000 20141021 1627726629
Ein Konzertbericht von Grit Bugasch mit Fotos von Sandy Reichel



Was kann ein Sänger und Musiker schöneres hinterlassen, als seine Lieder? Und was kann ihm besseres widerfahren, als dass seine Lieder lebendig bleiben und weiterhin gesungen werden? Das ist wohl das größte Kompliment, auch wenn er selbst das leider nicht mehr erleben kann. Genauso ist es mit den Liedern von Gerhard Gundermann. Sie sind nicht nur Volkslieder im besten Wortsinne, sondern vielen Menschen auch Herzenssache.a 20141021 1354325968 Und deshalb war nicht nur ich heilfroh, dass sich Gundis Seilschaft irgendwann doch entschlossen hat, seine Songs wieder live zu spielen. Diesen speziellen Abend werde ich nicht vergessen, denn er war für mich einzigartig. Inzwischen gibt es sie immer wieder mal - die Konzerte der Seilschaft. Und ich habe gelernt, dass dieses ganz besondere Glücksgefühl tatsächlich multiplizierbar ist. So auch diesmal ...

Dieses Konzert steht schon lange in meinem Kalender und die Vorfreude steigt mit jedem Tag, den es näher rückt. Heute ist es endlich soweit und ich mache mich auf den Weg zum Berliner Postbahnhof. Inzwischen weiß ich, dass auf die Fans der Seilschaft Verlass ist und bin nicht mehr überrascht, dass sich der Postbahnhof erst kurz vor Konzertbeginn füllt. Das Publikum ist bunt gemischt, wie man es anderswo selten erlebt - junge Mädchen im pinkfarbenen Shirt neben graumelierten Herren im Fleischerhemd, reifere Damen im Spitzenblüschen neben jungen Männern im Kapuzenshirt. Die einen haben Gundi noch live erlebt, andere kennen ihn vermutlich nur aus den Erzählungen von Eltern und Freunden. Zahlreiche bekannte Gesichter entdecke ich in der Runde und so fühlt es sich an wie ein großes Familientreffen. Das Treffen einer selbst gewählten Familie, deren Verbindung im Geiste und deren Liebe zur Musik mehr zählt, als alles andere.

Das Licht geht aus und die ersten Töne vom Klavier und der verzerrten Gitarre klingen irgendwie sphärisch und surreal. Sie wirken wie aus der Zeit gefallen und nehmen uns sofort gefangen. "Ist da irgendwer? Sag, wo kommst du her. Sag, wo gehst du hin. Sag mir, wer ich bin. Komm nur herein, aus dem glasklaren Weltenraum. Komm, mach dich klein. Meine Welt hält so schon kaum. Der Planet hier ist ein Apfel und ich hab Angst, du wärst der Sturm. Bin ich nun der Apfelkern oder bin ich nur der Wurm ..." Mit dem ersten Lied setzt auch die Gänsehaut ein, die an diesem Abend mein ständiger Begleiter ist. Und das liegt sicher nicht daran, dass es hier kalt wäre.b 20141021 1851477713 Ganz im Gegenteil. Hier braucht es keine Anwärmphase. Der Funke springt direkt mit den ersten Takten ins Publikum über und zündet, denn wir haben nur darauf gewartet. Ein Gefühl wohliger Wärme breitet sich aus und steigert sich im Verlauf des Abends weiter zu glühender Leidenschaft.

Gundis Musik ist und bleibt lebendig. Seine Texte, die teils zauberhaft poetisch und teils drastisch direkt sind, passen damals wie heute. Die Bilder, die sie malen, lösen bei denen, die sie mögen, zahllose Assoziationen und Emotionen aus. Wie fest diese Lieder in den Herzen und Köpfen verwurzelt sind, zeigt der textsichere Publikumschor. Bereits zum Beginn des Konzerts kann es sich die Band erlauben, spontan den Gesang auszusetzen, während er vor der Bühne leidenschaftlich fortgesetzt wird. "Hier bin ich gebor'n, wo die Kühe mager sind wie das Glück. Hier hab ich meine Liebe verlor'n und hier krieg ich sie wieder zurück ..." Der eine singt schwelgerisch mit geschlossenen Augen, die andere nachdrücklich und dynamisch, mit strahlendem Blick. Die warmherzige Atmosphäre zeugt davon, dass die Lieder für viele der Anwesenden mit ganz besonderen Erlebnissen, Erinnerungen und Gefühlen verbunden sind.

