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Ein Konzertbericht mit Foto von Mike Brettschneider

 


Ein Konzert der Gruppe RAMMSTEIN ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Es ist nicht jedem interessierten Musikfreund vergönnt, an einer ihrer Muggen teilnehmen und ihnen vor der Bühne huldigen zu können. Man muss im Vorfeld ein Adlerauge haben, schnell sein und auch eine ganze Menge Glück haben, denn kaum wird bekannt, dass die Band kommt, und kaum dass der Kartenvorverkauf begonnen hat, sind die Tickets auch schon ausverkauft. Ich bin ein Glückspilz, denn für das Konzert am 30. Mai 2020 in der Leipziger Arena ist es mir gelungen, an Karten zu kommen. Glücksgefühle, Euphorie, Vorfreude! Dann kam Corona …

Die gesamte Tour wurde abgesagt und verlegt, das Leipzig-Konzert auf den 23. Mai 2021 verschoben. Was soll ich sagen? Corona blieb und auch das verschobene Konzert fand nicht statt. Der dritte Anlauf sollte aber passen, und der Termin am 21. Mai wurde nicht wieder eingeerdet. Ich buchte also eine Unterkunft, packte meine Koffer und bestieg meinen Benziner, der mich nach Leipzig brachte. Und da waren sie wieder: Glücksgefühle, Euphorie, Vorfreude!

Meine Unterkunft, die Pension "Schützenhof", liegt nur 15 Minuten zu Fuß von der Arena entfernt, in der das Konzert stattfinden sollte. Fast alle Gäste des Hauses hatten offenbar das gleiche Ziel, denn kaum einer war hier ohne RAMMSTEIN-T-Shirt oder anderen Accessoires unterwegs. Bereits am Vortag fand ein Konzert der Berliner Gruppe in der Arena statt und die Rückkehrer von dort hatten eine Menge zu erzählen. Das Konzert wurde wegen des Unwetters mittendrin unterbrochen und der komplette Innenraum der Arena evakuiert. Alle mussten ihre Plätze räumen und sich „in Sicherheit“ bringen. Was für ein in jeder Hinsicht unangenehmes Gefühl muss das für die Leute bitteschön gewesen sein? Nach nur 15 Minuten konnte es dort aber wohl weitergehen und ich drückte mir selbst die Daumen, dass meine Vorstellung am Samstag entspannter über die Bühne gehen würde. Und dem war auch so …

 

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Am Samstagabend herrschte in Leipzig stabiles Wetter. Es war zwar den ganzen Tag bedeckt, aber es fiel kein Regen. Die im Innenraum der Arena aufgebauten und auch zum Einsatz gekommenen Feuerkanonen machten den Veranstaltungsort zudem recht "kuschelig". Die Heimstatt von „Rasenball“ Leipzig, dem frisch gekürten DFB-Pokalsieger, füllte sich ein weiteres Mal mit 45.000 Menschen, die alle in gespannter Erwartung auf Till Lindemann & Co. und deren aktuelles Unterhaltungsprogramm zuerst die Vorband DUO JATEKOK genießen konnten. Das 2007 gegründete Duo heißt in der Heimat Frankreich eigentlich JÁTÉKOK DUO (ausgesprochen yatékok) und besteht aus Adélaïde Panaget und der aus dem Libanon stammenden Naïri Badal. Beide Frauen kennen sich seit ihrer gemeinsamen Zeit im Pariser Konservatorium. Damals waren sie 10 Jahre alt. In ihrer Band spielen sie beide Klavier und lassen ihre Musik auf diese Art lebendig werden. Die sechs Herren von RAMMSTEIN haben sich nicht grundlos dieses Duo mit auf ihre Konzertreise genommen, denn nach zwei bereits veröffentlichten Platten haben Adélaïde und Naïri gerade mit „Plays Rammstein“ beim Label Vertigo/Universal ein drittes Album heraus gebracht, auf dem sie 11 Klassiker der Lindemann-Kapelle in einer Mischung aus Klassik und Jazz performen. Nicht nur deshalb war das Vorprogramm höchst interessant und konnte mit Fug und Recht auch als „Anheizer“ bezeichnet werden. Sie gaben eine Kostprobe ihres Tuns und hinterließen dabei einen ausgezeichneten Eindruck. Nicht selten nimmt das Publikum die Bands im Vorprogramm nur am Rande wahr, hier war das etwas ganz anderes. Die beiden Damen sollten wir in Leipzig später aber nochmals sehen und hören dürfen.

Mit dem Intro „Music for the Royal Fireworks“, einer aus der Konserve eingespielten Komposition von Georg Friedrich Händel, kündigte sich dann der Auftritt von RAMMSTEIN an, die daraufhin mit einem lauten Knall und dem Einsatz von Pyrotechnik ihren ersten Song „Armee der Tristen“ folgen ließen. Es war der Beginn einer perfekten Live-Show, die mich komplett beeindruckte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Mugge war festzustellen, dass der Sound einfach nur genial war, auch wenn sich laut "Berliner Kurier" im Nachgang einige Anwohner über die Lautstärke beklagten. Dabei konnten sie doch froh sein, einem solchen Spektakel auch ohne direkten Zugang zur Location beiwohnen zu können. Wir sprechen hier immerhin von RAMMSTEIN. Also bitte … ;-) „Komm zu uns und reih‘ Dich ein, wir woll’n zusammen traurig sein“, heißt es im Text des ersten Songs, das auch gleichzeitig das aktuelle Album „Zeit“ eröffnet. Aber von Traurigkeit waren wir in Leipzig zu dieser Stunde weit entfernt. Dass es auch nur einen Anflug davon geben konnte, wussten Till Lindemann (Gesang), Richard Kruspe, Paul Landers (beide Gitarre), Oliver Riedel (Bass), Christian „Flake“ Lorenz (Keyboards) und Christoph „Doom“ Schneider (Schlagzeug) aber mit spielerischer Leichtigkeit zu unterbinden.

Nach inzwischen acht veröffentlichten Studioalben, auf denen sich jeweils exakt 11 Titel befinden, dürfte sich die Wahl der in einem Konzert zu spielenden Lieder langsam zur Qual entwickeln. Mit „Zick Zack“, einem Seitenhieb in Richtung derer, die dem Schönheitswahn verfallen sind und nicht in Würde altern können, gab es zu Beginn noch einen weiteren neuen Song, dann begann die Kreuzfahrt durch die restlichen sieben Platten. Hits wie „Links 2-3-4“ vom Album „Mutter“ mit einem leckeren Gitarrensolo von Richard Kruspe, „Sehnsucht“ vom gleichnamigen zweiten Werk, „Puppe“, „Deutschland“ und „Radio“ von der 2019er Langrille oder „Mein Teil“ vom 2004er „Reise, Reises“-Release waren ein paar der gespielten Songs aus dem eigenen Fundus, mit denen wir im Hauptfeld der Setlist unterhalten wurden. Hatte man mit neuen Stücken den Abend eröffnet, schloss man mit einem weiteren neuen Titel, nämlich „Zeit“, der ersten Auskopplung aus dem gleichnamigen Album“, den regulären Teil des Konzerts ab.

Im Zugabenteil gab es dann das eben schon angedeutete Wiedersehen mit dem DUO JÁTÉKOK. Nach anhaltendem Applaus und dem Wunsch der Menschen, noch etwas mehr RAMMSTEIN zu bekommen, kehrten die Musikanten mit den beiden Damen aus dem Vorprogramm zurück. Auf einer Nebenbühne stellte man sich auf, um den ersten großen Hit der Berliner, „Engel“, auf eine bis hierher noch nie gehörte Art zusammen mit den Piano-Damen aus Frankreich zu spielen. Die Leute im weiten Rund der Arena unterstützten die Musiker nicht nur gesanglich (ein Chor mit vielen tausend Stimmen), sondern auch mit der Taschenlampenfunktion ihrer Smartphones. Es war ein echt anfassender Moment und eine unbeschreibliche Stimmung, die sich hier entwickelte. Dann bestiegen die sechs Herren drei Schlauchboote, während die beiden Damen weiter die Melodie von „Engel“ spielten. Vom Publikum auf Händen getragen ließen sich die RAMMSTEINe in den Booten dann zur Hauptbühne tragen und wie im Video zum Song „Ausländer“ landeten sie dort auch wieder, um mit genau diesem Song den Zugabenblock fortzusetzten. Was für eine geile Inszenierung! Nach zwei weiteren Stücken, u. a. „Du riechst so gut“ vom Erstlingswerk, sollte der Abend dann ein weiteres Mal enden, aber satt waren die Fans (und ich) noch immer nicht. Es folgte ein zweiter Zugabenblock.

Schwer stampfend dröhnte der Song „Rammstein“ durch das nächtliche Leipzig. „Ein Mensch brennt“, heißt es darin, aber hier brannte bereits die komplette Arena. Den definitiven Schlusspunkt setzte die Formation dann mit dem Titel „Adieu“, das gleichzeitig auch das aktuelle Album beschließt. Noch einmal hämmernde Beats und ein großzügiger Einsatz von Licht, dann war die Messe gelesen. Ein fulminanter Schlusspunkt hinter einer erstklassigen Show. Hammer! Wie beeindruckend dieser Abend auch für die Musiker gewesen sein muss, zeigte die Reaktion von Till Lindemann, der bei Konzerten ja eigentlich eher selten bis nie etwas sagt. Bei „Ausländer“ ließ er sich schon dazu hinreißen, „Leipzig“ in den Text des Stücks mit einzubauen, und am Ende kommentierte er das Ganze mit den Worten, „Leipzig, meine Geburtsstadt. Danke, Wahnsinn. Dankeschön, Wahnsinn ..." Noch minutenlang applaudierten die Leute in der Leipziger Arena, während leise Pianoklänge vom Band den Versuch unternahmen, das Publikum wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Mit einem letzten lauten Knall und dem „Haifisch“ – ebenfalls vom Band – wurden wir in die Nacht entlassen.

Gerade der letzte Titel „Adieu“ hat ja die Gerüchteküche angeheizt, ob dies nicht der tatsächlich letzte Song der Band sein könnte und sie sich nach dem Album und der Tour aus dem Musikzirkus zurückziehen würden. Sinn würde das ja machen, denn die Band ist auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Das, was das Sextett in Leipzig auf der Bühne abgeliefert hat, lässt sich für meinen Geschmack nur noch schwerlich toppen. Der gesamte Abend war perfekt vorbereitet und durchorchestriert. Man überlässt dort wohl nichts dem Zufall und schafft es dennoch, etwas Einzigartiges abzuliefern. Dieses Konzert war jeden Cent, jeden gefahrenen Kilometer und alle für den Erwerb der Karten gelassenen Nerven wert. Ganz großes Kino!




   
   
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