PUHDYS: "Wilder Frieden" (Album)

lp23 20160529 1923008483VÖ: 1999; Label: BMG; Katalognummer: 74321707872; Musiker: Dieter Birr (Gesang, Gitarre), Dieter Hertrampf (Gesang, Gitarre), Peter Rasym (Bass), Peter Meyer (Keyboards), Klaus Scharfschwerdt (Schlagzeug), Till Lindemann (Gesang bei "Wut will nicht sterben", jedoch nur bei der Erstauflage des Albums), Mario Adorf (Gesang bei "Gigolo"); Bemerkung: Dieses Album ist ausschließlich auf CD erschienen. Die Erstauflage dieser CD erfolgte u.a. als limitierte Auflage in einem aufklappbaren Digipak inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte. Hierbei und bei der Erstauflage im Jewel-Case war der Song "Wut will nicht sterben" ein Duett von Dieter Birr mit Till Lindemann von Rammstein. Dies wurde bei allen weiteren Auflagen aus rechtlichen Gründen geändert und danach war nur noch Birr als Sänger zu hören;

Titel:
Wilder Frieden • Ich bin der liebe Gott • Dieser Tag gehört Dir • Wut will nicht sterben • Normales Glück • Du hast Schuld • Nie getraut • Eine Frage der Ansicht • Hipp Hipp Hurra • Gigolo • Höhenflug • Wie ein Strom • Schieß mich ab • Auf, ins neue Jahrtausend • Leise weht der Wind (Weihnachtslied)


Rezension:
Die PUHDYS befanden sich 1999 im "wilden Frieden". Anders als im gleichnamigen Song, in dem es eher um Rücksichtslosigkeiten und Ellbogengesellschaften geht, herrschte innerhalb der Band Harmonie und auf der Bühne eine verspielte Wildheit. Gerade mal zwei Jahre zuvor war Harry Jeske ausgestiegen und für ihn ein gewisser Peter "Bimbo" Rasym in die Truppe eingestiegen, der handwerklich wie ein Brandbeschleuniger wirkte. Dieses Album ist ein Dokument dieser "wilden" Zeit voller Harmonie und guter Ideen und gleichzeitig das wohl lauteste Album der PUHDYS.

Was diese Band immer hatte, war ein den Zeitgeist betreffend gutes Näschen. In den 70ern lehnte man sich vom Sound her gern mal an die international erfolgreichen Kollegen von Slade oder BeeGees an, in den 80ern zeigte man der Welt, dass der Charme der Neuen Deutschen Welle auch aus östlicher Windrichtung wehen konnte und New Wave nicht nur was für junge Musikanten aus UK war, und in den 90ern tastete man sich an gängige Sounds aus Schlager und Pop heran. Jedoch tat man das nie, ohne das typisch eigene PUHDYS-Gewürz in die Musik einzustreuen. Egal, in welche Räucherkammer man sein Hemd auch hing, es roch anschließend immer noch deutlich nach der Berliner Kapelle um Maschine & Quaster.

So war es auch wirklich nicht verwunderlich, dass man sich Ende der 90er dort umsah, wo Erfolge gefeiert wurden. Man suchte wieder nach Inspirationen für eigene neue Lieder. Gleich bei den ersten Takten der neuen CD wurde man als Hörer den Eindruck nicht los, statt einer PUHDYS-CD aus Versehen eine der Kollegen von RAMMSTEIN in den Player gelegt zu haben. Industrial-Sound und dieser für die Brachialrocker um Till Lindemann bekannte Klang in der Musik wehen einem beim Opener "Wilder Frieden" um die Ohren. Das muss es auch, denn die Musik passt zum Inhalt. Hier geht es - wie schon erwähnt - um die Rücksichtslosigkeit in der Gesellschaft, um Ellbogen-Mentalität und purem Egoismus. Statt eines röhrenden und rollenden Till-Lindemann-Timbres hallt zu brettharten Gitarren, wummerndem Bass und hämmerndem Schlagzeug die wesentlich heller klingende von Maschine. Das war damals schon ein Klopper und wirkt auch heute noch knackig. Wer den Lindemann dort vermisste, wurde drei Songs weiter in "Meine Wut will nicht sterben" bedient, denn zumindest auf der Erstauflage dieser CD und der limitierten Edition im Digipak ist der RAMMSTEIN-Frontmann im Duett mit Maschine noch zu hören. Aus rechtlichen Gründen wurde das Gezwitscher von Lindemann kurz darauf aber "wegradiert" und alle nun folgenden CD-Versionen dieses Albums mit der bereinigten Fassung in den Handel gebracht. Wohl dem, der eine der ersten CDs ergattert hat, denn der hat nun ein gesuchtes und schon recht teures Exemplar im Schrank. Mehr noch: Er hat eine großartige Version des Songs griffbereit, der durch das Dazutun des Gast-Sängers für mehr Tiefe sorgt und der Nummer insgesamt noch einen kultigen Anstrich verleiht, besonders in dem Moment, in dem Lindemann im Text das R von Rammstein so herrlich rollt.