Es ist wie ein Traum. Die Seilschaft bringt den Postbahnhof zum Beben. Sei es, dass rockige Nummern wie "Frühstück für immer", "Sehnsucht nach dem Rattenfänger" oder "Spricht der Teufel" uns kraftvoll abheben oder gefühlvolle Balladen wie "Vater", "Zweitbester Sommer" oder "Vögelchen" unsere Herzen so wunderbar vibrieren lassen. Ganz offensichtlich lieben die Musiker das, was sie da auf der Bühne tun. Und das Publikum liebt es ganz offensichtlich auch. Sie sind ein bestens eingespieltes Team: Christian Haase an Gesang und Gitarre, Andy Wieczorek an Gesang, Saxofon und Flöte, Mario Ferraro an den Gitarren, Christoph Frenz am Bass, Michael Nass an Keyboards und Akkordeon und natürlich Tina Powileit an den Drums. Sie spielen so einfühlsam wie energisch, so zauberhaft leicht wie mitreißend dynamisch. So fulminant und anrührend, so meisterhaft und beflügelnd. Nicht auszudenken, was uns entgangen wäre, wenn sie nicht ... aber daran denken wir lieber gar nicht. Die Zeit bleibt nicht stehen und Musiker auch nicht. Sie wollen sich weiterentwickeln und sie tun es. Ich finde es wunderbar, dass nun auch neue Titel auf der Setlist erscheinen und das Repertoire der Seilschaft erweitern. Obwohl die Textsicherheit im Publikum an dieser Stelle noch nicht ganz so ausgeprägt ist, werden sie gern in die Runde aufgenommen.

c 20141021 1177499042Zwischen den Songs verfällt Christian Haase hin und wieder in bester Gundi-Manier ins Erzählen und Philosophieren. Er spricht über Dinge, die ihn bewegen, über Ereignisse, die ihm nicht aus dem Kopf gehen und sich in den Liedern spiegeln. Sei es über die Beziehungen zwischen den Menschen ganz allgemein, über die teils nicht vorhandene Kommunikation heutzutage, über die Geschehnisse in der Ukraine oder darüber, dass in diesem Jahr so viele Menschen wie nie zuvor auf der Flucht sind, ob in Afrika, in den arabischen Ländern oder wo auch immer. Manchmal meint er, dass es auf der Welt so sehr brodelt, dass es bald zu einer Eruption kommen müsse - zum ersten Ausbruch des Weltfriedens. Spricht es und singt: "Wir lagen uns gegenüber, die Front war das Meer. Ich schickte dir Bomben hinüber und du welche her. Von deinem Schiff hast du mir nachts nackte Weiber gezeigt, da habe ich Volkslieder dagegen gegeigt ... Aber aus, Bruder, aus war der Krieg. Wer hat uns den in die Wiege gelegt? Und offen und frei liegt das Meer. Du gabst mir die Hand und ich gab dir mein Gewehr ..." Ja, so könnte es sein, wenn sich die Menschen trauten, mehr auf Herz und Hirn zu vertrauen, als auf die Geldbörse.

