André Herzberg hatte einfach nur Pech... Als diese CD 1994 erschien, lag die Deutsche Musik nach wie vor am Boden, und ein tolles Album wie seine Debüt-Solo-LP war bereits drei Jahre zuvor mehr oder weniger untergegangen, obwohl sie, ein paar Jahre früher veröffentlicht, sicher sämtliche Hitparaden erklommen hätte. Trotz dieser schlechten Voraussetzungen auf dem Markt erschien "Tohuwabohu". Ein Album, das vor Lebensernergie und Leichtigkeit nur so sprüht. Wer Herzberg kennt (schon bei Pankow) weiß, dass die Inhalte seiner Titel immer eine Aussage haben, die er so verpackt, dass man gut zuhören und zwischen den Zeilen lesen muss, die dann aber doch punktgenau sitzen. Herzberg hat musikalisch nie zwei Mal auf denselben Nagel gehauen, sondern für jede neue Platte eine neue Stimmung eingefangen, neue Ideen verarbeitet und neue Einflüsse eingebracht. Auch bei "Tohuwabohu", das für meinen Geschmack das stärkste seiner Soloalben ist. Wirklich nicht nachzuvollziehen, warum ein so reifes und facettenreiches Album so unbeachtet bleiben konnte.
Warum also ist diese Platte bei den "Klassikern" gelandet, wenn sie doch keinen kommerziellen Erfolg verbuchen konnte? Ganz einfach: Weil sie rundum gelungen ist und nicht einen einzigen Fehltrack enthält. Herzberg-Fans werden mir ebenso zustimmen, wie die Leute, die das Album (möglicherweise aufgrund dieser Besprechung) zum ersten Mal hören werden, dass es sehr wohl zu den Klassikern gehört. Es war eine Mischung aus der damaligen Zeit und der fehlenden Unterstützung durch die Medien, die einen richtig großen Erfolg verhindert hat. Die Musiker im eigenen Land waren noch nicht wieder so angesagt, dass auf sie geachtet wurde; das kam nur kurze Zeit später erst wieder so richtig in die Gänge. An der Qualität dieses Albums hat es ganz sicher nicht gelegen, dass es die Charts nicht erklomm. Das erste Solo-Werk kam etwas zu spät, das zweite etwas zu früh... Aber eine Diskussion darüber, was gewesen wäre, wenn "dies" oder "das" anders gelaufen wäre, ist jetzt Makulatur. Geblieben ist ein tolles Album...
Im Ganzen betrachtet ist "Tohuwabohu" gute handgemachte Musik und durchweg appetitliche Kost für die Ohren. Flotte Rocksongs am Stück mit den unterschiedlichsten musikalischen Einflüssen, kraftvolle und bedeutende Texte mit teilweise beißender Ironie, Songs mit ernsthaften Anliegen. Zwischen Rocksongs der Extraklasse findet man auch ruhige Balladen mit Tiefgang ("Geh ich oder bleib ich") und eine Art Liebeslied ohne Happy End ("Du hast es nicht bemerkt"). Herzbergs zweites Soloalbum ist ein wunderbar, leichtfüßiger und anspruchsvoller Strauß "bunter Melodien", den man sich auf jeden Fall zu Gemüte führen sollte. Es ist eine Auszeit für die Seele, eine Aufforderung zum Mitdenken, eine Einladung zu einer Reise ins Herzbergland... Musik ist immer eine Frage des Geschmacks, aber wer dieser CD eine Chance gibt, wird davon vielleicht ebenso überzeugt sein wie ich es bin. Unter Mitwirkung zahlreicher anderer Künstler hat Herzberg "Tohuwabohu" 1993 im Farmlandstudio Quadenschönfeld aufgenommen. Mit im Studio waren neben seinem langjährigen Weggefährten und jetztigen Pankow-Mitglied, Kulle Dziuk, u.a. auch Tino Standhaft, Robert Gläser, Matthias Lauschus und Jens Jensen.
