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Bericht:
Christian Reder

Fotos:
Christian Reder (alle Live-Fotos)
Pressefotos (Textillustration)


 

Klassik mehr als nur für "Anfänger"...
Irgendwie hatte das gestern Abend etwas von einem Déjà Vu... Ich war auf dem Weg zum Parkbad Süd, die Gruppe UWAGA! war dort für ein Konzert angekündigt. Das hatten wir doch schon einmal...?! Richtig! Vor fast genau zwei Jahren ging ich auch Anfang Januar den langen Weg zum Parkbad Süd entlang, um ein Konzert von UWAGA! zu besuchen. Diesmal lag kein Schnee, aber nasskalt war's trotzdem wieder. Es ist ja auch Winter - schon wieder...
Ich betrat den Konzertraum und traf sofort auf Maurice Maurer. Eine kurze Begrüßung und ich wünschte ihm und seinen Kollegen ein gutes Konzert. Ein Platz war schnell gefunden, was mich dann doch sehr wunderte, war die Veranstaltung doch auch in diesem Jahr wieder restlos ausverkauft. Es war schon nach 20:00 Uhr, ein paar letzte Konzertbesucher kamen noch... "Ich hatte acht Karten vorbestellt", sagt ein Mann. Er tat gut daran, denn an der Abendkasse hätte es wegen dem Andrang sonst sicher Probleme gegeben. Um Viertel nach acht ergriff der Organisator des Abends, Harald Schneider, seines Zeichens auch Geschäftsführer und Leiter der Kultur AG des Fördervereins "Hände weg vom Parkbad Süd", das Wort und kündigte den Beginn des Konzerts an...

Die vier Musiker von UWAGA!, Maurice Maurer, Christoph König (beide Violine, Viola), Miroslaw Tybora (Akkordeon) und Matthias Hacker (Kontrabass), betraten die Bühne und eröffneten den Abend mit dem Stück "Orient". Im Anschluss begrüßten die Musiker ihre Gäste und Christoph König erklärte uns kurz, was es mit "Orient" auf sich hat. Maurice Maurer hat das Lied für seine Heimatstadt geschrieben. Nun könnte man auf den Gedanken kommen, der Musiker käme aus Abu Dhabi oder Bagdad, oder ist zumindest dort geboren, aber weit gefehlt... König schiebt kurz danach die Auflösung hinterher: sein Musikerkollege käme aus Castrop-Rauxel, und die Stadt sei ja schließlich auch orientalisch genug. Das Castroper Publikum hatte den ersten Lacher des Abends. Die Frotzeleien zwischen dem einen und dem anderen Violinisten sollten im Verlauf des Abends aber noch weitergehen...
Das zweite Stück des Abends trägt den verheißungsvollen Namen "Russian Gipsy". Der Songtitel verspricht eine heiße und flotte Gangart, und so war's dann auch. So flott, dass es Christoph König die A-Saite seiner Violine zerriss. Es musste also schnell eine neue aufgezogen werden, was seinen Kollegen Maurice Maurer zu einem außerplanmäßigen Vortrag zwang, um die Pause zu überbrücken. Mit einigen lockeren Sprüchen sprach er das Publikum direkt an und kam so auch in Zwiegespräche mit dem einen oder anderen Konzertgast. Überhaupt war zwischen Publikum und Band sofort eine Verbindung hergestellt. Die ebenerdige Bühne und der direkte Kontakt zum Publikum trugen dazu sicher bei, aber einen großen Anteil an dieser Atmosphäre hatten die Musiker selbst mit ihrer lockeren Art. Nach dieser ungeplanten Pause und der Rückkehr von Christoph König auf die Bühne, nachdem er "andere Saiten aufgezogen hatte", ging's mit den Stücken "Zwei Gitarren" und "Morning Sun" weiter. Nun war es an der Zeit, die erste Klassik-Adaption vorzutragen: Tschaikowskis "Schwanensee", in einer Bearbeitung von Christoph König. UWAGA! hat sich auf die Fahnen geschrieben, "acoustic crossover" mit klassischen Instrumenten zu spielen. Das wurde bei dieser Bearbeitung des Tschaikowski-Klassikers besonders deutlich, denn eigentlich blieb nur die Melodie übrig. Der Rest war eine Mischung aus Klassik, Jazz und Funk. Eine sagenhaft gute Bearbeitung, bei der die vier Musiker nicht nur durch ihr harmonisches Zusammenspiel, sondern auch mit ihrer immensen Spielfreude auffielen, die die bereits zu diesem Zeitpunkt sehr gute Stimmung im Raum noch weiter anheizten. Nach so einer schnellen Gangart war es dann wieder an der Zeit, das Tempo etwas zu drosseln. Beim folgenden "Sunrise Sunset", einem Stück aus dem Musical "Anatevka", kehrte zumindest am Anfang wieder etwas Ruhe ein. Im Verlauf ließen die Musiker aber auch hier wieder ihrer Spielfreude freien Lauf, und so kam es auch zu den ersten Soli des Abends, denn sowohl Miroslaw Tybora als auch Matthias Hacker bekamen hier die Gelegenheit, ihr Können am Instrument in den Vordergrund zu stellen. Wo wir beim Thema wären: Miroslaw Tybora zog ein ums andere Mal die Blicke auf sich. Was der Mann aus seinem Akkordeon für Töne herausholt, ist sagenhaft. Der gebürtige Pole saß keine Minute still auf seinem Schemel. Immer war er - obwohl sitzend - in Bewegung, verschmolz mit seinem Instrument zu einem Ganzen und allein sein Mimenspiel war das Eintrittsgeld wert. Hier lebt einer die Musik, das war unübersehbar... Wer braucht schon einen E-Gitarristen in seiner Band, wenn er Miroslaw Tybora hat?!

