Eigentlich wollte ich am nächsten Wochenende noch eine Mugge besuchen, dann sollte es genug sein für dieses Jahr. Vor einer Woche erzählte mir aber Dagmar Tabbert, die Chefin vom Neu Helgoland, sie habe für den kommenden Freitag eine ganz tolle Gruppe eingekauft, die müsse ich unbedingt sehen und hören. Die Band heißt STILBRUCH, und sie habe die drei Musiker im vorigen Jahr auf dem Weihnachtsmarkt in Dresden erlebt und ihnen sofort einen Auftritt im Neu Helgoland angeboten. Da konnte ich natürlich nicht 'Nein' sagen, und somit hieß mein Fahrtziel auch am letzten Freitag wieder Berlin-Müggelheim.

Nach dem Betreten des Saals fiel mein erster Blick - wie immer - auf die Bühne. Dort standen ein Schlagzeug, Mikrofone und zwei Monitore, jedoch weiter keine Verstärker, Boxen oder anderes Equipment, welches man bei Rockbands vor der Mugge auf einer Bühne finden kann. Ich war neugierig, was da wohl gleich passieren würde ... Pünktlich um 21:00 Uhr kamen die drei Musiker auf die Bühne. Der Schlagzeuger setzte sich an sein Instrument und begann zu trommeln, gleichzeitig begann jemand auf der Geige zu spielen. Einer der drei Musiker ist Cellist und gleichzeitig auch Sänger. Der erste Titel, den das Trio anstimmte, war der Titelsong des aktuellen Albums "Alles kann passieren". Man stelle sich eine Band mit Schlagzeug, Bass und Gitarre vor, und diese spielt und singt einen Rocksong. Jetzt tausche man nur den Bass gegen ein Cello und die Gitarre gegen eine Geige aus ... das ist STILBRUCH. Deshalb suchte man am Anfang auch das für Rockbands typische Instrumentarium auf der Bühne vergeblich.

Nach dem ersten Titel begrüßte Sänger und Cellist Sebastian Maul das Publikum ganz herzlich und erzählte zunächst einmal etwas über seine Band. STILBRUCH sind eben erwähnter Sebastian Maul (Cello und Gesang, Jahrgang 1983), Friedemann Hasse (Geige, Jahrgang 1985) und Gunnar Nielson (Schlagzeug, Jahrgang 1982). Sebastian und Friedemann lernten sich an der Musikhochschule "Carl-Maria von Weber" in Dresden kennen, wo sie studierten. Irgendwann wollten beide nicht mehr so viel Bach und Händel spielen, sondern modernere Musik und das auf ihren Instrumenten Cello und Geige machen. Sie selbst bezeichnen ihre Musik, die sie seit 2005 gemeinsam mit dem Schlagzeuger Gunnar machen, als New Classic. Sebastian ist der kreative Kopf der Band, und von ihm stammen sowohl Texte als auch die Kompositionen. Das Trio spielte zunächst auf der Straße, und das fand großen Anklang. Viele Leute blieben stehen, hörten zu und der eine oder andere Euro landete im Cello-Koffer. Bei diesen Straßenkonzerten entstanden Kontakte und die Band wurde eingeladen, auf Veranstaltungen jeglicher Art zu spielen. Dabei kamen sie auch in andere Städte in Ost und West, nur eine Einladung aus Berlin ließ auf sich warten. Nach dieser Mugge im Neu Helgoland am vergangenen Freitagabend war auch dieser bis dahin noch vorhandene weiße Fleck ausgelöscht.

Die Band spielt in ihrem Konzert ausschließlich eigene Titel in deutscher und englischer Sprache. Die Mischung der beiden Sprachen kommt daher, dass das Trio am Anfang der Laufbahn ausschließlich englische Texte geschrieben hat. Die neueren Titel haben inzwischen alle deutsche Texte. Die bisher entstandenen Songs von STILBRUCH finden sich auf bisher drei erschienenen Alben, einer DVD und zwei Singles. Ihre Titelliste hatte die Band für diesen Abend mit Filzstift auf die Rückseite eines Bandposters geschrieben und mit Klebeband auf dem Boden befestigt. Man sieht auf dem Foto, das ich von dieser Liste gemacht habe (siehe Setlist unten), dass einige Titel nur eine Nummer tragen, z.B. Nr. 10. Dabei handelt es sich schon um Titel, die auf der geplanten neuen CD im nächsten Jahr erscheinen sollen. Die Musik dieser Stücke wurde zuerst komponiert, die Titel nummeriert und später kam erst der Text dazu. Allerdings stehen die Namen der Songs noch nicht fest - daher noch immer die Nummern.

Cello und Geige sind bei STILBRUCH mit Tonabnehmertechnik versehen, so dass die Musiker nicht in ein Mikrofon spielen müssen, was die Bewegungsfreiheit doch erheblich einschränken würde. Da Holz bekanntlich arbeitet ist es unumgänglich, Cello und Geige am Abend mehrmals zu stimmen. Immer dann wurde Gunnar gebeten, das Publikum etwas zu unterhalten. Lustig fand ich eine dabei von ihm erzählte Geschichte, die die Musiker bei einem Straßenkunst-Festival in Italien erlebten. Sie trafen dort auf einen argentinischen Puppenspieler, der eine Puppe hatte, die "kotzen" konnte. Sie wurde dazu mit Bier befüllt. In einer anderen Geschichte erzählte er davon, dass die Band vor mehreren Jahren zu einer Fernsehsendung auf Pro7 mit dem Titel "Germans next Showstars" eingeladen wurde. In der "fachlich kompetent" besetzten Jury saßen Verona Poth (!), Elton (!!) und DJ Bobo (!!!!!). STILBRUCH war dabei nicht erfolglos, aber "Germans next Showstar" wurden eine andere Band, die heute niemand mehr kennt. STILBRUCH tourten aber später im Vorprogramm einer größeren Tour durch viele Städte, was ihnen großen Spaß machte.

Zum Konzert am Freitag kann man noch erwähnen, dass der Saal durchaus etwas voller hätte sein können. Trotzdem: Dafür, dass diese Formation sicher kaum jemand im Saal kannte und wahrscheinlich auch niemand etwas mit dem Namen STILBRUCH anfangen konnte, war das Konzert dann doch wieder sehr gut besucht. Die drei Musiker gaben auf der Bühne ihr Bestes, und das Publikum applaudierte. Rockmusik nur mit Schlagzeug, Cello und Geige, statt mit E-Gitarre und Bass zu spielen, wird durch das Trio STILBRUCH wie zu einer Selbstverständlichkeit. Mit ihrer Spielweise sorgen sie für eine weitere Facette dieser Musikrichtung, die durchaus Spaß macht. Insgesamt 16 Songs hatten die drei Musiker in ihrem Programm, und nach dem letzten Titel gab es noch zwei Zugaben. Schade, dass beim letzten Stück, das im 3/4-Takt (also ein Walzer) gespielt wurde, niemand der Aufforderung der Band nachkam, doch vor der Bühne zu Tanzen. Hier hätte sich das Auditorium durchaus etwas einsatzfreudiger zeigen können.

Nach dem Konzert verkaufte Cori, die mit der Band mitreist, am Merchandising-Stand noch Tonträger und andere Fan-Artikel und die drei Musiker schrieben Autogramme. Dani, der bandeigne Tontechniker, hatte zusammen mit René, einem der beiden Techniker, die hier im Neu Helgoland meistens für Ton und Licht zuständig sind, einen guten Job gemacht. Solch eine tolle Lichttechnik können die Musiker bei ihren Straßenkonzerten sicherlich nicht einsetzen. Die Einladung des Hauses Neu Helgoland an STILBRUCH, im nächsten Jahr hier wieder zu gastieren, steht und ich denke, sie kommen gerne wieder für eine Mugge nach Berlin an den Müggelsee.

Setlist
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