East Rock Symphony - Berlin - 09.07.2007

Bericht: Jens Kurze

 


 

Am Abend mancher Tage...
(Gedanken zur East Rock Symphony, Berlin, 9.7.2007)
Die zwei Konzerte in Berlin und Magdeburg sind übrigens nicht zu verwechseln mit der Ost-Rock Klassik-Tour, es sind eigenständige Events, von anderen Organisatoren und mit anderen Mitwirkenden (das vorweg, damit keine Missverständnisse entstehen).
Es sollte ein ganz besonderer Abend werden: hohe Erwartungen, große und lange Vorfreude auf Musiker und Lieder, mit denen wir aufgewachsen sind, das ganze in würdigem Ambiente auf dem Berliner Gendarmenmarkt - was sollte da schon schief gehen? Hervorragend organisiert, freundliche Ordner überall, keine lästigen Taschenkontrollen, ausreichend Toiletten (leider nicht selbstverständlich), und schon vor dem Areal immer wieder Fragende: "Haben sie noch Karten übrig?".
Viele Musiker verließen vor dem Gig den Backstage-Bereich, Wiedersehensfreude überall. Ich konnte mich lange mit Eghard Schumann, einem der Stern-Meissen-Keyboarder, unterhalten, habe mit Hans die Geige quasseln können, konnte IC und Dirk "Scholle" Zöllner kurz begrüßen, und konnte sogar meinem alten Freund, Thomas Natschinski, persönlich für die Tickets danken. Zahlreiche Prominenz aus Politik und Kultur lief herum, so ganz ohne wichtige Bodyguards - es herrschte eine entspannte, freudige Erwartungshaltung.
Pünktlich um 19:30 Uhr eröffnete das großartige Neue Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Prof. Bernd Wefelmeyer mit einer eigens für diesen Abend geschriebenen East Rock Ouvertüre, gespickt mit Zitaten diverser Rocksongs. Klasse! Unterstützt übrigens von den Herren, die an diesem Abend ein großes Pensum absolvierten und vielen Kollegen musikalischen Rückenhalt gaben: Ecki Lipske (electra) an der Gitarre, der unübersehbare, langsam zum Allroundstar mutierende Bassist Alexander Prokop, und an den Drums der Mann mit den scheinbar acht Armen, Micha Behm (beide Stern Meißen). Aber warum so verhalten, wunderte ich mich - naja, das war vielleicht als Opener so gedacht, das wird schon noch ...
Was für ein Irrtum! Habt Ihr schon mal Beethovens 5. Sinfonie aus dem Kofferradio gehört? Genießt ihr Musik mit Ohrstöpseln aus dem Formel-Eins-Motorsport-Umfeld? So müsst ihr Euch den gesamten Abend vorstellen!! Unfassbar! Die Moderationen waren kaum zu verstehen, die klatschenden Nachbarn waren stellenweise lauter als die Darbietung...
Lift begann mit "Am Abend mancher Tage" - Werther Lohse leider wieder mal mit deutlichen Problemen in den Höhen. "Nach Süden" kam besser, die Orchesterversion war sehr interessant. Doch die Sound-Balance zwischen Band und Orchester stimmte nicht. Schade drum!
Dann fegte der ewig jugendlich schlanke Wirbelwind Petra Zieger auf die Bühne (die Männer: "Oooh,...", die Frauen: "Wie macht die das bloß?") - da ging richtig was los. Aber auch hier: die Textverständlichkeit der Ansagen erforderte höchste Konzentration, im Titel war ihre Stimme zeitweilig weg, die Gitarre schien nur von den Marshalls der Bühne zu kommen. Doch Petra machte ihren Part gut, das schau ich mir mal separat an!
IC Falkenberg machte gut Miene zum bösen Spiel (Zitat: "Man hat ja Demut gelernt") - er durfte einen einzigen Titel aus der "Stern"-Zeit spielen ("Dein Herz"). Was sollte das denn? Der Mann hat ja nun wirklich mehr drauf, und auch mehr verdient! Da war die Anmoderation ja fast länger als der Song.
Als nächste durfte Dirk Zöllner ran. Klar, mit Andre Gensicke am Piano, und dem "Käfer aufm Blatt". Was braucht es mehr als eine unter die Haut gehende Stimme und einen wirklich guten Song? Scholle hat es wie immer in wenigen Minuten geschafft, dass ihm das versammelte Volk zu Füßen liegt, und überzeugte auch mit den nächsten Liedern. Genial!
Nun enterten die restlichen Musiker der legendäre Stern Combo Meißen die Bühne und gaben (was sonst?) als erstes den "Kampf um den Südpol". Bereits bei den Windgeräuschen und dem Temptation-Bass-Thema gab es begeisternden Wiedererkennungsbeifall. Es folgte in absoluter Perfektion - gemeinsam mit dem Orchester - ein Ausschnitt aus dem Opus "Weißes Gold", das ich vor 2 Jahren beim Konzert von Stern mit dem Orchester des Theaters Cottbus für mich neu entdeckt habe. Das war für mich ein Highlight des Abends! Ja, Stern Meißen hätte ruhig noch weiterspielen können, so schön war das...
Unter großem Jubel erschienen Cäsar und seine Spieler(-innen) und gaben den "Apfeltraum" - alles stand, sang, tanzte vor sich hin - in diesem Moment waren alle glücklich. Nur der Wettergott nicht, denn der beschloss, nun doch die Schleusen aufzudrehen und sie an diesem Abend nicht mehr zu schließen.
Und irgendwie kippte auch Cäsar, nicht nur seine Zwischenansagen waren mau, nein ausgerechnet "Hallelujah" wurde in der Orchesterfassung zu einer zähen, nicht enden wollenden Sache, sehr schade.
Nach der Pause wieder eine Orchester-Ouvertüre, alles immer noch viel zu leise. Und Dauerregen. Holger Biege betrat wort- und grußlos die Szenerie. Schnelle Klavierläufe, sein Gesang kam stellenweise nicht hinterher, er intonierte seltsam maniert ohne Kommentare drei Lieder und verabschiedete sich genau so weitausschweifend und voller Begeisterung mit: "Tschüss!"
Hä??? Gerade Holger Bieges Kompositionen hätten sich wie kaum andere für eine orchestrale Umsetzung geeignet, auf den LPs hat ja auch eine Streichergruppe mitgewirkt. Oder ist Holger so unberechenbar in der Live-Darbietung geworden? Das war für mich der Tiefpunkt im Programm.
Doch ich wurde sofort wieder rausgeholt. Jäckie Reznicek und Jürgen Ehle schlenderten mit ihren Instrumenten auf die Bühne, und schon erklangen aus dem weiten Rund des Gendarmenmarktes die bekannten Rufe "Kille Kille Pankow". Und richtig: Andre Herzberg und seine Leute versprühten keine "Langeweile"! Ehle zeigte sich wieder mal als einer der besten Slide-Gitarristen der Szene, Herzberg spielte mit dem Publikum, hier stimmte alles. Durch das Orchester bekamen "Sehnsucht" und "Gaby" eine totale Sound-Aufwertung. Respekt, das war großartig, das hatte ich so nicht erwartet!
Das nächste Highlight: Hans die Geige im Duett (oder Duell?) mit dem Geiger Yoshika Shibata. Der ist kein exotischer Nobody, im Gegenteil! Er ist Künstlerischer Leiter, erster Konzertmeister und ständiger Solist des Neuen Sinfonieorchesters Berlin. Mit unglaublicher Spielfreude demonstrierten die beiden Solisten die unterschiedlichen Möglichkeiten des Violine-Spielens. Herrliche Wechsel zwischen beiden Geigern im perfekten Zusammenspiel mit dem Orchester - grandios! Mehr davon! Der nicht enden wollende Beifall war lauter als der plätschernde Regen...
