Internetseiten wie diese zu betreiben birgt ein Privileg: Man kann favorisierten Werken noch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen eine große Aufmerksamkeit verschaffen, was umso schöner ist, je weniger die betreffende Schallplatte ihre Spuren in der Historie hinterlassen konnte. Einem der unterbewertetsten Alben der DDRock-Geschichte wollen wir nicht zuletzt deshalb die folgenden Zeilen widmen.
"Der weite Weg" war die dritte Scheibe der Stern Combo Meißen und zeigt sie, soviel sei vorweggenommen, auf dem Höhepunkt ihrer damaligen kreativen Möglichkeiten. Das untermauert bereits der erste Song "Die Sage", der sich langsam mit einer einfachen Keyboard-Melodie aus dem Nichts aufbaut, um dann mit einem "Knall" in voller Blüte zu erstrahlen. Tasten-Arrangements dieser Güteklasse gibt es (weltweit!) nicht allzu viele. Mit sonorer, eindringlicher Stimme beginnt dann Werther Lohse (der zum Zeitpunkt des Erscheinens der Platte bereits wieder bei Lift das Mikro schwang), die Geschichte vom bösen Ritter zu erzählen, die sich nach und nach steigert bis sie in großen Chorälen gipfelt, bevor sie abrupt in einen leiseren instrumentalen Teil übergeht (vergleichbar mit dem im selben Jahr erschienenen "Albatros" von Karat), der dann seinerseits wieder anschwillt und das Fazit der Geschichte einläutet, das sich später in einem a-capella-Chor mit begleitender Marschtrommel verliert. So werden Kunstwerke geschaffen!
Das zweite Stück "Gib mir was du geben kannst" kommt etwas weniger episch daher, ohne den künstlerischen Anspruch zu verleugnen, den die Gruppe sich auf die Fahnen geschrieben hatte. "Was bleibt", das dritte Lied, ist eine Ballade, die ein bißchen nach dem Stil der Gruppe Lift klingt und ursprünglich auch für Werther Lohses Stimme geschrieben worden war. Mit "Der Motor" folgt ein beschwingtes Stück "mit Botschaft", das hörbar auf die Tanzböden der Republik zugeschnitten war. Auch nicht schlecht, wenngleich es ein bißchen deplaziert wirkt.
Damit war die erste Seite der Schallplatte vorbei und wir erinnern uns noch lebhaft, wie wir sie zum ersten mal nichtsahnend wendeten. Was wir dann hörten, sollte unser Leben für immer verändern. Leise, ganz leise tasten sich die Eingangs-Figuren zu "Der Frühling" heran, bevor das bekannte Vivaldi-Werk in neuem, modernen Glanze erstrahlt. Die Rafinesse, mit der Thomas Kurzhals diesem, schon im Original nicht gerade faden, Musikstück neues Leben einhauchte, ist geradezu sensationell zu nennen und hat bis heute nichts, aber auch gar nichts an Wirkung eingebüßt! Dagegen nimmt sich der abschließende Titelsong geradezu bescheiden aus, obwohl er für sich gesehen ein ebensogroßes Kunstwerk darstellt, wie es der Opener der Platte "Die Sage" ist. In bedeutungsschwangeren, philosophischen Versen werden der Sinn des Lebens und das Selbstverständnis des Menschen analysiert und mit ausgefeilten Arrangements in eine ergreifende musikalische Form eingebettet. Hätte man die beiden Stücke der B-Seite getauscht, wäre das Album perfekt gewesen - so bleibt ein winzig kleiner Hauch eines Makels haften.
Dennoch bleibt als Fazit nur, den Hut ganz tief zu ziehen und der Band Respekt zu zollen für das Geschaffene. Nie hat es das Gütesiegel "Artrock made in GDR" zu größerer Vollkommenheit gebracht! (kf)
VÖ: 1979; Label: AMIGA; Titel: Die Sage · Gib mir was du geben kannst · Was bleibt · Der Motor · Der Frühling · Der weite Weg; Bemerkung: Auch auf CD erhältlich; Musiker: Martin Schreier (dr, perc) · Thomas Kurzhals (keyb) · Norbert Jäger (keyb, perc, voc) · Reinhard Fißler (voc) · Lothar Kramer (keyb) · Werther Lohse (voc) · Bernd Fiedler (bass) · Michael Behm (dr, voc)
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Thomas Kurzhals zu "Der weite Weg": War schon witzig damals im Winter 1979 in Meißen: Ein Teil der Platte wurde im Ü-Wagen vom Rundfunk produziert. Der stand vor der Gaststätte "Hamburger Hof". Bei "Die Sage" habe ich eines meiner gelungensten Soli gespielt, und das direkt im Ü-Wagen auf engsten Raum. Unten befand sich der Polymoog und darüber der Minimoog. Dieses Solo (oder auch Chorus) ist quasi aus dem Stehgreif enstanden, innerhalb einer Minute. Quasi ran an die Keyboards und dann los ...