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"Schokolade" Ulf Hartmann Timezone Februar 2013 1. kalifornien im kopf |
ZARTBITTER-SCHOKOLADE
Hat jemand von euch schon einmal von Ulf Hartmann gehört? Wenn nicht, ist es vielleicht nicht schlimm. Denn auch ich hatte nichts von ihm gehört, bis er mich eines Tages - auf Empfehlung der Ausrichter des SingerSongWriterContests in Berlin, dessen Jurymitglied und Moderator ich sein darf - anrief mit dem denkwürdigen Satz. "Hier ist der Ulf aus Braunschweig." Ich gebe zu, ich dachte erst, mich hätte jemand verwechselt. Ich kannte keinen Ulf aus Braunschweig. Doch jetzt kenne ich einen und ich bin ganz froh darüber. Er schickte mir seine CD, ich habe sie mir angehört und bin in etwas hineingefallen, womit ich nicht gerechnet habe, nämlich in eine Landschaft, die - und dies meint es international gesehen - mich sehr an das erinnerte, was ich als klassische SingerSongwriter-Tradition bezeichnen würde. Ein Liedermacher im traditionellen Sinne, nicht leichtfertig, nicht leichtsinnig, sondern mit Liedern, die den Ausdruck auch wert sind. Mit textlicher Auslotung, musikalisch klug, ausgefeilt, durchdacht und - wie das früher oft so war bei Liedermachern, aber wen hat das da gestört - für heutige Verhältnisse mit oft viel zu langen Titeln. Da war mal wieder einer, der mich zwang, ihm zuzuhören. Wobei der Zwang natürlich aus mir selbst herauskam, er stand weder mit einer Pistole neben mir noch übte er anderen Druck auf mich aus. Ich hätte es auch sein lassen können. Aber ich wollte nicht. Ich wollte mir diese musikalische Zartbitter-Schokolade genehmigen und wie das so ist, man beginnt sie, trotz des herben Beigeschmacks, der in den Liedern steckt, einfach zu genießen.
Ich empfehle diese CD schlechthin und empfehle Euch Ulf Hartmann an. Nehmt Euch Zeit für ihn. Er nahm sich mit allerallergrößter Sicherheit Zeit für Euch, als er diese Lieder schrieb und produzierte. Die interessanten abwechslungsreichen Texte erzählen Geschichten, die oft den Seelen auf den Grund gehen wollen. Musikalisch ebenfalls sehr vielfältig ist nicht nur eine gute Konzertgitarre zu hören. Es werden verschiedene Soundeffekte ausprobiert, manches davon erscheint mir ein wenig zu illustrierend, aber uninteressant ist es auf gar keinen Fall.
Sehr überrascht hat mich seine jugendlich wirkende Gesangsstimme, manchmal etwas brüchig. Ich kann sein Alter nicht schätzen. Aus meiner Sicht könnte er etwas brüchiger, auch gebrochener daherkommen. An manchen Stellen erscheint er mir zu "sauber", er könnte ruhig auch etwas Dreck in die Schokolade streuseln und ich bin mir sicher, das kann er auch. Im Titel "randnotiz" deutet sich das ein wenig an. Vielleicht ist das aber auch ein Charismatikum des Ulf Hartmann. Rauhe Schale, weicher Kern. In den Texten ist seine Feinsinnigkeit und Sensibilität für und gegenüber anderen oft zu spüren. Ab und zu erinnert er mich an Wenzel, Mark Nestler oder auch an André Heller. Ich weiß gar nicht, ob er die überhaupt kennt.
Sehnsüchte werden auf diesem Album beschrieben ("kalifornien im kopf", "weg!", "parkbank", "olsenbande"), gelangweiltes Vor-Sich-Dahin-Leben ("palaver", "glashaus") aus verschiedenen Sichtweisen, gesellschaftliche Kritikpunkte angerissen, so dass es uns allen weh tut, weil wir alle so sind, zumindest die meisten ("blumen am rand"), meist sind es Betrachtungen des Da-Seins ("löcher", "auf der spur", "weil´s besser ist", "randnotiz", "sushi in manhattan". Und na klar, die Liebe fehlt auch nicht ("schokolade").
Musikalisch hätte die CD vielseitiger sein können. Im Filigranen ist sie das allerdings. Ein leises Album. Textlich ist es ein Kleinod. Von einem einzigen Mal hören kann man es gar nicht ganz erfassen. Auch nicht von einem zweiten oder dritten Mal. Nein, man muß die Scheibe immer wieder und wieder hören, um sie nach und nach in sich einlassen zu können, sich auf sie und Ulf Hartmanns Lieder einlassen zu können. Früher war dies ja auch mal der Sinn von Alben. Einer der Sinne. Und so bin ich Ulf Hartmann sehr dankbar dafür, dass er sich nicht verwählt hat und mich meinte, als er mich anrief und für dieses tiefe schöne Geschenk seiner Lieder.
Nie wirkt Ulf Hartmann lächerlich. Nie macht er sich lustig. Er betrachtet, sinniert, genießt und erzählt uns dann das Erfahrene mit hoher Musikalität und emotionaler Intelligenz. Wenn ich mir auch manchmal einige Texte anders vertont wünschte. Wäre dies so, hätte es aber nichts mit der Authentizität von Ulf Hartmann zu tun. Und das aber gerade macht ihn und sein Album besonders. Er ist echt. So wie er da singt, wie er da musiziert, in allem.
(Andreas Hähle)