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Ein Bericht mit Fotos von Bodo Kubatzki



Viele Jahre war es still geworden um die isländische Band Sigur Rós, die Anfang der 2000er Jahre mit ihrer sehr eigenwilligen Musik weltweit für Aufmerksamkeit sorgte. Die Band, die sich 1994 in Reykjavík zusammenfand und in den ersten Jahren ihres Bestehens sehr aktiv gewesen ist, hat seit 2013 kein reguläres Album mehr herausgebracht. Ihr letztes Studioalbum „Kveikur“ beendete die kreative Schaffensphase der Band, in der immerhin sieben Studioalben entstanden. Hinzu kamen personelle Veränderungen. So verließ Keyboarder Kjarri Sveinsson 2013 die Band, um eigene musikalische Wege zu gehen. Der Rest der Band widmete sich Film- und Fernsehprojekten, u. a. einem Auftritt in der erfolgreichen Fernsehserie „Game of Thrones“. 2017 konnte man Sigur Rós letztmalig auf einer ausgedehnten Welttournee erleben. Ein Jahr später verließ auch Schlagzeuger Orri Páll Dýrason die Band aufgrund von Vorwürfen sexueller Übergriffe durch die Künstlerin Meagan Boyd. Umso mehr überraschte mich die Meldung im Februar dieses Jahres, dass Keyboarder Kjarri Sveinsson zur Band zurückgekehrt sei und man gemeinsam im Studio an neuen Songs arbeiten würde. Gleichzeitig kündigte die Band eine Welttournee noch in diesem Jahr an.

Ein Freund machte mich 2007 mit der Doppel-DVD „Heima“ auf Sigur Rós aufmerksam. Darauf befinden sich Mitschnitte von Auftritten der Island-Tour im Jahre 2006 sowie eine Dokumentation über das sagenumwobene und landschaftlich einmalig schöne Island, alles verbunden mit der einzigartigen Musik von Sigur Rós. Von da an erlag ich der Faszination, die Sigur Rós mit ihrer Musik auszuüben vermag. Nach 2017 in Dresden, darf ich die Band nun in Berlin zum zweiten Mal auch live erleben.
 
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Kurz nach 20:00 Uhr verdunkelt sich das Licht im Berliner Tempodrom und signalisiert den Beginn des zweiteiligen Konzerts. Sigur Rós eröffnen mit den ersten drei Stücken „Vaka“, „Fyrsta“ und „Samskeyti“ von dem unbenannten Album ( ) aus dem Jahr 2002. Alle drei Songs besitzen die für die Musik von Sigur Rós typische düstere Grundstimmung. Dezente Pianoklänge bei „Vaka“ sind unterlegt mit sphärischen, teils jaulenden Keyboardsounds und führen zu einer wehmütigen Melodie, elfenhaft gesungen von Jón Þór "Jónsi" Birgisson mit seiner durchdringenden Falsettstimme. Alles schwebt über einem schleppenden Rhythmus. Dabei ist die Bühne in rotes Licht getaucht, das sich an Seilen bricht, die vertikal und teilweise verdreht über die gesamte Bühne gespannt sind. Alles ist eine eindringliche Verschmelzung von Klang und Licht, wobei die Musiker meist im Dunkeln bleiben.

b 20221019 2046839629Die Musik von Sigur Rós spiegelt für mich den Klang der Natur in all ihren Fassetten wider, von der sanften Brise eines Frühlingshauchs bis hin zum Rauschen eines Kornfelds im Sommer, vom tosenden Gewittersturm über dem Meer bis hin zum Vulkanausbruch. Die Tatsache, dass ich die isländischen Texte (so es tatsächlich welche sind), oder die in Vonlenska (Hoffnungsländisch) gesungenen Verse, nicht verstehen kann, gibt mir Raum, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Mir öffnen sich Herz und Seele, während ich in der Menge stehe. So gebe ich mich ganz meinen Emotionen hin und vergesse für eine kurze Zeit all das, was in den vergangenen 2 1/2 Jahren auf mich und uns alle eingestürzt ist, Dinge wie die nicht enden wollende Pandemie und den Krieg im Herzen Europas. Ich spüre wiedermal, welche tiefgreifende Wirkung Musik haben kann.

Die Musik von Sigur Rós nimmt mich mit auf eine Reise in meine eigene Gedankenwelt. Bei dem getragenen, mystischen Stück „Fyrsta“ denke ich an den Gesang von Delphinen oder Walen. Auch hier ist Jónsis Stimme wieder reines Musikinstrument. Ich mache mir einen eigenen Reim auf seinen Gesang. Beim dritten Song „Samskeyti“ versammelt sich die gesamte Band um die Keyboards auf der linken Bühnenseite und performt das von einer eindringlichen Pianomelodie getragene Stück als gestandenes Quartett. Zu den drei Stamm-Bandmitgliedern Jón Þór "Jónsi" Birgisson (Gesang, Gitarre, Keyboards), Kjarri Sveinsson (Keyboards, Gitarre, Posaune, Flöte, Gesang) und Georg Hólm (Bass, Gesang) gesellt sich Schlagzeuger Ólafur Björn Ólafsson, der die Band zwischen 2012 und 2014 bereits auf Tourneen begleitet hat.

Die Songs von Sigur Rós zeugen mal von zarter Schönheit und schwellen dann wieder zu bombastischen Klangwänden an. Sie besitzen oft eine mitreißende Dynamik. Alles ist geprägt von Jónsis Stimme, die er mal sanft, mal stöhnend oder kreischend einsetzt, und von seiner speziellen Art, die Gitarre mit einem Cellobogen zu spielen. Dabei erzeugt er oft sägende Klänge, die mit Unterstützung der gesamten Band zu gigantischem Lärm anwachsen können. Die bei Fans weitestgehend bekannten Songs, vorrangig von den Alben ( ) und „Takk ...“, werden oft in längeren oder leicht veränderten Versionen gespielt. Im ersten Block gibt es dann auch einen neuen Song zu hören, der wohl „Gold 2“ heißen soll. Auch er ist ein für die Band typischer Song, der sich voll in das Soundkonzept von Sigur Rós einfügt.

Der zweite Block des Konzerts ist dramaturgisch so aufgebaut, dass sich ein dynamischer Spannungsbogen abzeichnet. Während es bei den Songs „Glósóli“ und „E-Bow“ noch recht verhalten zugeht, ziehen das Tempo und die Lautstärke bei „Sæglópur“ schon mächtig an. Noch immer ergriffen von der Wucht der Klangwände, holen mich die nächsten beiden schwermütigen Stücke gedanklich zurück in eine Welt von Eis und Schnee, bis schließlich eine monotone Bassfigur im stampfenden 4/4-Takt bei „Festival“ so etwas wie einen Aufbruch signalisiert. Dabei kommt es zu Bewegung im Publikum. Die Leute beginnen zu tanzen und mitzuklatschen. Jónsi geht immer wieder an den Bühnenrand und fordert ein heftigeres Klatschen ein. Die Fans lassen sich animieren und jubeln ihm zu. Alles wird untermalt von einer ausgefeilten Licht- und Video-Show, meist in warmen Rot- oder Gelbtönen, dann wieder blendend grell. Ich befinde mich in einem ständigen Wechselbad der Gefühle. Das bleibt so bis zum gigantischen Finale bei „Popplagið“ bei dem Jónsi am Schluss gegen seinen Mikrofonständer tritt und die drei Gitarristen ihre Instrumente auf den Boden werfen, so dass eine dröhnende, markerschütternde Rückkopplung entsteht. Nur das Schlagzeug ist noch für einige Takte zu hören.

Das war’s. Keine Zugabe, wie immer bei Sigur Rós. Vom Band läuft der Song „Avalon“, während sich die vier Musiker verdientermaßen vom Publikum feiern lassen. Sigur Rós sind zurück. Nicht nur ich bin begeistert von ihrer wunderbaren Musik, verbunden mit der darauf bis ins Detail abgestimmten Licht- und Videokonzeption. Alles wurde zu einer grandiosen Show, dramatisch und cineastisch.



Setlist
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