
Ein Bericht mit Fotos von Bodo Kubatzki
Das ROXSA Festival 2023
Ursprünglich sollte dies ein Bericht über ein Konzert der Band SILLY werden, die aktuell in neuer Besetzung auf Tour ist. Doch dann las ich, dass SILLY im Rahmen eines Festivals spielen würden. Das Line Up wies Bands und Künstler aus, die ich mag. So stand für mich fest, dass ich das gesamte Festival erleben möchte. Hier nun mein Bericht über das diesjährige ROXSA Festival in der romantischen Salzstadt Bad Sülze.
Obwohl Bad Sülze ganz in der Nähe meines Wohnorts Rostock liegt, muss ich gestehen, dass ich noch nie dort gewesen bin. Auch von dem ROXSA Festival hörte ich in diesem Jahr zum ersten Mal, obwohl es dieses bereits seit 2015 gibt. Organisiert wird es vom Verein Freundeskreis Popkultur und der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Sülze. Während beim ersten Festival im Jahr 2015 vorrangig regionale Bands wie Jackpot aus Greifswald oder Bad Penny aus Rostock auftraten, wartet das Festival inzwischen mit deutschen und internationalen Acts auf. Doch es ist nicht nur ein Musikfestival, das die Organisatoren hier ausrichten. Neben der Musik wird es jede Menge Aktionen im Rahmen eines Kleinkunstfestivals geben. Artistik, Magie und Comedy wird rund um den Kirchturm in der historischen Altstadt zu erleben sein. Das Festival soll laut Flyer viele Attraktionen für Alt und Jung bieten. Und abends wird es dann auf der Festivalbühne laut, wenn die Musiker ihre Instrumente einklinken. Gespannt machten wir uns also am Freitagnachmittag auf den Weg nach Bad Sülze.
Freitag, 07.07.2023
Als wir gegen 17:00 Uhr an dem ausgeschilderten Parkplatz ankamen, parkte dort noch kein einziges Fahrzeug. Wir entrichteten die zwei Euro Parkgebühr und begaben uns zum Ort des Geschehens, dem Kirchplatz. Doch auch dort trafen wir ausschließlich auf Menschen mit Schildchen, die sie als Crewmitglieder oder andere "Offizielle" auszeichneten, oder so wie uns als "Presse-Leute". Meine Frau zählte zu diesem Zeitpunkt vier zahlenden Gäste. Einen der "Offiziellen" lernten wir kurz darauf kennen. Uwe "Bobby" Bobsin, ganz in schwarz gekleidet und einen Zylinder auf dem Haupt, stellte sich uns als einer der beiden verantwortlichen Organisatoren des Festivals vor. Wir hatten vor einigen Wochen bezüglich der Akkreditierung miteinander telefoniert. Bobby berichtete über die Entstehung des Festivals und darüber, dass damit und mit anderen Aktionen das kulturelle Leben in der kleinen Stadt in ländlicher Umgebung wieder belebt werden soll. Unsere Befürchtungen, dass hier wohl nicht viel passieren würde, angesichts des geringen Publikum Zulaufs, räumte er sofort aus. Die Konzerte würden erst um 18:30 Uhr beginnen. Es gäbe keinen festen Zeitplan. Die Erfahrung hätte gezeigt, dass sich alles findet, und dass auch genügend Leute kämen.
Tatsächlich füllte sich das Areal an der Kirche nach und nach. Als der erste Act von Bobby und einer jungen Blondine namens Roxsana angekündigt wurde, standen etwas entfernt von der Bühne schon einige Stuhlreihen, auf denen es sich die ersten Gäste bequem gemacht hatten. Auf der Bühne nahm ein junger Mann mit Gitarre Platz. Vor sich hatte er ein kleines Schlagzeug aufgebaut, mit einem "Trabant-Logo" auf dem Fell der großen Trommel. In feinstem Englisch stellte er sich als The Outis Nemo One Man Band aus der nahegelegenen Rawstock City vor. Mit rauer Gesangsstimme intonierte er vorwiegend Klassiker der Blues Musik, spielte Schlagzeug, Gitarre und Blues-Harp dazu. Er selbst bezeichnete seine Musik als Blues-Punk. Zwischendurch kam eine zweite Gitarre zum Einsatz, die er als "the very, very first guitar, that was build in the Soviet part of Germany" bezeichnete. Und ja, er sang auch mal auf Deutsch. Klassiker wie der Kinks-Song "Everybody's gonna be happy" oder der Swing-Standard "All of me" erklangen in einer sehr eigenen Blues Version. Mit "Werewolf" brachte er auch einen eigenen Song mit, und es gab einen "Original Mecklenburg-Vorpommern Blues", "Dat du min leevsten büst" in einer originellen Version von dem wilden One-Man-Act mit der schwarzen Brille.
Auf die nächste Band freute ich mich besonders, denn ich hatte sie bereits live erleben dürfen. Über ihr aktuelles Album "Treselectrica" findet ihr auf diesem Portal meine Rezension. Die Rede ist von The Wake Woods aus Berlin. Das Trio aus den beiden Brüdern Helge (Gitarre und Gesang) und Ingo Siara (Gesang und Bassgitarre) und dem Schlagzeuger Sebastian Kuhlmey zählt derzeit zu den angesagtesten deutschen Rockbands. Erst kürzlich spielten die drei als Support-Act für The Who auf der Berliner Waldbühne. Mit ehrlicher, handgemachter Musik der härteren Spielart begeisterten sie auch in Bad Sülze, wo sie schon zum zweiten Mal Gäste des ROXSA Festivals sein durften. Zwischen Songs ihrer drei Studio-Alben schoben die Jungs auch mal einen Death Metal Klassiker. Doch punkteten sie vor allem mit eigenen Songs und ihrer schweißtreibenden Performance, alles bei fast 30 Grad im Schatten. Und die Sonne knallte unbarmherzig auf die Bühne. Der Beifall zum Schluss des Konzerts zeigte, dass es auch den Gästen gefallen hat, die vor allem wegen des nächsten Acts gekommen waren.
Bevor der ehemalige Genesis-Sänger Ray Wilson mit seiner Band die gesamte Bühnentiefe nutzen konnte, gab es eine etwas längere Umbaupause. Damit die Zeit in den Pausen nicht langweilig wurde, hatte der Veranstalter für Unterhaltung in Form von Artistik und Akrobatik gesorgt. Seitlich der Bühne konnte man die verschiedensten Performance Künstler bestaunen. Für uns jedoch auch Zeit, etwas zu essen und ein kühles Bier zu trinken. Bei der Hitze braucht der Körper genug Flüssigkeit.
Der Schotte Ray Wilson, der seit einigen Jahren in Polen lebt, hatte sich schon einen Namen in der Musik-Szene gemacht, bevor er die Chance hatte, bei der Kultband Genesis als Sänger einzusteigen. Als Frontmann der Band Stiltskin, deren Debütsingle "Inside" als Werbespot für Levi's 501 Jeans zu einem Hit wurde, war er längst kein Unbekannter mehr. Nach dem Ausstieg von Phil Collins, spielte Genesis mit Wilson das Album "Calling All Stations" ein, das jedoch nicht besonders erfolgreich wurde. Nach einer kurzen gemeinsamen Tour, die ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg brachte, wurde das Projekt Genesis von den verbliebenen Mitgliedern Tony Banks und Mike Rutherford für beendet erklärt. Ray Wilson widmete sich danach eigenen Projekten und veröffentlichte diverse Alben mit teils sehr schönen Songs.
Ray Wilson ist ein äußerst fleißiger Musiker, der in verschiedenen Konstellationen ständig auf Tour zu sein scheint. Auf dem ROXSA Festival präsentierte er sein Programm Genesis Classic mit seiner Band, die aus weiteren vier Musikern und einem Streichquartett bestand. Wie es der Name schon sagt, enthielt das Programm jede Menge Genesis Klassiker, aber auch Songs von Phil Collins, Peter Gabriel oder von Mike and the Mechanics. Das waren alles Songs, die das altersmäßig sehr gemischte Publikum im Ohr hatte. "Carpet Crawlers" erzeugte eine magische Stimmung. Natürlich wurde dabei der Refrain mitgesungen, ebenso wie bei "No Son Of Mine", bei "Follow You Follow Me" oder bei "Another Day in Paradise". Nach diesem Phil Collins Stück lud uns Ray mit der wunderschönen Ballade "Alone" in seine schottische Heimat ein, wo es den guten Scotch Whiskey und "sexy men" gibt. In seinen Konzerten sollte Ray Wilson viel mehr seiner eigenen Songs spielen, meine ich, denn die können durchaus mit den Klassikern mithalten. Ich möchte noch ein paar Worte zu seinen fantastischen Musikern loswerden. Da wäre zunächst Rays Bruder Steve zu nennen, der hervorragend Gitarre spielte und dabei sympathisch bescheiden blieb. Herausragend war ebenfalls Saxofonist Marcin Kajper, der inzwischen auch den Bass bedient. Marcin ist ansonsten im Jazz zuhause und entfaltet dort sein musikalisches Können. Nicht zu vergessen Alicja Chrzaszcz, die mit ihrem Violinspiel verzauberte, Kool Lyczek an den Keyboards, Mario Koszel an den Drums und die anderen drei Damen vom Streichquartett. Alle zusammen bescherten uns ein einzigartiges Konzerterlebnis, dem etwas mehr Publikum gut getan hätte.
