Driftwood Holly am 10. November 2014 im Papermoon in Halberstadt

 

 

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Ein Konzertbericht mit Fotostrecke von Hartmut Helms


Ein paar Meter vor mir, auf so einem stilvollen alten Kneipenstuhl, der mich an meine wilden Zeiten erinnert, sitzt DRIFTWOOD HOLLY aus Dawson in Kanada und erzählt vom Aussteigen, vom Weggehen und Ausreisen. HOLLY erzählt davon, wie er fort ging, aber das Fortbleiben nicht in seinem Hinterkopf hatte und fügt leise hinzu, dass dieser Gang viel mehr etwas von Ankommen hätte, denn "erst, wenn die Wasser der Flüsse hinter dir liegen, wenn du weißt, ein Zurück gibt es nicht mehr, erst dann kommst du langsam an - bei dir selbst. Ganz tief innen." Während er auf dem Stuhl sitzend von seinem Ankommen erzählt, glaube ich tief in mir drinnen, ein Stück von diesem Gefühl gut zu kennen. Nicht so dramatisch zwar, aber meine Wohnung war auch gekündigt, das Haus stand zum Verkauf und ein neuer Ort zum Wohnen, geschweige denn eine neue Wohnung, war lange nicht in Sicht. Drei Monate Bewegung, gefühlt im leeren Raum, das kenne ich sehr gut. Hier im kleinen PAPERMOON von Halberstadt erzählt mir dieser HOLLY, aus ehemals Oberwiesenthal, wie mir zumute war und noch ein wenig nachschwingt. Noch ehe ein einziger Ton auf seiner Gitarre gespielt war, kein einziges Lied gesungen ist, habe ich Gänsehaut am ganzen Körper.

Der Kneipenraum vom PAPERMOON ist bis auf den letzten Stehplatz voll. Am Tresen ist kaum noch ein Durchkommen und im Vereinsraum sind alle Stühle besetzt. Ein Stuhl im Gang zwischen beiden Räumen gibt meinen Beinen Entlastung. Hier kann ich warten, die Szenerie beobachten und meinen Gedanken nachhängen. Die Geschichte von HOLLY ist so unglaublich, so weit von den eigenen und den üblichen Denkmustern entfernt, dass man sie genau deshalb glauben möchte. Wenn man von ihr erfährt, wenn man sie liest, taucht man in ein Abenteuer ein, das man selbst gern erlebt hätte. Wie bei einem Mosaik ergeben erst die vielen Details ein Bild, die vielen zufälligen Eposiden eine Geschichte vom Leben. Letztlich ist das auch der Grund, weshalb ich nun im PAPERMOON bin. Ich möchte gern den Geschichten des Erzählers lauschen, seine Stimme dabei hören, vielleicht auch Stimmungen entdecken und damit noch etwas mehr von mir.

Doch bevor der singende Story-Teller vom Yukon uns zum Lauschen verführen kann, pustet uns das heimische Rock-Duo AniLorak, vermutlich rückwärts für KaroLina, die Ohren dafür frei. Nur mit einer begnadeten Power-Stimme und einer Rockgitarre ausgestattet, erleben wir einige Klassiker zwischen "Keep On Running" und "Me And Bobby McGee" in ihrer ursprünglichen Ausstrahlung, pur und direkt von Angesicht zu Angesicht. Wer Rock'n'Roll von Tina Turner bis AC/DC mag, sollte sich den Namen merken. Nach einer knappen halben Stunde fühle ich Betriebstemperatur, der Junge vom Yukon kann kommen und mich auf seine Reise mitnehmen.

Er sitzt also nur ein paar Meter vor mir, beginnt damit, seine Gitarre zu stimmen und erzählt nebenbei, dass die ja gestern noch über dem Ozean in Kanada war und davor fast am Polarkreis. Kein Wunder, dass er erst einmal stimmen müsse, ehe er dann im ersten Lied die Zeile "I'm here to make you shine" singt.b 20141112 1257784196 Dann spricht er über die kleinen Entdeckungen hier in der Bar und wie sehr ihn die Geschichte der einstigen Besitzerin berührt hätte. Sie, eine Jüdin, nahm sich selbst das Leben, ehe dies die Nazis tun konnten. Es ist still im Raum. Für sie und all jene singt er "Helpless", die wunderschöne Ballade von Neil Young. Spätestens jetzt hat er uns alle erwischt, kleben wir, wie die Kinder beim Vorlesen, an seinen Lippen und lauschen.

Ihm zur Seite sitzen JÄCKI REZNICEK mit seinem Akustik-Bass und der Tscheche PAVEL OSVALD mit einer Fiddle. Beide verbreiten sie gemeinsam mit HOLLY, der bürgerlich Holger Haustein heißt und noch immer ein wenig Thüringisch im Akzent hat, jene Atmosphäre, die Gemütlichkeit und Romantik eint und meist am Lagerfeuer entsteht. PAVEL lässt die Fiddle himmlisch singen und JÄCKI formt genießerisch die tiefen Töne, über der die Stimme HOLLYs ergreifend schwelgen kann. Neil Young wäre sicher begeistert.

DRIFTWOOD HOLLY kommt nicht gerade aus einer anderen Welt, aber er hat sich ganz offensichtlich von einer Menge Ballast dieser Welt befreien können und die Gelassenheit, mit der er Jahre danach diese Welt, die ihn damals entlassen hatte, wie er sie sieht und beschreibt, macht die geheimnisvolle Distanz aus, die ich fühle. Ich spüre keinen erhobenen Zeigefinger oder kluge Sprüche, sondern fühle mich an die Hand genommen, während er seine vielen kleinen Accessoires, seine Mitbringsel, erklärt. Letztlich führt das alles wieder zu einem Lied, wie das von "Little Lilly Mammoth Hair", das all unsere Gedanken mit auf eine Reise nimmt. Das erlebe ich bei der Geschichte von der kleinen "Lilly" und er begeistert mich mit "Dein König", die in einem Gedankenspiel umschreibt, was einem solchen passieren könnte, der sich mitten unter sein Volk begäbe: "Manchmal nachts zieh' ich mich an, wie ein alter Bettelmann." Das Trio lässt mit einer Mischung aus Folk & Country ein Märchen lebendig werden und dennoch singt HOLLY spürbar in der Gegenwart. Woher kenne ich das nur?

Der Mann aus der Goldgräberstadt Dawson City hat eine Menge eigener Lieder im Gepäck. Einige sind auf dem "Lilly"-Album zu hören, andere wollen es erst noch auf das nächste Album schaffen, lässt er uns wissen. Eines ist die traumhaft schöne Ballade "Lafeya", bei der mich das Violinenspiel von PAVEL sehr beeindruckt. Das Lied vom "Murmelmädchen" ist auch so ein Kleinod, das mich unheimlich tief trifft, denn "Murmelmädchen ziehen durch die Welt, kommen sie zurück, haben sie eine Antwort für dich". Untersetzt ist dieser Song mit kräftigen Gitarrenakkorden und einer im Stakkato aufspielenden Fiddle. Auch hier findet sich die Idee vom Abhauen, vom Ankommen und vom Entschleunigen wieder, die bei HOLLY immer wieder aufblitzt und von JÄCKI, der Kanada spürbar in sein Herz eingeschlossen hat, unterstützt wird.

Die Musik des Trios DRIFTWOOD HOLLY & Co. bewegt sich im weiten Feld von Folk und Songwriting, sogar ein Hauch von Blues & Boogie schleicht sich manchmal ein. Seine Lieder sind so stimmungsvoll, wie die Geschichten zwischendurch, die vom Weitergeben der Schlüssel oder was es mit dem uralten Mammutelfenbein auf sich hat, immer überraschend enden. Manchmal, wenn ich beim Lauschen die Augen schließe, meine ich gar dem weisen Willie Nelson zuzuhören. Selten habe ich erlebt, dass einer so inniglich in die Stimmungen eintaucht, die er nur mit Gitarre, Bass und Fiddle entstehen lässt. Die drei Individualisten haben sich, wenn nicht vielleicht gesucht, aber auf jeden Fall gefunden. Die Folge der Lieder entsteht spontan und die Reaktionen zwischendurch sind es ebenso. Hier fühle ich mich wie unter Freunden, geborgen und so, als könne ich hier all meine Gefühle und Gedanken frei lassen.

Auf dem Höhepunkt der Stimmung lädt HOLLY die männliche Hälfte von AniLorak ein, zu viert die alte Dylan-Nummer "All Along The Watchtower" akustisch zu spielen. Zu später Stunde erleben wir eine hinreißend gespielte andere Version des Dylan- und Hendrix-Klassikers, außerdem virtuos durch das Geigenspiel von PAVEL veredelt und bei Neil Youngs "Like A Hurrican" setzt der Tscheche noch einen oben drauf. Das kleine Team ist wundervoll aufeinander eingespielt und als müssten die drei Musiker das beweisen, spielen sie uns abschließend das einzige Instrumentalstück, das ich als "Old Longing Lady" gedeutet habe, aber süffisant völlig anders und mit breitem Grinsen anmoderiert wird. Es ist einfach ein in die Länge gezogener Höhepunkt für Gitarre und Fiddle, mit viel Groove vom Bass und einer unheimlichen Dynamik, die immer wieder neu und mehrmals nacheinander, entweder von der Geige oder der Gitarre, aufgebaut wird. So etwas könnte stundenlang andauern, ohne dass es jemals langweilig würde. Auf dem kommenden Album kann man das sicher nachvollziehen.

In der schwülen Kneipenatmosphäre ist die Stimmung gelöst und auch die Zungen inzwischen locker. Die Kommunikation klappt auf Zuruf, es gibt immer wieder etwas zum Lachen und jemand bekommt ein frisch gezapftes Bier über den Tresen gereicht. HOLLY selbst gießt sich immer wieder mal seinen eigenen Pilz-Tee aus einer Thermoskanne nach. Nur dies, seine Kleidung und seine Fähigkeit, Dinge anders zu umschreiben, sie von den ihnen aufgepressten Verpackungen zu befreien, rücken ihn und seine Musik in ein besonderes wärmendes Licht. Plötzlich siehst du Kanada neben dem Tresen und der Yukon fließt durch das Hinterzimmer. Dies hier ist keines der sonst üblichen Club-Konzerte, nicht die Wochenendunterhaltung in einer Bar oder eines Kunsthofes. In diesen Momenten findet etwas statt, das mit Worten nur unzureichend beschrieben werden könnte. Vielleicht habe ich gerade einen kleinen Stups bekommen, mich über die Musik von DRIFTWOOD HOLLY neu zu entdecken und ein wenig davon in mein eigenes Leben einfließen zu lassen. Zum Ankommen bei sich selbst ist es nie zu spät und das Alter spielt wohl eher eine untergeordnete Rolle. Dafür muss ich nicht unbedingt den Yukon gesehen und dort Treibholz für den Winter gesammelt haben. Es reicht schon, all den überflüssigen Verführungen der Moderne zu widerstehen. Ich versuche es einfach hier und mit DRIFTWOOD HOLLY im CD-Player.



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Termine:

• 14.11.2014 - Meuselwitz - Irish Pup
• 15.11.2014 - Oberwiesenthal - Pension Riedel
• 12.12.2014 - Röhrsdorf - Schloßfest
• 13.12.2014 - Affalter - Zur Linde

Alle Termine ohne Gewähr.


Bitte beachtet auch:

• Off. Facebook-Auftritt von Driftwood Holly: HIER klicken
• Off. Homepage des Duo AniLorak: www.anilorak.de
• Homepage vom Papermoon in Halberstadt: www.kneipe-papermoon.de
• Reportage über Driftwood Holly bei Deutsche Mugge: HIER




Fotostrecke:

 
 
 
 
Vorprogramm: AniLorak
 
 
 
 


Hauptprogramm: Driftwood Holly




   
   
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