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Ein Bericht von Thomas Handrick mit Fotos von Sandy Reichel


Jetzt, nachdem die Weihnachtstage vorbei sind, es besonders nachts wieder sehr frostig wurde, gibt es einen Rückblick auf den 22. Dezember 2014, einen eher herbstlich anmutenden Tag mit 11 Grad und Regen und eine ganz besondere Weihnachtsfeier in Berlin. Im Jahre 1994 hatte die Familie Zander die Idee, für Obdachlose und Bedürftige eine Art "Weihnachtsessen" auszurichten. Dazu inspiriert wurde Frank Zander von Bruce Springsteen, der zu einer CD-Präsentation keine Promis und Presse einlud, sondern die Ärmsten der Armen. Somit fand 1995 im Schloss Diedersdorf, südwestlich von Berlin gelegen, vor ca. 300 Gästen erstmals ein "Weihnachtsessen" statt. Mittlerweile jährt sich dieser Tag zum 20. Mal und auch die Anzahl der Gäste hat sich verzehnfacht. Über 3.000 Personen wurden am vergangenen Montag erwartet. Eine Tradition also, die von Jahr zu Jahr wächst und stets neue Herausforderungen, aber auch Ideen zur Hilfe hervorbringt.

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Um 14.30 Uhr fand der Einlass statt. Bereits eine Stunde vorher warteten an den Eingangstoren des ECC, dem riesigen Tagungsgebäude des ESTREL, hunderte sozial Schwache aller Altersstufen, mit unterschiedlichen Hautfarben, gesund oder mit Behinderungen. Der Einlass dauerte sodann seine Zeit, denn Frank Zander begrüßte jeden Einzelnen mit Handschlag. "Dabei in die Gesichter zu schauen, haut mich jedes Mal um", so Zander. Für uns war übrigens bis zum Einlass unklar, welche Musiker und Bands diesmal die Bühnenshow gestalten sollten. Erst der Ablaufplan brachte Klarheit. Diesem war folgendes zu entnehmen: Nica & Joe, die Hanno Bruhn Gang (Berlin uff Blues), "drauf!" feat. Alina Merkau & Matthias Killing (SAT1 Weihnachtssong), Linda Feller, Semino Rossi, Nina Hagen, Jürgen Drews, Music & Voice (Liveband) sowie natürlich Frank Zander & Band standen auf dem Programm, welches nach dem Essen gegen 16.40 Uhr beginnen sollte. Bis dahin waren also noch zwei Stunden Zeit, um sich umzusehen und Randnotizen einzufangen, welche hier auch angemerkt werden sollen und dürfen.

b 20141229 1187520858Das erste, was auffiel, war die Masse an Helfern. Diese, 200 an der Zahl, trugen gelbe T-Shirts und besetzten die Stände, welche die Ränder des Saales im ECC säumten. Es gab Friseurstände, Geschenkstände, Bücherstände, einen Tabakstand, Bierstände, eine Kinderecke, einen Fotostand, Zuckerwatte ... eine unglaubliche Dichte an nützlichen und kostenfreien Angeboten. Eine 3-seitige Sachspendenliste liegt uns vor - daraus nur auszugsweise:
6.000 Knödel, 500 kg Rotkohl, 50 kg Gänseschmalz, 3.000 Packungen Schokolade, 10.000 Tassen Kaffee für alle, 1.400 Packungen Lebkuchen, palettenweise weitere Süßigkeiten, weihnachtliche Deko für über 200 (!) Tische, ein Team mit 10 Friseuren vor Ort, 1.200 Paar Handschuhe, 3.000 Set Duschgel und Seife, 5.000 Kondome, 3.000 Packungen Taschentücher, 3.000 Kämme/ Bürsten, 800 Geschenkpakete, 3.000 Einmal-Rasierer, 3.000 Zahnbürsten ... tiermedizinische Versorgung sowie die medizinische Betreuung durch die Johanniter Unfall Hilfe.
Die dankbaren Gesichter der Bedürftigen, in denen ein Lächeln einzog, wo doch sonst oft nur Sorgen sind, welche auch nicht unverborgen blieben, war das zweite, das auffiel. Eine Erkenntnis, die sehr viel mehr zu Denken gab. Selbst nach einigen Tagen sind diese Eindrücke immer noch gegenwärtig.

Nun wurde das Essen aufgetragen ... serviert von Prominenten aus Politik, Sport und TV. So sahen wir zum Beispiel Berlins Innensenator Frank Henkel, Gregor Gysi, Kulturstaatssekretär Tim Renner, die Boxer Arthur Abraham und Axel Schulz (letzterer gut zu erkennen an seiner Sponsorenmütze), die Schauspieler Frank Kessler, Natascha Ochsenknecht, Wolfgang Bahro, Wolfgang Lippert und nicht zuletzt die Volksschauspielerlegende Herbert Köfer, der selbst im 94. Lebensjahr so fit ist und die Teller mit Gänsebraten und Klößen an die Tische brachte. Einen etwas faden Beigeschmack hatte die Beobachtung am Rande, dass sich das Austragen der warmen Portionen durch das Posieren einiger Promis vor den Kameras der umherwimmelnden Pressekollegen mitunter doch ziemlich verzögerte.c 20141229 1571152732 Herbert Köfer gehörte nicht dazu, ebenso wenig Wolfgang Bahro und die Ochsenknechts - sie machten einfach nur das, wofür sie heute da waren: helfen, ohne großes Blitzlicht um sie herum. Das war sehr schön zu sehen. Natürlich ist eine solche Promi-Dichte auch ein Stück weit (Eigen-)Werbung für diese Benefizaktion. Aber auch für Beteiligte, doch dazu später noch einen Nebensatz ...

Nachdem 2.800 Gänsebraten aufgetragen, verzehrt und wieder abgetragen wurden, übernahmen Britta Elm und Uly Köhler die Moderation dafür, was für Frank Zander und Familie als Künstlerfamilie selbstverständlich ist: es gibt etwas auf die Ohren - die Bühnenshow konnte beginnen! Der erste Act NICA & JOE - ein deutsch-amerikanisches Gesangsduo, welches 2011 in der Musik-Castingshow X Factor den dritten Platz belegte - stimmte die 3.000 Gäste mit zwei weihnachtlichen Melodien und mit sehr gefühlvoll-kräftigen Stimmen ein.

Als nächstes sahen wir die HANNO BRUHN GANG. Hier gab es für mich endlich einmal die Antwort auf die Frage, wie eine urige Berliner Bluesband auszusehen und sich anzuhören hat. Die Band kennt kaum einer, oder? Das ist an sich nicht schlimm, aber wissenswert ist es, dass der Text von Frank Zanders "Hier kommt Kurt" aus der Feder von Hanno Bruhn stammt. In den Texten der vier Songs steckte sehr viel Verbundenheit zu Berlin und deren Einwohner. "Dit is Berlin", wollte man dazu sagen.

d 20141229 1666472507Nach einer weiteren Moderation wurde im Saal das Dessert aufgefahren. Wir reden hier von 600 Spritzkuchen, 1.700 Erdbeerschnitten, hunderte Schokoladenkuchen und weiteren Sachen, die den Tag versüßen sollten. Anzumerken ist, dass alle eingangs erwähnten Stände selbst während der Bühnenshow einen unvermindert regen Zulauf hatten.

Nach dem lockeren SAT1-Weihnachtssong gab es die Gelegenheit, der Sängerin Linda Feller zu lauschen, die mit drei Titeln eine gute und passende country-schlagergeprägte Unterhaltung bot. Das Wort "Unterhaltung" zog sich generell durch das Programm vom Montag: keine schwere Kost, leichte Melodien und keine Experimente. Diese mussten auch nicht sein, denn es gab immerhin keinen (!) Hauptact und wir von Deutsche Mugge waren am Montag ohnehin nicht auf der Suche nach dem künstlerischen Anspruch. Wir waren vor Ort, um über eine Weihnachtsfeier berichten zu können, wo tatsächlich die Nächstenliebe und das Geschenk des Gebens zu finden war. Die Musik war zwar ein wichtiger Bestandteil der Veranstaltung, aber unter'm Strich dann eben nur ein Teil des Ganzen.

SEMINO ROSSI als nächster auftretender Künstler hatte die Bühne natürlich im Griff. Die Presse türmte sich davor und nun war für mich kam die Zeit, diesen dreiliedrigen Auftritt zu nutzen, um mich weiter umzuschauen. So nutzte Wolfgang Bahro lange Zeit, sich vor dem Pressebereich mit Fans fotografieren zu lassen, Herbert Köfer gab geduldig Interviews. Derweil unverdrossen die Pressekollegen: sie fütterten ihre Laptops mit Bildern und Kurzberichten, ganz am Puls der Zeit. Etwas weiter hinten aber gab es Bilder, die nicht so recht passen wollten. Am Weihnachtspaketstand wurden in die große Schar von Bedürftigen eingeschweißte Trikotagen geworfen. Diese Art der "Übergabe" fand ich ziemlich unpassend. Dazu kreierte der von der Bühne her erklingende Song "Rot sind die Rosen" von Semino Rossi einen seltsam bizarr wirkenden Kontrast. Etwas Schatten allemal ... Auch wenn man bei Veranstaltungen für den guten Zweck sowas nicht macht, muss an dieser Stelle doch auch etwas Kritik erlaubt sein. Der anschließende Auftritt von Jürgen Drews brachte nämlich wenig Sonne: seine drei gespielten Songs "Ein Bett im Kornfeld", "Ich bau dir ein Schloss" - wohlwissend, dass ein Großteil der Gäste tatsächlich wohnungslos war - und "Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff" wirkten unglücklich gewählt. Wenn es damit doch nur schon sein Bewenden gehabt hätte, so posierte er bereits kurz vor dem Ende von "Kornfeld" mit dem Rücken zum Publikum, um sich mit ihm als Kulisse von der Bühne aus medienwirksam ablichten zu lassen, nicht ohne zuvor aufgefordert zu haben, die Arme in die Höhe zu strecken. Wer gerade damit wem nutzte, sei einmal als Frage in den Raum gestellt.e 20141229 1698902243 Geht es allein um "Unterhaltung", bot Jürgen Drews diese wie eine leicht überdrehte Aufziehfigur, was man dem fast 70-jährigen allerdings schon lassen muss ... Wahrscheinlich macht man sich doch zu viele Gedanken und denkt oft mehr ums Eck. Schade indes, dass Nina Hagen - so wie in den letzten Jahren - nicht wie angekündigt dabei war. Ihren Auftritt und ihre Meinung hätte ich gerne erlebt und gehört.

Statt Musik aus der Dose gab es als nächstes nun eine Liveband, die mit gecoverten Hits weiter für gute Stimmung sorgte. Keimzeits "Kling Klang" war ebenso dabei, wie auch Helene Fischers "Atemlos", an dem man - egal wo - seit ein paar Monaten offenbar einfach nicht mehr vorbei kommt. Langsam war es für die Show an der Zeit, den Schlusspunkt zu setzen, denn ein Künstler fehlte noch auf der Bühne. "ZANDER"-Rufe im Stil von AC/DC's "Thunderstruck" machten aufmerksam, wer nun kommt: der Gastgeber und Veranstaltungs-Initiator Frank Zander selbst! In seiner für "Hier kommt Kurt" typischen Kleidung performte er mit seiner Band dieses Lied, dabei sprühte vom Bühnenrand einige Pyrotechnik. Sichtlich gerührt von den vergangenen Stunden sprach Frank Zander danach zu seinen Freunden, die noch immer genau so zahlreich an den Tischen saßen wie zu Beginn des Nachmittages. "20 Jahre, wir haben gerade einmal Bergfest", "Ich werde oft gefragt, woher ich die Kraft nehme: Von EUCH!", und "Danke, dass wir seit 20 Jahren die Ärmsten der Armen hier haben dürfen, und noch nie etwas passiert ist", waren einige Zitate von ihm. Diese waren voll verständlich, denn auch für all jene Zuschauer und Gäste, die allesamt nicht zu den Bedürftigen und Hilfeempfängern gehörten, war dieser Abend einer der seltenen und sehr bewegend nachdenklich machenden seit langer Zeit. So waren alle Prominenten zu "Nur nach Hause gehen wir nicht" auf der Bühne und setzten somit den Schlusspunkt unter eine Feier, bei der man sich im Nachgang fragt, warum sowas nur einmal im Jahr stattfindet warum diese Idee nicht schon längst von anderen Künstlern in anderen Orten des Landes aufgegriffen wurden. Ein paar sorglose Stunden für hilfsbedürftigen Menschen, egal welcher Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Hier kann noch viel mehr getan werden. Denn es ist sehr wichtig, dass es solche Oasen gibt!

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Ganz großen Dank an alle Helfer, voran Marcus Zander für die organisatorischen Fäden, die er geschickt verwoben hat, und an die anwesenden Künstler, die das Gute an diesem - und nicht nur an diesem - Tag unterstützten!





Über diesen Bericht könnt ihr in unserem Forum diskutieren.




Bitte beachtet auch:

• Off. Homepage von Frank Zander: www.frank-zander.de
• Homepage zur Veranstaltung: www.obdachlosenfest.de
• Off. Homepage von Nica & Joe: www.nica-joe.com
• Off. Homepage von der Hanno Bruhn Gang: www.hanno-bruhn-gang.de
• Off. Homepage von drauf!: www.drauf-musik.de
• Off. Homepage von Linda Feller: www.linda-feller.de
• Off. Homepage von Gregor Gysi: www.gregorgysi.de
• Off. Homepage von Semino Rossi: www.seminorossi.com
• Off. Homepage von Wolfgang Lippert: www.wolfganglippert.de
 




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