Die Fantastischen Vier: "4 gewinnt" (Album)

fanta4 20220910 1728981666VÖ: 28.08.1992; Label: Columbia; Katalognummer: 472263 1 (Vinyl), 472263 2 (CD); Musiker: Michael "Michi" Beck (Rap, DJ), Thomas "Thomas D" Dürr (Rap), Andreas "And.Ypsilon" Rieke (Keyboard), Michael "Smudo" Schmidt (Rap); Produzent: Andreas "And.Ypsilon" Rieke; Co-Produzenten: Andreas "DJ Bär" Läsker, Klaus Scharff; Bemerkung: Als Schallplatte und CD veröffentlicht. Im Jahre 2019 auf 180 Gramm Vinyl wiederveröffentlicht (#577710);

Titel:
" Vier Gewinnt", "Die Da?! ", "Hört Euch den hier an", "Saft", "Dicker Pulli", "Na gut", "Einen noch", "Es wird Regen geben", "Hip Hop Musik", "Lass die Sonne rein", "Thomas und die Fraun", "Nonixnarretz", "Jaaa", "Individuell aber schnell", "Arschloch"


Rezension:

Schaut Euch "die" hier an
In der Geschichte kam es schon häufiger vor, dass sich Musiker eines Landes der Kultur eines anderen bedient und diese für ihre Musik verwendet haben. Manch ein Musikant belässt es aber nicht beim Verwenden und Weiterverarbeiten von einzelnen Elementen einer Folklore für seine Musik, sondern übernimmt gleich ganze Stilistiken und überträgt sie auf seinen Kulturkreis. Der ehemalige SPLIFF-Gitarrist Potsch Potschka tat dies z.B. mit dem Flamenco aus Spanien und der Musik aus dem arabischen Raum. Weitere Beispiele sind die deutschen Country-Musiker, die die Musik der amerikanischen Cowboys und Trucker hierhin verpflanzt haben. Vor über 30 Jahren leisteten vier Jungs aus Stuttgart Pionier-Arbeit, als sie den in den Staaten entstandenen und dort fast ausschließlich von Afroamerikanern gespielten Hip Hop nach Deutschland exportierten und hier erstmals in unserer Sprache auf die Bühne brachten. Die Rede ist von DIE FANTASTISCHEN VIER …

Michael "DJ Michi" Beck, Thomas "Thomas D" Dürr, Andreas "And.Ypsilon" Rieke und Michael "Smudo" Schmidt traten 1988 erstmals unter dem Namen TERMINAL TEAM auf. Ein Jahr später folgte der Namenswechsel zu DIE FANTASTISCHEN VIER. Das Quartett gilt als Deutschlands erste Hip-Hop-Formation, denn vor ihnen machte hierzulande keine andere Gruppe diese Musik, und schon gar nicht in unserer Muttersprache. Ihre erste Platte "Jetzt geht's ab" kam 1991 auf den Markt, war aus kommerzieller Sicht jedoch wenig erfolgreich. Anders verhielt es sich da mit dem zweiten Werk, das hier Grundlange für diese Rezension ist: Das Album "4 gewinnt". Es beinhaltet mit "Die da?!" nicht nur ihren ersten großen Hit (#2 in Deutschland, #1 in Österreich und der Schweiz), der den Grundstein für die bis heute erfolgreiche Karriere der vier Rapper legte, sondern zeigte dem deutschen Volk erstmals auf unterhaltsame Art und Weise, dass Sprechgesang auf jeden Fall auch was für die deutschen Ohren ist, wenn er mit so viel Wortwitz und Charme vorgetragen wird.