Meine persönlichen Highlights, die auch nach 13 Jahren hier regelmäßig noch laufen, sind "Du hast es nicht bemerkt", "Jeder gegen jeden" und "Mit'm Wind". Eine Veröffentlichung, die so manch' neues Album namhafter und etablierter Künstler auch heute noch um Längen in den Schatten stellt. Titel, die immer noch akutell sind, und ein Sound der ebenfalls zeitlos ist... Leider gibt es die CD nicht mehr im Handel zu kaufen. Schade!
(Christian Reder)
VÖ: 1994; Label: K&P Musik / BMG; Titel: Mach das Licht aus · Ich bin in deiner Hand · Zufall · du hast es nicht bemerkt · Mit'm Wind · Nichts bleibt wie es ist · Jeder gegen jeden · Es wird Winter · Geh ich oder bleib ich · Alles wegen Dir · Tohuwabohu; Bemerkung: Auf CD im Moment NICHT mehr erhältlich; Musiker: André Herzberg (voc) · Tino Standhaft (g) · Kulle Dziuk (org, key) · Jens Jensen (g) · Ralf Bostelmann-Böhme (key) · Robert Gläser (bg) · Matthias Lauschus (perc) · & Gäste
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André Herzberg zu "Tohuwabohu":
Wilde Zeit des Ausprobierens, ich hatte in kurzer Zeit mit sehr vielen Musikern gearbeitet. Emotional schwierig, aber künstlerisch sehr ergiebig. Die Band bestand aus lauter Gegensätzen. Den Schlagzeuger und Bassisten hatte ich in einem Berliner Club spielen gesehen, zwei junge Kerle, die im Stil der Red Hot Chilly Peppers wunderbar zusammen arbeiteten. Der Gitarrist, ein Romantiker der amerikanischen Rockmusik, ein Karl May aus Leipzig, der junge Kulle Dziuk aus Moers, der eben in die Hauptstadt gekommen war, um professionell Musik zu machen.
Das Studio war mir bekannt aus „Aufruhr“ Zeiten mit PANKOW. Ich habe die Songs reingeworfen und die Meute stürzte sich drauf. Dazu kamen bei zwei Liedern die Musiker von Klezmatics, Weltmusik trifft deutschen Rock – am besten hört man es bei - "Nichts bleibt wie es ist" - im outro.
Der Produzent Böhme, mit dem ich schon bei "André Herzberg", meinem ersten Soloalbum gearbeitet habe. "Du hast es nicht bemerkt" wurde drei Wochen wild vom Radio gespielt, "Mach das Licht aus" von einer Schweizer Band gecovert. Kurze Zeit später, nach einer Phase Theater, habe ich mich bald wieder mit PANKOW zusammen getan, ein neues Kapitel: Am Rande vom Wahnsinn.
Zu den Liedern:
• "Mach das Licht aus" – meine Beziehung war gerade im Kaputtgehen, ein lustiger Abgesang
• "Ich bin in Deiner Hand" – auch von dieser Beziehung diktiert, war eine große Liebe
• "Zufall" – Eine Stelle ist aus einem Chaplin Film geklaut
• "Du hast es nicht bemerkt" – Ich wollte mal einen richtigen Popsong schreiben, das Riff ist von Tino
• "Mit´m Wind" – Abgesang auf Leute aus der DDR, meiner Generation
• "Nichts bleibt wie es ist" – Auf das Outro bin ich stolz
• "Jeder gegen jeden" – Das Riff ist von Kulle, der Text ist mir auf der Straße bei mir um die Ecke gekommen
• "Es wird Winter" – Hatte nur den Refrain, den Text hat meine damalige Freundin mitgeschrieben
• "Geh ich oder bleib ich" – Lied für dunkle Stunden
• "Alles wegen Dir" – Popsong Nummer 2
• "Tohuwabohu" – Herzberg´s Versuch einen R&B Song zu schreiben