Kurz vor der Pause moderierte Christoph König die nächste Klassik-Adaption an. Wieder würde es eine Komposition von Tschaikowski in der UWAGA!-Bearbeitung zu hören geben. Der "Nussknacker" würde aber weniger nach Klassik, als mehr nach Balkansound und Jazz mit Swing-Elementen klingen, wurde uns angekündigt. All das hätte Tschaikowski nämlich in seiner Musik verarbeitet, "ohne es zu wissen", wie König mit einem Augenzwinkern anmerkte. Und so war es dann auch. Man erkannte das Motiv sofort wieder, aber alles andere war anders, neu und höchst ansprechend. Ein kleines Akkordeonsolo und ein Violinen-Duell zwischen Maurer und König rundeten das Gesamtbild ab. Erste Klasse! Dann ging's in eine 20-minütige Pause, in der Maurice Maurer erstmal damit beschäftigt war, den Fehlerteufel aus der Verstärkeranlage zu vertreiben. Während eines Stücks im ersten Teil war ein Knistern zu hören. Zwar spielte das Quartett "knisternd", wie König anmerkte, doch gewollt war dieses Nebengeräusch nicht.

Das Publikum hatte sich mit Getränken versorgt, die Raucher hatten ihre Sucht (zumindest vorerst) befriedigt und einige interessante Gespräche unter den Konzertbesuchern wurden beendet, als Harald Schneider erneut die Leute auf ihre Plätze bat. Der zweite Teil des Konzerts sollte gleich starten, doch diese Gelegenheit nutzte der rührige Organisator des Parkbad Süd auch gleich dazu, für den Verein Werbung zu machen. Damit das in Zukunft so weitergehen, und Castrop zumindest an einer Stelle noch Kultur in Form von anspruchsvoller und guter Musik erleben kann, bedarf es auch Unterstützung von außerhalb. Tja, das kennen wir ja schon...
Der zweite Teil des Konzerts begann mit dem Stück "Gipsy Funkpunk", einer Komposition von Christoph König. Der Songtitel verrät eigentlich schon eine ganze Menge. Mit dem Temperament der Zigeuner, dem mitreißenden Effekt des Funk und der Wucht des Punk schleuderten uns die vier UWAGAs diese flotte Nummer in den Raum. Dabei ruhig sitzen zu bleiben, fiel nicht nur schwer, sondern war auch gar nicht möglich. Ein perfekter Song, um die doch sehr lang ausgefallene Pause umgehend vergessen zu machen. Nach diesem Knaller übernahm Miroslaw Tybora das Mikrofon und moderierte das folgende Stück an. Es handelt sich dabei um einen Tango, und über die Entstehung und den Hintergrund gab uns der Musiker einen ausführlichen Einblick. "Tango König" war der zweite Titel des zweiten Teils, und wieder - wie schon im ersten Teil nach dem 2. Song - machte Königs Violine "Zicken". Diesmal fiel die unfreiwillige Pause aber wesentlich kürzer aus und König klärte das Publikum auf, dass all die Technik-Pannen nur ins Programm eingebaute Klamauk-Nummern seien, die so herrlich spontan rüberkommen würden. Man war geneigt, dem sympathischen Saiten-Virtuosen diese mit Augenzwinkern versehene Aufklärung glatt abzukaufen ;-)

Im Anschluss bekamen wir die von Maurice Maurer bearbeitete Violinensonate von Mozart zu hören, ihr folgte das Stück "Hora Transilvania", einer im Balkan-Sound präsentierte Nummer, die ein bisschen was vom traditionellen ungarischen Csárdás hat. Nach dem musikalischen Ausflug zum Balaton nahm sich Christoph König wieder einmal das Mikrofon und moderierte das nächste Stück an. "Brain" heißt es, und König wurde zu dem Stück von einer "schmierigen Diskothek" in Braunschweig, die "Brain" heißt, inspiriert. Und wer sich nun fragen sollte, warum man einen Song über eine "schmierige Diskothek" aus Braunschweig schreibt, bekam die Antwort gleich mitgeliefert. Dort lernte er seine jetzige Frau kennen, mit der er gerade vor wenigen Tagen das erste Kind bekommen hat. Grund genug, dieser Einrichtung einen Titel zu widmen. Diese doch eher ruhige Nummer, bei der Maurer seine Violine und Hacker seinen Kontrabass auch als Percussion-Instrumente zweckentfremdeten, ließ nach diversen flotteren Nummern wieder etwas Ruhe in den Raum einkehren. Mit "Bei mir bist Du schön", einem 1932 von Shalom Secunda und Jacob Jacobs für ein jiddisches Musical geschriebenen Stück, und dem "Sommer" aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten" sollte dann das Konzert von UWAGA! enden.