Special Guest an diesem Abend: Thomas Natschinski. Der wird im Herbst 60 Jahre alt. So lange musste er warten, ehe man ihm die verdiente Würdigung zukommen ließ! (Über seinen Stellenwert in der DDR-Musik muss man ja kein Wort verlieren, er gehört zu den Mitbegründern der damaligen neuen populären Beatmusik). Normalerweise besinnlich und lyrisch in seinen Liedern, fetzte er, begleitet von Band und Orchester, mit einem Mundharmonika-Solo über die Bühne. So kennt man den Mann sonst gar nicht. Sein Solo am Klavier mit einem Hinweis auf neue, eigene Lieder ging wieder mal durch die Technik fast völlig verloren. Ich habe leider kaum ein Wort verstanden, so leise und undeutlich war das. Entschädigt wurden wir durch ein kurzes Medley seiner populärsten Kompositionen, angefangen mit der "Mokka-Milch-Eisbar", über das zauberhafte "Ich lieb dich mehr und mehr", bis hin zu seinem wohl schönsten Lied "Berührung" - gemeinsam vorgetragen mit Gaby Rückert. Und die Gänsehaut kam nicht nur von der nassen Kälte...
"Mampe Mampe" rief es von unten, und ein weiterer glücklicher Mensch grüßte ausgelassen und fröhlich von der Bühne zurück. Genau, der letzte Act des Abends war electra. "Das kommt weil deine Seele brennt" - kein anderer als Peter Mampe Ludewig kann diesen Song jemals bringen, das wurde wieder nachdrücklich bewiesen. Stefan Trepte war wegen seiner Verletzung leider nicht dabei (schade, ich hätte ihn gern auf der Bühne gehabt, meinetwegen auch als Pirat mit Krücke), wie zum Geburtstagskonzert im Meißen sang Ex-Gitarrist Gisbert Koreng die anderen Solo-Parts. Und Tausende unterstützen die Band bei "Nie zuvor" - sicher ein tolles Gefühl, auch für die Musikanten! Eine lange Fassung vom "Türkischen Marsch" mit den gewohnten und stets gewünschten Überblas-Techniken von Bernd Aust an der Querflöte, demonstrierte erneut das hohe musikalische Können der Dresdener Barden. Da gibt's nix zu meckern!
Grande Finale: alle Mitwirkenden zelebrierten "Wer die Rose ehrt". Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten waren alle im selben Song und in der gleichen Tonart, und setzten einen würdigen Schlusspunkt unter einen bemerkenswerten Abend.
Was bleibt? Ein denkwürdiges Konzert mit vielen schönen, unvergesslichen Songs in einer optisch attraktiven, für Live-Konzerte dieser Art aber denkbar ungeeigneten Location. Man sagt, es habe sehr strenge Auflagen gegeben, sowohl was den Zeitplan betraf (jegliche Zugaben waren verboten, 23:00 Uhr war Dunkeltuten), als auch eine dB-Begrenzung, die weit unterhalb von normaler Konzertlautstärke lag. Ich will ja gar keine Metall-Power, aber auch kein Hörgerät zum Konzert.
Dies alles tat sowohl der Begeisterung als auch der Entfaltung der musikalischen Schönheit deutlichen Abbruch.
Die Klangvielfalt des Orchesters, die gewohnt filigranen Arrangements von Bernd Wefelmeyer, kamen kaum zur Geltung. Das grenzt schon an Undank vor der immensen Arbeit. Ich bin gespannt auf die Fortführung der Klassik-Umsetzung, werde mir aber definitiv einen anderen Veranstaltungsort aussuchen. Ein Abend mit Licht und Schatten und leider jeder Menge Regen . Allen Beteiligten mein großes Dankeschön!

 
 

   
   
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