Haase & Die besseren Zeiten am 25.4.2009
im Berliner "Neuhelgoland"
Fotos: Juliane Schein, Patricia Heidrich, Karl Pfannenschmidt
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PICKNICK MIT HAASENBRATEN
ODER:
DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI - ES KOMMEN DIE BESSEREN ZEITEN
Bei "bessere Zeiten" fällt mir zuallererst "The times are changing" von Bob Dylan ein, auch die deutsche Adaption von der Engerling-Blues-Band "Es kommen andere Zeiten". Von den Puhdys gibt es auch so einen Titel: "Doch die Gitter schweigen". Ist zwar textlich ein anderes Thema, irgendwie, doch musikalisch grüßt der Robert Zimmermann wie die Fackel der Freiheitsstatue.
Klar werden die Zeiten immer besser. Irgendwann. Und genau auf diesen Glauben kommt es an. Wenn sich der Glaube verfestigt, wird er zu einem Wissen und wenn der Glaube erst ein Wissen ist, dann ist es quasi auch schon Realität. Man muss nur darum wissen, so als Grundlage, dass die fetten Jahre eben vorbei sind, denn sonst kämen sie ja nicht, die besseren Zeiten. Anders betrachtet kommen die besseren Zeiten immer, so als Hoffnungsbonus, egal wie gut oder schlecht die Zeiten gerade sind. Nun heißt "Haase & Band" seit einiger Zeit "Haase & Die besseren Zeiten". Und was er sich nun dabei gedacht hat, das weiß ich nicht. Aber ich werde mich in nächster Zeit bei ihm danach und auch noch nach sehr viel anderem erkundigen können, denn wir haben ein ausführliches Interview für www.deutsche-mugge.de vereinbart. Nicht nur deshalb, auch weil ich das Konzert, wie gleich zu lesen sein wird, etwas ambivalent fand und weil es an der Zeit ist, ein solches Interview mit Christian Haase zu führen und zu veröffentlichen.
Klar werden die Zeiten immer besser. So lange Zukunft möglich ist. Und einen kleinen Beitrag zu einer solchen für www.deutsche-mugge.de lässt sich immer mal leisten, so auch anlässlich des folgend beschriebenen Konzertes. Ich war diesmal nicht nur mit zwei Fotografinnen dort, mit Patti Heidrich und mit unseren neuen Mitstreiterin Juliane Schein, sondern diesmal gibt es auch Fotos von dem neunjährigen Karl, Pattis großem Sohn, denn der kleine Sohn schlief ab der Hälfte des Konzerts friedlich und zufrieden auf dem Schoß seiner Mama, die allerdings dadurch nicht fotografieren konnte. Nachwuchssorgen braucht man sich also hier wohl keineswegs zu machen.
Doch erst einmal zu einer kleinen Vorgeschichte. Christian Haase hatte eine sehr schöne Idee: Picknick vor dem Konzert am Müggelsee (wo sich das Restaurant "Neuhelgoland" befindet). Dafür durften alle Kinder (bis zu 18 Jahren) kostenfrei ins Konzert, deren Eltern zum halben Preis. Es ging (noch) nicht ganz auf. Wohl hat es sich nicht schnell genug herumgesprochen. Einige aber kamen tatsächlich, so auch wir natürlich, zum Picknick und mit Kindern. Und in einem Telefonat versicherte mir der Haase, dass er auf jeden Fall an dieser Idee festhalten möchte. Es muss sich ja halt nur mit der Zeit herumsprechen, jedoch denke ich, das wird schon. Mehr Kinder in die Konzerte und die Gelegenheit für die Eltern, gemeinsam mit ihren Partnern und Kindern in solch ein Konzert zu gehen. Das hat was. Und neue Lieder hat der Haase angekündigt, per E-Mail als Newsletter an seine Fans. Ob sie auf Familientauglichkeit getestet werden sollten, weiß ich nicht. Allerdings sind die Kinder von heute ja das Publikum von morgen.
So gut gefüllt wie bei "Renft", zu deren Konzert ich eine Woche zuvor ganz privat im "Neuhelgoland" war, war es leider nicht. Aber es war dennoch ausreichend Publikum da, um sich einen schönen Abend, ein gutes Konzert zu versprechen. Ich durfte gemeinsam mit richtig eingefleischten Haase-Fans an einem Tisch sitzen. Mal hoffend, dass sie mich bezüglich des Berichtes nicht zu sehr beeinflusst haben.
Die vierköpfige Rock-Kapelle begann mit den "Hinterhofgören". Irgendwo zwischendrin sind wir ja alle. Insofern ein treffender Text. Auch die besseren Zeiten sind irgendwo zwischendrin. Ich warte ja auf den Tag, an dem der Haase dort angekommen ist, wohin er reisen will und mag mit seinem und für sein Publikum, aber auch für sich. Mit der Schlagzeugerin Tina Powileit und dem Gitarristen René Schostak ist er sich selbst und seinem musikalischen Denken wieder ein Stück näher gekommen. Glaube ich. Es mag wohl anfangs Zufall gewesen sein, am Ende oder vielmehr während der Reise ist es ein stimmiges Prinzip. Erwähnt werden soll auch der Bassist dieses Abends, Sven Mühlbradt, der Sebastian Vogel vertrat. Er spielt ansonsten bei Jeremy Fitzkee & O'Hara und Ofrin und ist Musikschullehrer an einer Musikschule am Prenzlauer Berg.
Eine lange Reise braucht Geduld, viel Zeit eben und viele Freunde und Wegbegleiter. Und es ist besser, man ist ewig unterwegs als das man angekommen sei. Denn da wäre man fertig und vielleicht - schlimmer noch - am Ende angelangt. Also wäre mein eben erwähntes Warten auf jenen Tag doch eher etwas arg Kontraproduktives.
Aus Eitelkeits- oder anderen, vielleicht auch gegenteiligen Gründen, fühlte der Haase sich nun gemüßigt, seinen von ihm so bezeichneten Wohlstandsbauch zu besingen, nachdem er ihn dem Publikum frühlingsstolz präsentierte. "Ich hab das Leben zum Fressen gern" Macht ja nischt. Als ich so alt war wie er, sah ich komischerweise bauchbezogen auch so aus. Aber das gibt sich im Laufe des Lebens wieder. Entweder wird man dicker oder so wie ich wieder dünner (und manchmal weiß keiner, warum). Eins von beidem gilt immer. Dass Haase das Leben, und nicht nur das liebt, das spürt man in jedem seiner Songs, selbst in den traurigen. Die neuen Songs fand ich selber insgesamt etwas trauriger als die "alten". Doch mag dies ein subjektiver Eindruck sein. Haase selbst meinte, ich würde mich da täuschen. Na, schaumermal...
"Kitsch ist im Endeffekt alles, was wir hören wollen." So Haases Beitrag zur Krise. "und will doch sein wie ein mensch sein soll, wie er sein soll weiß ich nicht". Auf jeden Fall hatte er schon mal keine Schuhe an, jedoch weiß ich nicht, ob das etwas mit der eben zitierten sokratischen Epistel zu tun hat. Rio Reiser trug ja auch nie Schuhe und hat immense musikalische Psychogramme zum Menschenbild entworfen.
"Benzin im Kopf" als Tango, ein Titel mit Überhit-Qualitäten (Musikproduzenten nennen das einen "Überflieger" und sind der Meinung, dass auf jedem Album mindestens ein Titel dieser Art enthalten sein soll). Teilweise klang es wie die Melodie aus einem Western, so high-noon-artig mit dementsprechendem Spannungsbogen. Das Publikum in den hinteren Reihen, welches sich zumeist durch Reglosigkeit - abgesehen von gelegentlichen Getränkebestellungen - auszeichnete, explodierte nicht. Bei jedem Line-Dance-Wettbewerb wäre man hier in Bombenstimmung gewesen. Vielleicht fehlte das "Dynamit im Arsch", wie Tina Powileit süffisant backvocalisierte.
"Der Kapitän", ein Haase-Klassiker, wenn man bei einem solch jungen Musiker (28 Jahre) von einem Klassiker schon reden darf. Der wird uns auch nicht die besseren Zeiten bringen. Jedenfalls nicht, wenn man dem Text dieses Liedes folgt und warum sollte er es auch. Die Kapitäne kommen und gehen. Interessanterweise war Haase, egal mit welcher Bandbesetzung, für mich nie näher am Gundermann-Sound wie bei diesem Konzert. Die Arrangements macht die Band gemeinsam, so erzählte es mir der Haase, er behält sich lediglich eine Art Veto-Recht vor. Aber der "Der Kapitän" war, anders als das Benzin, der Funke, der auf das Publikum überschlug. Die Band fand ich so gut wie nie zuvor und es macht mir ein wenig Angst, das von Konzert zu Konzert immer wieder festzustellen. Wenn man übers Ankommen philosophiert, muss man natürlich auch ans Abfahren denken. Ohne Aufbruch keine Reise. Aber die "besseren Zeiten" sind schon lange auf voller Fahrt. Nur den Kapitän, den Haase selbst, fand ich an diesem Abend, zumindest eine weite Strecke lang, nicht so gut und auch nicht so mitreissend wie sonst.
"E.R.I.K.A." war auch so eine Abfahrt. Ein Mutmachtlied und immer noch kein Resümee. (www.myspace.com/armee_erika). Ich weiß, dass dieser Titel sehr häufig auf Demonstrationen gespielt wird, ohne die kleine Kürzung im Text durch den Präsidentenwechsel in den USA, die mir jedoch nicht nötig erscheint. Der Wechsel des Politstils in den USA schon. Aber ich glaube, die Erste Richtig Imposante Kriegs Armee hat noch eine Menge Aufgaben zu bewältigen und hat auch irgendwie einen stark kommuniktiven Charakter, der vielleicht noch etwas mehr genutzt werden dürfte. "Nur Fledermäuse lassen sich hängen" als deftige Rocknummer. Da geht einer - und das war es, was mich ein wenig störte, recht nahe an seine Grenzen heran. Die lassen sich mit Sicherheit erweitern, wenn dies der musikalisch eingeschlagene Weg sein soll, den ich nicht für falsch halte. Und selbstverständlich kann ich nicht wissen, ob es nur an diesem Abend so war, ob es mir nur so erschien oder ob da grundsätzlich eine kleine, aber feine und für mich nicht unüberhörbare Diskrepanz zwischen dem Drive der Band und den stimmlichen Möglichkeiten des Sängers besteht. Nicht dass Haase kein guter Sänger wäre, ich glaube das ganze Gegenteil. Aber mir erschien es so, bei diesem Titel und bei einigen anderen, als liefe ihm die Band ein wenig voraus. Ich hoffe, beim nächsten Konzert sehe ich das wieder anders. Ich wünsche es mir.
"So verlasse ich jeden Ort" (bei den neuen Titeln übernehme ich nicht die Garantie dafür, dass die zitierten Passagen auch die "offiziellen" Benennungen sind). Das ist so ein Lied, wie ein Lied eben ist und sein soll. Klavier und Gitarre. Eine Ballade, von der man denkt, dass es eine Ballade ist, obwohl sie nichts weiter erzählt als die übliche Sänger-Vagabunden-Story, die im subtilen (aber ungerechtfertigten, und dadurch nur ironisch zu interpretierendem) Lamento davon berichtet, dass man alles liebt und nirgendwo bleiben kann, weil das Herze so voll ist, dass man keine Ruhe findet. Und deshalb alles mitnehmen muss, zwangsläufig, was man kriegen kann, eben wegen des übergroßen Herzens, denn sonst bekäme man gar nichts, wenn nicht alles. Also ich glaube, ich würde auch jede attraktive weibliche Person nehmen, die bei drei nicht auf den Bäumen ist, wenn sie nicht schon alle auf den Bäumen wären, ehe ich bei drei bin. Und danach gleich, solo am Klavier, einer verlorenen Liebe nachzutrauern, kann ein dramaturgischer Gag sein oder eine leichte Unüberlegtheit. Oder es ist einfach nichts als eine ganz starke Leistung eines Sängers, sich so gekonnt mal selbst auf die Schippe zu nehmen. Und Letzteres traue ich dem Haasen durchaus zu, bin mir aber nicht sicher, ob er das wirklich so gemeint und gewollt hat. Die Trauerarbeit erfolgte melancholisch, gewürzt mit ein wenig Arroganz, nicht ganz Haase-untypisch. Irgendwie vermisste ich bisher jedoch dessen Humor. Das Publikum lauschte dem kitschigen Brei vom sich himmelwärts Lieben und applaudierte angemessen.
"Auf die See", ein mir unbekanntes Stück von "Element of Crime". Allein mit Gitarre: Christian Haase. Die Melancholie ist der Deutschen großes Glück. Aber wer will und kann das schon begreifen außer eben Element of Crime und neuerdings der Haase? Und dann kam die Pause. Mit Feuerwerk am Müggelsee. Wo Haase auftaucht, da ist Feuerwerk. Das war schon beim letzten Altenhofer Liedersommer so. Eine schöne Zufallswiederholung. Und ich sah dem Feuerwerk zu und grübelte darüber nach, was mir das nun alles bedeuten soll. Irgendwie ein Melancholiker halt, auch ich.
Nach der Pause fanden wir Tina Powileit am Keyboard wieder. Haases "Hochzeitslied" im Rock. Ohne Brautkleid. Ein wenig minimalistisch. Tina spielte Tambourin. "Ich liebe dich bloß". Aber ja, aber ja, aber ja...
"Ich werd dich finden", ein unheimlich guter Song. Da mag man gern gefunden werden, von wem auch immer, besonders in solchen blaustündigen Situationen, in welchen man sich vielleicht dann und wann selbst verloren hat. "Nimmersatt" und irgendwie begann die Party jetzt richtig zu steigen. Und das war mehr als gut so.
"Was ich dir sagen will", ein ebenso gelungener Titel. "Die besseren Zeiten stehn im Stau" und aus dem oben beschriebenem ambivalenten Gefühl heraus konnte ich das sehr gut nachvollziehen.
"Einsamer Mond" lockte nun als "alter" Haasen-Braten die Fans endgültig auf die Tanzfläche. Da war alles wieder da. "Ich mag´s im Winter, wenn es kalt ist" und ja, da tanzte selbst unsere Fotografin Juli. Schade, dass sich diese nun aufkommende Emotion so gar nicht auf den Basser zu übertragen schien. Doch das mag an der Aushilfssituation gelegen haben. Da konzentriert man sich eben auf andere Dinge.
Und plötzlich meinte ich, des Rätsels meiner Verwirrung Lösung gefunden zu haben. Haases jugendliche Naivität ist - vielleicht nicht entschwunden - einer anderen Empfindung gewichen, wie es scheint. Das Suchen eben zum Teil gewichen einem Wissen. Um die Dinge, um das Leben. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber diese Art von Gewöhnung scheint nötig. Sonst bleibt man stehen, während der Haase unverdrossen seinen Weg weiter latscht. Wenn ich Angst habe, er könnte sich verirren, habe ich ja immer noch die Möglichkeit und auch die Kraft, ihm dies zu sagen. Ob ich damit recht habe oder auch nicht, nicht immer kommt es darauf an. Aber immer darauf, Veränderungen zuzulassen, so sehr sie einen anfänglich vielleicht erschrecken. Ein bisschen ist es vielleicht wie mit meinem Sohn, über dessen Entwicklungsschübe - und es sind Schübe - ich immer wieder erschrocken war und bin. Sie verwirrten mich, aber freuten mich auch, nachdem die Verwirrung sich legte.
"Ganz egal", neu und schön gewandet, auch dies ein Zeichen hierfür. Naja, solange die besseren Zeiten nicht beim Grand Prix d´Eurovision antreten. Obwohl - warum nicht auch das? So einen happy Country Song hatten wir da ja mal schon.
Und ohne die Band und ohne Mikro das Absingen der bekannten Songs als Party. "Schnee im Mai". Und dann - wieder laut und knallig - "Lass mich bitte heute nicht alleine". Die Tanzfläche war fröhlich gefüllt. Wer nicht tanzte, wippte mit oder schaute doof drein. "Alte Schwerter", das hungrige Lied eines hungrigen Musikers. Der will es wirklich wissen, der Haase. Vielleicht etwas zu schnell, vielleicht ein wenig zu viel auf einmal. Aber das ist nicht nur das Recht der Jugend, sondern das Recht eines jeden … ganz egal, wie viel Lebensjahre er vorzuweisen hat. Etwas Angst habe ich vor textlichen Klischees und vor musikalischer Beliebigkeit. Die wird mir der Haase, das denk ich mir mal so, beim nächsten Konzert wieder nehmen. Im Moment scheint sich für mich diesbezüglich alles irgendwo in der Schwebe zu befinden. Was war, weiß ich. Was sein wird, kann ich nicht sagen. Mögen es "die besseren Zeiten" sein.
Foto Impressionen:
Fotos von Juliane Schein:
Fotos von Patti Heidrich und Karl Pfannenschmidt: