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Ein Bericht von Christian Reder mit Fotos von Adam Glagla und Christian Reder



Sie ist jung, sie ist talentiert und stimmlich ist sie eine Urgewalt. ZOFIA CHARCHAN (ausgesprochen "Harhan") ist das, was man gemeinhin als Rohdiamanten bezeichnet. Wobei man so viel an ihr gar nicht mehr rumschleifen muss, um aus dem Rohdiamanten einen Brillanten entstehen zu lassen. Vielleicht sollte man sie aber auch einfach nur so lassen, wie sie ist. Viele ihrer Altersgenossen begeben sich auf das dicke und somit sichere Eis, suchen den Weg über die Casting-Shows, um dort Lieder anderer Künstler nachzusingen. Es ist schließlich der kürzeste Weg in die BRAVO und zum "Chart-Hit". ZOFIA begibt sich hingegen auf das dünnere Eis, auf dem man leicht einbrechen und im kalten Wasser umkommen kann. Auf diesem beschwerlicheren Weg geht man oft allein und ist auf der Suche nach länger haltendem Erfolg, nach einem bleibenden Dasein als Künstlerin. Und dieser Weg bedeutet auch, dass man ganz unten anfängt und sich jeden Schritt selbst erarbeiten und Erfolge hart verdienen muss. Aber man nimmt auf dieser Reise für sich selbst auch viel mehr mit, als einem ein Onkel Dieter verklickern könnte ...

ZOFIA ist 19 Jahre alt, schreibt ihre Lieder komplett selbst und wenn sie mal covert, spielt sie bei einem Konzert höchstens eins ihrer Lieblingslieder, das sie in einem besonderen Moment auf der Bühne mit ihrem Publikum teilen möchte. Das macht sie von der Stimmung abhängig, die ein Auftritt in ihr auslöst. Ansonsten hat sie aber auch selbst genug zu erzählen und reichlich Ideen, ihre Geschichten in Musik zu kleiden. Wenn man sich mit ihr unterhält, fallen sofort diese geistige Reife, dieses tiefere und weitblickendere Denken, sowie ihre klare Sicht auf die Dinge auf. Da sitzt Dir kein verzaubertes kleines Mädchen gegenüber, dass das Leben für den so oft als Beispiel heran gezogenen Ponyhof hält, sondern eine junge Frau, die genau weiß, dass nicht alles so zuckerwattenweich und -süß ist, dass das Leben mehr Kurven als Geraden hat und das die Phase des Verträumtseins offenbar schon vor vielen Jahren hinter sich gelassen hat. Aber trotzdem hat sie Träume, Hoffnungen und sieht die schönen Dinge im Leben immer noch. Nun mag man sich fragen, was so ein "junges Ding" den Leuten denn schon so Wichtiges zu sagen hat, das daraus Lieder werden müssen. Es sind ihre persönlichen Beobachtungen und Empfindungen, die im richtigen Moment zu Songs werden. Besonders die, die durch die Liebe zu ihrem Freund entstehen. Und das macht sie gleich mit allen anderen Menschen, die lieben und geliebt werden mit dem Unterschied, dass nicht viele in der Lage sind, daraus so wunderbare Liedern entstehen zu lassen. Und es ist eben nicht dieser übliche Verliebtseinssingsang, den man von ZOFIA zu hören bekommt. Da steckt mehr in der Tiefe und es geht auch um viel mehr, als nur dieses Verliebtsein und die sich daraus entwickelnden Hormonschwankungen. In ihren Texten verarbeitet sie den viel zu frühen Tod ihres Vaters ebenso, wie markante Punkte in der Beziehung mit der "großen Liebe ihres Lebens", wie sie ihren Lebensgefährten Leon selbst bezeichnet. Seit sie 12 Jahre alt ist schreibt sie nun schon ihre eigenen Lieder - und 12 ist nebenbei bemerkt auch ihre Glückszahl. In den vergangenen sieben Jahren ist so eine stattliche Anzahl Songs entstanden, von denen jetzt sechs auf ihrer ersten CD erschienen sind. Am vorletzten Wochenende gab sie ihr Record-Release-Konzert in Berlin.b 20190930 1926131133 "Illusion" heißt ihre allererste Veröffentlichung, eine EP die Vorbote für das Debüt-Album ist, dessen Erscheinungstermin aber noch nicht feststeht. Lieder dieser EP und ein paar handverlesene weitere Songs aus ihrem Repertoire stellte ZOFIA CHARCHAN am vergangenen Sonntag bei ihrem ersten Konzert außerhalb ihrer Heimatstadt Berlin vor. Und weil 12 eben ihre Glückszahl ist, befanden sich bei ihrem Auftritt im "Mythos" - wie könnte es anders sein - auch 12 Lieder auf ihrer Setlist.

Pünktlich um 19:30 Uhr betrat ZOFIA die kleine Bühne im Musikzimmer des "Mythos". Eigentlich war der Rote Salon für ihren Auftritt vorgesehen, aber im Vorfeld hatten mehr Leute ihr Kommen über soziale Netzwerke angekündigt, als der kleine Raum hätte fassen können. Also wurde es kurzerhand in den etwas größeren Raum verlegt. Und hier stand sie nun, diese kleine und zierliche junge Dame, die sich gerade eine ihrer beiden mitgebrachten Gitarren umschnallte, auf denen sie sich selbst begleitete. Keiner im Saal kannte sie bisher, die Leute kamen alle aus Neugier und Interesse an einer Nachwuchskünstlerin. Da ihr Auftritt ja eigentlich für den kleinen Saal angedacht war, stand für ihren Auftritt im Musikzimmer keine Technik zur Verfügung, so dass sie ihren Auftritt "pur" und unverfälscht durchziehen musste. Sprich: Kein Mikro, kein Gitarrenverstärker. Die ersten Töne ihres Stücks "Home Run" ertönten und dann begann ZOFIA zu singen. Da war sie ... die eingangs beschriebene Urgewalt. Deutlich hör- und vor allen Dingen auch spürbar. Wo kommt diese Stimme her? Und vor allem so ganz ohne technische "Hilfsmittel"? Das hätte man ihr nicht zugetraut, dass sie das Publikum mit solch einem Organ dermaßen umhauen würde. Konnte man kurz vorher noch Getuschel im Publikum hören, war plötzlich Ruhe im Saal. Keiner sprach mehr, die Blicke waren auf die Bühne gerichtet und jeder Konzertbesucher lauschte aufmerksam dem, was das Mädel da vorne gerade tief aus ihrem Inneren holte. Das erste Geräusch, das nicht zum Vortrag gehörte, war erst wieder der Applaus am Ende des Stücks, der wie eine tosende Welle in ihre Richtung aufbrandete. Das sollte an diesem Abend noch öfter und auch lauter passieren. Was war das gerade? Haben wir das wirklich erlebt? Hammer!

c 20190930 1062054495Eine Schwalbe macht bekanntlich ja noch keinen Sommer, und wer weiß, ob sie dieses Niveau, das sie mit dem Opener vorgelegt hat, überhaupt halten kann. Auch kräftemäßig, denn man darf nicht vergessen, dass ohne Mikro zu singen deutlich mehr Kraft vom Künstler fordert. Doch schon mit dem zweiten Lied "Lost Stars", das man auf ihrer neuen CD als letzten Song finden kann, knüpfte sie nahtlos da an, wo sie mit dem letzten Ton von "Home Run" aufgehört hatte, nämlich das Publikum gefangen zu nehmen und in ihren Bann zu ziehen. Den Spannungsbogen und die Aufmerksamkeit auf sich konnte sie bis zum Schluss halten, soviel sei an dieser Stelle ebenso schon verraten wie die Antwort auf die eben gestellte Frage: Ja, sie hatte die Kraft und Energie, auch stimmlich das Level zu halten. Was stark begann, wurde sogar noch gesteigert.

Wie schon erwähnt, stammen die Kompositionen und die Texte komplett aus ihrer Feder. Dass es sich hier nicht um 08/15-Pop mit Inhalten, die nur Teenager interessieren, handelt, zeigten schon die ersten beiden Stücke mehr als deutlich. Zwischen den einzelnen Songs erzählt ZOFIA als Hilfestellung immer wieder, was man in den durch die Bank englisch gesungenen Titeln hören wird. Inhaltlich geht es da hauptsächlich um Veränderungen im Leben und Gefühle, die u.a. vom Partner ausgelöst werden. So ließ sie ihr Publikum wissen, dass sie als Kind den Herbst als Jahreszeit nie mochte. Es war immer das Vorprogramm zum noch trüberen Winter. Man wusste, wenn der Herbst da ist, wird es bald richtig trist. Und dann kam dieser eine Moment - ein Spaziergang mit ihrem Freund durch die vom Herbst bereits in viele Farben getauchte Welt. Diese Eindrücke und die Nähe zu ihm ließ sie umdenken. "Leon made me loving Fall" beschreibt dieses die Welt plötzlich anders sehen. Ein weiteres Lied ist entstanden, als sich ZOFIA über den Umstand ärgerte, dass man einen so wunderschön anzuschauenden Sternenhimmel nicht fotografieren und als Erinnerung so festhalten kann. Zwar könne man das mit der heutigen Technik inzwischen sehr wohl, ihr sei das damals aber nicht gelungen. Daraus entstand das ruhige und fast schon melancholische Stück "Heart Comes Home". Ihr Lied "Again" handelt davon, dass man in einer Beziehung auch mal streitet, und dass die Gründe für derlei "Auseinandersetzungen" nicht selten immer die gleichen sind. Einen tieferen Blick in eine Beziehung wirft auch das Stück "You", das diese auf den Prüfstand stellt. Nach der ersten Phase des Verliebtseins kommt man automatisch an einen Punkt, an dem einen die Fehler des Partners auffallen und man sich fragt, ob man mit diesen Fehlern leben kann und ob es das alles wert ist. Musikalisch umhüllt hat ZOFIA ihre Geschichten fast ausschließlich in ruhigeren Tönen.d 20190930 1643954139 Anders als ihr "Come Back To You", das sie selbst als "fröhlich" bezeichnet, und das kräftige Einschläge von Country hat, sind es hauptsächlich Balladen, die ZOFIA CHARCHAN vorträgt, und die sie nahezu perfekt beherrscht. Hier legt sie ihr ganzes Können rein und kann über die zurückgenommenen Arrangements ihre Stimme ausgesprochen gut in Szene setzen. Leise Momente wechseln sich darin mit lauteren ab, in dem sie gesanglich das eine oder andere Highlight setzt. Da kann aus der zarten Stimme auch schonmal eine Röhre werden und den vielen Höhen auch mal ein unerwartet tiefer Ton folgen. Sie ist stimmlich gut aufgestellt und weiß, dieses Instrument perfekt einzusetzen und den richtigen Moment zu finden, sie auf die Überholspur zu schicken. Als wäre sie schon eine Große und hätte Bühnenerfahrung ohne Ende.

Kurz vor Schluss präsentierte ZOFIA CHARCHAN mit "Paper" ein Stück, das ich als meinen persönlichen Favoriten des Abends ausgemacht habe. Sie kündigte es auch als ihren "größten Hit" an, und Potential zu einem Hit hat die Nummer tatsächlich. Darin vergleicht sie die Beschaffenheit von Papier mit der einer zwischenmenschlichen Beziehung und tut das so gut, dass es einem immer wieder die kleinen Härchen auf den Armen aufstellt. Ich glaube, man nennt es wohl Gänsehaut, die sie einem dort am Ort des Geschehens mit ihrem Vortrag verpasst hat. Als der letzte Ton gesungen und gespielt war, bedankte sich die Musikerin bei ihrem Publikum auch dafür, dass es ihr die Aufmerksamkeit schenkte und sich für ihre Musik interessierte. Dies sei heute nicht mehr selbstverständlich, fügte sie an und verwies auf die Möglichkeit, anschließend noch ihre CD kaufen zu können. Und selbst mit diesem Schlusswort erreichte sie die Herzen und Seelen ihres Publikums. Die des Schreibers dieser Zeilen hatte sie schon mit dem ersten live gesungenen Ton gewonnen. Schwer beeindruckt ist wohl die Beschreibung für den Zustand, in den mich die Sängerin gestern ohne Schwimmflügel geschubst hat.

Nach einem Erlebnis wie dem eben beschriebenen Konzert von ZOFIA CHARCHAN bei uns im "Mythos", kann man den Leuten im Land nur immer wieder mit auf den Weg geben, sich mal wieder in Konzerte von einem noch gänzlich unbekannten Künstlern zu setzen und sich von dessen Vortrag überraschen zu lassen. Dabei ist es egal, ob - wie in diesem Falle - positiv oder negativ. Es geht dabei ums Entdecken und darum, sich kulturell evtl. neu zu verlieben. Es ist die ursprünglichste aller Entdeckungsmöglichkeiten!e 20190930 1090905811 Man hat die Wahl, sich von all den gleichschenkligen Dreiecken der aktuellen "Singer-Songwriter"-Szene über Rundfunk und Fernsehen mit Belanglosigkeiten chloroformieren zu lassen, oder aufregende und frische Interpreten live und in Farbe zu treffen, die einen wirklich abholen und begeistern können. Und Leute ... die Sitzmöglichkeiten in den Clubs und Sälen in diesem Land sind übrigens nicht weniger bequem wie die heimische Couch. Nur die Wege, um sie zu erreichen, sind unterschiedlich lang. Aber dafür hat man ja Beine. Also ... hoch den Hintern! Bei Dir umme Ecke spielt sicher auch ein Musiker, den Du noch nicht kennst. Geh ihn entdecken ...



Setlist:
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Termine:
• 03.10.2019 - Berlin - Strandbad Weißensee ("Autumn @ The Beach Bar")
• 08.10.2019 - Berlin - WABE

Alle Angaben ohne Gewähr! Nähere Infos auf Zofias Homepage



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Zofia Charchan: www.zofia-charchan.de
• Homepage des Tanzpalast Mythos in Castrop: www.restaurant-mythos.de




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