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Ein Bericht mit Fotos von Torsten Meyer

 

 

 

"Der Blues ist Ursprung aller Musik"
(John Lee Hooker)


TRADITIONSTREFFEN
Eigentlich fühlte ich mich nicht wirklich in der Stimmung raus zu gehen, denn vor der Tür erwartete mich nichts als Regen und Pfützen, Pfützen und Regen, den ganzen Tag über war der Himmel in den widerlichsten Grautönen angemalt. Da kann man sich doch wirklich nur mit einem guten Buch unter die Bettdecke verkriechen (eine schöne Frau ist natürlich auch eine Option). Oder man verfällt in Bluesstimmung - das war meine Wahl für den heutigen Tag. Übrigens aus gutem Grund, denn am Abend stand ein Konzert auf dem Plan, auf das ich mich schon seit Wochen riesig freute. Mein Ziel war die WABE im Prenzlauer Berg, wo der sogenannte NEUJAHRSBLUES angesagt war. Und das bereits zum 17. Mal, sodass man hierbei durchaus schon von einer Traditionsveranstaltung sprechen kann.

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Ich habe mir mal die Mühe gemacht, eine Definition des Begriffs "Tradition" zu suchen und stieß dabei auf folgendes: "Tradition bezeichnet eine Haltung, die am Herkömmlichen, Gewohnten, Überlieferten festhält und Neuerungen eher skeptisch gegenüber steht." Klingt ja eher langweilig. Bezogen auf diesen Abend jedoch passte es wie die berühmte Faust auf's Auge, denn wie in jedem Jahr beanspruchte auch diesmal die JONATHAN BLUES BAND die Gastgeberrolle der Neujahrsblues-Party für sich. Und wie immer gab es auch wieder einige Gäste, die für jede Menge Farbtupfer in den kommenden zweieinhalb Stunden sorgten.

Bluesfeeling
Wer die WABE kennt, weiß um die etwas schwierige Prozedur des Kartenkaufs. Man bestellt telefonisch oder per Mail seine Tickets, was dann am Einlass einen gewissen Rückstau zur Folge hat. Die Namen müssen auf der Liste der Vorbestellungen gesucht und gefunden werden, die Karten müssen bezahlt werden... es dauert halt ein wenig länger als anderswo, wo die Karten einfach nur kontrolliert und abgerissen werden. Möglicherweise war darin auch die Erklärung zu finden, dass sich der eigentlich schon recht spät geplante Beginn um 21:00 Uhr nochmals um eine halbe Stunde nach hinten verschob, weil immer noch unzählige Besucher draußen in der Kälte standen und darauf warteten, die heilige Halle betreten zu dürfen.

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Ein Blick auf die noch leere Bühne ließ erahnen, was gleich passieren würde. Es standen sage und schreibe elf (!) Gitarren in Wartestellung aufgebaut. Wer also vermutet hatte, hier würde ein Kuschelbluestreffen stattfinden, dem musste jetzt klar sein, dass er wohl in der falschen Veranstaltung gelandet war. Nein, das Bühnenbild versprach viel mehr, dass es ordentlich auf die Mütze geben würde.
Punkt halb zehn betraten Peter Pabst, Bassist Hagen Dyballa und Drummer Mathias Fuhrmann die Bühne. Monokel-Gitarrist Bernd "Kuhle" Kühnert und JONATHAN-Stammgast Matze Stolpe, der wie immer die Blues-Harp dabei hatte, folgten auf dem Fuße und gaben dem Sound von Beginn an noch mehr Pfeffer und Würze. Bereits die ersten Töne des Einstieg-Songs führten bei mir zu regelrechten Hochgefühlen. "Dust my broom", jener wunderbare Song, der wohl zu den meistgecoverten Bluesnummern dieser Welt zählt und in meiner persönlichen Hitparade der Bluesstandards ganz weit vorn liegt, wurde von den JONATHANEN in einer Art und Weise zelebriert, die nicht nur bei mir die Beine und sonstige zum Mitwippen geeigneten Körperteile in Schwingung versetzten. Ich verstand jedenfalls auch gestern wieder, warum diese bereits 1936 vom Delta-Blues-Gitarristen Robert Johnson erstmals aufgenommene Nummer nicht totzukriegen ist.

Mit dem "Heartbreak Train" wurde die Schlagzahl ein wenig erhöht. Ich muss sagen, mir wurde jetzt warm ums Herz und ich wusste, es wird eine - man möge mir diesen emotionalen Ausbruch und die Wortwahl verzeihen - geile Mugge. "Blues ist mehr als nur Musik, Blues ist mehr als ein Lebensgefühl" - in diesem Satz von Crazy Chris Kramer steckt unendlich viel Wahrheit. Die Jungs auf der Bühne fühlten, was sie spielten, und diese Botschaft kam beim Publikum an. Die Rhythmusfraktion Dyballa/Fuhrmann bot einen unglaublichen Groove, den Peter Pabst und "Kuhle" Kühnert in sich aufsogen und mit ihren Klampfen in die entsprechende Melodik lenkten. So auch beim folgenden JONATHAN-Klassiker "Katzenfreund". Der Titel verliert wohl auch in hundert Jahren nicht seinen Reiz. Ich mag ihn jedenfalls sehr.

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MIKE KILIAN & HUGO LAARTZ
Ob es wohl an der Kaffeehaus-förmigen Bestuhlung des Saales lag, dass bislang das Fanvolk zwar guter Dinge war, aber mir dennoch irgendwie gebremst vorkam? Von der Bühne drang ein Zwölftakt-Schema-Hammer nach dem anderen an die Hörmuscheln des Auditoriums und wurde auch ordentlich bejubelt, doch im Sitzen kann man halt dem Zucken der Gliedmaßen keinen ungestörten Lauf lassen. Der Stimmungspegel sollte sich jedenfalls gleich nochmals um ein Vielfaches erhöhen, denn es wurden zwei altgediente Sterne der ostdeutschen Musikszene angesagt: MODERN SOUL BAND-Chef und Keyboarder HUGO LAARTZ sowie ROCKHAUS-Shouter MIKE KILIAN. Letzterer ist ja schon seit längerem immer wieder gern gesehener Gast bei JONATHAN-Auftritten, so zuletzt bei der Eastblues-Session in Berlin-Köpenick. Man muss diesen Kilian einfach live erleben, um die Ekstase zu verstehen, in die man als Zuschauer durch ihn versetzt wird. Diese phantastische Rockröhre, gepaart mit seiner unvergleichbaren Körpersprache sind allein schon das Kommen wert. Beim "Crossroad Blues", einem weiteren Robert Johnson-Klassiker aus den 1930er Jahren schrie sich der Kerl regelrecht die Seele aus dem Leib. Hervorragend und richtig unter die Haut gehend dann seine Interpretation des letzten Songs vor der Pause, dem ebenfalls schon 80 Jahre alten, aber erst 1960 durch Ray Charles richtig berühmt gewordenen "Georgia on my mind".

"LACKY", DIE "LÜTTE" & JANIS JOPLIN
Ich persönlich bin ja alles andere als ein Freund von Konzertpausen, aber irgendwie taten diese 20 Minuten am Samstag mal ganz gut, um wenigstens für einen Moment den doch recht unbequemen, harten Holzstühlen der WABE zu entkommen. Nachdem alle wieder auf denselben saßen, und der eine Peter den anderen Peter zum Leben erweckte, also der BluesPabst Peter mit dem weltberühmten "Peter Gunn" den zweiten Teil des Konzertes einläutete, wurden die nächsten beiden Hochkaräter mit tosendem Applaus begrüßt: ANGELIKA MANN, die seit eh und je nur "LÜTTE" genannt wird, und REINHARD LAKOMY. Um es vorweg zu nehmen: LACKY bediente bis zum Ende der Party bravourös sein Tastenwerkzeug, aber das war es dann auch. Ich hätte mir auch noch ein oder zwei seiner Uralt-Hits wie "Ich geh in den Tag" gewünscht, aber das blieb uns am Samstagabend leider versagt.

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Dafür brillierte die "LÜTTE" umso mehr. Schon die berührende und kraftvoll vorgetragene Geschichte von "KUTTE" ließ erahnen, wie viel Sangeskraft und Potential noch immer in dieser kleinen, und dennoch so groß(artig)en Frau stecken. Die Hütte zum Brennen brachte ANGELIKA MANN, als sie ohne große Worte die unvergessene JANIS JOPLIN auferstehen ließ. "Me and Bobby McGee" und "Mercedes Benz", diese bis heute unübertroffenen Songs, wurden in einer schier nicht zu beschreibenden Intensität und Power aus ANGELIKAs Kehle geschmettert. Ich bekam wahrhaftig Gänsehaut dabei, es war ein Genuss ohnegleichen. Die Reaktion der Fans war entsprechend, es gab lang anhaltende Standing Ovations für diese wirklich grandiosen Versionen. Mit IKE & TINA TURNERs "Nutbush city limits" konnten die Band und sie dann auch noch mal so richtig hemmungslos die Sau raus lassen. Ach ANGELIKA, warum sehen dich nur noch so selten in dieser Rolle? Du gehörst auf eine große Bühne mit einer Rockband im Rücken! Dieser Auftritt am Samstag war der beste Beweis dafür.
Als krönenden Abschluss dieses Blocks kam es dann zu einer Art COMEBACK DES JAHRES. Die LÜTTE und LACKY standen nach gefühlten hundert Jahren endlich mal wieder gemeinsam auf einer Bühne. Es kam, was sich viele wünschten: ihr sogenanntes Fress-Duett "Mir doch egal" wurde gespielt, und hier bewies auch LAKOMY, dass er das Singen alles andere als verlernt hat.

ROBERT MICK KILIAN
MIKE KILIANs Vorliebe für die Stones ist kein Geheimnis. Er lebt diese Leidenschaft bekanntermaßen in dem Project "STARFUCKER" aus. Samstag konnte man sich davon ein Bild machen, wie es sich anhört, wenn MIKE zu MICK (JAGGER) mutiert und "Brown sugar" sowie "Gimme shelter" unter vollstem Körpereinsatz zum Besten gibt. Da fragt man sich wirklich: Wer ist eigentlich Mick Jagger? Doch damit nicht genug, auch ROBERT PLANT, Leadsänger von LED ZEPPELIN und einer meiner großen Helden aus früher Zeit, musste sich gefallen lassen, von KILIAN gecovert zu werden. "Rock'n Roll", eine eher untypische ZEPPELIN-Nummer, ließ in der Version von JONATHAN BLUES BAND und MIKE KILIAN nochmal ordentlich den Boden in der WABE beben. Und endlich auch wurde diese unselige und jeglichen Bewegungsdrang hemmende Sitzmugge aufgehoben und die Leute tanzten stehend vor der Bühne, nachdem KILIAN ihnen klargemacht hatte, wie blöde es aussieht, wenn sie heute sterben würden - und das im Sitzen!

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NACHSCHLAG
Zwei Stunden waren vergangen, als sich nach den letzten Akkorden von "Gimme shelter" die Akteure vor den grenzenlos begeisterten und nun wirklich nicht mehr auf ihren Sitzen zu haltenden Zuschauern verbeugten. Also kam es zur erhofften Verlängerung, in welcher der - warum auch immer - bei vielen Bands als Zugabe gespielte Bluesrock-Kracher "Going down" ANGELIKA MANN und MIKE KILIAN erneut zu körperlichen und gesanglichen Höchstleistungen motivierte. Mit der uralten Schunkelballade "Goodnight Irene" klang dann eine Neujahrsblues-Veranstaltung aus, von der wohl nicht nur ich grenzenlos begeistert war. Ach ja, ich muss unbedingt noch ein Wort zu MATZE STOLPE sagen, der hier ein wenig unterging in meinem Bericht. Ich gebe zu, ein bekennender Fan von ihm und seiner Harp zu sein. Auch heute spielte er wieder erstklassig, war immer da, wenn er zu einem Solo animiert wurde. Er steht nur immer so ganz unschuldig und bescheiden in seiner Bühnenecke, dass man ihn hin und wieder vergisst in der Aufzählung. Also MATZE: Klasse Auftritt, danke!

Ebenso muss natürlich D.-MERCEDES WENDLER erwähnt werden, die den Bandsound mit ihrem erstklassigen, engagierten Saxophonspiel ungemein bereicherte und beim Publikum mit ihrer erfrischenden Spielweise großen Anklang fand. Eigentlich zur MODERN SOUL BAND gehörend, ist auch sie ein immer wieder herzlicher willkommener Gast bei JONATHAN-Konzerten.

MIKE KILIAN wies zwar mehrfach in seinen frechen und witzig-ironischen Moderationen zwischen den Songs darauf hin, dass sich die auf der Bühne befindlichen Musiker mittlerweile allesamt in einem Alter befinden, in dem das Sauerstoffzelt zur ständigen Heimstatt geworden ist. Dennoch bin ich guter Hoffnung, dass auch in einem Jahr an gleicher Stelle die 18. Auflage des NEUJAHRSBLUES gefeiert wird. Mit der JONATHAN BLUES BAND als Gastgeber, mit vielen wunderbaren Gästen, und dann vielleicht auch mit der Möglichkeit, den Innenraum des Saales nicht zu bestuhlen, weil man sich zu einer so rhythmischen Musik ganz einfach im Stehen viel besser bewegen kann.

Blues und Gruß!

 

Bitte beachtet auch:
- Portrait über die Jonathan Blues Band: HIER
- Homepage von Mike Kilian: www.mikekilian.de
- Homepage von Angelika Mann: www.angelika-mann.de
- Homepage der WABE in Berlin: www.wabe-berlin.de



 


   
   
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