Bobo live am 19. April 2009 in Berlin und
am 21. April 2009 in Leipzig
Fotos: Juliane Schein, Frieder Krenzlin
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Bericht: Andreas Hähle (Berlin)
DAS LIEBEN DAS STERBEN DAS SEHNEN DAS ACH UND DAS WEH...
"Lieder über Liebe und Tod" am 19. April 2009 im "Admiralspalast" Berlin... Das erste Ungewöhnliche für mich an diesem Abend hatte nichts mit Bobo zu tun. Dies war der erste Abend, das erste Konzert im Auftrag von www.deutsche-mugge.de, zu dem ich nicht mit Patti gehen konnte. Im Prinzip war es schon das zweite, denn auch bei dem Dreiländertreffen der Liedermacher konnte sie nicht mitkommen, aber da war ich dann ganz ohne Foto-Hilfe dort. Zu dem Konzert von Bobos "Liedern über Liebe und Tod" begleitete mich nun eine junge Fotografin, die 18jährige Juliane Schein, die ich hiermit auch für zukünftige Aktionen bei www.deutsche-mugge.de herzlichst mit ihren Fotos empfehlen möchte (Und die seit dem 20.04. fest zur "Familie" gehört, Anm. d Red.). Für sie war dieses Konzert diesbezüglich eine Premiere, nicht als Konzert-Fotografin, aber für dieses Portal. Ich war ja ein bisschen aufgeregt. Nun, nicht wegen der Juliane. Diesmal schon wegen Bobo. Sie hat sehr viel zu tun mit Erinnerungen an alte Zeiten, die ich in mir trage. Nicht direkt. Aber einige ihrer Songs. Weil einige meiner Freunde einige Musiker von "Bobo in white wooden houses" kannten, andere die kleine Christiane Hebold irgendwie von früher aus Halle oder so und jeder mir weismachen musste, was das doch für tolle Musik sei, so lange und so oft, dass ich bereits einen kleinen Vorgeschmack auf heutige Mainstream-Radios bekam. Man spielt einem so lange gute Musik vor, bis man sie nicht mehr hören kann und bereit für einen neuen guten Song ist, durch den man sich dann bis zum Erbrechen bedudeln lässt. Ich fand die Musik von "Bobo in white wooden houses" ja auch gut, aber irgendwann empfand ich sie als viel zu oft zu gut befunden von jenen, die mir etwas Gutes gönnen wollten, so dass ich schon einen großen Horror vor dem Satz hatte: "Ich muss dir unbedingt mal was ganz Tolles vorspielen." Bis ich einmal meinte: "Lasst mich doch einfach in Ruhe mit eurem englischen Müll und kommt mir ja nicht mit Bobo, die kann ja nicht mal deutsch singen." Ist lange her.
Eines Tages hörte ich im Radio, ich glaube im Deutschlandfunk, "Die Gedanken sind frei" und war fasziniert. So fasziniert, dass ich vergaß, weiter Abendbrot zu essen. Am Ende des Liedes verriet der Moderator der Sendung, das wäre "Bobo" gewesen, genau die, die ich als nicht deutsch singen könnend bezeichnete, nur um meine Ruhe vor ihr zu haben. Diese Ruhe wollte ich plötzlich nicht mehr... Plötzlich war ich bei einem Konzertabend mit "Bobo" und es war sogar ein Wunschkonzert für mich. Dementsprechend gespannt und also auch aufgeregt war ich dann.
"Bobo" mit Sebastian Herzfeld und Anne Kaftan und Liedern über Liebe und Tod in einem kleinen Saal im Admiralspalast in der 3. Etage. Zahlreich war das Publikum. Christiane Hebold sieht aus wie früher, nur etwas älter eben. Ganz in Schwarz betrat sie die Bühne, halb Gothic-like, halb New-Romantic-Style. "Es fiel ein Reif... in der Frühlingsnacht" (Worte und Weise: Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaggio, nach einem elsässischen Volkslied). Melodramatisch, tragisch, vorgetragen mit einer filigranen Stimme, manchmal bis ins Mark gehend, so tief dringend... Sparsame Klavierbegleitung. Übrigens fand ich die Instrumentierung der schwarzen Crew das ganze Programm über sehr ungewöhnlich, wie auch viele ihrer Klänge. Da bespielte Sebastian Herzfeld (der Bass studierte an der Musikhochschule "Hanns Eisler", Berlin) ein präpariertes Klavier, auch etwas, was sich Stealplates nennt, Zither und Harmonium. Ich kannte das mit dem präparierten Klavier ja auch mal gar nicht, jedenfalls nicht so. Über die Technik kann man gut nachlesen, wenn man zum Beispiel John Cage googelt, aber das heißt ja leider noch lange nicht, etwas zu hören, was man daraus an Klängen hervorzaubern kann. Des Weiteren hatte er einige der an diesem Abend zu Gehör gebrachten Titel vertont.
Mit Kirchenorgelklang inklusive Gebläse und Pfeifenanschlag leitete Herzfeld das "Schwesterlein" (Worte und Weise: Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaggio) ein. "Wann gehen wir nach Haus". Da schimmerte gar ein feiner Hauch Erotik durch die Stimme des tanzfreudigen Schwesterleins. (Wobei ich, durch einen galanten Querverweis auf meine "Stoppok"-Rezension und die darin enthaltene Geschichte von "Romeo und Julia" gern darauf aufmerksam machen möchte, dass in dem Text auch eine Sentenz liegt, welche besagt, dass das Schwesterlein deshalb immer weiter tanzt, weil sie Angst hat, dass ihr Liebster, wenn sie denn nach Hause geht, mit einer anderen tanzen wird. Was uns bedeutet, dass Tanzen bis zur völligen Erschöpfung auch etwas damit zu tun haben könnte, aus Liebe sterben zu wollenmüssen.) Mit einem ekstatischen Schluss, wenn´s dann fein unterm Rasen sein wird (also doch gestorben sein willmuss).
Freejazzig die Einleitung fürs "Wildvögelein" (Siebenbürgisches Volkslied, bevor es erst á capella, dann auch instrumentiert liedhaft wurde. Gezielte, weil erwählte Lieder und Texte aus der deutschen Romantik wurden uns angekündigt. Romantisch war es natürlich nicht immer. Das war es in der Zeit der deutschen Romantik ja auch nicht. Ich glaub ja auch nicht, dass es bei dem Wildvögeleinliedchen um ein Wildvögeleinliedchen geht, sondern um etwas wildes... irgendwie... vielleicht... wozu man Vögelein nicht zwingen kann.
Bei "Lachen" wurde der Sebastian Herzfeld zum Schlagwerker und "Bobo" zur Tütenraschlerin. Das kannte ich, das mit den Tüten. Das mache ich bei meinem Kinderprogramm "Hinter den Kulissen" auch, um den Kindern zu erklären, wie man mit ganz einfachen Mitteln Geräusche erzeugt, in dem Fall Regen. Eine irre und passend zum Text fabulierende Bassklarinette, gespielt von der vollkommen zu Unrecht bis jetzt noch nicht von mir erwähnten Anne Kaftan (www.myspace.com/annekaftan).
Sehr nah am Freejazz und auch an experimenteller Musik, dies alles, immer mal wieder. So gesehen erhielt dieses außergewöhnliche Trio den deutschen Weltmusikpreis "Ruth" 2008 sicherlich mit jedem Rechte.
"Wisst ihr, wo ich gerne weil´" (Felix Mendelssohn Bartholdy). Mit traurig wehender Stimme, ein Herzeleid-Lied. Derartiges gab es wohl viel in der Romantik. Die stechenden Rosen eben. Allerdings nicht auf der CD zum Programm "Lieder von Liebe und Tod", jedenfalls nicht dieses Lied. Womit ich mir den kleinen dezenten Hinweis erlaube, dass es hiervon wohl eine weitere CD geben könnte. Ich denk mal, wird. Dann wohl auch mit dieser Adaption und in dieser jenem wunderschönen ins Herz gehendem Sirenengesang an deren Ende, bei dem Odysseus wohl keinerlei Wachs in den Ohren genützt hätte, um diesem Gesang nicht zu verfallen.
Nun wurde auch "Bobo" zur, wenn auch sanften, Schlagwerkerin an dicken Metallstäben, wie ein Glockenspiel an einem Ständer aufgehängt (die Metallstäbe natürlich), über die sie mit einem Bogen strich. "Todesstille" (Worte: Johann Wolfgang von Goethe, Musik: Sebastian Herzfeld). Diese Stille dann singend wie einen Choral, gemeinsam mit Sebastian Herzfeld (www.sebastian-herzfeld.de). Ängstlich, verzagt und auch bedrohlich. Ein tiefer Ton aus dem Saxophon.
Es folgten, nicht als Drohung, zwei Bach-Praeludien. Sebastian Herzfeld, wie bereits erwähnt studierter Bassist, diesmal an der Gitarre. Ich gestehe, ich fand es nicht gerade sehr schön, aber auf jeden Fall recht schräg. Sehr gewagt. Experimentierfreude eines musikalisch unglaublich Versierten. Vokalisen von "Bobo", die ein wenig Sakrales in sich trugen, bassige Rhythmen, fast orgelartig, von der Bassklarinette Anne Kaftans. Ein kleines Wunderwerk, für manche geschmackvoll. Ist ja auch ursprünglich von Bach. Bei dem nächsten Stück wusste ich nicht, wo die Reise hinführen sollte. Mal abgesehen davon, dass es ziemlich interessant war, mit Bach so umgehen zu wollen und zu können. Beschreiben kann ich es nicht. Die Reise fand in meinem Kopf statt und hatte kein Ziel und wird auch keines haben. Bravorufe und tosender Beifall! Und dann... Stille... auf der Bühne. Keine Todesstille. Keine Grabesstille. Ein kleiner Augenblick der Besinnung und der Konzentration nach der Aufführung der zwei nach Bach arrangierten Werke.
"Es waren zwei Königskinder" (vermutlich aus dem Mittelalter stammende Volksweise, unbekannte Verfasser verschiedener textlicher Variationen), eine altbekannte Klage, aber auch Sehnsucht, wie die Stimme von "Bobo" uns verriet. Ein Video im Hintergrund (Filmeinspieler liefen das ganze Programm über) ließ uns mit dem Jüngling gemeinsam ertrinken. Die Verzweiflung brachte uns die Bassklarinette nahe, den Todeskampf. Daran habe ich bisher noch nie gedacht bei diesem Lied. Fast fröhlich wirkte danach die Entscheidung der Königstochter, durch eigenes Ertrinken, gehüllt in einen Mantel, bei ihrem Königssohn vom anderen Ufer zu bleiben. So schön kann Liebe sein, wenn sie vorzeitig endet und sich daher nicht erfüllt. Man muss ja nicht gleich sterben, der Schönheit des Liebens wegen. Andererseits ging es ja in diesem Programm darum und zudem ist und bleibt diese Vorstellung auch sehr romantisch.
Ein seltsames Glockenspiel, hektisch vibrierendes Saxophon: "Es geht ein dunkle Wolk´ herein" (Weise unbekannter Schöpfer, vermutlich aus der Zeit des Dreißigjähriges Krieges). Das ach, das ach, das Scheiden … Die Melancholie dieser Art des Leidens erhielt eine interessante neue Färbung; das musikalische Spiel mit dem Thema und dem Wort "Tod" (" … und all die müden blumen / die haben müden tod …") erfuhr eine seltsam berauschende Faszination, wenn die Gesangsstimme den Inhalt zu verlieren scheint und ihm doch mehr als treu bleibt. Obwohl es ja ums Scheiden geht...
Die wollen uns da in etwas hineinziehen, in etwas herunter ziehen, dachte ich. Doch ich war schon so infiziert und fand das auch noch völlig in Ordnung. Dann sollen sie eben, ich zieh´ mit. Diesem kleinen Liedchen wurde durch das Trio eine Tiefe geschenkt und wiederum eine fast hymnische Größe, die ich ihm wohl nie zuvor zugestanden hätte.
"Die Lieb´" (Worte: Johann Wolfgang von Goethe, Musik: Sebastian Herzfeld), eine fröhlich anmutende Tanzweise nach einem Text des so genannten Dichterfürsten, in einem Tempo, in einer hinreißenden und mitreißenden Art, welche den Kitsch der Worte schnell vergessen lässt. So holten sie mich wieder herauf aus der seelischen Tiefe, in die sie mich vorher tauchten. Ich hätte es ja gar nicht gewollt, aber so erfrischend aus dem Scheidenstrauma erweckt zu werden durch die Lieb´, da kommt keinerlei Wehrhaftigkeit auf.
Da lässt man sich auch durch ein Megaphon ansingen: "Die Gedanken sind frei" (wie auch "Die Lieb´" zu hören auf: www.myspace.com/liedervonliebeundtod). Ein Lied, welches ich liebe und liebe und liebe (der Text stammt von unterschiedlichen, zum größten Teil nicht namentlich bekannten Verfassern aus den verschiedensten Jahrhunderten - u.a. Walther von der Vogelweide, Heinrich Hoffmann von Fallersleben; die Weise ist wahrscheinlich schweizerischen Ursprungs). Seit ich es kenne. Und wenn ich sage, so wollte ich es schon immer hören, ohne das vorher wirklich gewusst zu haben, wenn ich das von mir glaube, dann ist dies für mich mehr als eine Verbeugung vor dieser Version, vor dieser Art, es vorzutragen, zu spielen, zu singen … Es ist eine Verneigung und eine Dankbarkeit dafür, das vor meinem Tod noch einmal gehört und gesehen zu haben. Wie komme ich jetzt auf meinen Tod? Ach ja, die Romantik... Mit diesem Stück endete das offizielle Programm, doch das ebenso wie ich faszinierte Publikum wollte natürlich noch mehr von diesem musikalisch höhenfliegendem Tiefenrausch. "Bleib bei mir" (Worte: Johann Wolfgang von Goethe, Musik: Sebastian Herzfeld), ein wehmütiger Sehnsuchtshauch, Sehnsuchtsschrei und qualvoll orgiastische Verzückung zugleich. "Horch, was kommt von draussen rein" (badische Volksweise), ein Lied, mit welchem ich früher einmal meine pubertären Sprach-Späße trieb, hier in einer leger hingeworfenen Patzigkeit. Ich hätte ja das Trio und vor allem "Bobos" Stimme sehr gerne mal richtig aggressiv erlebt, aber das gehört vermutlich in eine andere Zeit. Also in eine vor meinem Tod natürlich. Vielleicht auf einer weiteren CD mit Liedern von Liebe und Tod.
Bei "Am Brunnen vor dem Tore" (Worte: Wilhelm Müller, Musik: Franz Schubert) passte dies wohl leider nicht. Ein wunderschönes Liedelchen und wunderschön gesungen, im Hintergrund an den von mir versuchsbeschriebenen Metallstäben stehend und spielend Sebastian Herzfeld, daneben Anne Kaftan mit ihrer Klarinette. Die Ruhe fand sich dann im Dunkeln und sie wird uns bleiben
Wanderers Nachtlied
Worte: Johann Wolfgang von Goethe, Musik: Sebastian Herzfeld
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde,
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
(und nicht wundern, es gibt von Goethe zwei Gedichte mit diesem Titel)
Vielen Dank für dieses mich bis in die tiefsten Seelenspitzen berührend habende Konzert!
Bericht: Fred Heiduk (Leipzig)
Auch ohne Fotos bleibt die Erinnerung...
"Lieder über Liebe und Tod" am 21. April 2009 im "Lindenfels Westflügel" Leipzig... Was für ein Abend! Was für ein Konzert! Bobo spielte zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit in Leipzig. Nach Bobo mit ihrer wiederbelebten Band "In White Wooden Houses", mit der sie in der Schaubühne Lindenfels gastierte, war sie am 21.04. mit ihrem Lieder Programm "LIEDER VON LIEBE UND TOD" im Lindenfels Westflügel zu Gast.
Bevor ich zum eigentlichen Konzert komme, seien einige Worte zu diesem architektonischen Kleinod und der mittlerweilen dort entstanden überaus bedeutenden Leipziger Kulturstätte gestattet. Gebaut wurde der Westflügel 1900 vom Jugendstilarchitekten Emil Franz Hänsel. Er ist ein Erweiterungsbau eines alten Ballhauses in Leipzig-Lindenau, dem späteren Lindenfels, der jetzigen Schaubühne. Der als "Gesellschaftshalle" erbaute Saal mit seinen gewaltigen Dimensionen, die Fläche misst fast 200 m² bei einer Deckenhöhe von über 8 m, diente schon bald als Produktionshalle und Lager. In dem Komplex wurden fast 100 Jahre lang Ofenrohre produziert. Trotz oder gerade wegen dieser Nutzung blieben erstaunlich viele Jugendstildetailles original erhalten. Nach der Wende stand das Gebäude lange leer, bevor es 2003 aus seinem Dornröschenschlaf wachgeküsst wurde. Seither mühen sich das Figurentheater "Wilde & Vogel" in Kooperation mit der Schaubühne und mittlerweile ein gemeinnütziger Verein dem alten Kulturtempel wieder Leben einzuhauchen. Und das nicht ganz ohne Erfolg, wie auch der heutige Abend zeigt, auf den auch das Gewandhaus stolz gewesen wäre.
Zu erleben waren Christiane Hebold, besser bekannt als BOBO (Gesang), Anne Kaftan (Bassklarinette, Sopransaxophon) und Sebastian Herzfeld (Präpariertes Klavier, Bass, Metallinstrumente, Zither). Was so unprätentiös klingt, war eines der besten Konzerte die ich überhaupt erlebt habe. Trotz einiger bedauerlicher Wermutstropfen. Zunächst war da ein unglaublich wichtiger Mensch. Der gab uns sofort zu verstehen: "Bobo wünscht heute keine Fotos". Damit war Frieder, ein ausnehmend guter und diskreter Fotograf, schon mal fast umsonst anwesend. Umsonst stimmt nicht. Denn er hat seine Karte bezahlt. Besonders frech fand ich den Auftritt, weil zum einen die Fans von Bobo sich möglicherweise über einige Bilder gerade von diesem besonderen Auftrittsort gefreut hätten. Und was noch bedauerlicher ist: ich hab niemanden fotografieren sehen - so dem Haus an sich Fotos dieses hochklassigen Auftritts verloren gehen, wäre das fast doppelt traurig. Denn gerade dieses Haus kann PR gut vertragen. Ich denke auch Bobo ist allgemeiner Berichterstattung nicht grundsätzlich abgeneigt. Von ihren letzten Auftritten hab ich jedoch, völlig zu Unrecht bei ihrer Klasse, nichts gefunden. Andererseits - das wäre gegebenenfalls schon wieder auch eine probate PR Strategie. Erfolgreich bei Marlene Dietrich und einigen anderen exzentrischen Weltstars. Nun bin ich überaus gespannt, wie es Andreas Hähle und Begleitung vor einigen Tagen im Admiralspalast in Berlin erging (da war Fotografieren erlaubt, wie man unten sehen kann, Anm. d. Red.). Kurzum: wer in der Öffentlichkeit lebt, sollte sich ihr auch stellen. Selbst empfindliche Seelen wie Hubert von Goisern, Mitch Ryder, Angelo Branduardi und viele andere bekannte Namen gestatten Aufnahmen, zumindest zu festgelegten Terminen. Falls es um nicht ausreichende künstlerische Qualitäten gegangen sein sollte - dem Urteil hätten wir uns gern vor einer Veröffentlichung gestellt, bekamen aber keine Chance dazu. Das ganze empfand ich zutiefst unprofessionell. Ganz anders als die künstlerische Darbietung.
Ein zweiter kleiner Wermutstropfen war die Akustik im Raum. Die Anlage schaffte es nicht immer, die enorme Frequenzbreite der Musik supersauber ins Publikum zu transportieren. Trotz aller Bemühungen der hervorragenden Dame an den Reglern. Die Anlage brachte recht gut die Höhen herüber und hatte im tieferen Bereich gelegentlich Probleme. Obwohl am Mischpult einiges teilweise gekonnt von Hand gemeistert wurden, waren zum Beispiel die Moderationen extrem schwer zu verstehen. Wie mir Sebastian Herzfeld nach dem Konzert erzählte resultierten die Probleme vor allem aus den Halleffekten, die in dieser großen leeren Halle entstehen.
Eine dritte Kleinigkeit fiel vielleicht gar nicht so sehr auf. Zum Programm gehört eine Videoinstallation. Die war auf der Projektionsfläche, den Hallenwänden, mehr zu erahnen als zu sehen. In einzelnen Sequenzen war zu erkennen, welche Wirkung sie hätte haben können, so sie durchgängig sichtbar gelaufen wäre.
Das alles konnte meinen Konzerteindruck jedoch nicht wirklich trüben. Ich sagte bereits - es war eines der Besten die ich je erlebt habe. Die Idee - deutsche Volkslieder in neuem Gewand zu präsentieren, trug Bobo schon lange in sich. Vor einigen Jahren griff sie das Thema wieder auf, angeregt von der Vertonung anderer klassischer Texte durch Sebastian Herzfeld. Gemeinsam ging man daran jetzt Texte von Eichendorf und Goethe zu vertonen und es entstanden daraus "Lieder von Liebe und Tod". Herzfeld, geborener Hallenser und im "Nebenberuf" musikalischer Leiter der Kulturinsel Halle, hat für dieses grandiose um nicht zu sagen geniale Programm Instrumente und Klangkonstruktionen entwickelt, die Musik geschrieben und so arrangiert, dass Bobos Gesang seine faszinierende Wirkung, wie zuvor nicht erlebt, entwickeln kann. In den teilweise minimalistischen Stücken ist jeder Ton wichtig. Stimme und Instrumente sind oft gleichberechtigt und bedingen einander teilweise. Spätestens an dieser Stelle muss Anne Kaftan erwähnt werden. Die zierliche Person, die u.a. in Halle Musik und Medizin studierte, ist für die Bassklarinette und das Sopransaxophon im Programm zuständig. Sie hatte an diesem Abend mehrfach die Chance zu brillieren, gleich ob im Kanon von Instrumenten und Stimmen oder melodietragend. Wie bei diesen Instrumenten zu erwarten, prägt das Spiel von Anne Kaftan einzelne Lieder extrem. So verwandelt sie ein deutsches Volkslied locker in ein jiddisches Klezmerstück, oder verleiht ihm den heißen Rhythmus einer Romaweise. Absolut sicher und sauber zaubert sie Melodiefolgen, spielt ausgehaltene, einzelne Töne oder reißt sie nur an, ganz wie es die einzelnen Stücke erfordern. Dazu kommt eine ungemeine Wirkung der einzelnen gespielten Tempi. Wenn ihr Spiel dann noch zum Zwiegespräch zwischen den Instrumenten und / oder der Stimme wurde... Selten habe ich Töne von derartiger Präsenz vernommen. Ganz, ganz große Musik. Die Musiker haben möglicherweise den tieferen Sinn der Stücke aus vergangenen Jahrhunderten ins heute transportiert, zumindest geben sie mit ihren Interpretationen einen neuen Blick auf die Lieder frei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand im Saal nicht berührt war von dem, was zu hören war. Trotz der Tonprobleme. Im weiten Raum war es zumeist auch muxmäuschen still. Wenn auf der Bühne die Instrumente pianissimo gespielt wurden, hatte man den Eindruck, das Publikum hielte gleichzeitig den Atem an. Ja keinen Ton verpassen... Die Art zu musizieren hat avantgardistische Züge. Zu Recht hat Bobo mit dem Programm einige Preise eingeheimst. Für mich nahezu unglaublich welche Töne der Multiinstrumetalist Sebastian Herzfeld vor allem seinem Klavier entlockte. Kann sich jemand vorstellen, dass ein Klavier eine Gitarre sein kann? Es kann! Einzelne Seiten des Klaviers sind mit Papier umwickelt und klingen dann beim anschlagen in völlig ungewohnter Art. Ebenso ungewöhnlich klingt die mit Filzschlägern gespielte singende Säge. Die wiederum ist ein Teil eines metallenen Klangobjekts dem Herzfeld wiederum faszinierende Töne entlockt. Oder die Röhren. An Saiten an einem Rahmen aufgehängt und mit einem Bogen in Schwingung versetzt, erzeugen sie sphärische Klänge. Die Röhren spielt Herzfeld ebenso virtuos wie sein Harmonium. Zudem vollbringt er teilweise akrobatische Leistungen und spielt 3 Instrumente gleichzeitig. Ohne jede Disharmonie. Wie die Lieder trotz aller Extravaganz immer harmonisch bleiben. Durch alle instrumental erzeugten Töne hindurch klingt immer wieder Bobos Stimme als der Fix-, Dreh- und Angelpunkt des gesamten Programms. Sie verleiht nach Belieben den Liedern ihren Charakter. Mal fröhlich, spielerisch leicht, mal elegisch. Die Stimme spielt mit den großen Vorlagen, verändert sie, ohne sie kaputt zu machen.
Das Konzert beginnt mit einzelnen, teilweise ausgehaltenen Tönen. Diese nimmt Bobo auf und treibt die Melodie um ein gutes Stück in die Höhe. Mit makelloser, glockenklarer Stimme. Gerade in den Höhen. Dazu die Erscheinung Bobos, zierlich, zerbrechlich wirkend im schwarzen Kleid. Nach wenigen Tönen hat sie ihr Publikum. Unglaublich das diesem Persönchen eine der bemerkenswertesten Stimmen Deutschlands, möglicherweise darüberhinaus, innewohnt. Das beweist sie bereits beim ersten Lied. Auf die Nennung der Lieder verzichte ich, da die meisten ohnehin eher nicht bekannt sein werden und die die man namentlich kennt, sind musikalisch gekonnt verändert. Veränderungen - immer wieder mit musikalischer Perfektion. So erwecken die 3 das Vogelgezwitscher eines frühen Morgens, und machen aus einem deutschen Volkslied aus Siebenbürgen, eine angedeutete Romaweise. Nicht erst hier merkt man - jede Faser Bobos ist jetzt Musik. Auch wenn sie die höchsten Töne scheinbar ohne jede Mühe ins Publikum haucht. Man merkt ihr die Intensität an, mit der sie sich in das Programm einbringt. Gelegentlich ergreifen die Rhythmen sie ganz und sie tanzt auf der Bühne. Ihre Bewegungen, oft nur die Bewegung einer Hand, haben schauspielerische Wirkung und unterstreichen pointiert das, was musikalisch geboten wird. Das sind unverkennbar Volkslieder, nicht experimentelle Musik oder ähnliches, obwohl Bobo stellenweise reinste Stimmakrobatik betreibt, was ihr fast mühelos zu gelingen scheint. Das ist auch bei der Interpretation zweier neu vertonter Bach Präludien notwendig. Die beginnen mit einer opulenten Basspassage. Ungewohnt die klassischen Vorlagen in der Form, statt mit großer Orgel dargeboten zu bekommen. Gern würde ich dazu die Meinung anderer Basser hören. Diese Passage offenbart einige Schwächen, die ich vor allem auf die Tonprobleme zurück führe. Aber die 3 Musiker schaffen es letztlich doch, diese epochalen Werke im Zusammenspiel von Bass, Klavier, Saxophon und Stimme, treffend wiederzugeben. Sebastian Herzfeld versicherte mir nach dem Konzert, alles wäre live gespielt und gesungen gewesen. Ein Fakt, den man gerade in den beiden Stücken kaum glauben mag, so breit gefächert und vielfältig sind die Klangmuster die da erzeugt werden. Nach einer guten Stunde endete das Liedprogramm. Die Zuschauer erklatschten sich 2 Zugaben und können mit der Sicherheit nach Hause gehen, einen ganz großen Musikabend erlebt zu haben.
So könnte ich noch eine Weile weiter schwärmen von diesem in jeder Hinsicht unvergesslichen Konzert. Die geschätzten 300 Zuhörer auf der rappelvollen Zuschauertribüne des Westflügelsaales waren wohl ähnlich begeistert wie ich. Zumindest lässt der Applaus diesen Schluss zu.
Den Veranstaltern, dem Lindenfels Westflügel, gilt es ein großes Dankeschön zu sagen, vermochten sie es doch nicht zum ersten Mal, eine so außergewöhnliche Veranstaltung nach Leipzig zu holen. Lindenfels Westflügel - das ist gewiss eine Adresse die sich der geneigte Kulturinteressierte merken sollte.
Foto Impressionen:
Fotos von Juliane Schein:
Fotos von Frieder Krenzlin: