl (Schallplatte) erhältlich! |
Mit der Zeile, "Alles was zu Ende ist kann auch Anfang sein", beginnt der Song "Was bleibt" von den PUHDYS aus dem Jahre 1992. Knapp 24 Jahre später ist es für den PUHDYS-Frontmann Dieter "Maschine" Birr selbst soweit, dieser Textzeile mit eigenem Tun ein Ausrufezeichen hinten anzustellen. Die PUHDYS sind tot - es leben die PUHDYS. Maschine jedenfalls lebt auch nach dem Aus der Kultband weiter - als Mensch und als Künstler - und versucht sich als "Neubeginner". Wer geht denn auch mit 70 schon in Rente, wenn er noch so viel Action im Körper und Kreativität im Kopf hat? Maschine jedenfalls nicht. Nach dem Album "Maschine" (2014), das fast nur recyceltest Material seiner ehemaligen Band beinhaltet, und 30 Jahre nach seinem ersten Solo-Album "Intim", kommt im September 2016 das dritte Werk des Musikers in die Plattenläden. Treffender Weise "Neubeginner" betitelt.
"Neubeginn" heißt dann auch das erste Stück auf der neuen Scheibe. Und die lange Zeit mit der Band PUHDYS hinterlässt bei Maschine natürlich musikalisch seine Spuren. Eine Gitarrenmelodie tänzelt auf einem Synthie-Teppich, ehe die brettharten Gitarren losrocken. Herr Birr und Herr Hassbecker (SILLY) lassen es hier ordentlich krachen. Hymnisch der Refrain, der über die ewige Lust in der Brust des Sängers erzählt und dessen Erlebnishunger beschreibt. Ginge es allein nach diesem Song wäre die Frage danach, ob Maschine überhaupt noch bissig und hungrig ist, schon beantwortet. Er tut hier "alles für sein zweites Leben".
Auch das folgende "Helden meiner Generation" hat Spurenelemente der PUHDYS in sich. Allein der Bass und die Akustikgitarre erinnern an die 70er und die großen Nummern der Berliner Band. Alles andere befindet sich im Heute ... Felix Lehrmanns Schlagzeugspiel und Maschines ergänzendes instrumentales Wirken lassen ein knackig und frisch klingendes Loblied auf die Helden aus Maschines Generation entstehen, in das sich jeder Musikfreund leicht hineinversetzen kann - egal ob er nun vor 50 Jahren über das Radio oder erst vor einer Woche über einen Download von der Religion "Musik" erfasst wurde. Jeder von uns hat da seine musikalischen Helden, die einen begleitet, geprägt, begeistert und nicht selten auch in Hochstimmung versetzt haben. Maschine hat sie auch, und ihnen setzt er mit dieser amtlich rockenden Nummer incl. verzerrten Hassbecker-Gitarrensolos am Ende des Stücks ein Denkmal.
Mit "So viel erlebt" hat der Reifen dann auch so viel Abrieb auf der Straße hinterlassen, dass sich der anfangs noch deutlich heraushörbare PUHDYS-Sound verabschiedet und Platz für den neuen Maschine-Sound gemacht hat. Hier hört man ein mit Unterstützung von Ela Steinmetz (ELAIZA) eingesungenes Duett in einem mit Country-Einflüssen durchsetzten Popsong. Eine radiotaugliche Nummer, die durchaus Ohrwurm-Charakter hat.
Den hat auch "Der große Magnet", den Maschine mit Mecky Kóbor von der ungarischen Gruppe OMEGA eingesungen hat. Allerdings handelt es sich hier um einen klassischen Rocksong der ruhigeren Sorte, der über unseren Planeten Erde handelt. Sitar-ähnliche Klänge durchziehen diesen Titel, der zudem mit Akustik- und E-Gitarre sowie druckvollem Schlagzeugspiel exzellent in Szene gesetzt wird. Eine Hammer-Nummer mit kräftigem Nachhall. Sie bleibt im Ohr und begleitet einen über den Tag hinweg. Zudem lässt er nostalgische Gefühle aufkommen, erinnern Mecky und Maschine hier doch nicht nur gesanglich an die 70er und die damals tonangebende Art, einen Rocksong zu präsentieren.
Seiner Heimatstadt Berlin setzt Birr mit "Unterm Himmel von Berlin" ebenfalls ein Denkmal. "Bis zum letzten Atemzug hole ich meine Luft bei Dir - mein Berlin", singt Maschine im Refrain des Stücks. Verbundenheit mit seiner Heimat, verpackt in einem teils auch augenzwinkernden (Thema BER) und mit vielen großen Namen (Toni Krahl, David Bowie) und Stellen (Mauer) der Stadt versehenen Text, der nicht nostalgisch verklärt auf alte Zeiten zurückblickt, sondern den Bogen vom Gestern ins Heute luftig und locker spannt. Treibende Rockklänge kleiden den Text in ein ansprechendes Gewand und machen aus "Unterm Himmel von Berlin" einen Song für Einsätze in Stadien, auf Partys und laut im Auto - z.B. wenn man auf dem Weg nach Berlin ist ...
"So wie Du bist" ist das komplette Gegenteil von dem eben gehörten Bretterknaller. Mit Klavier ruhig arrangiert singt Maschine ein Liebeslied ("Du bist einfach richtig, so wie Du bist"). So sanft in den Tönen gestartet, zieht der Song weiter seine Bahn und endet ebenso sacht und intim. Für die Konzerte von Maschine also schon mal Feuerzeuge einpacken. Die werden gebraucht!
Rotzig rockig geht es dann in "Irgendwie begabt" zur Sache. Zusammen mit Heinz Rudolf Kunze verfällt Maschine dabei schwer in Sarkasmus und verpackt das - wie eben schon erwähnt - in rotzigen und stampfenden Rock nebst einem erneut im Ohr hängen bleibenden Refrain. Auch hier ist wieder ein herrlich lautes Gitarrensolo verbaut. Beschreibung in einem Wort: Fett!
Wenn ein Song mit "Deine Stille" überschrieben ist, dann darf man ruhig davon ausgehen, dass es darin musikalisch nicht sonderlich heftig zur Sache gehen wird. Oder? Es handelt sich um eine weitere Ballade, ruhig und sachlich aufgebaut und das kalte Schweigen des Partners, das man sich nicht erklären kann, thematisierend. Die von Heinz Rudolf Kunze geschriebene Zeile, "Du schweigst mich an wie ein Vulkan, der vor dem Ausbruch steht", lässt die unterkühlte und angespannte Stimmung förmlich greifbar werden. Das klagende "Das ist Deine Stille, Deine ausweglose Stille" unterstreicht dies noch zusätzlich. Um dem ganzen noch weiteren Druck zu verleihen, sind zum Ende hin orchestrale Elemente wie z.B. Streicher ins Arrangement eingebaut, durch die sich der Sound des Stücks meterhoch auftürmt ... das wirkt einfach nur bombastisch ... Soviel zum Thema "es geht musikalisch nicht sonderlich heftig zur Sache". Ein Lied, das für Gänsehaut sorgt!
Mit "Mein Zug ist abgefahren" geht es wieder in die andere Richtung. Ein stampfender und mitreißender Pop/Rock-Song versprüht Optimismus, Abenteuerlust, Lust auf das Leben und die Botschaft, noch längst nicht alles erlebt zu haben ("Mein Zug ist abgefahren, doch ich sitz' immer noch drin"). Mit einem weiteren Duett und dem Song "Zwei Hände mehr" geht es weiter. Irische Klänge sind hier im musikalischen Teil die tragende Säule. Zusammen mit Dirk Michaelis singt Maschine darüber, dass kein Held unsere Welt rettet, und dass wir bei all unserer Bequemlichkeit dafür schon selbst sorgen müssen. Und das wir dabei nicht allein sind und andere finden können, die dabei mithelfen, macht der Refrain deutlich: "Du hast zwei Hände und mit meinen sind es vier | Wenn ich Deine Kraft verschwende, gut dann bleibt Dir die von mir". Der Refrain wird mit stampfendem Beat und einem tollen Chorgesang in Szene gesetzt. Für meinen Geschmack das beeindruckendste Lied auf dem Album ist allerdings "Ehe der Krieg beginnt", das mit einem Text von Gisela Steineckert versehen ist. Man kann über die Frau denken was man will, hier ist ihr ein Meisterwerk gelungen! Nicht allein nur der Text, sondern auch die musikalische Umsetzung lassen den Hörer am Ende mit einer Gefühlsmischung aus Beklommenheit und Wut, sowie dem Wunsch, sich dagegen zu stemmen, zurück. Obwohl es ruhig und getragen beginnt, rüttelt das Lied auf. Die Zeile "Ehe der Krieg beginnt | kannst Du ihn seh'n | Du siehst den Krieg entstehen | sobald sich die Fahnen | zum Winde hin dreh'n", lässt einen plötzlich wieder im Hier und Jetzt ankommen. Hat man sich gerade eben noch am puren Rock und teils optimistischen Texten gelabt, holt einen an dieser Stelle die Realität wieder ein. Weitere Textzeilen wie z.B. "Ehe der Krieg beginnt | wird vorher das Volk verarmt | bis jeder die Feinde schlagen muss | und glaubt das sei der Armut Schluss" wirken wie ein Weckruf, ein lauter Schrei im Ohr. Das was gerade in unserem Land passiert, ist hier in wenigen Zeilen eingefangen, und wirkt bedrohlich. Und während man innerlich bereits aufgewühlt ist, sorgt auch die Musik Stück für Stück weiter für diese dunkle Gefühlslage. Auf dem synthetischen Teppich aus Keyboardsounds setzt nun das Schlagzeug "militärisch" ein. Dazu kommen letztlich noch E-Gitarre und Bass, und plötzlich steht man vor dieser imposanten Wand aus Sound, die einen förmlich vom Hocker haut. Dem letzten Schlagzeugschlag ähnlich dem eines Kanonenschusses - folgt eine Flöte und genauso leise, wie es angefangen hat, klingt es aus. Man könnte meinen, der Krieg ist vorbei. Diese wenigen Minuten auf dem Album gehen tief unter die Haut. Das habe ich zuletzt bei "Vaterland" von SILLY so erlebt ...
Mit diesem Gefühl im Bauch will uns Maschine aber dann doch nicht in den restlichen Tag (oder Abend) entlassen. Mit "Auf das Leben" wird musikalisch auf eben dieses angestoßen. Es geht um den Genuss des Moments und um die Welt, die "unser Lebensbrunnen" ist. Es wird der Wunsch geäußert, dass die Enkel mal ohne Sorgen auf ihr wandeln können, auch wenn sie uns im Moment so wie sie ist nicht gefällt. Es sind die schönen Erinnerungen und der Optimismus, die in diesem Lied eingefangen sind und an den Hörer weitergegeben werden. Darauf stoßen wir gerne an!
Der "Neubeginner" ist mit seinen 70 Lenzen tatsächlich noch längst nicht angekommen. Er erfindet sich gerade neu, probiert sich aus und sucht sich Hilfe dabei. Natürlich hört man aus den neuen Liedern die PUHDYS heraus. Wie sollte es auch anders sein? Birr war nicht nur deren Stimme, sondern hat auch für sie schon Lieder geschrieben. Trotzdem klingt "Neubeginner" unverbraucht und nach einem echten Neubeginn, selbst an den Stellen, an denen ein altbekannter PUHDYS-Sound durchschimmert. Anders als bei vielen anderen Deutschrock-Produktionen haben die Lieder auf dem Album eine deutlich fühlbare Haltbarkeit. Sie bleiben hängen, werden auch nach mehrmaligem Hören nicht langweilig und erwecken schnell die Lust, das Ganze auch mal live erleben zu wollen. Auf dem Album kommen viele Spielarten zusammen, die aus der Platte kein reines Deutschrock-Album haben werden lassen, sondern einen farbenfrohen Stil-Mix liefern. Die Zusammenarbeit mit anderen Musikern wie Uwe Hassbecker und Felix Lehrmann sowie Produzent Ingo Politz scheinen einen der Urväter deutscher Rockmusik ebenso neu angezündet zu haben, wie die Gelegenheit, unabhängig von einem Bandgefüge neue Ideen nach eigenen Vorstellungen umzusetzen. Einflüsse von außen, wie die von Heinz Rudolf Kunze und Gisela Steineckert, bringen zusätzlich neue Zutaten in die Musik und die Inhalte. Das wirkt alles sehr erfrischend und man ertappt sich dabei, wie man sich ziemlich schnell in die einzelnen Lieder verguckt. Ein Album ohne einen einzigen Titel, der nicht gefällt. Zumindest dem Rezensenten ...
(Christian Reder)