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Ein Bericht von Frank Kinzig mit Fotos von
Mike Brettschneider & Matthias Ziegert



Eine "Meeresfahrt" war nicht unbedingt nötig, für manch einen Besucher aber sehr wohl eine "Tagesreise", um den Feierlichkeiten von Werther Lohse und seinen Mitstreitern am vergangenen Samstag in Dresden beiwohnen zu können. Egal, von wo man nun angereist war, beides wurde vor Ort jedenfalls in anderer Form erwartet,001 20231108 1518041497 denn wenn man zu einem Konzert mit Liedern der 1973 in Dresden gegründeten Gruppe LIFT geht, sind beide hier als Titel bekannten Begriffe absolut elementar und unverzichtbar. In der Dresdener Frauenkirche wurde am 4. November nämlich der Gründung von LIFT gedacht und diese mit einem Konzert gefeiert.

Was für eine Zahl: 50! Um das Ganze mal etwas besser einordnen zu können, schlagen wir doch an dieser Stelle gemeinsam das Geschichtsbuch auf. Das Jahr 1973 hatte weltpolitisch so einiges zu bieten: Die Watergate-Affäre war in den USA in vollem Gange und in Ost-Berlin fanden die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt, während in Chile ein Militärputsch geräuschvoll über die Bühne ging und die beiden deutschen Staaten DDR und BRD Mitglieder der Vereinten Nationen wurden. Die Welt wurde ferner Zeuge der ersten großen Ölkrise und wegen dieser auch von einem allgemeinen PKW- und LKW-Sonntagsfahrverbot in der BRD. Ebenfalls 1973 gab es das weltweit erste Telefongespräch über ein Mobiltelefon und in New York wurde das World Trade Center eröffnet. In Sachen Kultur trugen sich PINK FLOYD für die Veröffentlichung ihres Albums "The Dark Side of the Moon", Elvis Presley für sein legendäres Konzert "Aloha from Hawaii" und die Gruppe AC/DC für ihre Gründung in die Geschichtsbücher ein. Tja, und in Dresden entschieden sich ein paar junge Musikanten, aus der Gruppe DRESDEN SEPTETT die Band LIFT entstehen zu lassen.

Ende Januar 1973 gaben Bassist Gerhard Zachar, Schlagzeuger Konrad Burkert, Gitarrist Jürgen Heinrich, Saxofonist Till Patzer, Trompeter Karl-Matthias Pflugbeil, Posaunist Manfred Nytsch, Keyboarder Wolfgang Scheffler sowie die Gesangssolisten Bernd Schlund und Christiane Ufholz unter dem neuen Namen LIFT das erste Konzert und seitdem ist viel passiert. Die Band hat eine bewegte und bewegende Geschichte hinter sich. Damit und vor allem auch mit ihrer Musik berührte die sich in all den Jahren immer wieder neu aufgestellte Formation zig Tausende von Menschen. Von den damals mitwirkenden Musikerinnen und Musikern ist heute niemand mehr dabei. Manch einer ist bereits voraus gegangen, wie z. B. der eben erwähnte Mitbegründer Gerhard Zachar, der bei einem schweren Verkehrsunfall auf einer polnischen Landstraße fast auf den Tag genau vor 45 Jahren ums Leben kam, als die Band von einer Tour zurück nach Hause unterwegs war oder die geniale Sängerin Christiane Ufholz, die in der Neujahrsnacht 2023 verstarb. Manch anderer Mitbegründer ist nicht mehr aktiv oder in anderen Projekten tätig, wie z. B. Wolfgang Scheffler, Konrad Burkert oder Bernd Schlund. Das derzeit dienstälteste Mitglied von LIFT ist Werther Lohse, der 1974 als Schlagzeuger einstieg, und der nach dem Tod des ebenfalls im November 1978 bei dem erwähnten Unfall in Polen verstorbenen Sängers Henry Pacholski die Position am Mikrofon übernahm. Er trägt seit Jahren das Schaffen dieser Band und die kunstvollen Lieder von LIFT weiter in die Welt. Das heutige Personal um ihn herum ist dabei noch relativ frisch dabei, und die Rhythmusabteilung sogar noch blutjung, weshalb sich sicher gut darüber streiten ließe, ob das überhaupt noch LIFT ist, was da heute unter diesem Namen aktiv ist. Dies möge aber jeder für sich selbst beantworten.


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Die Gründung von LIFT feierte man an einem ganz besonderen Ort. Nicht etwa im Alten Schlachthof oder im Kulturpalast zu Dresden, sondern ganz festlich und gehoben in der Dresdener Frauenkirche. Das passt meiner Meinung nach auch sehr gut zur Musik der Band, die bekannt für ihren hohen Anspruch in Sachen Inhalten und Arrangements ist. Nettes Detail dabei ist auch, dass die Gruppe LIFT ihre Wurzeln in Dresden hat und deshalb vor den Trümmern der im 2. Weltkrieg zerbombten und inzwischen wieder aufgebauten Frauenkirche das Foto für ihre erste Autogrammkarte schießen ließ. Daran erinnerte auch Werther und so schließt sich der Kreis … Das Gotteshaus wurde für dieses Jubiläumskonzert zweckentfremdet und das besondere Ambiente in den feierlichen Rahmen mit einbezogen. Über die genaue Zahl an Konzertgästen kann ich nichts sagen, aber die Kirche war mit über eintausend Besuchern ausverkauft. Das Interesse der Leute an der Musik von LIFT zu diesem besonderen Anlass also groß.

Wie ich schon schrieb, stand von den einstigen Gründern am Samstag niemand auf der Bühne. Die heutige Besetzung besteht aus Werther Lohse als Sänger, Keyboarder und ex-electra Musiker Andreas "Bruno" Leuschner, der seit diesem Jahr dabei ist und die Sachsendreier-Tour mitspielte, sowie dem jungen Schlagzeuger Markus Christ und seinem ebenfalls noch jungen Kollegen an der Bassgitarre, Jacob Müller, die beide kurz vor der Corona-Krise zu LIFT kamen. Wo André Jolig, der etatmäßige Tastenmann, am Samstag war, ist nicht bekannt. Der Schlagzeuger und der Bassist sind geschätzt etwas über 20 Jahre alt und entstammen einer völlig anderen Generation. Einer der beiden gab in einem Interview vorab an, dass er bis kurz vor seinem Einstieg bei LIFT überhaupt nichts von der Existenz der Band, geschweige denn von ihrer Musik wusste. Gefühlt klingt das nach Söldner und nicht nach Überzeugungstäter. Aber da sollte ich etwas später noch eines Besseren belehrt werden. Für den Abend wurde zudem Joachim Krause als Sprecher mit an Bord geholt, der hier zum Thema zu Wort kam, aus seinem Buch "Am Abend mancher Tage" las und mit wunderbaren Worten einen Hauch der damaligen Zeit unter die große Kuppel der Frauenkirche holte. Als Gäste waren die ehemaligen Kreuzchor-Sänger Alexander Rau, Moritz Schlenstedt, Elias Riemenschneider und Lucas Reis mit ihren eindrucksvollen Stimmen zu hören, sowie der Frauenkirchenkantor Matthias Grünert an der Orgel und ein Streicherquartett, bestehend aus den Violinisten Thomas Otto und Constanze Sandmann, sowie Steffen Neumann an der Viola und Christian Drechsel am Violoncello. Das las sich auf dem Papier schon mal ziemlich beeindruckend und versprach, eine dem Anlass und dem musikalischen Output dieser Band würdige Umsetzung zu werden.


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Das Jubiläumskonzert begann mit den flinken Fingern von Matthias Grünert, der an der Orgel die Melodie der "Meeresfahrt" entstehen ließ. Als das Lied erkannt wurde, brandete Applaus in der Kirche und in einem als Zuhörer Wärme auf. Es ging mit einem Paukenschlag los, und das mit dieser wunderbaren Scheffler-Komposition, gespielt auf einer Kirchenorgel. Dieses Instrument gehört mit seinem Klang einfach hierher und ich vermute, Scheffler als Komponist wird damals nicht mal in Ansätzen geahnt haben, was die Nummer, Jahre später auf diese Art und Weise präsentiert, in einem auslösen kann. Der Hammer. Der Einstieg war somit gelungen, so durfte es gerne weitergehen. "Wasser und Wein" aus der Feder von Michael Heubach folgte dem instrumentalen Einstieg, gespielt von der Band, gesanglich und mit Applaus vom Publikum rhythmisch unterstützt. Gleich schon zu Beginn zeigten sich leider Schwächen im Sound, die unten im Saal wohl nicht ganz so stark auffielen wie oben auf den Rängen. Auch vom Gesang her war noch nicht alles auf Betriebstemperatur. Das Lied klang anders, als man es gewohnt ist. Waren es die besonderen Voraussetzungen, die dieser Kirchenbau mit sich bringt? Lag es an der Anlage? Die Begrüßung von Werther direkt im Anschluss ließ Letzteres vermuten. Da ist was nicht richtig "gecheckt" und eingestellt worden. Zu viel Hall in diesem von Natur aus schon hallig klingenden Kirchenbau. Wie dem auch sei … Es ging weiter. Bei seiner Begrüßung holte Lohse dann gleich seine bereits verstorbenen Kollegen mit dazu, indem er sie namentlich erwähnte und sie so in die Köpfe der Konzertbesucher holte: Patzer, Pacholski, Zachar, Trepte, Ufholz und Bartzsch waren plötzlich mit dabei. Sie sind eben unvergessen und bleiben so ein Teil des Ganzen.

"Jeden Abend" möchte man die Lieder von LIFT gern hören, und gleichnamiges Stück - ebenfalls aus der Feder von Michael Heubach - folgte der Begrüßung. Jetzt mit Band und Kreuzchor-Sängern gleichzeitig, und die gesangliche Unterstützung für Werther Lohse tat der Nummer auch gut. Es lag einmal mehr daran, dass die Stimme von Werther Lohse bei mir noch nicht so richtig zünden wollte. Dafür sorgt der Rest der Kollegen dafür, dass es gut klingt. "Bruno" Leuschner an den Tasten macht einen fantastischen Job, aber das ist auch kein Wunder. Er hat jahrelang den Sound von electra veredelt und sein Spiel auf den schwarzen und weißen Tasten tut den LIFT-Liedern auch richtig gut. Unaufgeregt und handwerklich auf hohem Niveau geht auch die Rhythmusabteilung zu Werke und zerstreute umgehend meine "Söldner-Vermutung", die sich bei mir aus dem Statement im Interview in den Hinterkopf grub. Nix da … die beiden sind fantastisch. Frischer Wind und eine Frischzellenkur für die 50 Jahre alte Dame aus Dresden. Sehr fein …


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"Ehemalige" und Freunde vor ein paar Jahren: v.l.n.r.*
Eberhard Klunker (war nie bei LIFT), Till Patzer, der
Autor Joachim Krause und vorn liegend Christiane Ufholz



Nach dem ersten Vortrag vom Gast Joachim Krause, den man interessanter Weise viel besser verstehen konnte als Werther bei seinen Moderationen, und dem Stück "Meine Schulden", einer beim Rundfunk der DDR von Luise Mirsch in den 70ern produzierten Nummer, bekamen wir bei "Du falsche Schöne" erstmals Streicher angeboten. Christian Drechsel verfeinerte das Arrangement mit seinem Spiel auf dem Cello, während "Bruno" Leuschner ein Spinett auf seinen Tasten erklingen ließ. Weitere Besonderheiten des Abends waren die Lieder "Der Frieden",006 20231108 1312147947 eine live wirklich selten zu hörende Komposition von Wolfgang Scheffler, "Abendstunde, stille Stunde", in dessen zweitem Teil Werther Lohse ans Schlagzeug wechselte, und "Mein Herz soll ein Wasser sein", bei dem "Bruno" Leuschner die zweite Stimme sang. Auch "Nach Süden" übte auf das Publikum einen großen Reiz aus. Als die Nummer längst zu Ende war, setzten die Konzertbesucher es von sich aus einfach fort, in dem der Refrain einfach ohne Musik weiter gesungen wurde. Gänsehaut! Im Mittelteil des Konzerts zeigten einmal mehr Markus Christ am Schlagzeug und Jacob Müller am Bass ihr großes Talent in einem Solo-Block. Gerade Müller packte einen mit seiner in den Jazz-Bereich ausufernde Improvisation.

Ein weiteres Mal kam noch Joachim Krause zu Wort, das Streicher-Ensemble war beim "Scherbenglas" im Einsatz und zwei der ehemaligen Kreuzchor-Sänger betätigten sich nach der Einleitung zur "Tagesreise" abseits ihrer eigentlichen Bestimmung als "Ersthelfer". Einer Dame war die Aufregung oder die Luft in der Kirche wohl zu viel, so dass sie kurzzeitig ihr Bewusstsein verlor. Auch Dank der blitzartigen und äußerst liebevollen Erstversorgung durch die beiden Sänger erholte sich die Frau recht schnell wieder. Auf diesem Wege die besten Wünsche in ihre Richtung. Hoffentlich geht es ihr inzwischen wieder richtig gut! Mit dem Hauptteil der "Tagesreise" ging es dann planmäßig weiter, ehe das große Finale eingeläutet wurde. Alle Beteiligten und ihre Gäste Luise Mirsch, Dina Straat, Michael Schiemann und Jürgen Heinrich stellten sich in eine Reihe an die Bühnenkante und einmal mehr wurde "Wasser und Wein" - dieses Mal als Abschluss - vorgetragen. Dies sollte der Schlusspunkt des Konzerts sein. Das Publikum feierte die Künstler mit reichlich Applaus. Aber der Schlusspunkt war dies dann doch nicht. Die vier Chor-Sänger intonierten das Stück "Schöne Nacht, Gestirne wandeln", und danach war wirklich Schluss. Knapp 90 Minuten Jubiläumskonzert plus 10 Minuten Nachtisch, dann war der große Tag auch schon vorbei.

Es war ein gutes Konzert mit ein paar Schwachpunkten. Ein großer Schwachpunkt waren die fehlenden "Überraschungen". Wieso waren nur so wenige Ehemalige vor Ort? Und wieso waren die Wenigen, die gekommen waren, nur auf Ehrensitzen platziert und nicht auf der Bühne? Wo waren so große Namen wie Scheffler, Heubach, Kommnick, Fechner, Politz, Rasym, Decker, Michailow oder auch Protzmann, bei dessen Jubiläumskonzert Werther als geladener Gast im April sogar in Halle auf der Bühne stand? Und wo der dienstälteste Bassist Jenne Brüssow? Auch ein Hans die Geige, wenn auch nur kurz bei LIFT, hätte die Aufgabe einer der Streicher gut übernehmen können. Wieso feiert man ein so beachtliches Jubiläum von 50 Jahren und lässt die besonderen Momente und noch greifbaren, ehemaligen Mitspieler in einem Konzert komplett weg? Das Programm mit Chor und Band kann ich doch gefühlt jede Woche an einem anderen Ort live erleben, ein Wiedersehen mit verdienten Ex-Kollegen Lohses aber nicht. Das war schon sehr schade und machte aus einem eigentlichen LIFT-Konzert eins von Werther Lohse & Band. Auch wünsche ich Werther einen Abgang auf hohem Niveau. Er muss schauen, dass er nicht der Jopi Heesters des Ostrock wird, bei dem man am Ende nur noch die bloße Anwesenheit, nicht aber die Leistung auf der Bühne beklatscht. Stimmlich war er für meinen Geschmack am Samstag nicht gut aufgelegt und wurde vom Chor und "Bruno" Leuschner schon unüberhörbar gestützt. Lohse ist eben kein Mick Jagger, aber dies soll kein Vorwurf sein. Die Natur ist nicht bei jedem so großzügig. Man sollte nur erkennen, wo die Schwächen inzwischen vorhanden sind und wo man stimmlich oder mit Hilfe noch gegenlenken kann.


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Musikalisch hat man sich dazu entschlossen, die LIFT-Musik auf ein klassisches Niveau zu heben. Dass der alte Sound der 70er heute nicht mehr reproduzierbar ist, ist jedem klar. Darum sollte man auch nicht LIFT erwarten, wie man sie von der Platte her kennt, wenn man heute eines ihrer Konzerte unter der Überschrift LIFT besucht. Hier muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er das möchte oder nicht. Mit den nötigen Jahren und der Erfahrung in den Knochen kann man aber auch LIFT-Lieder im klassischen Kleid ganz gut vertragen. Aber wie gesagt: Das besondere Etwas gab es am Samstag nicht. Vielmehr ein Konzert ohne große Überraschungen und "namhaften" Gästen als aktive Musiker auf der Bühne. Für mich war es dann eben dieses Werther Lohse & Band-Konzert und eben keins von LIFT.

Fazit: Dieses Programm zum 50. Gründungstag in der Frauenkirche zu Dresden war wie eine Dosensuppe, die man jeden Tag haben kann, serviert auf einem Teller aus Meißner Porzellan. Nett angerichtet, auch ohne Fleischeinlage ganz lecker, aber eben nichts wirklich Besonderes. Mit diesem Resümee im Kopf ging es auf "Tagesreise" zurück in Richtung Heimat. Ganz ohne "Meeresfahrt" und nur über Land …

 
Setlist:
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