Das Alte KranWerk in Naunhof bei Leipzig gibt eine imposante Spielstätte ab: Einstmals sicher einer der prägenden Arbeitgeber der Region, zeugen nur mehr Reste von einstiger Betriebsamkeit. Eine große Halle nimmt heute kleine, aber feine Gastronomie, Stuhlreihen und gemütliche Tische auf. Vor einer hohen Wand gibt eine von Strahlern eingefasste Bühne weniger dem künstlerischen Mainstream, sondern eher herausragenden Vertretern "fahrenden Volkes", die für "Kultur im ursprünglichen Sinn" stehen, ab und an eine Auftrittsmöglichkeit. An der Bühnenrückwand illustriert ein stimmiges Bildnis den Wandel der Zeiten bzw. Lauf der Dinge. Vor Ort hat der Kultur-Faktur e.V. seinen Sitz, der sich Sozio-Kultur & Umweltethik auf die Fahne geschrieben hat. An der Decke rotiert, zumindest vor der Veranstaltung und während der Pause, ein übergroßer Ventilator; das macht zunächst einmal Eindruck und scheint auch irgendwie in dieses Industriedenkmal zu passen, hat aber einen ganz praktischen Hintergrund: Die von der Heizung teuer und lautstark erzeugte Warmluft wird Energie sparend wieder und wieder den Besuchern im Saale zugeführt. Dieses vergleichsweise aufwendige Procedere ermöglichte immerhin nochmals ein stimmiges, gehaltvolles Jahresabschlusskonzert in kühl-herbstlicher Zeit.

Hausherr Heiko Guter ließ es sich nicht nehmen, sein Publikum persönlich zu begrüßen. Er ließ das Jahr im KranWerk kurz Revue passieren, wies auf die noch anstehenden traditionellen Veranstaltungen zum Jahresausklang (wie das "Quetschfest") hin. Schließlich kündigte er die beiden Künstler des Abends an: den Sänger, Lyriker und Rockpoeten Tino Eisbrenner, begleitet von Heiner Frauendorf am Akkordeon. Es bedarf nicht langwieriger Erklärungen oder eines bemühten Intros. Bereits der erste Song lässt den Funken überspringen, zeigt auf, dass die Künstler auf der Bühne und die Zuhörer auf einer Wellenlänge senden und empfangen. Der Barde und sein wacher, allenthalben subtil reagierender Begleiter kennen und vertrauen einander, die Innigkeit der künstlerischen Beziehung lässt ein Titel wie "Der Leiermann" erahnen. Weltmusik ist es wohl zu nennen, was geboten wird: Musikalisch werden unterschiedliche Einflüsse verarbeitet und Stilistiken aufgegriffen, Texte voller Poesie erzählen Geschichten von Menschen und trigonometrischen Punkten rund um den Globus. Eisbrenners gesangliche Fähigkeiten beeindrucken, sie klingen nach und bleiben im Gedächtnis. Mir war vor knapp dreißig Jahren, zu Zeiten von JESSICA, bereits klar, dass diese Stimme zu mehr taugt als nur Pop oder Neue Deutsche Welle. Da schwingt eine leise Melancholie mit, eine Individualität, die einfühlsame Melodien und starke Worte braucht, um zu Geltung zu gelangen. Tino Eisbrenner erweist sich als künstlerische Mehrfachbegabung, welche neben dem charakteristischen Gesang auch Mundharmonika, Flöte, Gitarre und allerlei Schlagwerk beherrscht.

Unterdessen liegen vierzehn eigene CDs vor. Die Songs zelebrieren regelrecht das Eintauchen in andere Welten und Kulturen. Eisbrenner war es wiederholt vergönnt, prägende Reisen, die nichts mit landläufigem, der Zerstreuung dienendem Massentourismus zu tun haben, zu unternehmen. Als Kind lernte er Bulgarien kennen, später Nord- und Südamerika, Finnland. Er gilt unterdessen als ausgewiesener Kenner indianischen Lebens und veranstaltet auf seinem privaten "Vier-Winde-Hof" im mecklenburgischen Lindetal regelmäßig Konzerte. Der Künstler zollt im Live-Vortrag Kollegen von Rang Respekt, nähert sich ihnen subtil, erweist sich als ebenbürtig. So gibt er mit deutschen Texten versehene Interpretationen von Titeln von Sting (mit dem er das Interesse für Südamerika, den Dichter Pablo Neruda sowie den magischen Ort Valparaíso teilt), Bruce Springsteen und Tom Waits zum Besten. Gleich mehrfach hat sich Eisbrenner dem Schaffen Bertold Brechts genähert, so kam das Naunhofer Publikum etwa in den Genuss des berührenden Vortrags von "Erinnerung an die Marie A. - An jenem Tag im blauen Mond September ...".

An diesem Abend in Alten KranWerk richtete er mit "fremde Strände" den Blick auf exklusive Räume, in Seelenlandschaften und eigene Befindlichkeiten im Wandel der Zeitläufte. Er gerierte sich zudem als eloquenter Erzähler, der das Publikum charmant für sich einnimmt, ohne sich in Allgemeinplätzen zu verlieren. Darin ist er einem Bruder im Geiste - FALKENBERG - nicht unähnlich. Eisbrenner schaffte es mühelos, eine junge Dame aus dem Publikum zwecks gemeinsamen Vortrags auf die Bühne zu locken; die "Panne" eines Rotweinflecks auf der Hose überging er beredt. - "Entschleunigung" scheint eine jener Zeitgeist-Vokabeln zu sein, unter welcher sich ganz gut die Wirkung der Performance des Duos Eisbrenner und Frauendorf subsumieren lässt. Die ist nicht wenig in herbstlich-stürmischen Zeiten. Das Publikum, welches gegen Ende obendrein in den Genuss des JESSICA-Oldies "Ich beobachte Dich" kam, dankte den beiden Künstlern mit reichlich Applaus.