
Ein Bericht von Matthias Ziegert mit Fotos von Matthias & Sebastian Ziegert

Der Hüter des AMIGA-Schatzes, JÖRG STEMPEL, begann als Redakteur und war letzter Chef von AMIGA, der einstigen DDR-Plattenmarke für Unterhaltungsmusik, und ist seit nunmehr über 20 Jahren sachkundiger Verwalter und rühriger Verwerter des musikalischen AMIGA-Nachlasses. Dieser umfasst mehr als 2.200 Alben und rund 5.000 Singles. Im Jahr 2005 gründete er dann sein Label "sechzehnzehn" in Anlehnung an den einheitlichen Preis für AMIGA-Schallplatten zu DDR-Zeiten. Wer mehr über ihn und seine Arbeit wissen möchte, kann auch das Interview aus dem Monat Oktober lesen, das zum gleichen Thema wie die hier beschriebene Veranstaltung entstand (Direktlink: HIER). Wer, wenn nicht Stempel, hätte den Abend in Leipzig besser moderieren können?
Im ersten Teil plauderte JÖRG STEMPEL in der von ihm gewohnten lockereren und charmanten Art über die Entstehung des Label AMIGA vor 70 Jahren, und brachte dabei viele persönliche Erinnerungen und Anekdoten sowie heitere und ernstere Geschichten ein. Ergänzt wurde der Vortrag durch verschiedene Audio- oder Videoeinspielungen auf einer Leinwand, so z.B. zur ersten Veröffentlichung von AMIGA, dem Titel "Die Capri Fischer", damals noch in der Masurenallee aufgenommen. Interessantes Detail am Rande: Wer diese Platte damals kaufen wollte, die zu dieser Zeit noch aus Schellack bestand, musste zwei alte Schellackplatten mitbringen. Das sage noch mal einer, Recycling sei eine Erfindung der Neuzeit ... "Amiga ist wie eine große, einzigartige Briefmarkensammlung, mit mindestens einer grünen, blauen und roten Mauritius", so Stempel. "Es war ein Familienlabel, das die musikalische DDR-Szene in allen Facetten abgebildet hat." Hier konnten Texter, Komponisten, Interpreten in einem geschützten Raum erstaunliche Werke schaffen. In den Veröffentlichungen lag Jazz bei zehn Prozent, Liedermacher/Chanson bei zwölf Prozent. 1.000 bis 5.000 Stück wurden pro Album gepresst, manchmal auch noch mehr. Zahlen, die im Westen undenkbar gewesen wären. In diesem Fall zahlte sich das Markt-Monopol von AMIGA aus, auch wenn der VEB Deutsche Schallplatten durchaus wirtschaftlich denken musste. Das Kulturministerium, dem die Firma unterstand, plante und erwartete einfach einen Gewinn von 100.000 Mark im Jahr - zur Finanzierung von Theatern, Verlagen, Museen. Dabei gab es dauernd ernste Probleme bei den Plattentaschen. Der VEB Gothadruck konnte schlichtweg nicht liefern. Was wie auf allen anderen Gebieten zu Handels-Engpässen führte. Besonders bei den stark nachgefragten Lizenz-Platten (Bückware), die gern als Tauschobjekte genutzt wurden. Von denen wurden ohnehin in der Regel mehr gepresst als vertraglich vereinbart. Meist sah der Westpartner großzügig darüber hinweg. Nur das Management von BAP nicht. Das schickte, nachdem "Vun drinne noh drusse" erschienen war, einen als Reporter der FDJ-Zeitung "Junge Welt" getarnten Rechercheur durch die 35 Plattenläden Ostberlins - und stellte fest: Es wurden 35.000 Exemplare verkauft. Hochgerechnet auf die gesamte DDR also etwa 100.000 Stück. Die bezahlte Lizenz galt jedoch nur für 10.000 Exemplare. Da musste AMIGA noch einmal in die Tasche greifen. Ein Einzelfall. Allerdings schmerzlich, da Devisen in der DDR immer ein rares Gut waren. Die meistverkaufte Lizenzplatte war übrigens ein Album von Roger Whittaker mit dem Titel "Abschied ist ein scharfes Schwert". Für die Verkäufe gäbe es heute mehrfach Platin. Von den Rockbands lagen die PUHDYS bei den Verkaufszahlen klar vorn (Top-Hit: "Rock'n'Roll Music"), gefolgt von KARAT, CITY und SILLY. Bei den Schlager-Interpreten besetzte natürlich Frank Schöbel die Spitze. "Weihnachten in Familie" ist bis heute der größte, selbst produzierte AMIGA-Hit. Diese und viele andere erstaunliche und interessante Details über das Label AMIGA erfuhren wir im ersten Teil des Programms.
Der zweite Teil wurde mit einem Einspieler aus der DDR-TV-Sendung "Auf eine runde halbe Stunde" und mit einem Gespräch zwischen JÖRG STEMPEL und ANGELIKA MANN eröffnet. In der folgenden halben Stunde erzählte "die Lütte" mit viel Humor von den Stationen ihrer musikalischen Entwicklung, u.a. beim Reinhard-Lakomy-Ensemble und ihrer eigenen Band OBELISK, bis zum Traumzauberbaum. Als musikalische Kostprobe gab es daraus das Stück "Guten Morgen". Leider klappte es beim Playback von der Neuaufnahme des Champusliedes mit "Bürger Lars Dietrich" nicht. Nach einer kurzen Pause ging es weiter mit einem Einspieler der zum nächsten Gast passte. Auf der Leinwand waren Uwe Hassbecker und Inka Bause mit einem Auftritt in der Sendung "BONG" zu sehen. Dies diente als Einstimmung für den in Leipzig geborenen SILLY-Gitarristen, der anschließend ebenfalls über seinen musikalischen Werdegang berichtete. Dieser führte von Uschi Brüning über die Modern Soul Band zu Stern Meißen. Es folgte das Projekt GITARREROS, bevor er - wie später auch Jäcki Reznicek - zu SILLY wechselte. Parallel dazu arbeitete er im Studio von Martin Schreier als Studiomusiker mit Arndt Bause und Helga Hahnemann. Und eben auch für Inka, wie man in dem eben erwähnten Clip auch sehen konnte. Stempel und Hassbecker kennen sich schon eine länger Zeit sehr gut, zumal JÖRG STEMPEL sich einige Zeit nach deren Neustart auch um die Gruppe SILLY kümmerte und letztlich auch derjenige war, der Ritchie Barton erstmals mit Anna Loos zusammenführte.
Zum vierten und letzten Teil des Abends kam die "Lütte" noch mal auf die Bühne und präsentierte gemeinsam mit Uwe Hassbecker an der Akustik-Gitarre unplugged "Die sieben Zwerge", die vom Ungarn Gjon Delhusa komponiert wurden. Dem folgte "Kutte" aus ihrer Zeit mit OBELISK, gefolgt vom SILLY-Klassiker "Flieg" vom 1996er Album "Paradies" und als Abschluss den Titelsong vom Album "Alles rot". Als Zugabe kam dann doch noch das "Champuslied", wobei die Herren Hassbecker und Stempel auf der Bühne als Backroundsänger agierten. Mit viel Applaus und Blumen bedacht, und dem Ruf nach einer Zugabe, wurde der Vortrag belohnt. Mit einer eigenen Version eines Janis Joplin-Songs setze die "Lütte" dann noch eins drauf. Im Anschluss wurden noch sämtliche Autogramm- und Fotowünsche erfüllt.
Ein sehr schöner, unterhaltsamer und informativer Abend, bei dem nicht nur das Publikum sondern auch die Protagonisten auf der Bühne viel Spaß hatten, ging zu Ende. So etwas könnte man vielleicht auch als Veranstaltungsreihe im "Anker" öfter anbieten und als solche auch etablieren. Genügend Interesse seitens der Leute scheint es ja zu geben. Vielen Dank an dieser Stelle an Anker und Stempel.