Es stellt sich einem unweigerlich die Frage, was passiert wäre, wenn IC diese Platte 1987 in einem bereits vereinten Deutschland herausgebracht hätte. Weniger, was den Erfolg betrifft, denn erfolgreich wäre sie gesamtdeutsch mit Sicherheit gewesen... viel mehr würde mich interessieren, wie oft sein Bild auf den Titelseiten der Bravo zu sehen gewesen wäre, welche Titel wie lange auf welchen Plätzen der Charts gelandet wären und welchen Status IC daraus resultierend heute hätte.
Die Musik auf der LP war damals zeitgemäß, der Interpret im richtigen Alter und in seinem Erscheinungsbild ein richtiger Paradiesvogel. Viele Gründe, die für einen großen Erfolg sprächen, und diese Vermutungen untermauerten.
"Traumarchiv" bietet all das, womit Künstler wie Camouflage, Depeche Mode oder die Musiker der Italo Disco-Szene zu dieser Zeit erfolgreich waren: Toller Elektro- bzw. Synthiepop. Mit charmanter Elektronik und appettitlich angerichteten Texten zählte "Traumarchiv" sicherlich zu den positiven Überraschungen des DDR-Popjahres 1987. Auch wenn man hier und da Anleihen oben genannter Bands raushören kann, stellen die Songs allesamt etwas Eigenständiges dar. Verarbeiten von Einflüssen: Ja. Lust- und einfallsloses Kopieren: Nein!
Die LP startet mit einem 1:53 Minuten langen Opener. Künstliche Drums, künstlicher Bass, eine gesampelte Stimme, die ständig "IC" aufsagt und ein inzwischen antiquierter Keyboard-Sound. Man darf das Intro wohl zurecht als einzige Schwachstelle dieser Langrille bezeichnen und gerne mal weiter skippen (falls es eine CD ist) oder die Nadel auf Lied 2 weitersetzen (für den Fall, dass man noch eine Platte auf dem Teller hat). Denn ab "Wunderland", dem zweiten und wohl bekanntesten Titel dieses Albums, geht's wirklich los. Die Nummer lädt zum Disco-Fox ein, ein tauglicher Titel für die Paartanz-Runde. Er hat alles, was man sich von einem gelungenen Pop-Song wünscht: Aussagekraft, eine charakteristische Melodie, die den Wiedererkennungswert von "Wunderland" ausmacht, so dass es quasi am Ohr „hängenbleibt“, und einen eigenständigen Charakter, der die Single nicht schon nach zweimaligem Hören langweilig werden läßt.
"Kälter als Eis" erscheint heute nicht mehr so frisch, wie es das 1987 sicher gewesen ist. Dennoch hat der Song Charme, den man ihm nicht absprechen kann.
"Mann im Mond" hat etwas Mystisches... der synthetische Sound zu IC's elektronisch verzerrter Stimme im Refrain paßt wie die besagte Faust auf's Auge. Aus heutiger Sicht mag der Text naiv klingen, er paßte aber sehr gut in die 80er, in denen sich nicht wenige Musiker in ihren Songs für Frieden zwischen den Menschen eingesetzt haben. Ein Anliegen, das damals noch auf eine andere Art ausgeübt wurde - inzwischen hat sich das weiterentwickelt. Trotzdem ein toller Song, ebenfalls mit Ohrwurm-Charakter.
Der Titeltrack "Traumarchiv", wabert ebenso wie "Mann im Mond" mit mystischen Klängen aus den Boxen. Zwar hat er in den 20 Jahren inzwischen etwas an Patina angesetzt, ist jedoch nach wie vor einer der besseren Vertreter des 80er Synthie-Pop.
Bei "Janine" kann man den Einfluss von Depeche Mode wirklich nicht überhören. Hier hat IC Elemente der Briten in seinen Song eingebaut, ohne eine Kopie abzuliefern. Eine der härteren Nummern auf "Traumarchiv", und trotz Anleihen keine Coverversion. Als krasser Gegensatz zum lauten Vorgänger folgt dann die ruhigste Nummer auf der LP: "Mensch". Der Song wird nur von IC's Stimme und einem E-Piano getragen. Wie bei "Mann im Mond" wird auch hier der Wunsch nach einer besseren Welt geäußert. Anders, sensibel und einfühlsam.
Erwähnt sei noch der Titel "Aber wann". Ein elektronisches Liebeslied, dessen Refrain eine Gänsehaut-Garantie mitbringt.
Die LP wird von "Go Rock" abgeschlossen, einem reinen Instrumentalstück im New-Wave-Sound mit künstlichen Drums und Bass.
Zugegeben, man kann "Traumarchiv" nicht zeitlos nennen, denn so gut wie die einzelnen Titel des Albums auch sein mögen, der Zahn der Zeit hat erheblich daran geknabbert. Trotzdem ist es ein wunderbares und typisches 80er-Jahre-Album... Pop, New Wave und Elektronik in einem. Nichts für die Rocker unter uns, aber für Synthie-Fans eine wahre Perle, dessen Ohrwürmer auch heute noch bekannt und beliebt sind. Ein Zeitdokument, das man zumindest einmal gehört haben sollte.
Ohne Kopierschutz und andere Verhütungsmittel hat sich dieses Album damals am Markt durchgesetzt, auch wenn man das mit heute kaum vergleichen kann, denn es war eine andere Zeit und es ist eine andere Musik. Eine Zeit, in der man nicht mittels Dauerbeschallung ("Wir dudeln den schlimmsten Kram so lange, bis der Konsument es einfach kaufen muss") oder penetranter Anbiederei des Künstlers dazu genötigt wurde, die Platte zu kaufen. Damals sprach noch die Musik für sich selbst. Eine andere Musik, denn sowas wird heute nicht mehr gemacht - Abwechslung auf Elektro-Pop-Alben muss man heuer lange suchen. Fast alle klingen inzwischen gleich. Hier jedoch findet man noch die Abwechslung, den Tiefgang und die Qualität, die man bei heutigen Wohnzimmer-Produktionen mit der Lupe suchen muss.
(Christian Reder)
VÖ: 1987; Label: AMIGA; Titel: IC · Wunderland · Niemals · Kälter als Eis · Mann im Mond · Eintritt frei · Traumarchiv · Janine · Mensch · Weit weit · Aber wann · Go Rock Bemerkung: Auch auf CD erhältlich (erschienen bei Mollwerk / Buschfunk Musiker: IC Falkenberg (voc, key, prog) · Lothar "Paul" Krämer (key) · Peter "Bimbo" Rasym (bg)
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