"Leipzig zeigt Courage" am 30. April 2009
in Leipzig
Fotos: Matthias Ziegert
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Leipzig zeigt Courage.
... unter dem Motto "Aufrecht gehen. Nicht im Gleichschritt marschieren." veranstaltete "Leipzig. Courage zeigen." e.V. zum 12. Mal dieses Open Air gegen rechte und linke Gewalt. Nach dem es in den Vorjahren regelmäßig gewaltsame Ausschreitungen gab, hatte die Stadt dieses Jahr zwei gravierende Änderungen zur Auflage gemacht:
1. Das Open Air findet nicht mehr am Völkerschlachtdenkmal statt, und
2. um 23:00 Uhr geht die Musik aus.
Unter diesen Bedingungen wurde eine riesengroße Bühne mit toller Technik von LTL Veranstaltungstechnik aus Jena auf dem alten Messegelände aufgebaut. Vor Ort in Leipzig fehlte ein wenig die Ausschilderung zu den zwei Eingängen, was aber zweifelsohne zu verkraften war. Das eigentliche Festivalgelände war abgesperrt wie Fort Knox, um möglichst viel Gewaltpotential von vornherein abzuhalten, das Konzert zu stören. Eine allgemeine Frage lautete: "Habt ihr Glas oder Flaschen, die nicht mit auf's Gelände dürfen?"
Start der Veranstaltung war 18:00 Uhr. Zu dem Zeitpunkt verlas der Moderator des Abends einige offizielle Informationen, bevor er den ersten Act, "Dante's Dream" auf die Bühne bat. Zu dem Zeitpunkt machte das Festivalgelände einen sehr traurigen Eindruck. Vielleicht 300 Personen, viele davon Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern aus dem Rahmenprogramm des Festivals, verloren sich auf dem weitläufigen Platz. Irgendwie ging "Dante's Dream" fast unter. Kaum hatten sie begonnen zu spielen, waren sie auch wieder fertig. Zwischenzeitlich kündigte der Moderator noch "Blossom" an, die die Dantes verstärken sollten, aber auch das ging mehr oder weniger unter. Ich weiss nicht einmal mehr zu sagen, welche Stilrichtung die Band bediente. Aufgeschrieben hab ich mir nur: " ordentlicher Pop", und dass die Band aus 2 Gitarren, einem Bass und aus einem Schlagzeug besteht, und guten Satzgesang zeigte. Allerdings ist mir eben nichts wirklich in Erinnerung geblieben, außer dass er sehr kurz war. Gegen die fehlende Erinnerung kann MySpace helfen, denn dort finden sich alle Bands die in Leipzig auf der Bühne standen. Nach "Dante's Dream" übernahmen die Moderatoren Mandy Engel und Alex Huth wieder das Kommando und verschiedene Offizielle, so Prof. Fabian als Dezernent für Jugend, Familie, Sport und Soziales in Leipzig, ein wichtiger und engagierter Förderer des Festivals und die gute Seele der Veranstaltung seit Jahren, und die Macherin hinter allem, Edda Möller vom Verein "Courage zeigen", kamen zu Wort. Sie nahmen einige Ehrungen und Auszeichnungen von Kindern und Schulklassen vor, die sich besonders aktiv oder originell bei anderen Aktionen des "Courage zeigen" e.V. beteiligt haben. Im Grunde eines der Highlights des Abends, denn die Kiddis, die dort auf der Bühne standen, standen stellvertretend für viele die sich früh mit Themen wie Gewaltprävention, Toleranz und Demokratie auseinandersetzen, und im Grunde die Hoffnungsträger auf eine Zukunft frei von Hass und Gewalt sind. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Festival geradezu den Charakter eines Familienevents. Der Eindruck wurde durch die in den Abendhimmel aufsteigenden vielen bunten Luftballons verstärkt (siehe Bild oben links). Langsam, ganz langsam füllte sich der große Platz vor der Bühne, aber es fielen erste Regentropfen.
Zurück zum Musikfestival. Was zu dem frühen Zeitpunkt noch auffiel war, dass die riesige Soundanlage trotz vorherigen Soundchecks nicht optimal eingestellt schien. Das wurde sukzessive abgestellt, so dass letztlich die restliche Veranstaltung mit Supersound über die Bühne ging. Die Mannen um Herrn Lüdtke von LTL leisteten ganze Arbeit. Wie gesagt: Anfangs war das nicht ganz so und traf wohl SAFI am härtesten. Von ihrem Sound war da wo ich stand, nicht wirklich etwas an. Das Ganze war irgendwie ein Tonbrei. Den hat SAFI so sicher nicht gespielt, zumal stellenweise ihr harter, schnörkelloser Punkrock erkennbar war, und erstaunlicherweise Safis Stimme ganz gut vor der Bühne ankam. Möglicherweise lag das daran, dass unmittelbar vor dem Auftritt SAFIs eben dieses Rahmenprogamm mit viel Sprache gelaufen ist. Während SAFI auf der Bühne rockte, bewegten sich einige der Musiker aus dem Backstagebereich unter das Publikum. Lustigerweise trotz aufziehender dunkler Regenwolken mit schwarzen Sonnenbrillen so getarnt, dass auch der letzte merkte hier kommt ein V.I.P. Zu ihnen gehörte IC von Stern Akustisch, mit dem ich mich kurz über den anstehenden Auftritt unterhielt. Die Akustiker wurden vom Veranstalter direkt angesprochen, da IC schon im Vorjahr als Solist beim Festival aufgetreten war. IC war über meine Frage ob es ein spezielles Konzept für den Festivalauftritt gäbe, sehr erstaunt. Für ihn und sicher für die meisten Anwesenden, gleich ob auf oder vor der Bühne, hieß an diesem Tag das Konzept "Courage zeigen", einfach da sein und dabei sein. Das wiederholte er später beim Auftritt der Band nochmal und brachte damit Sinn und Zweck dieses Festivals auf den Punkt. Aber bis dahin vergingen noch ein paar Minuten mit SAFI, gefolgt der obligaten Umbaupause, dieses Mal für die Siegerband des Jugendfestivals. Die Band nennt sich "Flimmerfrühstück" und hat sich gegen viele andere Nachwuchsbands, unter anderem die K.O. Kicker, durchgesetzt. Alex Huth kündigte die Band mit den Worten an, die Band sei vor allem denen bekannt, die beim googeln "Porno" eingegeben hätten. Eine Anspielung auf ihren bekanntesten Titel "Die ganze Welt will Porno". Warum die Band das Jugendfestival gewonnen hat, wurde auch schnell klar. Sie machen richtig gute Musik! Selbst sagen sie darüber es sei Jazz, Pop und eine Prise Funk. Das was da geboten wird, klingt nicht schlecht. Ganz und gar nicht nach dem Einheitsbrei aus Hitparaden und Castingshows. Zudem sind die Kommentare des Frontmanns Lothar teilweise durchaus witzig. Wichtiger jedoch dürfte die unorthodoxe Besetzung der Band sein. Das Saxophon bringt eine besondere Note in die Stücke und eine Schlagzeugerin ist auch nicht alltäglich. Sie versteht jedoch ihr Handwerk und ist nicht nur Zierde. Nach ihrem Auftritt wurde die Band von Heike Engel vom "Anker" in Leipzig als Sieger des Nachwuchsfestivals geehrt. Der Siegerpreis ist eine Studioproduktion. Man darf gespannt sein, was dort entsteht. Potential hat die Band jedenfalls. Nachdem "Flimmerfrühstück" die Bühne verlassen hatten, kündigte Alex Huth alte Ostrocker an. Wieder mit einem kessen Spruch. Überhaupt muss man sagen, ein Klassemann der da die Pausen locker, flockig überbrückte. Seine flotten, frechen aber nicht bösen Sprüche hatten zum Teil kabarettistisches Niveau. So auch vor dem Stern Akustisch Auftritt, als er den Beifall der älteren unter den Zuschauern mit den Worten kommentierte "Ja, da freuen sich die alten Garden. Man erkennt sie auch. Einige haben sich seit damals nicht mehr rasiert" womit er durchaus unseren Matthias gemeint haben könnte, zumal die Zuschauerzahl unverändert recht überschaubar war. IC und Stern Akustisch haben sich dann bleibende Verdienste um den Abend erworben. Als sie zu spielen begannen, drohte es sich einzuregnen, so dass IC den ersten Stern Titel ankündigte mit den Worten: "Wenn es schon regnet, dann spielen wir den Titel der den Regen vertreiben soll: Wir sind die Sonne". Und ob man es glaubt oder nicht: der Trick funktionierte. Den gesamten, folgenden Abend blieb es trocken. Die Akustiker spielen routiniert 4 Titel. Zeit genug um zu zeigen das Lehrmann ein brillanter Gitarrist ist, Behm ihm am Schlagzeug in nichts nachsteht und die Band zweifelsohne mit ihrer Neuinterpretation alter Klassiker dem Ostrock neue Impulse verliehen hat. Und wie in ihren normalen Konzerten vergaß IC nicht, Reinhard Fissler zu erwähnen, obwohl ich glaube, dass mit seinem Namen viele der jungen Leute vor der Bühne leider nichts mehr anzufangen wissen. Die Umbaupause für "Ton Steine Scherben Familie", den auf die Sterne folgenden Act, folgte. Die Pause überbrückte dieses Mal Markus Breitscheidel, ein Undercoverjurnalist in Günther Wallraff-Manier, der über sein 3. Buch "Arm durch Arbeit" sprechen durfte. Das er anwesend war überraschte mich, und irgendwie hatte die Diskussion etwas Spontanes. Passend zu dem was dann folgte. Mittlerweile war der Platz auch halbwegs gefüllt, und es kam erstmals wirklich etwas wie Stimmung von den Zuschauern. Ich fand's zwar nicht so toll, was die Rio Reiser-Coverband da zelebrierte, aber die recht große Zahl der Fans war glücklich. Man konnte es hören. Je bekannter die Titel wurden, ich denke es waren derer 6 oder 7, von denen ein oder zwei auch ganz passabel klangen, je frenetischer wurde der Jubel. Am Ende gab's tatsächlich ordentliche Zugabe-Rufe. Alex hatte einige Mühe die Fans zu beruhigen und den sachlichen Hintergrund zu erläutern, warum es keine Zugaben geben könne. Von keiner Band. Übrigens tauchte der Name Rio Reiser fortan wie der des Schutzheiligen des Festivals immer mal wieder auf. Nach dem, wie ich fand, nicht überzeugenden Auftritt der "Familie", die zweifellos mit Hingabe spielten, wurde dann einer der beiden Headliner des Festivals 2009 angekündigt: Les Hommes Sauvages. Zu meiner Schande muss ich gestehen, die Band zuvor nicht gekannt zu haben. Und da hab ich bis dahin wirklich etwas verpasst gehabt. Einen Versuch zu erklären, das was da geboten wurde, unternehme ich gar nicht erst. Ein perfekter kunterbunter Stilmix. Französischer Chanson trifft Soul und Pop. Nicht zu vergessen ein ordentlicher Schuss Rock'n Roll und durchaus mal eine heulende Rockgitarre. Das ganze von exzellenten Musikern dargeboten. Unglaublich gut! Auch wenn die Texte die passend zur Musik als Mix aus verschiedenen Sprachen gesungen werden, nicht immer verstanden wurden (mangels französischer Sprachkenntnisse). Eine Besonderheit von Les Hommes Sauvages sind die vielen verschiedenen Musiker die seit der Gründung der Band durch Viola Limpet und Kristof Hahn immer mal wieder mitspielen. In Leipzig spielten sie gemeinsam mit Stephan Schulz (Bass), Thomas Fietz (Drums), Mike Strauss (Orgel) und Sebastian Krumbiegel, der am E- Piano saß. Irgendeinen Titel besonders zu nennen verbietet sich aus zwei Gründen. Zum einen dürfen sie eh weitgehend unbekannt sein und zum anderen sind sie durchgängig absolute Spitzenklasse. Ich kann nur empfehlen - anhören! Noch besser "ansehen", denn auch optisch ist die Band ein Genuss in ihrem an die Boheme der 20'er erinnernden Bühnenoutfit. Eine lustige Einlage folgt. Hahn kündigt "...einen unbekannten Nachwuchskünstler, von 'Die Prinzen' oder so,... von hier" an, woraufhin aus der tollen Band die Begleitband für den Auftritt Sebastian Krumbiegels wurde. Der wiederum war nicht so spektakulär, aber wer hätte nach diesem Vorprogramm glänzen können? Er brachte engagiert, wie er gerade in der Sache ist, seinen Auftritt über die Bühne, und wurde als Lokalmatador entsprechend gefeiert. Inzwischen war der Platz wirklich gefüllt. Und die Stimmung war richtig gut. Von Randale oder ähnlichem keine Spur. Dafür stieg mir zunehmend ein süßlicher Duft in die Nase. Als alter Raucher hätte ich vor 20 Jahren auf selbstgedrehte Prestige Vanilla Zigaretten getippt. Heute...? Ja, und dann gab's die einzige Panne des Abends. Als nächster Act war Rolf Stahlhofen vorgesehen. Der steckte aber irgendwo im Stau und konnte somit nicht antreten. Es entstand eine sehr lange Pause in der die Stimmung etwas zu kippen drohte, zumal weder die Moderatoren den Pausenclown gaben, noch Musik über die Anlage eingespielt wurde. Einzig die Ankündigung, dass man dann mit D Flame weitermachen würde, danach war Schweigen im weiten Rund, während auf der Bühne ganz allmälig die Rowdys begannen, für den nächsten Act aufzubauen. Das war sehr schwach. Nicht so das was dann folgte. D Flame stürmte auf die Bühne und legte wie die Urgewalten los. Reggea, Ska, Hip Hop, und was es in der Rapperszene noch so gibt, am laufenden Band. Dazu geradezu sportliche Höchstleistungen von D Flame, der, von klasse Musikern begleitet, ein wahres Feuerwerk abbrannte. Zudem heizte er die Menge richtig an. Sowohl mit seinen Liedtexten, als auch mit seinen Statements, die er zwischenzeitlich immer wieder gab. Man merkte und konnte erleben, dass da kein Krawallmacher oder Gossenrapper auf der Bühne stand, sondern ein Mann, der etwas zu Thema zu sagen hatte und der mit der seiner Botschaft auch bei den jungen Leuten ankam. Allein seine Aussage, es gäbe an diesem Abend keinen Headliner, alle hätten das gleiche Anliegen, nämlich Courage zu zeigen, wurde frenetisch gefeiert. Obwohl jeder Titel richtig gute Texte bot, und das Programm insgesamt musikalisch ansprechend und vielfältig war, muss ich zugegeben, es fiele mir schwer die Musik eine CD lang im Player zu hören. An diesem Abend in einer großen, gutgelaunten Gruppe steckte sie jedoch geradezu begeisternd an. Das war großes Kino. Mittlerweile waren - so die Aussagen der Veranstalter - etwa 4000 Menschen friedlich feiernd und rockend vor der Bühne versammelt. Erwartet wurden bis zu 15000 Besucher, habe ich gelesen. Die Polizei spricht hingegen von nur 1200 Besuchern. Woher die so krass unterschiedlichen Zahlen kommen, ist mir ein Rätsel. Was aus dem Festival wird, so sich die relativ bescheidenen Polizeizahlen bei den Sponsoren und Verantwortlichen der Stadt durchsetzen, darüber kann man sich durchaus Gedanken machen. Wie diese Gedanken ausgehen, das wissen wir dann im kommenden Jahr, wenn das 13. Couragefestival über die Bühne gehen soll. Kurz vor Ende des 12. Festivals machte die Nachricht die Runde: "Stahlhofen ist eingetroffen". Und frei improvisierend, heißt ohne Umbaupause mit der Anlage von D Flame spielend, legte er mit seinen Musikern kurz nach 22:30 Uhr los. Das Echo des Publikums fiel zunächst deutlich schwächer als bei D Flame aus. Das änderte sich, als Stahlhofen den noch einmal zu einer gemeinsamen Session auf die Bühne bat. Da stand die Menge Kopf. Mit den folgenden Titeln aus Stahlhofens Naidoo Zeit konnte er dort anknüpfen. Und als wolle man dem Sprichwort "wenn's am schönsten ist, soll man aufhören" Geltung verschaffen, endete pünktlich um 23:01 Uhr der Stahlhofen Auftritt.
Letztmals kam Alex Huth auf die Bühne, erklärte kurz und knapp, dass es das nun gewesen sei und wünschte allen einen guten, friedlichen Nachhauseweg. Er gab der Hoffnung Ausdruck, beim 13. Festival wieder viel mehr Besucher begrüßen zu können. Und dann leerte sich der Platz zusehends. Die Polizei berichtete am 01. Mai, dass es keine Zwischenfälle im Zusammenhang mit dem Couragefestival gegeben habe. Das ist einer der erfreulichen, berichtenswerten Fakten, die mich zu meinem Fazit führen: Das Festival "Leipzig Courage zeigen" war durchaus ein Erfolg. Es gab eine Reihe hochklassiger Musik verschiedener Richtungen und eine Publikum, das friedlich mit Spaß an dem was da geboten wurde dem übergreifenden Motto der Veranstaltung Nachdruck verlieh: "Für Demokratie & Toleranz - Gegen Gewalt & Rassismus"
Foto Impressionen: