000 20200222 1112962242




uesc0220 20200222 1573824108
Ein Bericht von Christian Reder mit Fotos von Nicola und Christian Reder


Ein Jahr ist es her, dass ich mich zu Karneval aus dem Haus traute, um in Recklinghausen dem Auftritt von Axel Prahl und dem Inselorchester beiwohnen zu können. Die Vorzeichen für den vergangenen Donnerstagabend waren nahezu gleich: Wieder ist Karneval (Weiberfastnacht), wieder kommt Axel Prahl mit seinem Inselorchester ins Ruhrgebiet und wieder bietet er seinem Publikum "Mehr" an, als es das heute woanders bekommen könnte. Nur sind wir dieses Mal in Schwerte im Kreis Unna und statt im gehobenen Rahmen des Ruhrfestspielhauses im eher rustikalen und mehr an einen Arbeitsplatz erinnernden Ambiente einer ehemaligen Pumpstation zur Trinkwasserversorgung, die zu einem schmucken Veranstaltungsort mit angeschlossener Gastronomie umfunktioniert wurde. Auch wenn die Funktion des Gebäudes nun eine andere ist, wurde trotzdem fast drei Stunden "gepumpt" und "versorgt", denn das neunköpfige Ensemble mit dem Schauspieler und Musiker Axel Prahl an vorderster Front pumpte ordentlich was aus sich raus und versorgte die bis auf den letzten Platz ausverkaufte Rohrmeisterei mit einer großartigen Mischung aus Musik und Entertainment. Doch der Reihe nach.

Wenn man sich bei einer Tournee zwei Mal das gleiche Live-Programm eines Künstlers oder einer Band anschaut, läuft man Gefahr, sich beim zweiten Konzert eine 1:1 Kopie einzufangen. Der eine Auftritt gleicht dem anderen bis aufs Haar, und wenn man sich beim ersten Mal schon nicht so richtig unterhalten gefühlt hat, wird der zweite Besuche schnell zu einer zähen Veranstaltung und einem Erlebnis, von dem man sich ein schnelles Verschwinden aus dem Langzeitgedächtnis wünscht. Der Konzertbesuch in Schwerte bei Axel Prahl war mein zweiter zum aktuellen Album "Mehr" und ganz weit weg von dem, was ich eben schrieb. Es war mein Wunsch, das Erlebnis aus dem vergangenen Jahr in Recklinghausen noch einmal erleben zu können. Wie man meinem Bericht von damals entnehmen kann (siehe HIER), war das ein gelungener Abend mit einer exzellent aufgelegten Kapelle. Da wäre es mir schon recht gewesen, hätte es davon eine 1:1 Kopie gegeben, denn sowas schaut man sich gern mehrfach an. Aber Axel und sein Orchester haben innerhalb des Jahres, das zwischen Recklinghausen und Schwerte lag, am Programm, an der Spielweise mancher Songs und an der Darstellung auf der Bühne geschraubt, verändert und ergänzt. Auch wenn der sprichwörtlich rote Faden des Bühnenprogramms noch der Gleiche war, so gab es im Verlauf des Konzerts einiges zu sehen und hören, was anders und noch appetitlicher verpackt war.b 20200222 1296973073 Dazu kam, dass die Mugge um 19:30 Uhr begann und erst gegen 22:40 Uhr beendet wurde. Dazwischen lag zwar eine Pause, aber der Genuss mit Musik, Tanz und Unterhaltung dauerte insgesamt fast 2 ½ Stunden. Im Vergleich zu Recklinghausen eine fast 30 Minuten längere Spielzeit.

Und sie waren wieder super aufgelegt, die Damen und Herren auf der Bühne. Bei Axel Prahl sei auch empfohlen, die Ohren bei den Ansagen und Zwischenmoderationen zu spitzen, denn die sind fast schon als eigenständiges Programm zu sehen. Gleich zu Beginn des Abends klärt er sein Publikum darüber auf, dass er auf Tour bei jedem Konzert in den verschiedenen Orten ein regionales Bier trinken würde. In Schwerte war es …. Ähm …. "Jever Fun". Nicht nur die Biertrinker unter Euch werden wissen, dass Jever nicht im Ruhrgebiet liegt. Der Zusatz "Fun" macht außerdem deutlich, dass es sich hier nicht um ein Bier, sondern um ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk mit Biergeschmack handelt. Die Reaktion von Prahl ("Euer Ernst?") war da nur allzu verständlich. Als Tipp gab er seinem Publikum mit auf dem Weg, dass ihm seine Erfahrung während dieser Konzertreise gelehrt habe, dass man in einem bestimmten Ort in Bayern (den Namen verrate ich an dieser Stelle nicht) lieber auf Bier verzichten und doch auf Wein zurückgreifen sollte, so gut sei das "Gebräu" dort. Ebenfalls gleich zu Beginn stellte Axel seinen Arrangeur und Kumpel Danny Dziuk vor, den er am Abend immer wieder mal direkt mit ins Geschehen einband. Er ist das Herzstück des ganzen Orchesters, das er nicht nur leitet, sondern für das er auch die musikalische Richtschnur knüpft, damit das, was auf der Bühne passiert, beim Lauscher davor richtig gut ankommt. Darum folgte dem Intro gleich als erstes Stück auch der Song "Wenn zwei zueinander passen", und das kann man von Prahl und Dziuk nicht anders sagen. Die Setlist des Schwerter Konzerts war nahezu identisch mit der aus dem letzten Jahr, jedoch hatte es eine Umstellung und zusätzliches Songmaterial gegeben. Das Lied "Hallo Hallo" zog z.B. aus dem zweiten in den ersten Programmteil um. Anders war, dass es hier nun ein angeschlossenes Gewinnspiel gab. Das Publikum hatte die Gelegenheit zu raten, für wen Prahl das Stück wohl geschrieben hat. Am Ende fragte er die Konzertbesucher und ein Herr aus Reihe 10 nannte die richtige Antwort "Professor Börne" als erster. Er gewann zwei Whisky-Gläser, die er sich kurz vor dem Ende des Konzerts und bevor die Zugaben losgingen, direkt beim Star des Abends auf der Bühne abholen konnte.c 20200222 1805758056 Neu in der Setlist befand sich zu meiner Freude das Stück "Weitergehn", eine meiner Lieblingsnummern vom Debüt-Album "Blick auf's Mehr", und das Lied "Heute fang ich an" vom zweiten Album "Mehr" nutzte Axel Prahl zum Verkünden einer Neuigkeit. Er merkte nicht nur an, dass er sich dieses Lied selbst gewidmet habe, sondern auch dass der Inhalt ganz passend für sein Vorhaben sei. Er wolle das Jahr 2021 für eine künstlerische Pause nutzen, die er sich nach jahrelanger und pausenloser Arbeit nun gönnen wolle. "Keine Bange, der ‚Tatort' wird trotzdem weitergedreht", schob er hinterher, als im Saal die ersten Gäste anfingen, schwer zu atmen. Erleichterung machte ich breit. Wer sich das Spektakel auf der Bühne angeschaut hat, die bereits gespielten Konzerte und die noch folgenden restlichen Muggen der schon seit einem Jahr laufenden Tour multipliziert und dann in seiner Fernsehzeitung mal anstreicht, wo Axel Prahl alles zu sehen ist, der wird dem kleinen großen Mann diese Pause von Herzen gönnen.

Vor der Halbzeitpause im Konzert war "Polonaise International" auch in Schwerte wieder das letzte Stück, bevor leere Gläser und Nikotinspiegel aufgefüllt werden konnten. Und wieder gab es das in Überlänge. Zum musikalischen Leckerbissen als Untermalung der Geschichte zur Europäischen Finanzkriese wurde die Bandvorstellung in XXL-Fassung angehängt. Jeder der Mitglieder von Prahls Inselorchester hat hier sein kleines Zeitfenster, um sich und auch sein Können auf dem jeweiligen Instrument zu zeigen. Das war besonders auch bei der Cellistin Sylvia Eulitz ein guter Moment, denn sie saß mit einer "schwarzschimmernden Carbonschönheit" (O-Ton der Musikerin) zwischen ihren Knien auf dem Stuhl. Dieses besondere Cello hatte im vergangenen Dezember erst seine Premiere und sie scheint extrem stolz auf das wunderbare Instrument zu sein. Nicht nur der 4-Saiter glänzte unübersehbar. Den "Engelsgeiger" Rainer Korf, holte Axel direkt aus dem Bühnenhintergrund nach vorne an die Bühnenkante, um ihn vorzustellen. Das war auch gut so, denn er war von unserer Seite des Saals aus den ganzen Abend über nicht zu sehen und nur zu hören - Leider genauso wie Thomas Keller am Saxophon und Klarinette, sowie der hinter Schlagzeug und Notenständern gut versteckte Gitarrist Johannes Feige.d 20200222 1522118683 Es rappelte und schepperte ordentlich, das Ensemble trat seinem Publikum damit ordentlich vor's Tanzbein, nur dummerweise war zum Tanzen in der Alten Rohrmeisterei kein Platz. Der Bewegungsdrang, den diese Nummer - und auch andere Lieder an diesem Abend - auslöste, musste im Sitzen irgendwie ausgelebt werden. Die Beine ausschütteln konnte man dann aber in der folgenden Pause.

