Einmal Ostsee und zurück - Unterwegs mit Christian Haase (Teil 5)
(Ein Porträt. Ein Erlebnis. Viele Begegnungen.)

 

Bericht: Andreas Hähle
Fotos: Patricia Heidrich

 


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Wein im Gemeindehaus oder Bruno kann nicht schlachten
Das Konzert in der Freien Schule in Rerik am Nachmittag sollte nicht das Einzige bleiben an diesem Tag. Ich weiß nicht, wie viele Konzerte Christian Haase inzwischen bereits gegeben hat. Es mag sein, er weiß es selber nicht. Immerhin ist er in diesem Jahr bereits das 15. Jahr auf der Bühne zu erleben, wenn die Anfänge sicherlich auch ganz anders aussahen als seine Konzerte heute aussehen. An einige seiner frühen Auftritte kann ich mich noch recht gut erinnern, wenn es auch nicht die frühesten waren. Da machte in Gera ein junger Mann mit langen Haaren, der aussah wie das Klischeebild eines Gymnasiasten, gemeinsam mit einem Keyboarder ganz interessante Lieder und trug sie auf eine mich mehr und mehr sehr interessierende Weise vor. Zwischenzeitlich wollte er sich darin betätigen, einige eigene Prosawerke vorzulesen, was ihm deshalb nicht ganz gelang, weil ihm ständig die Manuskriptzettel herunter fielen und durcheinander kamen. Das war meine erste Begegnung mit Christian Haase und ich fand es merkwürdig. Mich hatte seine Art zu singen sehr fasziniert, mich verunsicherte seine Unsicherheit, weil sie mit einer sehr gezielten Rhetorik einherging, die eine unglaubliche Eloquenz in sich barg. Was mich alles recht verwirrte, denn ich stieg auch einfach nicht dahinter, ob seine Ungeschicklichkeit eine absichtliche Schauspielerei war oder echt. Vielleicht wird er mal ein richtig toller Liedermacher, dachte ich damals. Vielleicht, stritt ich mit mir, wird er aber auch mal ein Komiker. Otto hatte ja auch mal ungefähr so angefangen. Doch Haase wurde Liedermacher, wurde Rocksänger und ist heute durchaus in der Lage, die Säle zu rocken.

Und er hatte sich dies in all den Jahren konsequent angeeignet. Manches scheint ihm angeboren zu sein und ist ihm wohl auch in die Wiege gelegt. Doch was nützen die schönsten Gaben, wenn man nichts draus macht. Christian Haase hatte sie und machte etwas draus. 1994 gründete er seine erste Band "The Colured Carrots", Gitarrenunterricht nahm er seit seinem achten Lebensjahr. 1999 absolvierte er die ersten Solokonzerte. 2002 veröffentlichte er seine erste EP "feen & wölfe", das Album "Bleiben" erschien 2004 und katapultierte ihn, wie die Leipziger Volkszeitung schrieb, "in die Oberliga der deutschen Liedermacher". Kein Wunder also, dass sich seine Vita seitdem ein wenig veränderte. 2005 wird Christian Haase anlässlich des Gedenk-Konzertes für Fränky Hille von "Silly" begleitet, 2006 folgte der erste Fernsehauftritt im ZDF und die CD "zwöfeinhalb", welche die Zeitschrift "melodie & rhythmus" zur CD des Jahres vorschlägt. 2007 formierte sich seine Band neu und Tina Powileit und René Schostak zählen seitdem zu den ständigen musikalischen Mitstreitern. Nun ist er 28 und am Anfang eines interessanten Weges. Obwohl er schon eine ungeheure Wegstrecke zurückgelegt hat, um diese Bedingungen für sich als Grundlage einer sehr viel spannendes an Musik und Persönlichkeit mit sich bringenden Karriere zu schaffen. Karriere mag zwar mittlerweile ein recht anrüchiges und auch inflationäres Wort sein, aber irgendwie erscheint es mir in diesem Falle weder anrüchig noch inflationär. 2008 erschien seine CD "Nimmersatt" und er wird sein Schaffen fortsetzen mit seiner 5. CD, welche noch in diesem Jahr erscheinen wird. Nebenher betätigte er sich auch sehr erfolgreich als Schauspieler, derzeit zu erleben mit dem Stück "Faust - Was für eine Tragödie", eine Eigenproduktion (siehe Interview mit Christian Haase auf www.deutsche-mugge.de). Und wir können wohl auch gespannt sein, was uns Haase noch künftig aus dieser künstlerischen Facette des Schauspiels hervorzaubern wird.

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In Rerik, am Gemeindehaus, erschien er aber nicht wie ein Zauberer. Sondern einfach nur eben wie ein interessierter Künstler, der seine abendliche Auftrittsstätte begutachtet und Überlegungen anstellt, wie er sich optimal für Klang und Publikum im kleinen Saal mit Flügel platzieren könnte. Unter beratender und tatkräftiger Mithilfe von der dort zuständigen Pfarrerin, Frau Siebert, und dem ebenfalls dort zuständigen Kurdirektor, Robert Dietrich. Es sollte ja ein schönes Konzert werden und alle sollten ausreichend zu hören und zu sehen bekommen. Frau Siebert schätzte die Anzahl der zu erwartenden Konzertgänger auf ca. 30, was für Rerik sehr viel bedeutet und seltsamerweise, so viel vorweg, sollte sie tatsächlich Recht behalte, so circa. Prinzipiell konnte also nach dieser kleinen Stippvisite nichts mehr schief gehen, selbst für ausreichend Wein im Gemeindehaus würde gesorgt sein, witzelte Frau Siebert süffisant. Der Abend war angedacht, der spätere Nachmittag konnte folgen und den verbrachten wir bei Bruno Blank.

Bruno Blank ist eine sehr interessante Persönlichkeit. Er ist sowohl Künstler als auch Bauer. Wer nach Rerik kommt, der sollte tatsächlich mal einen kleinen Abstecher auf seinen Kunsthof wagen. Man wird auf diesem eine seltsame Begegnung haben mit einer Mischung aus Bauernhof und Skulpturenpark. Im Grunde ist es aber mehr als "nur" ein Skulpturenpark, es ist die Möglichkeit in eine Welt zwischen Natur und Menschgemachtem einzutauchen, witzig-skurilles vor allem wird man entdecken und vielleicht, wenn man sich ganz tief dort hinein begibt, sich selbst. Als Patti, Christian Haase und ich dort spazieren gingen, vergaßen wir die Zeit. Wir plauderten, philosophierten, träumten, lachten, trauerten … und begutachteten, schweigend fast, die Kühe am Hang, vertieften uns fast andächtig in ihre Augen und in die Überlegung, wie weit denn ihr Auslauf auf der Weide reiche. Sie reichte weiter, wenn auch nicht sehr viel, als wir sehen konnten, wie wir später erfahren haben. Vorbei gingen wir an seltsamen Monumenten, quer durch Matsch und Schnee und über ein frühlingshaft-frech silbriges Bächlein, bis das Handy klingelte und einer der beiden anderen, René oder André, uns fragte, wo wir denn blieben. Bruno würde schon mit dem Kaffee auf uns warten.

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Lange ließen wir uns nicht bitten, wenn wir auch schlenderten hin zu Brunos Haus, was gar nicht anders möglich war in dieser Landschaft und zwischen den Skulpturen. Im Haus erzählte uns Bruno so einiges über sich und über sein Leben. Man könnte allein mit diesen Erzählungen in einer relativ kurzen Zeit ganze Seiten voll schreiben und es würde immer noch nicht genug sein und es würde immer noch kein Ende nehmen. Aber etwas möchte ich doch wiedergeben, weil es uns in ganz besonderem Maße auffiel: Bruno kann nicht schlachten. Obwohl er bereits als Kind Schlachtungen beiwohnte und als Bauer sicherlich über genügend Erfahrung und Geschick verfügen wird, um ein Schaf, ein Schwein, eine Kuh oder welches Tier auch immer gemeint sein muss, schlachten zu können. Bruno kann das nicht, er bringt es nicht über das Herz. Dass auch seine Tiere geschlachtet werden müssen, das lässt sich nun mal nicht vermeiden. Also bringt er sie woanders hin, zu jemandem, dem er darin vertraut, die Tiere "artgerecht", wie er es bezeichnete, zu schlachten. Dabei erzählte er auch, dass sich die Tiere selber aussuchen würden, ob sie diejenigen sind, die unters Messer geraten sollten oder nicht. Wie Bruno das feststellt ist ganz unterschiedlich, aber auch ganz besonders. Und Bruno ist ja auch Bildhauer, Künstler. Und so beichtete er ebenfalls, dass er nicht wirklich in der Lage ist, ein Werk von sich zu veräußern. Als Beispiel führte er das Erlebnis einer Ausstellung in Barcelona an, die er einmal machte. Bei dieser Gelegenheit ergab es sich, dass eine Engländerin ganz erpicht auf eines seiner Werke war und Bruno lud sie für den nächsten Tag zum Verkauf dieses Werkes an sie ein. Noch am selben Abend packte er alles zusammen und verschwand vorzeitig aus Barcelona, denn er konnte und wollte dieses Werk nicht verkaufen. Später ging es dann durch ein kleines Missgeschick entzwei. Auch eine Art Botschaft vermutlich, wie Bruno meinte, der nicht schlachten und nicht verkaufen.

Wir fanden es sehr schade, Bruno und seinen Hof nach einer Weile wieder verlassen zu müssen. Wir fühlten uns sehr wohl bei ihm. Und hoffen, er sich mit uns auch. Allerdings ließ er uns nicht gehen, ohne uns sein neuestes Projekt zu zeigen. Eine Scheune, die auch eine Art Kunstprojekt werden soll. Und das nicht nur im optischen Sinne. Er wünscht sich darin auch ab und zu mal schöne Konzerte. Es ist ja möglich, dass eines Tages Christian Haase dort spielen wird, vielleicht solo, vielleicht mit Band. Ich glaube, Lust dazu würde er haben. Ganz am Schluss des Besuches wollten wir noch wissen, woher Bruno die vielen Telefonzellen hat, die er zu Skulpturen umarbeitete. Er antworte lächelnd und lapidar. "Die hab ich von der Telekom bekommen, zur Erbpacht." So ist er, der Bruno.

Und wir machten uns auf den Weg zurück, denn schon wollte es allmählich Abend werden und etwas zu essen wollten wir ja auch noch kaufen, bevor das Konzert im Gemeindehaus Rerik begann.

Fortsetzung folgt! Demnächst: Flugtage

 


 

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