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Bericht: Thomas Handrick
Fotos: Sandy Reichel

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Wenn ich ehrlich bin, war ich von der Ankündigung dieses Konzertes überrascht. Gerade weil die jetzigen Zeiten mehr als besorgniserregend sind, besonders im weltpolitischen und gesellschaftlichen Sinn. Beide Künstler kennt man und sie vertreten zu beiden Themen ihre Meinungen - auf unterschiedliche Weisen. Eine hohe Erwartungshaltung auf einen in dieser Sache hochinteressanten Abend war also vorhanden. Bei dem Titel "EINMISCHUNG" verwundert das auch wenig. Neben Ralf Schmidt alias FALKENBERG und TINO EISBRENNER war HEINER FRAUENDORF für die Begleitung am Akkordeon dabei.

Mit "Still und schön" als Ouvertüre begann der Abend, TINO an der Mundharmonika und FALKENBERG am Piano mit Gesang. Da sie beide Sänger sind, wechselten sich die beiden Vokalisten im Programm stets ab. Bald zog jedoch die Erkenntnis ein, dass musikalische Aspekte weniger die allentscheidende Rolle spielen sollten. Hinter jedem Text und jeder Melodie stehen Gedanken und Ideen ... und über diese darf man ruhig auch sprechen, besonders wenn man schon einmal die Gelegenheit hat, dieses auf einer gemeinsamen Bühne zu tun. Zumal TINO EISBRENNER auch anmerkte, dass bis auf einige gemeinsame Stücke im Grunde kaum geprobt wurde. Es begann hier also eher ein Bühnenstück, was in seiner Art und seinem Inhalt einzigartig bleiben soll. Die gefüllte Mehrzweckhalle in Neuenhagen - die vom Veranstalter, der Arche Neuenhagen, in den für Openairs ungeeigneten Wintermonaten für die größeren, den "Dachstuhl" der Arche sonst aus den Angeln hebenden Sachen genutzt wird - und ihr Publikum waren also die einzigen Zeugen dieses Programms.

Nach der ersten einleitenden Unterhaltung bot TINO, begleitet von Heiner Frauendorf am Akkordeon, "Gigantisch", was auch ohne Frage gigantisch anzuhören war: TINO trommelte dabei auch gleich ein neues Fell ein. FALKENBERG und EISBRENNER kamen danach auf den Wendeherbst '89 zu sprechen: "Wann war da dein Bruch?" Beide Musiker waren ja keine "Staatskünstler" und so konnten sie über "Pseudowiderstand" sprechen, wobei natürlich keine Namen genannt wurden, und ebenso den Fakt erwähnen, dass einige der dereinstigen Schlagerbarden nun in Talkshows oder Fernsehdokus vom früheren "Widerstand der Entertainmentbranche" sprechen, dem sie sich im gleichen Atemzug selbstverständlich als zugehörig zählen ... ein Schelm, wer Böses dabei denkt. TINO EISBRENNER bekam von der Wende nur entfernt mit, da er sich zu dieser Zeit in Nicaragua befand: "Na, den Eisbrenner können wir dahin schon mal schicken", witzelte TINO über die Festlegung der einstigen Kulturfunktionäre, ihn für einen längeren Zeitraum nach Freundesland in Mittelamerika zu entsenden. "Macht macht irre", so FALKENBERGs Kommentar, und passend folgte sein Song "Vor den Kathedralen".

Mit zwei weiteren Titeln von EISBRENNER vergingen für das Publikum bis hierher schon 45 Minuten absolute Kurzweil. Neben "Wendherbst" war "Freiheit" auch ein Begriff, der am heutigen Abend nicht zu kurz kam. Über das Engels-Zitat "Freiheit ist Einsichta 20141219 1761565104 in die Notwendigkeit" (TINO), den "Arsch in der Hose, sich auch mal blamieren zu können" (FALKENBERG) ergab sich der gemeinsame Nenner, dass Musik doch letztlich ein Geschenk ist, Freiheit in die Köpfe zu bekommen.

Es ging an diesem Abend wirklich sehr privat zu. Manches möchte man am besten für sich behalten, denn es machte den absoluten Anschein, als ob man beiden Künstlern beim zwanglosen Gedankenaustausch zuhören würde - allerdings nicht auf der Bühne, sondern vielmehr vorm knisternden Kaminfeuer daheim, wo man zu Gast war und in das zudem regelmäßig ein paar Scheite Humor nachgelegt wurden. Sie ließen das Publikum an Erinnerungen und Erlebnissen teilhaben, die selten mit einem Fingerschnipp herstellbar sind. Dazu braucht es Stimmung und Muße - diese hatten sie. Beeindruckend war, dass beide sich in den Gesprächen unglaublich viel Raum ließen, keiner nutzte den anderen als lebendigen Sandsack - so darf und vor allem sollte freundschaftlicher und menschlicher Umgang aussehen. So wurde locker über die jetzige Hühnergrippe gesprochen, wie es damals bei den Großeltern gehandhabt wurde, der Bogen übers Älterwerden gespannt und bei der jetzigen medialen Vernetzung wieder entspannt. Dialog ist entscheidend. Ganz besonders auch bei der derzeitigen Flüchtlingsproblematik, wo mehr Angst vor dem Fremden geschürt wird, als einem lieb ist. Man darf bei dieser Diskussion nie vergessen, dass der Reichtum Europas auch von Ländern kommt, in denen jetzt Krieg und Verfolgung herrschen, so FALKENBERG.

Nach "Eisernes Reich", einem Titel der Gruppe HAUSBOOT mit TINO und Heiner Lürig, läutete FALKENBERGs "Auf den Wiesen der Kindheit" die nächste Runde ein. TINO EISBRENNER ist ja bekanntermaßen ein großer Anhänger Berthold Brechts, und so verwunderte es wenig, dass auch das ein oder andere Brecht-Zitat von ihm kam. Damit konnte FALKENBERG nicht mithalten, da Tino nun einmal über eine große "Zitatenkammer" verfügt und offenbar auch in seiner Kindheit strebsam erzogen wurde, was bei FALKENBERG in diesem Umfang wohl nicht der Fall war. Diese Unterschiede wurden humorvoll unterlegt, und trotz dieser Unterschiede sind beide dennoch aufrichtige Künstler mit zum Teil gleichen Erlebnissen gewordenb 20141219 1718968923 - besonders die Geschichten von Aufritten in den 1980er Jahren an der Trasse von STERN MEISSEN und JESSICA waren ausgesprochen unterhaltsam. Diese wurden auch nur erzählt, weil das Publikum zur Frage, ob man davon erzählen solle, zuvor demokratisch um Abstimmung gebeten wurde.

Es folgten der FALKENBERG-Song "Dein Herz" - 1989 noch unter dem Namen IC veröffentlicht - und TINOs Bowie-Cover "Helden". An ihren musikalischen Qualitäten kam an diesem Abend wie immer kein Zweifel auf. Heiner Frauendorf flocht mit seinem Akkordeon zudem einen maritimen Teppich unter die Stücke - das passte. Neu war indes, dass es ein Programm wurde, was auch die unterhalterischen Fähigkeiten beider Künstler unter Beweis stellte. Zwei Zitate zum Ende hin unterstrichen den Abend und gaben die Antwort auf die Frage, warum es so gut funktionierte: TINO EISBRENNER zu FALKENBERG - "Du bist einer der Wenigen, mit denen ich so etwas überhaupt machen wollen würde" - Darauf FALKENBERG lächelnd - "Du bist einer der wenigen Kollegen, mit denen man sich in der Garderobe auch über anderes als Frauen und Autos unterhalten kann."

Mit "Wo alle sind" aus FALKENBERGs letztem Album "Freiheit" aus dem Jahre 2012 schloss sich der Konzertabend. Ein Konzert mit drei (!) Stunden Programm, das es in dieser Form und diesen Gesprächen/Dialogen wohl nicht noch einmal geben wird. Vielleicht überlegen sich die beden Künstler das aber doch noch anders, und es wird weitere Auftritte dieser Art geben - da heißt es abwarten.
Resümee: Die Erwartungen des Publikums an den Auftritt zweier erstklassiger Musiker wurden erfüllt, nur diesmal war überraschend anders als man es von den beiden kennt. EINMISCHUNG beginnt doch im Kleinen. Man muss dazu nicht immer die großen Wege gehen - für die wichtigen kleinen Wege sind Freunde da.



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Bitte beachtet auch:

• Off. Homepage von Falkenberg: www.falkenberg-musik.de
• Off. Homepage von Tino Eisbrenner: www.eisbrenner.de
• Portrait über Falkenberg bei Deutsche Mugge: HIER
• Portrait über Tino Eisbrenner bei Deutsche Mugge: HIER





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