Zum Abschluss des ersten Festivaltages boten uns The Rockin' Lafayettes aus Nürnberg Rock'n'Roll und Rockabilly vom Feinsten. Trotz der langen Anreise und der späten Stunde gaben die drei Musiker alles. Ihr Outfit und ihr nostalgisches Instrumentarium wirkten für heutige Verhältnisse schon etwas skurril. Doch hat sich das Trio Hannes 'Jimmi Lafayette' Bernklau, Ferdinand Roscher und Simon 'The frog' Froschauer einer Musik verschrieben, die schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Mit viel Energie brachten sie diese sehr authentisch und stilsicher auf die Bühne. Wir hörten uns noch einen Großteil des Konzerts an. Doch gegen Mitternacht machten wir uns dann auf den Heimweg.
Samstag, 08.07.2023
Schon ab 13:00 Uhr lockte das Festival mit Kleinkunst rund um den Kirchturm Jung und Alt in die Stadt. Wir wollten pünktlich zur ersten Band wieder dabei sein. Erstaunt stellten wir fest, dass der Platz vor der Bühne an diesem Nachmittag bereits gut besucht war. Gestern konnten wir noch zwei Stühle ergattern. Heute funktionierte das nicht mehr. Eine Trommeltruppe spielte gerade die letzten Rhythmen als wir in Bad Sülze eintrafen. Kurz darauf ging es musikalisch los. The Aberlours sind fünf Herren aus dem Großraum Berlin/Brandenburg, die sich schottischer und irischer Folkmusik verschrieben haben. Doch sie spielten diese Musik nicht im ursprünglichen Gewand. Sie versahen den Folk mit einer gehörigen Portion Rock. Sie selbst nennen ihre Musik Celtic Folk 'n' Beat. Den spielten sie auf interessanten und teils seltenen Instrumenten. Neben Gitarre, Akkordeon und Violine (oder besser Fiddle) kamen Cister und Mandocello zum Einsatz. Ein Schlagzeug mit Double-Bass und ein wummernder E-Bass sorgten für donnernde Grooves. Es erklangen keltische Seemannslieder, die mit witzigen Anekdoten angekündigt wurden. Auch ein "Bayrisch Folksong" passte ins Programm. Das Stück "Nudeldick" oder "Liebe in der Landwirtschaft" wurde zu "Sailor's Hornpipe" gesungen, einer Melodie von Mike Oldfield. Auch bei The Aberlours fand das plattdeutsche "Dat du min leevsten büst" ins Programm, diesmal in einer folk-rockigen Version. Die Herren sorgten mit ihrem Konzert für viel Spaß und beste Unterhaltung, ein würdiger Auftakt für den zweiten Festivaltag.
Die Hamburger Band WellBad, mit ihrem extrovertierten Frontmann Daniel Welbat, sorgte mit ihrem elektrisierenden Auftritt für eine riesige Überraschung. Da rockte und groovte es auf der Bühne, dass man Augen und Ohren nicht mehr abwenden mochte. Daniel Welbat sang und schrie sich stimmgewaltig durch die Geschichten seiner Songs. Wild gestikulierend tobte er dabei über die Bühne. Mit diabolischer Mimik zog er die Zuhörer sofort in seinen Bann. Eine Schar fantastischer Musiker sorgte für einen Mix aus Rock, Blues und Hip Hop. Teils wurde es jazzig, besonders wenn die "fetten" Bläser zum Einsatz kamen. Die Rhythmusfraktion aus Jonas vom Orde am Schlagzeug und Stefan Reich am Bass sorgte für ein wuchtiges Fundament, meist rockig und funkig. Auch Gitarrist Arne Vogeler wusste, wie er die Saiten seines Instruments in bester Rock Manier zum Singen bringt. Es machte ausgesprochen Spaß, dem energiegeladenen Spiel der Musiker zu lauschen und zuzusehen.