Gundis Liederschatz ist riesengroß und viele meiner Lieblinge sind heute mit von der Partie. Speziell bei "Gras", "Herzblatt" oder "Und musst du weinen" richten sich die Nackenhaare auf und wiegen sich im Takt. Die Härchen auf den Unterarmen wachsen Dank Dauergänsehaut auf gefühlte zehn Zentimeter Höhe und tanzen Polka. "... und willst du reich sein, dann liebe dir ein Kind. Doch lass es weich sein, so butterweich sein, wie deine Alten nie gewesen sind. Die haben harte Hände und ein hartes Herz. Die streiten ohne Ende und die sterben früh. Die suchen ein Vergnügen und finden nur den Schmerz. Die können lügen, aber leben können die nie ..." Bei dieser Musik kann ich mich fallen und ohne Risiko davontragen lassen. Und nicht nur bei mir schaffen sie es immer wieder, Herz und Augen überlaufen zu lassen. Auch die Musiker freuen sich sichtlich über die intensiven Reaktionen ihres Publikums. Die faszinierenden Lieder, die Gedanken und Gefühle, die sie transportieren - all das verbindet uns.

Dieser Abend ist der beste Beweis dafür, wie intensiv und wunderschön das Leben sein kann ... wenn wir es nur annehmen. "Schluss mit den Klagen, aus ist der Traum. Runter vom Wagen und rauf auf'n Baum. Fernseher aus, Sternschnuppen an. Rein in die Frau und raus aus'm Mann. Rein ins Vergnügen und raus aus'm Krieg. Zurück in die Höhle, da hinten ist Licht ..." Ausgerechnet mit "Alle oder keiner" versuchen sie den ersten Abschied von der Bühne.d 20141021 1089423324 Aber der Titel ist Programm und obwohl der eine oder andere noch wie hypnotisiert wirkt, gleicht der Applaus mehr einem tosenden Ozean als einem sanften Sternschnuppenhimmel. Als sie sich mit strahlenden Gesichtern verbeugen, reicht das Lachen der Musiker von einem Ohr zum anderen. Sie fühlen sich spürbar wohl auf der Bühne des Postbahnhofs und wollen sich offenbar ebenso wenig vom Publikum trennen wie dieses sie gehen lassen will. So greifen sie noch weiter in die Schatzkiste und spielen Lied um Lied. Mit "Vögelchen", "Sieht nach Regen aus" und "Wenn ich wär" runden sie den Abend ab und wollen uns dann "Nach Haus" schicken. Doch auch das ist uns nicht genug. Kein Konzert ohne "Brunhilde", die uns die letzte Gänsehaut des Abends beschert. Sparsam instrumentiert mit zarten Klavier- und Gitarrenklängen, doch nicht weniger wirkungsvoll. Zumal der Gesang der Musiker noch einmal durch den gefühlvollen Chor vor der Bühne verstärkt wird. "Und was sollte besser sein, als so ein Abend im Frieden? Mit'm Fahrrad durch die Wiesen zu flieh'n. Alte Frauen und Männer hocken auf ihren Bänken und Gott hat'n leichten warmen Regen zu verschenken. Straßen dampfen, Hasen mampfen, an so einem Abend im Frieden ..."

Als dann nach etwa zweieinhalb Stunden endgültig das Licht angeht und die Musik aus der Konserve langsam lauter wird, löst sich die Menge nur zögernd und scheinbar widerwillig auf. Hier und dort bleiben Grüppchen stehen, die vor sich hin träumen oder sich über das eben Erlebte austauschen. Immer noch fällt es schwer, die Emotionen in Worte zu fassen. Unwirklich, zauberhaft, beflügelnd, außergewöhnlich, inspirierend, familiär und unglaublich emotional sind Attribute, die den Abend wohl am ehesten beschreiben. Mit glühenden Herzen und leuchtenden Augen gehen wir nach Hause. Gedanklich hängen wir noch lange in diesem Abend im Frieden fest - mindestens noch bis zum nächsten Konzert der Seilschaft.

Setlist:
zum Vergrößern bitte anklicken

set




Über diesen Bericht könnt ihr in unserem Forum diskutieren.


Bitte beachtet auch:

• off. Homepage der Seilschaft: www.dieseilschaft.de
• Portrait über Gerhard Gundermann & die Seilschaft: HIER klicken





 
 
 



   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.