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Ein Bericht von Fred Heiduk mit Fotos von S  & M. Ziegerr

 
 
 
Totentanztrilogie im Völkerschlachtdenkmal -
... ein Moment für die Ewigkeit

Leipzig ist als Konzertort bekannt. Angefangen vom Gewandhaus über die Oper, aber auch die neue "Arena", die Messehallen, der Anker, das Haus Auensee und viele andere Hallen und Säle haben früher denkwürdige Konzerte von Klassik bis Pop erlebt und werden nach wie vor rege genutzt. Dazu kommen markante Freiluftspielorte wie die Parkbühne oder auch der Vorplatz des Völkerschlachtdenkmals. Doch darin, also in der Kuppelhalle eines der größten Denkmäler der Welt, finden eher selten Musikveranstaltungen statt. Gelegentlich singt hier der Chor des Völkerschlachtdenkmals, und das eher in kleinem Rahmen.

Umso faszinierender, und zum Ort sensationell gut passend, ist die Idee des Dresdener Kunstmäzens Henry Schumacher, in der Kuppelhalle den Totententanz in moderner Fassung aufzuführen. In moderner Fassung bedeutet in diesem Zusammenhang als Trilogie aus Wort, Musik und Tanz. Dafür den 20. April und das so oft nationalistisch missbrauchte Völkerschlachtdenkmal zu nutzen, war eine in gewisser Hinsicht gewagte aber letztlich richtige Entscheidung. Mit der Auswahl der Stücke und ihrer Interpreten wurde auf private Initiative an einem der in der Vergangenheit politisch am stärksten belasteten Orte Leipzigs ein deutliches Zeichen gegen Diktatur und Willkür und die damit verbundenen Schrecken, vor allem gegen Krieg und seine sinnlosen Opfer - für Humanismus und einen würdigen Umgang mit den Toten gesetzt. Das angekündigte Stück, der Totentanz, und die Interpreten des musikalischen Rahmens - unter anderem waren Stefan Trepte, die Gruppe Karussell und Werther Lohse avisiert - füllte dann auch die Kuppelhalle bis auf den letzten Platz. Der Abend wurde eines der spektakulärsten Events, die ich bisher erlebt habe, und das in seiner Intention und Bedeutung in gewisser Weise mit den größten Klassikern der Rock und Popgeschichte auf eine Stufe gestellt werden kann.

Warum ich so markige Vergleiche ziehe, verdeutlicht die Historie des Totentanzes am Besten. Der Totentanz hat eine lange Geschichte. Bereits im Mittelalter machten sich unsere Vorfahren Gedanken über die Macht des Todes und stellten das in Bildern aber auch in Musik und Tanz dar. Eine der bekanntesten übernommenen Darstellungen stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist bekannt als der Lübecker Totentanz, in dem Verse über verschiedene Menschen fast wie deren Beichte im Angesicht des Todes wirken und die in einem monumentalen Wandgemälde in der Lübecker Marienkirche dargestellt wurden. Dieses frühe Werk inspirierte immer wieder Künstler aller Epochen zu modernen Interpretationen. So auch den bedeutenden Kirchenmusiker Hugo Distler, der 1934 Texte Johannes Klöckings und des bedeutenden Barockdichters Angelus Silesius vertonte. Dieses Werk nun war zentraler Bestandteil der Trilogie, die in Leipzig aufgeführt wurde. Und genau dieser klassische Teil, der eine grandiose Darbietung klassischer Texte (Texte nachlesbar unter HIER) und großartige Chormusik, unterstützt von wunderschönem Tanz, umfasste, faszinierte wohl jeden der Anwesenden ganz besonders. Der Totentanz in dieser Form war für die meisten im Publikum unerwartet, für viele sicher sogar völlig unbekannt. Der Totentanz von Distler, dargeboten vom Dresdener Motettenchor, war der zentrale Bestandteil des Abends, um den thematisch passende Titel jüngeren Datums der auftretenden Musiker gruppiert wurden und so den klassischen Stoff gekonnt mit der Gegenwart verbanden.

Der Vortrag des Chors war künstlerisch ein Hochgenuss, der sicher auch durch die besondere Akkustik der Kuppelhalle wirkte. Neben den gesprochenen Texten beeindruckten mich besonders einige Strophen speziell der Männerstimmen, die mich stark an die Gregorianik erinnerten. Eine brillante Darbietung, die geradezu unvergesslich war. Wie angedeutet, wurde der eigentliche Totentanz von anderer Musik eingerahmt. Dargeboten von Yvonne Fechner und Bodo Kommnick, von der Gruppe Karussell und von Werther Lohse und Andreas Leuschner, bildeten zumeist bekannte Ostrocktitel so etwas wie einen Rahmen um den Tanz.

Besonders Yvonne Fechner und Bodo Kommnick, die die Trilogie mit dem Stück "Mouvement Introductif" von Yann Tiersen eröffneten, begeisterten mich rundum. Geführt von Yvonnes Geige, zauberten die beiden geradezu sphärische Klänge in die Kuppelhalle. Speziell auch beim zweiten, zum Abschluss der Trilogie von ihnen gespielten Titel, "Sur la file" standen diese Klänge bekannten, ganz großen Vorlagen von Pink Floyd über Tangerine Dream oder Jean Michel Jarre in nichts nach. Bei ihrem Vortrag musste ich, warum auch immer, an Pink Floyd in Pompeji denken. Allein für ihren Auftritt hätte sich der Konzertbesuch schon mehr als gelohnt.

So trefflich die Akustik des Völkerschlachtdenkmals den Vortrag der Beiden unterstützte, so erschreckend wirkte er beim ersten Auftritt der Gruppe KaRUSSELL. Da keiner der Künstler vorab im Denkmal proben konnte, war der Titel "Besinnung" zunächst kaum zu verstehen. Der gewaltige Hall - besonders der Bässe - verdarb den Vortrag der Band ganz deutlich. Es dauerte eine Weile, bis sich die Technik auf die schwierigen Bedingungen eingestellt hatte. Umso besser wirkten dann die beiden Titel nach der Pause - "Loslassen", der ganz großartig und ungemein gefühlvoll von Joey gesungen wurde und die scheinbar unverzichtbare Allzweckwaffe "Als ich fortging", der an diesem Abend eine großartige Auffrischung erfahren hatte. Ich kann gar nicht beschreiben was man verändert hatte, aber in einer leisen, fast akustischen Bandvariante war er ungemein hörenswert. Besonders Hans Graf setzte ein paar Glanzpunkte die mir überaus gut gefallen haben.

Einige der Zuhörer hatten sich sicher besonders auf Stefan Trepte gefreut, doch der war erkrankt und so wurde der Part Werther Lohses auf 3 Titel ausgeweitet. Mit "Memento Mori", diesem großartigen Stück aus alten Lift-Zeiten, setzte er ein besonderes Glanzlicht des Abends. Mit seinem zweiten Stück "Nach Süden" brillierte er geradezu. Sein "Vertretungsauftritt" bestritt er mit dem "Kampf um den Südpol" von der STERN-COMBO MEISSEN. Der Versuch einer freien, modernen Interpretation war aus meiner Sicht zumindest anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Doch Werther wäre nicht einer der versiertesten Sänger des Ostrock, hätte er nicht auch aus diesem Titel einen gelungenen Auftritt gemacht, indem er gesangstechnisch zur Freude der Zuhörer schlichtweg nach der ersten Strophe nahe ans Original wechselte.

Zusammengefasst darf man zu diesem Teil der Trilogie sagen - überaus gelungen, aber sehr problematisch in der unglaublich nachhallenden Kuppelhalle umzusetzen. Wer hier zu viel Bässe einsetzte, drohte im Hall unterzugehen. Doch die auftretenden Musiker wären nicht Meister ihrer Klassen gewesen, hätten sie das Problem nicht in den Griff bekommen. Bleibt noch zu erwähnen, dass es nach Distlers Totentanz einen Pause gab, an die sich im zweiten Teil mit der "Nacht auf dem kahlen Berge" von Modest Mussorgski ein beeindruckender Balettauftritt der EGE DANCERS anschloss, für den die Tänzerinnen zu Recht tosenden Beifall bekamen.

Last but not least muss Kathleen Raschke noch erwähnt werden, die mit zwei Rezitationen einen wesentlichen Beitrag für den dritten Teil der Trilogie - für den Teil Sprache - gestaltete. Gerade das Tucholski Stück "Der Graben" aber auch der "Totentanz" von Rilke spannten den Bogen in die Moderne und setzten das eingangs erwähnte Zeichen gegen Gewalt, Kriegs- und Terrorwahnsinn. Bleibt mir noch anzumerken: was zu erleben war, war der Totentanz. Doch hatte er in dieser Form, als Trilogie aus Wort, Gesang und Tanz, ganz und gar nichts morbides an sich. Das war in gewisser Weise Lebensfreude pur. Nur nicht laut und schrill, sondern einmal nachdenklich und getragen.

Der Stadt Leipzig und den Gestaltern des 200sten Jahrestages der Völkerschlacht kann man nur empfehlen, über einen Platz für die Totentanz Trilogie im Festprogramm nachzudenken, denn diese Fassung des Totentanzes hat die Klasse in die Reihe der größten Aufführungen zu diesem Thema einzugehen. Denen, die der Aufführung am Freitag nicht haben beiwohnen können, sei gewünscht, dass es weitere Aufführungen geben wird, denn Kunst auf diesem Niveau ist nicht oft zu erleben.

 

Bitte beachtet auch:
- Off. Homepage von KARUSSELL: www.karussell-rockband.de
- Off. Homepage von LIFT: www.lift-rockballaden.de
- Off. Homepage des Dresdner Motettenchors: www.dresdner-motettenchor.de
- Homepage des Fördervereins Völkerschlachtdenkmal: www.voelkerschlachtdenkmal.de
- Homepage des Veranstalters: www.antea-dresden.de

 


 

Live-Impressionen:
 
 
 
 

   
   
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