"Echte" Musiker wie in Rock-, Blues- oder Pop-Bands sucht man bei den Vieren aber vergeblich. Kein Gitarrist, Bassist oder Schlagzeuger ist bei DIE FANTASTISCHEN VIER mit im Studio. Die Töne und Beats, die zum Rap der drei hauptamtlichen "Sänger" untergelegt werden, werden von Keyboarder And.Ypsilon alias Andreas Rieke und DJ Michi Beck beigesteuert. Während die digitalen Klänge aus der Tastatur von And.Ypsilon kommen, entimmt Michi den verschiedenen auf seinem Turntable zum Einsatz kommenden schwarzen Vinyl-Scheiben (Plattenspieler) brauchbare Sound-Schnipsel, z.B. aus dem Song "Godfather runnin' the joint" von James Brown (zu hören im Song "Nonixnarretz"), "White Horse" von LAID BACK ("Saft") oder "Right Down Here" von der indischen Musikerin Asha Puthli ("Die da?!"). Darunter werden Beats gemischt und der eine oder andere Sample aus gesprochenen Worten mit hinzu gefügt, z.B. von Kermit dem Frosch aus der Sesamstraße ("Hört Euch den hier an") oder Luke Skywalker aus "Krieg der Sterne" ("Die da?!"). And.Ypsilon und DJ Michi Beck (der auch zu den Rappern der Gruppe gehört) sorgen so für ordentlich Bumms und feine Melodien, auf denen sich Smudo, Thomas D. und eben auch Michi selbst verbal austoben können.

Und ausgetobt wird sich auf dem Album "4 gewinnt" fleißig. Drei Rapper sorgen für Abwechslung in vielen Bereichen. Thematisch wird auf diesem Album hauptsächlich ein Publikum bestehend aus Teenagern und jungen Erwachsenen bedient. Es geht zum Einen um Beziehungen ("Die da?!", "Thomas und die Fraun"), durchfeierte Nächte und den Morgen danach ("Es wird Regen geben"), und Sex ("Saft"). Zum Anderen aber auch darum, sich selbst und das eigene Anliegen gesanglich vorzustellen ("4 gewinnt", "Dicker Pulli", "Schaut Euch den hier an"). Ein besonders auffälliger Song ist der Letzte auf der Scheibe, nämlich "Arschloch". Hier wird ein eben solches damit skizziert, dass es - vorgetragen von Smudos - all die kranken Ansichten und seine Wut in Form eines Raps "auskotzen" darf. Auf der Langspielplatte ist der Song unendlich lang, da der Brummton am Ende in eine Endlosrille mündet. Da diese letzte Rille der Schallplatte nicht wie gewohnt in eine Auslaufrille mündet, läuft das Lied bzw. der Ton so lange weiter, bis der Hörer den Tonarm von der Platte nimmt und die Wiedergabe beendet. Diesen Gimmick gibt es nur auf der Platte, denn auf der CD war dieser Effekt technisch nicht möglich. Auf der CD ist das Lied 13 Minuten lang und am Ende wird der Brummton ausgefadet.

Dieses Album landete 1992 in Deutschland, Österreich und der Schweiz völlig zu Recht weit vorn in den Charts (jeweils auf #3), und das hat viele Gründe. Zum Einen ist da natürlich die im deutschsprachigen Raum damals völlig neue Art des Vortrags. Sprechgesang kannte man bis dahin nur von Grandmaster Flash, Eric B. & Rakim, Public Enemy oder Run-D.M.C., die allesamt weit über dem großen Teich beheimatet sind. Mit DIE FANTASTISCHEN VIER hatten die Teutonen nun ihre eigene Sugarhill Gang, die für alle verständlich ihre Botschaften zu tanzbaren und mitreißenden Beats in die Welt hinaus rappte. Auch wenn mit "Arschloch" auf der Scheibe ein zu Tönen gewordener Kotzbrocken enthalten ist, kommt das Quartett hier äußerst sympathisch rüber, bringt den Hörer mit schwindelerregenden Wort-Feuerwerken wie in "Thomas und die Fraun" und natürlich der haartsträubenden Dreier-(und noch mehr)-Beziehung in der Hitsingle "Die da?!" zum Grinsen, und macht mit jedem der hier zu hörenden Lieder einfach nur Spaß. Und zwar auch denen, die mit Hip Hop und Rap sonst eigentlich gar nichts anfangen können. Das gelang bisher kaum einer Formation aus diesem Fachbereich.

Den FANTASTISCHEN VIER haben es danach viele andere Kollegen nachgemacht, sich auch am deutschen Sprechgesang versucht und das Genre mit eigenen Songs versorgt. Allerdings kommt nach Meinung des Rezensenten - vielleicht mit Ausnahme der DEICHKINDer - aber niemand an die FANTAs ran. Die vier Stuttgarter steuern langsam auf das 35-jährige Dienstjubiläum zu und diese hier vorgestellte Platte wird heuer 30 Jahre alt (erschienen am 28. August 1992). Glückwunsch, Jungs. Und weiter so. MfG
(Christian Reder)




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