Auch wenn es auf dem Album weiter scheppert und rappelt, hat es sich bei diesen zwei Nummern dann aber mit dem "RAMMSTEIN-Soundalike-Contest", denn schon beim an zweiter Stelle platzierten "Ich bin der liebe Gott" hört sich der eingeschlagene Weg schon nicht mehr so "industriell" an. Meyers Keyboard-Spiel und die laut in den Vordergrund gerückten E-Gitarren der Herren Birr und Hertrampf sind hier dann die Hauptdarsteller in einem Song über den Kapitalismus. Mit einer Ballade fasst die Band im Song "Normales Glück" das Thema Fremdenfeindlichkeit an. "Leben ist nicht schwer, wenn der Hass nicht wär'", heißt es im Refrain und so, wie die Band es umgesetzt hat, ist aus einer Mahnung ein Song mit Mitsinggarantie bei Konzerten geworden.
Eine Garantie zum Schunkeln hat der Titel "Eine Frage der Ansicht" mit seinen griechisch anmutenden Bouzouki-Klängen und einem Text zum Schenkelklopfen eingebaut. Ein wenig volkstümlich kommt die Nummer um die Ecke, aber ohne diesen klebrigen Kitsch, den artverwandte Produktionen so penetrant an sich haben. Dafür eher kultig und zu den PUHDYS passend.
Der Zeitgeist wurde schon erwähnt und findet sich auch in "Hip Hip Hurra" wieder. Techno-Sound und wummernder Bass mit BPM (Bass Per Minute) in dreistelliger Höhe katapultierten die PUHDYS in die Disko-Rotation und somit voll in die 90er. So schnell wie einem die Beats um die Ohren gehauen werden, rattert Maschine hier im Text die "deutschen Errungenschaften" und Highlights unserer Geschichte in einer Art Sprechgesang runter um das Ganze im Refrain mit einem "Hip Hip Hurra"-Gesang zu feiern. Dabei kann man nur schwer ruhig bleiben und in der Form können auch Techno-Klänge appetitlich sein.
Es folgt außerdem der Besuch von Mario Adorf bei den PUHDYS, denn mit der Live-Version von "Gigolo", das wenige Jahre zuvor noch von Maschine gesungen auf einem anderen Album zu hören war, befindet sich der Ausflug des großen deutschen Mimen in das Gesangsfach auch auf dieser CD. Und im Gegensatz zu Lindemann musste er nicht wieder entfernt werden.
Dann wäre da noch die Hymne, die ihre Aktualität in nur wenigen Wochen wieder verlor: "Auf ins neue Jahrtausend". Fanfaren aus dem Keyboard und ein Gänsehaut-verursachender Chorgesang verkünden das Millenium, den Jahrtausendwechsel. Wünsche, Hoffnungen und Ausblicke in die bevorstehende und neue Zeit, die mit dem 1. Januar 2000 beginnen sollte. Ein Song, der Silvester 1999 Hymne für einen Tag war und dann - schon am nächsten Tag - inhaltlich keinen Sinn mehr ergab. Schade, denn vom Arrangement ist es ein klasse Song, der heute noch die gleichen Reaktionen erzeugt wie damals … kurz vor dem Jahrtausendwechsel.

Es sind noch viele Songs mehr auf der CD, die man alle erwähnen könnte. Aber irgendwo muss man auch einen Schlussstrich ziehen, um es nicht ausufern zu lassen. Fakt ist aber, dass "Wilder Frieden" eines der besten PUHDYS-Alben ist und das auch heute nichts von seinem Reiz verloren hat. Es herrscht die pure Abwechslung an Inhalten und ausgewählten Verpackungen. Die fünf Berliner waren scheinbar gut aufgelegt und voller guter Ideen, denn die CD zeigt die Band wirklich in einem "wilden Frieden".
(Christian Reder)





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