Mit Silly kam dann Schlag 20:00 Uhr die Band auf die Bühne, wegen der ich eigentlich hier sein sollte. In ihrer 45-jährigen Geschichte schlug die Band in diesem Jahr ein neues Kapitel auf. Sie gewährte dem "arbeitslosen" Sänger der nicht mehr existierenden Band City Asyl. Toni Krahl übernimmt die Position des Sängers in der Band, neben Julia Neigel, die bereits seit 2019 bei Silly singt, hieß es zu Beginn des Jahres. Ich erwartete diesen Auftritt mit Spannung, wie wohl die meisten im Publikum. Wie wird es sich anfühlen, wenn Toni Songs singt, denen früher Tamara Danz mit ihrer unverwechselbaren Stimme Leben eingehaucht hat? Nach dem typischen Silly-Opener "Unterm Asphalt" und nach "Alles wird besser", bei dem Julia Neigel die Rock-Lady raushängen ließ, machte Toni Krahl schnell klar: "Liebe Gemeinde, ich bin nicht Tamara." "Verlorene Kinder" und "Batallion d'Amour" sang er auf seine unverkennbare Art, und machte damit deutlich, dass es funktioniert, neuer Frontmann bei Silly zu sein. "Batallion d'Amour" mit den eindringlichen Fretless-Bass Passagen, hingebungsvoll von Jäcki Reznicek gespielt, war einer der ersten Höhepunkte des Konzerts. Bei "Wo fang ich an" und "Schlohweißer Tag" übernahm dann Julia wieder die Position der Frontfrau. Sie sang die Songs mit leicht angerauter Stimme und zeigte eine enorme Bühnenpräsenz. Nach "So ‚ne kleine Frau", gesungen von Toni und "Asyl im Paradies", von Julia interpretiert, schob die Band einen kleinen Block für Toni Krahl ins Programm, den ich mit "Berlin" überschreiben würde. Toni sang die beiden City-Klassiker "z.B. Susann (Berlin)" und den Song "Tamara", den City 2006 der verstorbenen Sängerin von Silly gewidmet hatte. Passenderweise wurde der "Berlin-Block" mit "Mont Klamott" abgerundet. Toni wurde von den Fans begeistert empfangen und frenetisch abgefeiert. Rockig ging es mit Hits wie "SOS" und "Die wilde Mathilde" weiter. Bei "Alles rot", das wohl bekannteste Stück aus der Phase mit Sängerin Anna Loos, wurde die Bühne in rotes Licht getaucht, Uwe Hassbecker griff zur roten Gitarre, und das Publikum sang lauthals mit. Den Musikern von Silly stand die Freude an ihrem Wirken ins Gesicht geschrieben und das Publikum honorierte diese Spielfreude mit enthusiastischem Beifall. Die drei verbliebenen Silly Musiker, Ritchie Barton, Jäcki Reznicek und Uwe Hassbecker, hatten die Live-Band mit zwei herausragenden Musikern vervollständigt. Am Schlagzeug saß Ronny Dehn, mit dem Jäcki auch in der East Blues Experience musiziert und an Instrumenten wie Keyboards, Gitarre und Cello war Uwes Sohn Daniel Hassbecker zu erleben. Silly spielten ein fulminantes Konzert mit einem fantastischen Sound und einer fein abgestimmten Lichtshow. In den 100 Minuten des Konzerts gab es nahezu alle bekannten Hits der Band zu hören. Als der Song "Bye Bye" verklang, war dies schon die dritte Zugabe. Doch das sollte den Fans nicht reichen. Erst das Stück "Abendstunden", bei dem nur noch die drei Herren der Band Silly auf der Bühne standen, beschloss dieses fantastische Konzert.
Bevor die Berliner Band Polkaholix den Rausschmeißer machen sollte, wie sie selbst sagten, gab es in der Umbaupause nochmal eine Performance aus Luftakrobatik und Feuer zu bestaunen, dargeboten von den Artistinnen der Gruppe Illuminair.
Im Anschluss schafften es die Mannen von Polkaholix tatsächlich, die Gäste zum Tanzen zu bewegen. Es bedurfte zwar einiger Aufforderungen, nach vorn an den Bühnenrand zu kommen. Doch die Musik der Band fuhr den Leuten schnell in die Beine. Versionen bekannter Hits aus Rock'n'Roll, Ska oder Metal als SpeedPolkas gespielt, vermochten mitzureißen. Egal ob Billy Idols "White Weddig" oder "Das Modell" von Kraftwerk, ob "I Was Made for Lovin' You" von Kiss oder "Engel" von Rammstein. In den Versionen von Polkaholix wurden diese Songs zu einer neuen Erfahrung. Ich durfte diese fantastische Band schon im Vorprogramm von Knorkator erleben. So verwunderte es mich nicht, dass es nun auch eine Polka-Version von "Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett" gibt. Wie lange die Band dem Publikum noch Spaß bereitet hat, und ob es tatsächlich noch ein Feuerwerk gab, vermag ich nicht zu sagen. Für uns wurde es wieder Zeit für den Heimweg.
Dieser zweite Festivaltag hat uns voll begeistert. Die Veranstaltung war gut besucht und die Reaktionen des Publikums waren überwältigend. Das Line Up mit handverlesenen Bands, die ein breites musikalisches Spektrum abdeckten, übertraf meine Erwartungen. Die polnische Band Volosi, die am Sonntag im Rahmen eines Klassik Picknicks spielen würde, sparten wir uns. Doch im nächsten Jahr werden wir mit Sicherheit wieder dabei sein, beim ROXSA Festival in der kleinen Stadt Bad Sülze.
Ursprünglich sollte dies ein Bericht über ein Konzert der Band SILLY werden, die aktuell in neuer Besetzung auf Tour ist. Doch dann las ich, dass SILLY im Rahmen eines Festivals spielen würden. Das Line Up wies Bands und Künstler aus, die ich mag. So stand für mich fest, dass ich das gesamte Festival erleben möchte. Hier nun mein Bericht über das diesjährige ROXSA Festival in der romantischen Salzstadt Bad Sülze.

Obwohl Bad Sülze ganz in der Nähe meines Wohnorts Rostock liegt, muss ich gestehen, dass ich noch nie dort gewesen bin. Auch von dem ROXSA Festival hörte ich in diesem Jahr zum ersten Mal, obwohl es dieses bereits seit 2015 gibt. Organisiert wird es vom Verein Freundeskreis Popkultur und der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Sülze. Während beim ersten Festival im Jahr 2015 vorrangig regionale Bands wie Jackpot aus Greifswald oder Bad Penny aus Rostock auftraten, wartet das Festival inzwischen mit deutschen und internationalen Acts auf. Doch es ist nicht nur ein Musikfestival, das die Organisatoren hier ausrichten. Neben der Musik wird es jede Menge Aktionen im Rahmen eines Kleinkunstfestivals geben. Artistik, Magie und Comedy wird rund um den Kirchturm in der historischen Altstadt zu erleben sein. Das Festival soll laut Flyer viele Attraktionen für Alt und Jung bieten. Und abends wird es dann auf der Festivalbühne laut, wenn die Musiker ihre Instrumente einklinken. Gespannt machten wir uns also am Freitagnachmittag auf den Weg nach Bad Sülze.
Freitag, 07.07.2023
Als wir gegen 17:00 Uhr an dem ausgeschilderten Parkplatz ankamen, parkte dort noch kein einziges Fahrzeug. Wir entrichteten die zwei Euro Parkgebühr und begaben uns zum Ort des Geschehens, dem Kirchplatz. Doch auch dort trafen wir ausschließlich auf Menschen mit Schildchen, die sie als Crewmitglieder oder andere "Offizielle" auszeichneten, oder so wie uns als "Presse-Leute". Meine Frau zählte zu diesem Zeitpunkt vier zahlenden Gäste. Einen der "Offiziellen" lernten wir kurz darauf kennen. Uwe "Bobby" Bobsin, ganz in schwarz gekleidet und einen Zylinder auf dem Haupt, stellte sich uns als einer der beiden verantwortlichen Organisatoren des Festivals vor. Wir hatten vor einigen Wochen bezüglich der Akkreditierung miteinander telefoniert. Bobby berichtete über die Entstehung des Festivals und darüber, dass damit und mit anderen Aktionen das kulturelle Leben in der kleinen Stadt in ländlicher Umgebung wieder belebt werden soll. Unsere Befürchtungen, dass hier wohl nicht viel passieren würde, angesichts des geringen Publikum Zulaufs, räumte er sofort aus. Die Konzerte würden erst um 18:30 Uhr beginnen. Es gäbe keinen festen Zeitplan. Die Erfahrung hätte gezeigt, dass sich alles findet, und dass auch genügend Leute kämen.
Tatsächlich füllte sich das Areal an der Kirche nach und nach. Als der erste Act von Bobby und einer jungen Blondine namens Roxsana angekündigt wurde, standen etwas entfernt von der Bühne schon einige Stuhlreihen, auf denen es sich die ersten Gäste bequem gemacht hatten. Auf der Bühne nahm ein junger Mann mit Gitarre Platz. Vor sich hatte er ein kleines Schlagzeug aufgebaut, mit einem "Trabant-Logo" auf dem Fell der großen Trommel. In feinstem Englisch stellte er sich als The Outis Nemo One Man Band aus der nahegelegenen Rawstock City vor. Mit rauer Gesangsstimme intonierte er vorwiegend Klassiker der Blues Musik, spielte Schlagzeug, Gitarre und Blues-Harp dazu. Er selbst bezeichnete seine Musik als Blues-Punk. Zwischendurch kam eine zweite Gitarre zum Einsatz, die er als "the very, very first guitar, that was build in the Soviet part of Germany" bezeichnete. Und ja, er sang auch mal auf Deutsch. Klassiker wie der Kinks-Song "Everybody's gonna be happy" oder der Swing-Standard "All of me" erklangen in einer sehr eigenen Blues Version. Mit "Werewolf" brachte er auch einen eigenen Song mit, und es gab einen "Original Mecklenburg-Vorpommern Blues", "Dat du min leevsten büst" in einer originellen Version von dem wilden One-Man-Act mit der schwarzen Brille.

Auf die nächste Band freute ich mich besonders, denn ich hatte sie bereits live erleben dürfen. Über ihr aktuelles Album "Treselectrica" findet ihr auf diesem Portal meine Rezension. Die Rede ist von The Wake Woods aus Berlin. Das Trio aus den beiden Brüdern Helge (Gitarre und Gesang) und Ingo Siara (Gesang und Bassgitarre) und dem Schlagzeuger Sebastian Kuhlmey zählt derzeit zu den angesagtesten deutschen Rockbands. Erst kürzlich spielten die drei als Support-Act für The Who auf der Berliner Waldbühne. Mit ehrlicher, handgemachter Musik der härteren Spielart begeisterten sie auch in Bad Sülze, wo sie schon zum zweiten Mal Gäste des ROXSA Festivals sein durften. Zwischen Songs ihrer drei Studio-Alben schoben die Jungs auch mal einen Death Metal Klassiker. Doch punkteten sie vor allem mit eigenen Songs und ihrer schweißtreibenden Performance, alles bei fast 30 Grad im Schatten. Und die Sonne knallte unbarmherzig auf die Bühne. Der Beifall zum Schluss des Konzerts zeigte, dass es auch den Gästen gefallen hat, die vor allem wegen des nächsten Acts gekommen waren.
Bevor der ehemalige Genesis-Sänger Ray Wilson mit seiner Band die gesamte Bühnentiefe nutzen konnte, gab es eine etwas längere Umbaupause. Damit die Zeit in den Pausen nicht langweilig wurde, hatte der Veranstalter für Unterhaltung in Form von Artistik und Akrobatik gesorgt. Seitlich der Bühne konnte man die verschiedensten Performance Künstler bestaunen. Für uns jedoch auch Zeit, etwas zu essen und ein kühles Bier zu trinken. Bei der Hitze braucht der Körper genug Flüssigkeit.
Der Schotte Ray Wilson, der seit einigen Jahren in Polen lebt, hatte sich schon einen Namen in der Musik-Szene gemacht, bevor er die Chance hatte, bei der Kultband Genesis als Sänger einzusteigen. Als Frontmann der Band Stiltskin, deren Debütsingle "Inside" als Werbespot für Levi's 501 Jeans zu einem Hit wurde, war er längst kein Unbekannter mehr. Nach dem Ausstieg von Phil Collins, spielte Genesis mit Wilson das Album "Calling All Stations" ein, das jedoch nicht besonders erfolgreich wurde. Nach einer kurzen gemeinsamen Tour, die ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg brachte, wurde das Projekt Genesis von den verbliebenen Mitgliedern Tony Banks und Mike Rutherford für beendet erklärt. Ray Wilson widmete sich danach eigenen Projekten und veröffentlichte diverse Alben mit teils sehr schönen Songs.
Ray Wilson ist ein äußerst fleißiger Musiker, der in verschiedenen Konstellationen ständig auf Tour zu sein scheint. Auf dem ROXSA Festival präsentierte er sein Programm Genesis Classic mit seiner Band, die aus weiteren vier Musikern und einem Streichquartett bestand. Wie es der Name schon sagt, enthielt das Programm jede Menge Genesis Klassiker, aber auch Songs von Phil Collins, Peter Gabriel oder von Mike and the Mechanics. Das waren alles Songs, die das altersmäßig sehr gemischte Publikum im Ohr hatte. "Carpet Crawlers" erzeugte eine magische Stimmung. Natürlich wurde dabei der Refrain mitgesungen, ebenso wie bei "No Son Of Mine", bei "Follow You Follow Me" oder bei "Another Day in Paradise". Nach diesem Phil Collins Stück lud uns Ray mit der wunderschönen Ballade "Alone" in seine schottische Heimat ein, wo es den guten Scotch Whiskey und "sexy men" gibt. In seinen Konzerten sollte Ray Wilson viel mehr seiner eigenen Songs spielen, meine ich, denn die können durchaus mit den Klassikern mithalten. Ich möchte noch ein paar Worte zu seinen fantastischen Musikern loswerden. Da wäre zunächst Rays Bruder Steve zu nennen, der hervorragend Gitarre spielte und dabei sympathisch bescheiden blieb. Herausragend war ebenfalls Saxofonist Marcin Kajper, der inzwischen auch den Bass bedient. Marcin ist ansonsten im Jazz zuhause und entfaltet dort sein musikalisches Können. Nicht zu vergessen Alicja Chrzaszcz, die mit ihrem Violinspiel verzauberte, Kool Lyczek an den Keyboards, Mario Koszel an den Drums und die anderen drei Damen vom Streichquartett. Alle zusammen bescherten uns ein einzigartiges Konzerterlebnis, dem etwas mehr Publikum gut getan hätte.

Zum Abschluss des ersten Festivaltages boten uns The Rockin' Lafayettes aus Nürnberg Rock'n'Roll und Rockabilly vom Feinsten. Trotz der langen Anreise und der späten Stunde gaben die drei Musiker alles. Ihr Outfit und ihr nostalgisches Instrumentarium wirkten für heutige Verhältnisse schon etwas skurril. Doch hat sich das Trio Hannes 'Jimmi Lafayette' Bernklau, Ferdinand Roscher und Simon 'The frog' Froschauer einer Musik verschrieben, die schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Mit viel Energie brachten sie diese sehr authentisch und stilsicher auf die Bühne. Wir hörten uns noch einen Großteil des Konzerts an. Doch gegen Mitternacht machten wir uns dann auf den Heimweg.
Samstag, 08.07.2023
Schon ab 13:00 Uhr lockte das Festival mit Kleinkunst rund um den Kirchturm Jung und Alt in die Stadt. Wir wollten pünktlich zur ersten Band wieder dabei sein. Erstaunt stellten wir fest, dass der Platz vor der Bühne an diesem Nachmittag bereits gut besucht war. Gestern konnten wir noch zwei Stühle ergattern. Heute funktionierte das nicht mehr. Eine Trommeltruppe spielte gerade die letzten Rhythmen als wir in Bad Sülze eintrafen. Kurz darauf ging es musikalisch los. The Aberlours sind fünf Herren aus dem Großraum Berlin/Brandenburg, die sich schottischer und irischer Folkmusik verschrieben haben. Doch sie spielten diese Musik nicht im ursprünglichen Gewand. Sie versahen den Folk mit einer gehörigen Portion Rock. Sie selbst nennen ihre Musik Celtic Folk 'n' Beat. Den spielten sie auf interessanten und teils seltenen Instrumenten. Neben Gitarre, Akkordeon und Violine (oder besser Fiddle) kamen Cister und Mandocello zum Einsatz. Ein Schlagzeug mit Double-Bass und ein wummernder E-Bass sorgten für donnernde Grooves. Es erklangen keltische Seemannslieder, die mit witzigen Anekdoten angekündigt wurden. Auch ein "Bayrisch Folksong" passte ins Programm. Das Stück "Nudeldick" oder "Liebe in der Landwirtschaft" wurde zu "Sailor's Hornpipe" gesungen, einer Melodie von Mike Oldfield. Auch bei The Aberlours fand das plattdeutsche "Dat du min leevsten büst" ins Programm, diesmal in einer folk-rockigen Version. Die Herren sorgten mit ihrem Konzert für viel Spaß und beste Unterhaltung, ein würdiger Auftakt für den zweiten Festivaltag.
Die Hamburger Band WellBad, mit ihrem extrovertierten Frontmann Daniel Welbat, sorgte mit ihrem elektrisierenden Auftritt für eine riesige Überraschung. Da rockte und groovte es auf der Bühne, dass man Augen und Ohren nicht mehr abwenden mochte. Daniel Welbat sang und schrie sich stimmgewaltig durch die Geschichten seiner Songs. Wild gestikulierend tobte er dabei über die Bühne. Mit diabolischer Mimik zog er die Zuhörer sofort in seinen Bann. Eine Schar fantastischer Musiker sorgte für einen Mix aus Rock, Blues und Hip Hop. Teils wurde es jazzig, besonders wenn die "fetten" Bläser zum Einsatz kamen. Die Rhythmusfraktion aus Jonas vom Orde am Schlagzeug und Stefan Reich am Bass sorgte für ein wuchtiges Fundament, meist rockig und funkig. Auch Gitarrist Arne Vogeler wusste, wie er die Saiten seines Instruments in bester Rock Manier zum Singen bringt. Es machte ausgesprochen Spaß, dem energiegeladenen Spiel der Musiker zu lauschen und zuzusehen.

Mit Silly kam dann Schlag 20:00 Uhr die Band auf die Bühne, wegen der ich eigentlich hier sein sollte. In ihrer 45-jährigen Geschichte schlug die Band in diesem Jahr ein neues Kapitel auf. Sie gewährte dem "arbeitslosen" Sänger der nicht mehr existierenden Band City Asyl. Toni Krahl übernimmt die Position des Sängers in der Band, neben Julia Neigel, die bereits seit 2019 bei Silly singt, hieß es zu Beginn des Jahres. Ich erwartete diesen Auftritt mit Spannung, wie wohl die meisten im Publikum. Wie wird es sich anfühlen, wenn Toni Songs singt, denen früher Tamara Danz mit ihrer unverwechselbaren Stimme Leben eingehaucht hat? Nach dem typischen Silly-Opener "Unterm Asphalt" und nach "Alles wird besser", bei dem Julia Neigel die Rock-Lady raushängen ließ, machte Toni Krahl schnell klar: "Liebe Gemeinde, ich bin nicht Tamara." "Verlorene Kinder" und "Batallion d'Amour" sang er auf seine unverkennbare Art, und machte damit deutlich, dass es funktioniert, neuer Frontmann bei Silly zu sein. "Batallion d'Amour" mit den eindringlichen Fretless-Bass Passagen, hingebungsvoll von Jäcki Reznicek gespielt, war einer der ersten Höhepunkte des Konzerts. Bei "Wo fang ich an" und "Schlohweißer Tag" übernahm dann Julia wieder die Position der Frontfrau. Sie sang die Songs mit leicht angerauter Stimme und zeigte eine enorme Bühnenpräsenz. Nach "So ‚ne kleine Frau", gesungen von Toni und "Asyl im Paradies", von Julia interpretiert, schob die Band einen kleinen Block für Toni Krahl ins Programm, den ich mit "Berlin" überschreiben würde. Toni sang die beiden City-Klassiker "z.B. Susann (Berlin)" und den Song "Tamara", den City 2006 der verstorbenen Sängerin von Silly gewidmet hatte. Passenderweise wurde der "Berlin-Block" mit "Mont Klamott" abgerundet. Toni wurde von den Fans begeistert empfangen und frenetisch abgefeiert. Rockig ging es mit Hits wie "SOS" und "Die wilde Mathilde" weiter. Bei "Alles rot", das wohl bekannteste Stück aus der Phase mit Sängerin Anna Loos, wurde die Bühne in rotes Licht getaucht, Uwe Hassbecker griff zur roten Gitarre, und das Publikum sang lauthals mit. Den Musikern von Silly stand die Freude an ihrem Wirken ins Gesicht geschrieben und das Publikum honorierte diese Spielfreude mit enthusiastischem Beifall. Die drei verbliebenen Silly Musiker, Ritchie Barton, Jäcki Reznicek und Uwe Hassbecker, hatten die Live-Band mit zwei herausragenden Musikern vervollständigt. Am Schlagzeug saß Ronny Dehn, mit dem Jäcki auch in der East Blues Experience musiziert und an Instrumenten wie Keyboards, Gitarre und Cello war Uwes Sohn Daniel Hassbecker zu erleben. Silly spielten ein fulminantes Konzert mit einem fantastischen Sound und einer fein abgestimmten Lichtshow. In den 100 Minuten des Konzerts gab es nahezu alle bekannten Hits der Band zu hören. Als der Song "Bye Bye" verklang, war dies schon die dritte Zugabe. Doch das sollte den Fans nicht reichen. Erst das Stück "Abendstunden", bei dem nur noch die drei Herren der Band Silly auf der Bühne standen, beschloss dieses fantastische Konzert.
Bevor die Berliner Band Polkaholix den Rausschmeißer machen sollte, wie sie selbst sagten, gab es in der Umbaupause nochmal eine Performance aus Luftakrobatik und Feuer zu bestaunen, dargeboten von den Artistinnen der Gruppe Illuminair.

Im Anschluss schafften es die Mannen von Polkaholix tatsächlich, die Gäste zum Tanzen zu bewegen. Es bedurfte zwar einiger Aufforderungen, nach vorn an den Bühnenrand zu kommen. Doch die Musik der Band fuhr den Leuten schnell in die Beine. Versionen bekannter Hits aus Rock'n'Roll, Ska oder Metal als SpeedPolkas gespielt, vermochten mitzureißen. Egal ob Billy Idols "White Weddig" oder "Das Modell" von Kraftwerk, ob "I Was Made for Lovin' You" von Kiss oder "Engel" von Rammstein. In den Versionen von Polkaholix wurden diese Songs zu einer neuen Erfahrung. Ich durfte diese fantastische Band schon im Vorprogramm von Knorkator erleben. So verwunderte es mich nicht, dass es nun auch eine Polka-Version von "Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett" gibt. Wie lange die Band dem Publikum noch Spaß bereitet hat, und ob es tatsächlich noch ein Feuerwerk gab, vermag ich nicht zu sagen. Für uns wurde es wieder Zeit für den Heimweg.
Dieser zweite Festivaltag hat uns voll begeistert. Die Veranstaltung war gut besucht und die Reaktionen des Publikums waren überwältigend. Das Line Up mit handverlesenen Bands, die ein breites musikalisches Spektrum abdeckten, übertraf meine Erwartungen. Die polnische Band Volosi, die am Sonntag im Rahmen eines Klassik Picknicks spielen würde, sparten wir uns. Doch im nächsten Jahr werden wir mit Sicherheit wieder dabei sein, beim ROXSA Festival in der kleinen Stadt Bad Sülze.