Es war schon weit nach 22:00 Uhr und die vier Musiker hatten dem Publikum dermaßen eingeheizt, dass an ein schnelles Ende der Veranstaltung überhaupt nicht zu denken war. Insgesamt zwei Mal holte der ausverkaufte Saal die Herren zurück auf die Bühne. Eine der Zugaben bestand aus dem Stück "Mama". Maurice Maurer erklärte dem Publikum, dass es bei "Mama" um ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter gehen würde. Die Tochter hätte in einer "schmierigen Diskothek" in Braunschweig einen "schmierigen Typen" kennengelernt. Jedenfalls findet die Mutter den Kerl gar nicht so prickelnd, die Tochter hingegen aber schon. Und das wurde in diesem Stück jetzt verarbeitet. Moment... "schmierige Disko in Braunschweig"? Da war doch was...?! Das Publikum hatte richtig Spaß mit der Frotzelei Maurers und der direkten Anspielung auf seinen Kollegen König. "Sie wissen gar nicht, was bei unseren Proben so abgeht...", meinte Maurer am Ende noch. Jedenfalls war das eine so "hitzige" Diskussion zwischen Mutter und Tochter (den beiden Violinisten), dass es Maurice Maurer glatt die Brille von ihrem angestammten Platz riss...

Mit knapp zwei Stunden Spielzeit, einem vor Spielfreude und Spielwitz nur so sprühenden Quartett und zwei als Moderatoren ebenfalls eine gute Figur machenden Violinisten, die ein ums andere Mal einen lockeren Spruch nach dem anderen über die Rampe schubsten, ging ein wirklich toller Konzertabend zu Ende. Dieses Konzert von UWAGA! unterschied sich sehr von ihrem Auftritt im Januar 2010. Das Programm hat sich nicht nur inhaltlich verändert, auch die Art, wie die Titel jetzt präsentiert werden, ist eine andere geworden. Für meinen Geschmack hatte die Vorstellung viel mehr Druck und Power, als die von vor zwei Jahren. Die Kapelle um Lokalmatador Maurice Maurer hat sich sichtlich und hörbar weiterentwickelt, die Musiker harmonieren perfekt auf der Bühne zusammen, es ist ein blindes Verständnis zwischen jedem einzelnen Akteur und der Akkordeonspieler sorgt mit seiner Art zu Spielen - wie schon erwähnt - immer wieder für aktionsgeladene Momente. Wer die UWAGAs mal in seiner Nähe haben sollte, darf sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen. Auch wer mit Klassik vielleicht nicht ganz so viel am Hut hat, dürfte ob der Vielfalt in der Musik seinen Spaß haben. UWAGA! ist mehr als "Klassik für Anfänger"... Das ist Entertaiment pur! Das Programm ist abwechslungsreich, humorvoll präsentiert und erstklassig vorgetragen. Vielen Dank für diesen grandiosen Abend!

 

 

 
Die nächsten Termine:
22.01.2012 - Düsseldorf - Pfarrsaal der St. Ursula Gemeinde
25.01.2012 - Aschaffenburg - Colossaal
12.02.2012 - Düsseldorf - Logenhaus
01.03.2012 - Wuppertal - Die Börse (mit EAST AFFAIR)
02.03.2012 - Dortmund - Orchesterzentrum (mit EAST AFFAIR)
03.03.2012 - Duisburg - Alte Feuerwache (mit EAST AFFAIR)
13.03.2012 - Wien (AUT) - METROPOL (internationales Akkordeonfestival)
14.03.2012 - Gelsenkirchen - Bleckkirche - Kirche der Kulturen
15.03.2012 - Essen - Katakomben Theater
16.03.2012 - Köln - Biomöbelhaus Genske
17.03.2012 - Bottrop - Hof Jünger / Theatersaal
22.03.2012 - Vaihingen - Peterskirche
26.03 - 01.04.2012 - St. Petersburg (RUS) - Terem Crossover Competition
nähere Infos auf der Webseite von UWAGA!

Bitte beachtet auch:
- Homepage von UWAGA!: www.uwagaquartett.de
- Homepage des Parkbad Süd in Castrop: www.parkbad-sued.de

 


 

Live-Impressionen:
 
 




   
   
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