silly-kopf 20130206 1535433604 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:

"Kopf an Kopf"
SILLY
Universal
22. März 2013

1. Kopf an Kopf
2. Dein Atlantis
3. Lotos
4. Deine Stärken
5. Blinder Passagier
6. Blutsgeschwister
7. Vaterland
8. Deine Stimme
9. Verkehrte Welt
10. Die Welt wird hell sein
11. Wo fang ich an
12. Spring
13. Im Kreis
14. Am See
15. Ohne Dich


Rezension1:
Die Musiker von SILLY dürften in den vergangenen drei Jahren von einem Hochgefühl ins nächste gefallen sein. Ein Erfolg reihte sich an den anderen und als Höhepunkt stand ein 3. Platz in den Media Control Album Charts (also in den richtigen Charts und nicht dem Download-Quatsch) für ihr Album "Alles rot". Der bis dahin größte Erfolg für die Gruppe SILLY, die davor einen schmerzlichen Verlust zu verdauen hatte. Ein Erfolg, mit dem man auch nicht unbedingt rechnen konnte. Es war ein Ergebnis harter Arbeit und mit Fingerspitzengefühl begangener Vorbereitungen. Fingerspitzengefühl war auch nötig, weil man schließlich nicht jeden vorn ans Mikro hätte stellen können. Tamara Danz war 1996 gestorben und hinterließ eine dermaßen große Lücke, dass es kaum vorstellbar war, diese in irgendeiner Form schließen zu können. Doch die Band hatte Glück: Im Jahre 2006 legten sich die Musiker auf Anna Loos als neue Sängerin fest. Und diese Entscheidung war goldrichtig. Nicht nur, dass Anna selbst seit ihrer Jugend Fan der SILLY-Musik war und sich darum auch voll mit ihr identifizieren konnte, sie hatte auch einen in Deutschland bekannten Namen, den sie sich als Schauspielerin hart erarbeitet hat. Eine Tatsache, die sicher auch dafür verantwortlich war, dass man der Gruppe und ihrer Musik mehr Aufmerksamkeit schenkte, als vielleicht mit einer unbekannten Sängerin. Dass Anna obendrein auch hervorragend singen und die alten Songs der Band ausgezeichnet rüberbringen kann, kam noch dazu. Doch damit war noch längst nicht alles geregelt. Tamara Danz hinterließ nicht nur als Sängerin bei SILLY eine große Lücke. Auch als Texterin hatte sie sich bei den letzten Produktionen der Band fast unersetzlich gemacht. Sie, aber auch der 1998 verstorbene Gerhard Gundermann, waren ab Ende der 80er für die Texte der Band verantwortlich. Beim letzten Album "Paradies" schrieb Tamara sogar alle Texte selbst! Eine neue Sängerin, die zur Band und zur Musik passt, gut und schön... Aber wer sollte das Texten für die Band nun übernehmen und den damals eingeschlagenen Weg weiterführen? Und wieder tat die Band einen Glücksgriff, in dem man Werner Karma erneut als Texter für SILLY gewinnen konnte. Er hatte bis Mitte der 80er Jahre sämtliche SILLY-Songs betextet und dabei - natürlich gemeinsam mit der Band, die die Musik schrieb - zahlreiche Hits erschaffen. Alles äußerst gute Voraussetzungen für ein gutes neues SILLY-Album. Und das war "Alles rot" dann ja auch. Im Fußball heißt es "Never change a winning team", was übersetzt heißt: "Ein erfolgreiches Team sollte man nicht verändern". Und das haben die SILLYs auch für ihr neues Album "Kopf an Kopf" nicht getan. Die erfolgreichen Macher des Vorgängeralbums sind auch an der neuen CD beteiligt. Doch es gibt eine Veränderung: Anna Loos hat weit über die Hälfte der Texte auf dem Album geschrieben. Eine Premiere!

Eins vorweg: "Kopf an Kopf" ist ein sehr farbenfrohes Album, das viele Seiten der Band und seiner Sängerin offenlegt. Das Album ist eine spür- und hörbare Weiterentwicklung einer Gruppe Musiker, die - sicher auch beflügelt durch den Erfolg des Vorgänger-Albums - richtig gute Songs produziert hat. Musiker, die schon viele Jahre im Geschäft sind und nicht versucht haben, sich neu zu erfinden, sondern sich selbst treu geblieben sind. Sie wissen, was sie können und das zeigen sie auch hier wieder. All die Klasse und Kreativität ist kunstvoll mit den neuen Kompositionen verbunden worden. Einige dieser neuen Lieder wollen wir an dieser Stelle doch mal etwas näher betrachten:
Die CD startet gleich mit dem Albumtitel "Kopf an Kopf", einer ruhigen Ballade, die sehr leise startet um im Verlauf eine knackige Rocknummer zu werden. Ein Lied über den Zusammenhalt zweier Menschen, die gemeinsam die laute Welt ertragen und den größten Sturm überstehen können. "Gemeinsam ist man stark und unbesiegbar", könnte die Botschaft lauten und schon bei dieser ersten Nummer hat Anna Loos es geschafft, den Hörer abzuholen und ihm eine Gänsehaut zu bescheren...
Weiter geht's mit dem Stück "Dein Atlantis". Ein Lied über das Wiederfinden von verschütteten oder (darum ja auch der Song-Titel) versunkenen Gefühlen, das Wiederfinden von sich selbst mit dem Rat, auch mal wieder in sich selbst rein zu lauschen. Hier darf dann auch Uwe Hassbecker erstmals zeigen, was er an der Gitarre so alles drauf hat, denn im Mittelteil dieser recht fröhlich daherkommenden Nummer gibt's ein leckeres Solo des Meisters. Ein Song, der den Spagat zwischen radiotauglichem Pop und exzellenter und anspruchsvoller Liedschmiedekunst mühelos schafft und der absolut als eine der nächsten Single-Auskopplungen geeignet ist.
Die erste Single-Auskopplung findet man als vierten Song auf der CD. "Deine Stärken" heißt das Stück und ist eine Liebeserklärung. Eine besondere sogar, denn dem Lied-Ich fällt es nach eigener Aussage schwer, seine Liebe auch zu zeigen und auszudrücken ("Kann nicht zeigen wie sehr ich dich liebe, wird 'ne Schwäche von mir bleiben"). Offenbar wird das von der anderen Seite sogar als verletzend empfunden. Aber so ist das in der Liebe. Es gibt Menschen, die können ihre Gefühle nicht offen zeigen. Aber auch, wenn einem das nicht gelingt, liebt man seinen Partner und möchte mit ihm alt werden. Das haben SILLY musikalisch und textlich ganz wunderbar mit ihrer Ballade umgesetzt. Eine Ballade, der es an nichts fehlt: Ein schöner Klavier-Teppich, Streicher und dezent gespielte Gitarren fallen hier beim ersten Hören sofort auf. Ebenso, wie der sich sofort im Gehörgang festsetzende Refrain.
Für den fünften Song "Blinder Passagier" haben SILLY einen bisher unbekannten Text aus Tamara Danz' Feder vertont. Die Handschrift ist hier deutlich zu erkennen und es ist schön, dass Anna Loos diesem Text mit ihrer Stimme Seele einhaucht und ihn zum Leben erweckt hat. Locker, fast schlendernd, lässt sie ihren Gesang über diesen wunderbar umgesetzten Popsong tänzeln. Über den Inhalt des Stücks will ich gar nicht allzu viel verraten - lasst Euch selbst überraschen.
Mit orientalischen Klängen startet der Song "Vaterland". Und hier wird's politisch, denn man hinterfragt zu einer Akustikgitarren-Melodie und dem Geigenzupfen von Uwe Hassbecker die eigene Vaterlandsliebe und stellt sich eben die Frage, wie man mit politischen Entscheidungen, wie dem Verkauf von Kriegsgerät in alle Welt, umgehen soll. Die Fragen werden dann auch gestellt: "wie lieb' ich so'n land? mit herz oder verstand? blind oder mit blick über den rand?". Es folgt dann auch die Feststellung: "mein vaterland macht mit maschinen für gutes geld / maschinen für das töten / für fast jeden krieg der welt". Und weil dies natürlich kein fröhliches Thema ist, wird die Musik im Verlauf des Songs immer bedrohlicher - ebenso bedrohlich, wie manche Machenschaften, auf die wir als Bürger keinen Einfluss nehmen können, weil sich die Politik die Exklusivrechte für eben solche Entscheidungen einfach rausnimmt. Wir bekommen nur die Tatsachen serviert. Die Trommelschläge werden lauter, ein Chor singt im Hintergrund. Ein düsteres Szenario in Musik geformt. Diese bedrohliche Musik findet ein abruptes Ende und zu Flötentönen und der gleichen Akustikgitarren-Figur, die schon am Anfang zu hören war, bleibt die Frage offen im Raume stehen, wie man so ein Land lieben soll und gibt doch eine eindeutige Antwort, ohne sie auszusprechen... Art-Rock und Weltmusik-Elemente vermischt mit balladesken Zutaten machen aus "Vaterland" einen echten "Hinhörer".
Die "Verkehrte Welt" zeigt uns SILLY im gleichnamigen Song, der mit krachenden Gitarren und einem flotten Beat daher kommt. Der bis dahin lauteste Song auf der CD. Wir werden aufgefordert, uns vorzustellen, die Welt einfach mal umzudrehen, um auch mal die andere Perspektive zu sehen und zu verstehen ("stell dir vor es wär zu seh'n / wie es hinter den dingen bei dir aussieht"). Eine flotte Rocknummer, die richtig Spaß macht.
Der Song "Deine Stimme" kann auf den ersten Blick durchaus als Aufforderung an alle da draußen gerichtet sein, selbst auch mal zu singen und sich das auch zu trauen. Aber er ist mehr... Jeder von uns hat seit der Geburt eine Stimme, die "oft ungeformt und verstimmt" ist, aber eben auch dazu da ist, um benutzt zu werden und um sich Gehör zu verschaffen ("...weißt du noch wie sie klingt / wenn sie deine lieder singt?"). Es ist aber auch die Aufforderung, auch mal die Stimme zu erheben um seine eigenen Ziele zu erreichen, sich vielleicht gegen Missstände zu Wort zu melden und es ist ebenfalls der Traum davon, dass alle Menschen irgendwann mit einer Stimme das gleiche Lied singen ("lauter als die Welt") - in Frieden und Eintracht. Ein Lied, das so richtig gut in diese unruhigen Zeiten passt, in denen es auf der Welt scheinbar an jeder Ecke lichterloh brennt.
Von einer schöneren Welt erzählt auch die Ballade "Die Welt wird hell sein", die ebenfalls zu den stärkeren Songs des Albums zählt.
Ein SILLY-typischer Song ist für meinen Geschmack auch das Lied "Spring". Von der Machart her ist das Stück zu vergleichen mit dem Lied "Bye Bye" vom '92er Album "Hurensöhne". "Spring" ist ein positiver Pop/Rock-Song, bei der eine wunderbare Gitarrenmelodie verbaut wurde und der den Hörer mit seiner motivierenden Botschaft gleich gefangen nimmt - für mich einer meiner Favoriten der neuen CD.
Nach 14 sehr unterschiedlichen Songs entlässt uns SILLY dann mit dem Stück "Ohne Dich". Hat mir Anna schon mit dem ersten Stück und bei vielen anderen Songs des Albums Gänsehaut beschert, tut sie dies zum Abschluss ein weiteres Mal. Eine ruhige Ballade nur mit Klavier und Streichern über den Verlust eines geliebten Menschen. Eine sehr traurige Komposition mit der Botschaft, dass das Leben nun "ohne Dich" weitergeht ("das leben geht wohin es will / ohne dich"), auch wenn sie im ersten Moment gefühlt einfach nur stehen bleibt. Dieser Mensch ist noch überall spürbar und nah ("ich seh doch noch wie du lachst / kann deine warme hand spür'n") und doch nicht mehr da. Das Stück beschreibt eine Situation, wie wir sie wohl alle schon einmal erlebt haben. Ob bei einer Trennung vom Partner oder durch den Tod eines geliebten Menschen. Es ist traurig und gibt doch Trost, in dem es einem zeigt, dass man diese Gefühle nach einem Verlust nicht alleine hat. Es hat aber auch die Botschaft, dass man das Bild dieses Menschen für immer in sich tragen und ihn so niemals vergessen kann.

Fazit lang:
Unter'm Strich kann man sagen, dass SILLY ein unheimlich starkes Album aufgenommen hat. Es ist eine logische Fortsetzung des Vorgängers "Alles rot" und doch eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Band und Sängerin. Mir gefällt diese CD sogar noch besser als "Alles rot". Von einem typischen SILLY-Album möchte ich aber trotzdem nicht sprechen, denn zwischen Tamara Danz und Anna Loos gibt es doch große Unterschiede. Beide sind großartige Sängerinnen - beide sind aber sehr unterschiedlich in der Stimme und auch der Art, sie einzusetzen. Anna ist eine erstklassige Sängerin, was Balladen betrifft. Und das wird auf diesem Album sehr deutlich.
Nun wird der eine oder andere vielleicht sagen, dass sich das auf "Kopf an Kopf" befindliche Songmaterial nicht sonderlich von dem "artverwandter" Gruppen, wie JULI oder SILBERMOND, unterscheidet. Ich weiß nicht, ob das nun unbedingt ein Makel ist, solche Lieder zu machen und erfolgreich zu platzieren, aber trotzdem ist die Musik von SILLY anders aufgebaut. Dazu bedarf es aber der Zeit, sich auch intensiv mit der Scheibe zu beschäftigen. Einlegen, die Lieder nur anspielen und dann meckern, gilt hier nicht! Es geht bei den Arrangements los, bei denen auf den ersten Blick einfach gestrickte Balladen eine ganze Menge mehr, als bei der "Konkurrenz" zu bieten haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die schon beim zweiten Album damit anfangen, den Inhalt der eigenen Restmülltonne farbenfroh anzumalen und als den großen Wurf zu verkaufen, hat SILLY die Klasse, eine spannende Band mit ebenso spannender Musik zu bleiben - auch über eine längere Distanz. Das ist ihr schon mit Tamara Danz fast 20 Jahre gelungen, nun setzt Anna Loos diese Tradition fort. Man sollte sich aber endgültig von dem Gedanken verabschieden, dass eine Band wie SILLY mit Material von Gestern weiterarbeiten kann. Das kann sie nicht und das ist auch logisch. Wenn man nicht auf der Stelle treten will, muss man sich weiterentwickeln. Erst recht, wenn nach erfolgreichen Jahren eine neue Sängerin den Spagat zwischen der Klasse ihrer Vorgängerin und der eigenen Kunst und den eigenen Vorstellungen von Musik hinbekommen muss. Dabei wird Anna offensichtlich ausgesprochen gut von ihrer Band unterstützt.
Was mir persönlich allerdings fehlt, sind mehr "laute" Momente. Momente, wie z. B. auf dem "Paradies"-Album oder auch auf Alben, wie "Februar" und "Hurensöhne". Davon darf es beim nächsten Mal ruhig etwas mehr sein. Erfreut bin ich über Songs wie "Vaterland", bei dem auch mal Kritik an der Politik geübt wird, oder "Deine Stimme", mit ihrer herrlichen Botschaft an die Menschen. Das ist wahrlich nicht selbstverständlich in der Sing-Sang-Pop-Blümelein-Welt der Bravo-Generation und ihrer heute-in-morgen-out-Kapellen. Ich habe bei der Rezension außerdem bewusst nicht auf den "Beipackzettel" geschielt, weil ich den Unterschied zwischen Karma- und Loos-Texten selbst heraushören wollte. Glückwunsch, liebe Anna... es ist mir (bis auf eine Ausnahme) nicht gelungen. Damit dürfest Du wohl auch in Sachen Texte endgültig bei SILLY angekommen sein.

Fazit kurz:
Kaufen! Unbedingt...
(Christian Reder)


Rezension2:
Mit dem neuen SILLY-Album habe ich viele Hoffnungen und hohe Erwartungen verbunden. Vor allem deshalb, weil mir die alten und neuen SILLY-Songs so viel bedeuten. Noch heute bin ich einem guten Freund sehr dankbar, der mich 1987 auf "Bataillon d'Amour" aufmerksam gemacht hat. Meine erste Begegnung mit der Band, deren Musik mich bis heute nicht loslässt. Ich liebe diese Musik für Herz & Verstand, für Ohren & Augen, für Bauch & Füße. Wenn ich in die große SILLY-Schatzkiste eintauche, findet sich quasi für jede Gelegenheit der passende Titel. Und vom neuen Album habe ich mir neue Juwelen erhofft, die zu den alten Schätzen passen und sie um aktuelle Facetten bereichern...

Das ist für mein Gefühl bestens gelungen! Obwohl ich eingestehen muss, dass ich zwischenzeitlich skeptisch war. Der Teaser zu "Deine Stärken" hat mich zunächst nicht berührt. Bei den ersten Hörversuchen klang der Titel in meinen Ohren eher beliebig, wie schon von anderen Bands gehört. Und doch musste ich innerlich über mich schmunzeln, denn die gleichen "Startschwierigkeiten" hatte ich vor drei Jahren mit "Ich sag nicht ja" als Single-Auskopplung von "Alles Rot".

Seit zwei Wochen läuft nun "Kopf an Kopf" ein ums andere Mal. Und ich entdecke immer wieder neue Details. Allein das zeigt mir, dass es ein SILLY-typisches Album ist. Nichts zum "Schnell-mal-nebenbei-hören", sondern Musik, auf die man sich einlassen muss. Erst dann erschließt sich der wahre Reichtum... Es ist eine absolut runde Sache geworden - insgesamt gehört, macht jeder einzelne Titel Sinn. Und nun kann ich mich auch mit "Deine Stärken" anfreunden. Ein einzelnes Puzzleteil wirkt eben durchaus anders, als der Teil eines großen Ganzen.

Für mich ist "Kopf an Kopf" ein wunderbares Album! Sehr emotional und ein Erlebnis für alle Sinne! Wer sich traut, die Tür zu seinem Herzen so weit zu öffnen, riskiert auch, verletzt oder verrissen zu werden. Dazu gehören Mut und Überzeugung. Der Mut, sich den Themen zu widmen, die einen selbst bewegen. Die Überzeugung, den eigenen Weg zu gehen. Auch wenn der Weg nicht immer einfach oder geradlinig ist. Auch weil man auf diesem Weg hin und wieder alte Gefährten verlieren, aber auch neue gewinnen kann.

Das Album ist so unglaublich emotional geworden, dass es sich für mich manchmal geradezu wie ein Faustschlag in die Magengrube anfühlt. So musste ich beim dritten Hören mit dem Auto anhalten, weil mich "Blutsgeschwister" auf einmal mit voller Wucht traf und mir plötzlich die Tränen über's Gesicht liefen. Ganz ähnlich erging es mir auch mit "Spring" und "Ohne dich". Mancher Song scheint wie eine sanfte Umarmung, mancher voller Lebenslust, andere wie ein Aufschrei oder ein lauter Protest. Die Texte kommen allesamt sehr poetisch daher - je nachdem, mit Leichtigkeit, Witz, Ironie, Tiefgang und Nachdenklichkeit. Mit mehr oder weniger verschlüsselten Botschaften, deren Entschlüsselung jedem, der sich traut, individuelle Geschenke offenbart. Durchaus auf unterschiedliche Art und Weise und gerade das macht den Reiz aus.

Auch der Einsatz von Annas Stimme hat mich sehr beeindruckt. Sie setzt die Titel mit so viel Empfindsamkeit, Wärme und Selbstvertrauen um, dass die Wirkung unterstrichen wird. Manchmal wirkt ihre Stimme so zart und zerbrechlich, dass man meint, sie würde von der Wucht der Emotionen niedergedrückt und könne im nächsten Moment brechen. An anderen Stellen wiederum klingt sie voller Kraft und Energie. Dazu die fabelhafte musikalische Umsetzung! Unglaublich, wie viel Feinsinnigkeit, Stärke und Liebe zum Detail in diesen Arrangements steckt. Von melancholischen Klangfarben bis zu kraftvoller Lebenslust, ironischer Zweideutigkeit und archaischer Wucht ist alles dabei. Mir ist noch nie so aufgefallen, wie sehr allein die Wahl der Instrumente unterschiedliche Wirkungen erzeugen kann. Großartig dicht gewebte und voll tönende Melodieteppiche, die ganze Sinfonieorchester in meinem Kopf entstehen lassen. Bei dem einen oder anderen Titel habe ich mir bereits ausgemalt, wie er live klingen mag. Dieses Album schreit geradezu nach einer Live-Umsetzung mit großem Orchester. Überhaupt stellt sich wieder das typische Bedürfnis ein, diese Musik laut zu hören. SILLY-Songs muss man laut hören, dann wirkt der großartige Sound erst so richtig umfassend.

Immer und immer wieder läuft die CD und so langsam kristallisieren sich meine Favoriten heraus. Die können je nach Tagesstimmung, aktuellen Erlebnissen, Lust und Laune wechseln. Aber "Blutsgeschwister", "Vaterland", "Blinder Passagier", "Spring", "Ohne dich", "Die Welt wird hell sein" und "Dein Atlantis" gehören auf jeden Fall dazu. Auch die Eindrücke und Assoziationen können je nach Situation unterschiedlich sein. Immer wieder schwirren mir Textsplitter und Melodiefetzen durch den Kopf.

Es gäbe noch so viel mehr zu sagen... Für mich ist "Kopf an Kopf" ein magisches Album geworden, das mich in seinen Bann zieht und wunderbare Bilder in meinen Kopf zu zaubern vermag! Ein Album, das durch die Vielfalt der Themen, die Poesie und die wunderbare Umsetzung bewegt und emotional berührt - sofern man sich darauf einlässt. "Such das Atlantis in dir, dein versunkenes Gefühl. Weck es auf, find es raus, trags hinauf..." Es lohnt sich!
(Grit Bugasch)


Rezension 3
Vor kurzem habe ich gelesen, dass das ZDF seinen digitalen Spartensender ZDF kultur demnächst wieder einstellen will. Das wäre für mich ein herber Verlust, denn der Montagabend ist (m)ein Weiterbildungsprogramm erster Klasse. Ich schätze es, wenn der kluge Markus Kavka große Bands gekonnt interviewt und sich die Stars von ungewohnten Seiten zeigen, wenn sich zum Beispiel bisherige Rollenaufteilungen innerhalb der Band dann doch in meinem Verständnis drehen oder Entscheidungen in der Bandgeschichte teilweise mit viel Humor kommentiert werden. Anschließend gleich der nächste Aha-Effekt: die Konzertreihe aus dem Bauhaus Dessau - durch diese minimalistisch gestalteten live-Gigs habe ich Interpreten für mich entdeckt, die ich bisher nur vom Namen oder gar nicht kannte...

Was das jetzt alles mit dem neuen Silly-Album zu tun hat? Eine ganze Menge! In der Special-Edtion gibt es (zum gleichen Preis wie die pure CD) eine DVD mit eben diesem Mitschnitt von Alles-Rot - (nahezu)- unplugged-Konzert. Das gab letztendlich den Ausschlag, mir das neue Album dann doch zu kaufen. Ich gebe es zu: ich hab mir die Entscheidung schwer gemacht - alles, was ich bisher an Soundschnipseln im Vorfeld hörte, hat mich wenig euphorisiert.
So, nun liegt das Paket vor mir, die guten Sennheiser-Kopfhörer haben jetzt wieder Pause, die Ohren glühen noch, Brille auf- und abgesetzt, Gedanken sortieren. Wie fange ich an? Zunächst: Freude, dass Silly auch 2013 aktiv ist. Ja, wir schreiben 2013 und nicht mehr 1986, also haben sich Zeiten, Personalien, Hörgewohnheiten und Produktionsmöglichkeiten geändert. Nur so und nicht anders kann und muss ich mich der neuen CD nähern.
Warum es ein dickes Booklet mit nichtssagenden Fotos und schwarz-roten Grafiken gibt und ich mir stattdessen die Texte von der Silly-Seite laden muss weiß ich nicht, ist aber umständlich. Vielleicht ist das aber auch extra so gewollt, damit ich gleich noch in den Shop abbiege... Aber wenigstens kann ich die Songtexte in einem Rutsch als pdf laden, um zu erkennen, welcher Autor die Reime geschmiedet hat.

Silly hat nun seit etlichen Jahren Anna Loos, und die hat nun mal - wie jede Sängerin - ihren eigenen Stil. Ist das schlimm? Nö, überhaupt nicht - wenn, ja wenn man darauf steht. Ja es ist schlimm, wenn man Silly als Rockband schätzt. Der Opener "Kopf an Kopf" ist als Teaser (oder verkaufsfördernder Anspieltip) für mich ungeeignet. Anna L. oder AnNa R.? - ich befürchte Schlimmes...
Was nimmt mich sofort gefangen? Der absolut volle Sound! Die Musiker von Silly haben ganze Arbeit geleistet, das Team von valicon hat wie gewohnt auf hohem Level gemischt und gemastert, die Zuarbeit unter Mastermind Ole Oleak ist genial. Wie ein roter Faden krallt sich die fette (nicht unangenehme) Bassdrum in mein Ohr, Streicher und Keyboardteppiche sind immer erkennbar, kein Soundbrei, jedes Detail erkennbar - so muss das sein. Dafür meinen uneingeschränkten Glückwunsch.

Nach dem Alles-Rot-Album habe ich mit gewünscht, dass Uwe Hassbecker wieder mehr als em-G-C-am-em spielt - jawoll, hat er diesmal! Schöne Überraschungen, wie die exotischen Sounds bei "Vaterland", die erweiteten Akkorde in "Verkehrte Welt", Tremeloe-Effekte bei "Spring", die musikalischen Steigerungen in "Die Welt wird hell sein" (einer meiner Favoriten!). Die Akkordfolge in "Deine Stimme" muss ich morgen erst einmal herausfinden, das ist wirklich spannend und ungewohnt. Aber er darf nicht richtig rocken, offenbar nur auf der Bühne (Uwe, Herr Petereit, dein live-Kollege, hat doch auf "Treibstoff" von Rockhaus gezeigt, dass das auch im Studio geht!)
Ritchie schichtet unglaubliche Arrangements mit vielen Details (Hintergrundgeräusche, Strings, E-Pianos, Orgel), die man teilweise kaum wahrnimmt, es gibt rhythmische Verschiebungen und wundervolle Keyboardsounds("Im Kreis"). Jäcki spielt mannschaftsdienlich und solistisch zugleich, da gibt es eigenständige Basslinien zu entdecken, da bleiben die Töne zuweilen oben und erzeugen zusätzliche Spannungen - das alles sind echte Pfunde!

Anna singt nicht nur, sie textet auch noch. Von Annas Texten bleibt bei mir nur wenig hängen, wie zum Beispiel die Zeile "Zu oft vergessen wir zu sagen, wie gut wir uns tun". Vieles ist mir einfach zu simpel, zu austauschbar. Von Werner Karma sind nur wenige Songtexte auf diesem Album, zudem leider auch nicht seine stärksten, abgesehen vom "Vaterland". Der Reiz ist weg, gelungene sprachliche Bilder sind Mangelware.
Der Gesang ist fast durchweg gleich aufgenommen, nur selten werden Vocal-Effects eingesetzt oder man traut sich an Satzgesang.
Manchmal gehen mir Musik und Text einfach nicht zusammen. "Blutsgeschwister" hat eine interessante Story, eine spannende Melodie - und passt nicht. Silben werden falsch betont, es gibt keine Einheit. "Im Schnee" möchte ich gern als Instrumental haben, da würde ich vor Gänsehaut sicher fast erfrieren. Das ist eine unglaublich schöne Komposition mit einem 1-A-Arrangement - wenn der Gesang nicht alles zerstören würde.
"Ohne dich" ist ein bemerkenswertes Lied, ergreifend arrangiert - und endet völlig unerwartet in Dur und fängt mich wieder auf...

Mein Fazit: die Band hat sich deutlich weiterentwickelt, musikalisch hat das neue Album den Vorgänger hinter sich gelassen. Dennoch sind die Sorgenfalten nicht verschwunden, die Zweifel bleiben, ob mich Silly mit Annas Gesang noch erreicht, ob ich noch Geld für Konzerte ausgeben werde. Soll man dieses Album kaufen? Ja, weil die Musiker es verdient haben, für ihre Arbeit belohnt zu werden. Vom künstlerischen Aspekt her halte ich die Entscheidung da eher mit Rüdiger Hoffmann, ihr wisst schon...
(Jens Kurze)


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