Leider fiel die Unterbrechung etwas länger aus als geplant, denn während sich die Musiker im ersten Teil vorn auf der Bühne austobten, taten dies ein oder mehrere Einbrecher zeitgleich im Backstage-Bereich. Sie verschafften sich Zugang zu den Garderoben und klauten Hose, Hemd, Smartphone und Hotelschlüssel von Gitarrist Johannes Feige. Nichts, was sich nicht ersetzen ließe, aber auf dem Smartphone befanden sich die Fotos seiner kleinen Tochter aus den letzten zwei Jahren, die er noch nicht gesichert hatte. Und diese lassen sich dummerweise weder von der Versicherung noch sonst wie ersetzen. Später, vor dem Song "Da brennt noch Licht", bat Prahl die Raucher, ihre Feuerzeuge und die Nichtraucher ihre Handys mit Taschenlampenfunktion hoch zu halten. Beim Anblick des Lichtermeers meinte Danny Dziuk noch, dass Johannes' Smartphone möglicherweise jetzt auch unter den vielen leuchtenden Mobiltelefonen sein könnte. Axel war sich aber sicher, dass niemand aus seinem Publikum sowas machen würde. "Der Feind kam von außen", fügte er hinzu. Im zweiten Teil wurden seitens der Protagonisten - trotz Schreckmoment in der Pause - nochmals alle Register gezogen. Die "pure Erotik" strahlte der vortragende Künstler beim Stück "Besinn Dich", einem waschechten Tango, aus, zu dem Axel Prahl auch tänzerisch eine gute Figur machte. Die schauspielerische Einlage zu "Da brennt ein Boot" gab es ebenso wieder wie das mit "illuminiertem Taktstock" (Zigarette) dirigierte "Reise Reise". Eine Abrechnung mit den Medien, die Unwahrheiten verbreiten und mit ihrem perversen Umgang mit reißerischen Überschriften versuchen, nur noch mehr Ausgaben ihrer Blätter verkaufen zu können, fand dann kurz vor Schluss mit dem Song "Erbarme Dich unser" statt, ehe das friedliche "Liebe hat mir den Tisch gedeckt" den Schlusspunkt eines gelungenen Konzertes bilden sollte.

e 20200222 1292432942Aber wie das mit den vorgesehenen "Schlusspunkten" so ist ... Ganze drei Versuche mussten Axel Prahl, der im Anschluss an das Konzert noch die Heimreise nach Berlin antreten wollte, und seine Musiker unternehmen, um dann tatsächlich Feierabend machen zu können. Ohne eine Zugabe wären sie sowieso nicht von der Bühne gekommen. Viel zu aufgeladen war das Auditorium, das mit stehenden Ovationen um ein Dessert bat. Das karibisches Flair versprühende "Lass uns flieh'n" war der erste Versuch seitens des noch immer bestens aufgelegten Ensembles, dem Schwerter Publikum den Weg nach Hause leichter zu machen. Aber auch im Anschluss daran war an eine Zufriedenheit der Menschen nicht zu denken. Der Applaus wurde noch lauter, die Rufe nach Zugaben ebenso. Also kehrte man ein weiteres Mal auf die Bühne zurück, um mit "Da brennt noch Licht" (die Nummer mit den Feuerzeugen und Smartphones) und entschleunigter Vortragsweise den Druck vom Kessel zu nehmen. Aber auch dies reichte den Leuten noch nicht, sie überschütteten die Band mit Applaus und lauten Rufen, so dass diese sich mit einer dritten Zugabe dafür bedankte. "Die Unvollendete" nennen sie das Stück, das nun noch zum Vortrag kam. Es hat keinen Namen aber Axel wusste zu berichten, dass es eigentlich nur 32 Themen gäbe, über die Lieder geschrieben würden. Dies hätte mal jemand herausgefunden, er habe das aber nicht überprüft. Vielmehr hätte er nun dieses Lied geschrieben, das das 33. Thema beisteuern würde, nämlich die Körperpflege. Und auch wenn nach dieser humorvollen Nummer, die die Leute ein ums andere Mal zum Lachen brachte, noch immer kein Sättigungsgefühl beim Schwerter Publikum einsetzen wollte, so bildete ein abschließendes "Danke" doch das Ende eines tollen Konzerts und den endgültig eingeläuteten Feierabend für die Musiker.

Mag diese oder jene Einlage im Programm hier in Schwerte identisch mit denen in vorherigen Spielorten gewesen sein, z.B. die Sache mit der Zigarette oder dem Rotwein in den Zugaben, so lebt die komplette Show aber doch von einer gehörigen Portion Natürlichkeit. Es wirkt nichts einstudiert oder gestellt, auch wenn es mit Sicherheit nicht ungeplant dargeboten wird. Axel Prahl ist nicht nur ein toller Sänger, dessen Stimme man nur als äußerst angenehm bezeichnen kann, sondern vor allen Dingen ein ausgesprochen guter Schauspieler, was ihm bei einem solchen Bühnenprogramm absolut in die Karten spielt. Mal hält er Zwiesprache mit seinem Kumpel Danny, mal sucht er diese mit dem Publikum. Mal sitzt er still und Gitarre spielend auf seinem Hocker, ein anderes Mal misst er die Bühne von links nach rechts aus, um direkten Kontakt zu Danny Dziuk oder dem auf der anderen Seite postierten Jörg Mischke aufzunehmen.f 20200222 1458376786 Eine Tanzeinlage hier, einen Hüpfer dort und ein Drehen um die eigene Achse mit Verlust des Verstärkerkabels später, und das Publikum ist bestens unterhalten. Es dauerte nicht lange, bis er die Leute im Saal abgeholt hat. Selbst die, die ihn vielleicht bis dahin nicht kannten und Freikarten über den Sponsor bekommen hatten. Der ganze Saal (!) war am Ende aus dem Häuschen. Ja, es ist ein lebendiges und Lebendigkeit auslösendes Spektakel, das keine Längen und Weilen hat. Man hat den Eindruck, als wäre das dort Gezeigte für die Künstler wie eine Premiere. Neu, unverbraucht und Spaß bereitend. Und genau das überträgt sich auch in den Saal. Ich könnte - wenn es ginge - heute schon wieder hingehen. Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, mir das noch ein drittes Mal anzugucken, wenn es meine wenig zur Verfügung stehende Zeit erlaubt. Und Euch, die Ihr das noch nicht erlebt habt, lege ich wärmstens ans Herz, das schleunigst nachzuholen und Axel Prahl und sein Inselorchester zu besuchen. Nicht vergessen: 2021 macht der Herr Prahl Pause. Bis dahin solltet Ihr Euch "Mehr" von dem holen, was wirklich gut ist. Und bei einem Blick in die Termine ist schließlich auch "Mehr in Sicht"!

Das Inselorchester besteht aus Rainer Korf (Geige), Christiane Buchenau (Bratsche, Begleitgesang), Sylvia Eulitz (Cello, Begleitgesang), Tom Baumgarte (Kontrabass, E-Bass, Begleitgesang), Thomas Keller (Saxophone, Akkordeon, Klarinette), Jörg Mischke (Keyboard, Begleitgesang), Nicolai Ziel (Schlagzeug), Johannes Feige (Gitarre, Begleitgesang), Danny Dziuk (Keyboard, Gesang, musikalischer Leiter) sowie ihrem "Vorarbeiter" Axel Prahl (Gesang, Gitarre).



Termine:
• 13.06.2020 - Meißen - Albrechtsburg
• 14.08.2020 - Leipzig - Parkbühne Clara Zetkin Park
• 15.08.2020 - Nürnberg - Serenadenhof
• 16.08.2020 - Steinbach/Langenbach - Naturtheater
• 28.08.2020 - Bochum - Zeltfestival Ruhr
• 13.09.2020 - Ulm - ROXY Werkhalle

Alle Angaben ohne Gewähr!



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Axel Prahl: www.axelprahl.de
• Homepage der Rohrmeisterei in Schwerte: www.rohrmeisterei-schwerte.de






Fotostrecke: