UNBEKANNT VERZOGEN

Berlin | 3. Juni 2012

Desden  | 8. Juni 2012

Ein Konzertbericht von Heike Gaida mit Fotos von 
Matthias Rauhut,, Patricia Braun, Tina mit Hut & Jan Tempel
 

 

 

 

"... ein wilder Sommer und ein erstes Jahr,
und wir singen das nächste ziemlich laut ein,
an Wassern wo das wir noch gar nicht war..."
 
Eine Band feiert sich, das Leben und den
40. Geburtstag ihrer begnadeten Sängerin Patti.
 

Angekommen im art.gerecht, getragen auf den Wolken der Neugier... Freude... Aufregung, tauchte ich sofort ein... in eine ganz besondere Atmosphäre, welche mich gefangen nahm und den gesamten Abend nicht mehr verlassen sollte... Das art.gerecht: eine Location, welche diesem Abend einen perfekten Rahmen gab... locker, von einer wunderbaren Leichtigkeit, welche Tiefe zulassen konnte.

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Begrüßt wurde ich von Patti, einer bezaubernd natürlichen Frau mit großer Stimme, voller Energie und einer unbeschreiblichen Aura. Schon während des Soundchecks war mir klar... dieser Abend würde wunderbar. Kurz zuvor wurde aus dem art.gerecht das Wahl-Lokal, eine Sendung von rockradio.de live ausgestrahlt, weshalb UNBEKANNT VERZOGEN nur eine Stunde Zeit für Aufbau und Soundcheck hatte - und dabei auch ausnahmsweise vom neugierigen Publikum beobachtet werden konnte.

Wie ich am Rande erfuhr, ist die Band nach einigen Umbesetzungen nach Erscheinen ihres Debütalbums "Piratenbräute" im Dezember 2011 jetzt fast komplett neu - und im Vorfeld dieses ersten Gigs der neuen Schiffsbesatzung wurde im Buschfunk gemunkelt, der eine oder andere neue Song würde wohl gespielt werden an diesem Abend...
Zur Crew gehören Patti Heidrich (Gesang), Hannes Funke (Gitarren, Mundharmonika, Gesang), Karsten Schützler (Bass, Gesang), Gerald Zaczyk (Schlagzeug, Gesang) und Chris Lastelle (Klavier). Während des Gespräches mit Patti erfuhr ich, dass sie in der Band zum Teil die Texte beiträgt und "ihre" Männer allesamt komponieren - und tatsächlich sei das Geburtstagskonzert eine Art eigenes Geburtstagsgeschenk, da die meisten Songs, die heute auf dem Programm stehen, tatsächlich neue sind und musikalisch aus den Federn von Hannes Funke und Karsten Schützler stammen. Und es schlummern weitere Songbabies, auch von Gerald Zaczyk, noch in der Schublade und warten auf den Dornröschenkuss.

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Die Räumlichkeiten füllten sich artgerecht - herzensschöne Menschen, man kennt sich, sitzt in gemütlicher Runde... jeder Platz (vom Sessel, Stuhl, Tisch und Boden) wird dankend angenommen. Das Team von rockradio.de ist Helfer bei der technischen Ausstattung des Abends, ebenso halfen einige Freunde von UNBEKANNT VERZOGEN aus, um Engpässe auszumerzen - irgendwie ein Gemeinschaftsgefühl, was von dieser Band und ihren Freunden ausgeht.
Und alle warten sie voller Sehnsucht auf die ersten Töne...
Welche 'schwarzbeerig' sofort um sich griffen und entführten in ein Land, was da LEBEN heißt, mit all seinen Facetten. Die "Schwarzen Beeren" - der Opener gleich ein neuer Song! - scheinen irgendwie die Bandstimmung einzufangen, aus dem Refrain stammt das eingangs geborgte Zitat: "...ein wilder Sommer und ein erstes Jahr, und wir singen das nächste ziemlich laut ein, an Wassern wo das wir noch gar nicht war..." - ein Song von Andreas Hähle (Text) und Hannes Funke (Komposition). Die "Schwarzen Beeren" kommen leichtfüßig daher, haben irgendwie Sommerhitpotential - eine Hymne an die Offenheit und das Ja-Sagen zu sich und allen und allem drumrum.
Zum Aufpicken der schwarzen Beeren wurde die "Nachtvögelin" (Text: Andreas Hähle, Komposition: Christian Haase) herangeholt, die wohl zum Inventar der Band gehören dürfte, deren Flug durch die Nacht aber neuerdings im Refrain von einem wunderbaren Satzgesang der gesamten Band getragen wurde.

Und weil das Leben kein Ponyhof ist, auch nicht mit der Nachtvögelin, ging es weiter mit "Schwer wie Blei" (Hähle, Funke) - der nächste neue... Ein Song über den befreiten Zustand nach einer Trennung, in den Strophen etwas schmollend bis schmunzelnd, um dann im Refrain doch niederschmetternd festzustellen, dass der andere fliegt und man selber Blei, nicht nur an den Füßen, hat.
Auch "Der Ungläubige" stammt aus dem neuen Songpool, diesmal von Patti Heidrich (Text) und Karsten Schützler (Komposition) - die Bibelgeschichte des ungläubigen Thomas aus der Sicht von UNBEKANNT VERZOGEN. Im Grunde ein Song darüber, dass der, der auf jemanden trifft, der ihm nicht vertraut, zum Stolperstein werden kann, ohne es zu wollen oder dafür zu können, und das, obwohl er selber vertraut - ein großes Missverständnis, wo es doch eigentlich so einfach sein könnte.
Nach dem auf dem Debütalbum veröffentlichten "Balkon" (Heidrich, Stammberger) folgte dann "Immer wieder nur" (Heidrich, Funke) - der Song, der nur zwei Stunden zuvor im Wahl-Lokal vorgestellt wurde und für den gevotet werden kann (www.wahl-lokal.rockradio.de) - ein persönlicher Text von Patti übers Knabbern an der Bandgeschichte, die von einem gefühlten häufigen Musikerwechsel gekennzeichnet ist und so auch den Bandnamen suggerierte, obwohl das, ganz ehrlich gesagt, kein besonderes Phänomen ist, weil das überall passiert - nur ist Patti da, als "späte Starterin", wohl anders herangegangen.

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Im Neue-Songs-Karussell saß dann "Schlaf ein" - eine märchenhafte Beschreibung, sowohl in textlicher (Hähle) als auch musikalischer (Funke) Sicht, der Dornröschengeschichte - und Pattis Stimme trägt die Sorge und Liebe und den Schmerz der Sorgenden bis in die Bauchhöhle. Man mag fast selbst auserwählt worden sein, von der Spindel gestochen zu werden...
Ein besonderes Schmeckerchen kam dann mit "Oskar und Ursula" (Hähle, Funke), wo Patti in der Anmoderation die Entstehung des Songs erzählte... Als sie das erste Mal ihren Freund René Wiggers traf, im Februar 2010, und auf seiner Terrasse stand, und an der Backsteinwand eingeritzt die Namen Oskar und Ursula und 7 44 und dann 28 Robinsonstriche sah... und dann in den Folgejahren ein paar wunderbare Wochen dort erlebt hat, bei "Wiggi" (René Wiggers) - wird sie immer wieder melancholisch, wenn sie die eingeritzten Liebesseufzer dort sieht, ein Kriegssommer, eine Liebe - und kein Zeichen über ein Weitergehen nach dem Juli '44... quasi ein Denkmal. Und - Wiggi ist der Vater des "Reriker Liedersommers", der in diesem Jahr das zweite Mal stattfindet, ein besonderes Event direkt am Strand, auf Ostseesand, dem Wettergott ausgesetzt - und UNBEKANNT VERZOGEN wird in diesem Jahr dort, unter anderem mit Haase & Band, am 14. Juli, zu erleben sein...

Und dann wurde erstmal die Band in die Pause geschickt und Patti hatte einen besonderen Geburtstagsgast dabei, Gerd Pfannenschmidt - im Beiboot ruderten sie - im Duo- los, zu den Stränden des gestern. Vor ...zig Jahren fand Patti in der "Singebewegung ab 89" Zugang zu ihrer Stimme und der Lust, diese Stimme zu zeigen, in all ihren Farben. Mit "Märchenland" und "Auf der Suche nach Glück" zauberte sie uns eine zarte Ahnung der ersten Begegnung mit diesem Pflänzchen Liebe und dem Leid und hinterlässt einen Blick in die Jugendzeit - und auf das Werk von Stefan Elssner, aus dessen Feder diese Songs stammten.
Aus dieser Zeit stammt auch der Song "Entschuldigt bitte, dass ich da bin" - mit diesem Titel hat Patti mich völlig überwältigt, vor allem wie sie ihn sang. Sehr faszinierend auch, dass das Songs waren, die sie auch schon mit 17 gesungen hat - und jetzt, da sie Frau und 40 Jahre alt ist, wirken sie immer noch - und stimmen vor allem immer noch.

Man war fast dankbar, danach in die Pause entlassen zu werden - die Eindrücke waren doch sehr ergreifend und es musste etwas Luft an die Seele - die Songs der ersten Runde erzählten von Gefühlen, Sehnsüchten, Niederlagen, dem Hinfallen und immer wieder Aufstehen, der Hoffnung und den wohl jedem von uns bekannten Träumen, welche zugeschüttet nach Licht schreien. Seltsam berührte mich die Tatsache, dass die meisten Texte der lyrischen Hand von Männern entsprungen sind - Worte, die wie Pfeile in die Tiefen der - vor allem weiblichen - Seele treffen.

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Nach einer Pause und der gelungenen Geburtstags-Einlage der COMEDIANS DELITANTUS (Siehe Video unten) ging es mit aller Kraft voraus auf das Meer eines jazzig angehauchten, sehr eigenen, markanten Rock, um sich auf bluesigen Wellen dann treiben zu lassen. Der zweite Teil des Konzerts gehörte überwiegend den "alten" Songs. Neben "Vergrabene Träume", "Lissabon", "Flo", "Vollmond", "Drittes Glas" und "Konjunktiv" - allesamt auf der "Piratenbräute"-CD zu hören, gab es auch die "Kinder auf dem Balkon" (Hähle, Schützler) und "Genieß den Schmerz" (Heidrich, Funke). Die Balkonkinder sind die, die unter Begonien verbuddelt, vielleicht Glück gehabt haben, dass sie den ganzen Mist, der sich zwischen Vater und Mutter und in der Gewalt und in dem Elend auf dem Spielplatz abspielt, nicht mehr mitbekommen. Die Mutter hat sie geschützt - durch den Tod. Im Vergleich zu diesem harten Song ist "Genieß den Schmerz" eher eine leichte melancholische Ballade darüber, dass man Abschied nehmen kann, in dem man Schmerz zulässt und aushält. Dass dieses Abschiednehmen sogar lustvoll sein kann und darf.

... und man möchte, dass es nicht aufhört. Stundenlanges Zuhören, ohne zu ermüden, immer wieder kleine Perlen vom Meeresgrund, wie der Saxophonist Hugo Lee, den Patti ein paar Tage zuvor im "artliners" (Gärtnerstraße, Berlin) aufgegabelt hat, zarte 18 und vier Tage später sollte er schon wieder zurück in seine australische Heimat sein... den Anker werfen und verweilen ... abtauchen, ohne unterzugehen.
UNBEKANNT VERZOGEN versüßte mir den Abschiedsschmerz und das Wissen, Musik kann eine Insel sein, auf die ich mich retten kann. DANKE an UNBEKANNT VERZOGEN... für diese musikalische Leichtigkeit, diesen Rausch der Spielfreude... Danke an Patti... für einen Abend, welcher sich tief in die Seele schreibt und bleibt.

Das gilt übrigens auch für den Gig am 8. Juni 2012 in dem Dresdener Club Passage, wo sie, diesmal nicht unplugged, sondern in voller Montur, aufspielten - trotz Eröffnung der Fußball-EM und trotz guten Wetters war der Saal gut gefüllt und die Stimmung herzlich.

 

 

 

Video:
 
Auftritt der Comedians Delitantus
Beim Konzert in Berlin
 
 
 
 
 
 
 

Live-Impressionen:


Konzert in Berlin
Fotos: Matthias Rauhut und Patricia Braun

 

Konzert in Dresden
Fotos: Tina mit Hut und Jan Tempel

 


   
   
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