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Ein Bericht von Grit Bugasch mit Fotos von Torsten Meyer



Als ich die Einladung zu einer Konzertlesung mit Thomas Natschinski und Christine Dähn in meinem elektronischen Briefkasten finde, muss ich erstmal lachen. Damit habe ich nicht gerechnet. Doch, natürlich kenne ich die Mokka-Milch-Eisbar! Aus den Erzählungen meiner Eltern und natürlich aus ihrem Plattenschrank. Und da ich wissen möchte, was es bei einer Konzertlesung mit diesem Titel so alles zu hören gibt, sage ich einfach zu. Am Samstagabend fahre ich also zum Freizeitforum Marzahn. Die Studiobühne ist größentechnisch überschaubar und bietet beste Sicht von allen Plätzen, da die Bühne hier sozusagen tiefergelegt mitten im Raum zu finden ist.a 20140924 1116761227 So können wir schon vorab die Technik inspizieren: Klavier, Keyboard und E-Gitarre stehen neben einem kleinen Technikturm mit Verstärkern und Mischpult für Thomas Natschinski bereit. An dem kleinen Tisch direkt daneben, der schon mit reichlich Lesestoff bestückt ist, wird Christine Dähn ihren Platz einnehmen. Die Studiobühne füllt sich nach und nach und plötzlich fällt mir auf, was hier anders ist, als sonst. Wir senken ganz offensichtlich den Altersdurchschnitt, denn der größte Teil der Besucher ist jenseits der 60er und die Erklärung dafür findet sich im Verlauf des Abends.

Hand in Hand kommen sie die Treppe hinunter und begrüßen ihr Publikum. Christine Dähn, die Kultredakteurin von DT64, und Thomas Natschinski, der Komponist, Musiker und Arrangeur. Er feiert in diesem Jahr gleich zwei Jubiläen: Im Alter von 16 Jahren gründete er die Beatband TEAM 4, seine erste Band. Das war im Jahr 1964, was heißt, dass er gleichzeitig sein 50-jähriges Bühnenjubiläum feiert. Schon bei den als Intro gespielten Kalviertakten zu "Berührung" wird klar, der Mann hat Musikgeschichte geschrieben. Eine eindrucksvolle Zusammenfassung dazu bietet denn auch Christine Dähn, als sie gleich zu Beginn seine Karriere-Highlights zusammenfasst. Im Anschluss stellt er uns mit "LilaFee" den ersten Titel seines brandneuen Albums namens "5 0 1" vor. Alle Songs sind im Studio von Thomas Natschinski entstanden - er singt, spielt Gitarre, Keyboard, Flügel und Mundharmonika. Aber den einen oder anderen Gastmusiker hat er sich dann doch dazu gegönnt. Nicht nur deshalb wirkt es für passionierte Konzertgänger und Liebhaber des besonderen Live-Gefühls denn auch etwas eigenartig, dass die Musik vom Band kommt und er quasi noch einmal dazu singt. Christine Dähn sitzt währenddessen entspannt zurückgelehnt in ihrem Stuhl, beobachtet ihn lächelnd, klopft mit dem Finger den Takt dazu und singt leise mit. Die Auflösung folgt unmittelbar darauf, denn Thomas Natschinski verrät uns, dass sie alle Texte zum Album geschrieben hat.

Und nicht nur das, auch diverse Musikerbiografien hat sie inzwischen verfasst und kennt sich somit bestens aus. Außerdem erzählen sie uns, dass sie es war, die Thomas Natschinski wieder auf die Bühne geholt hat, obwohl er es sich im Hintergrund schon so schön gemütlich gemacht hatte.b 20140924 1055128203 Ihrer Ansicht nach gehört er auf die Bühne und die Bühne zu ihm - sie haben sich gegenseitig geprägt. Insgesamt zwei Jahre haben sie an der neuen CD gearbeitet. Mit einigen Verzögerungen, denn die im Studio adoptierte Katze hat nachhaltig Anspruch auf Klavierhocker und Produktionsstuhl erhoben, so dass sie gezwungen waren, hin und wieder eine Pause einzulegen. Ein andermal hat sie durch ihre Unterstützung alles wieder wettgemacht und sich mit einem entspannten Spaziergang über die Klaviertastatur an den Kompositionen beteiligt. Im Wechselspiel geht es weiter - Thomas Natschinski spielt nach und nach die Songs seines neuesten Albums und natürlich auch einige seiner alten Titel, während Christine Dähn Geschichten aus seinem Leben zum Besten gibt, die sie im Buch "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden?" festgehalten haben.

So erfahren wir jede Menge Wissenswertes und Unterhaltsames aus Thomas Natschinskis Leben. Auch wenn es anfangs etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass Christine Dähn in der Ich-Form erzählt, in der auch das Buch verfasst ist, um den Leser näher an den Musiker und seine Erlebnisse heranzulassen. Im Alter von acht Jahren wurde er zum Klavierspielen verdonnert, doch der Glaube seines Vaters wie auch der seiner Musiklehrer an die musikalischen Fähigkeiten war offensichtlich begrenzt. Hatte er anfangs nur eine "4" in Musik, wurde ihm in Klasse 6 immerhin bescheinigt, dass eine gewisse musikalische Karriere für ihn nicht ganz ausgeschlossen sei. Zu dieser Entwicklung hat sicher auch sein Vater beigetragen, der ihm als Musiker einerseits die Musik vorgelebt und ihn an selbige herangeführt hat. Und er hat ihn, wie Thomas Natschinski eingesteht, beruflich nie beeinflusst, sondern ihn immer machen und seine eigenen Wege gehen lassen. Im "Who is who" der ostdeutschen Musikerszene steht er allerdings schon aufgrund der alphabetischen Reihenfolge immer unter seinem Vater Gerd Natschinski, der u.a. für sein Musical "Mein Freund Bunbury" (der Musikunterricht der 80er Jahre lässt grüßen) oder diverse Schlagerkompositionen bekannt ist. Grinsend greift Thomas Natschinski in die Tasten und singt dazu "Daaahamaaals, daaahamaaals ... daaamaaals war alles so schööön. Doch wir waren viel zu juhuhung, viel zu juhuhung ...". Er schluchzt und schmalzt und wimmert wie einst Bärbel Wachholz und hat mit dem Ausflug in die Schlagerecke der 60er Jahre die Lacher auf seiner Seite. Gleichzeitig offenbart er damit ein bisschen sein Dilemma - er wurde häufiger mit seinem Vater verwechselt.c 20140924 1268873141 So auch bei einer Tour nach Bulgarien, wo die Besucher zu den Konzerten strömen, um den bekannten Operettenkomponisten zu erleben, der nun auch Rockmusik macht. Kein Wunder, denn auf den Plakaten wurde fälschlicherweise die "Gerd Natschinski Band" angekündigt. Die Geschichte klingt nach einer wilden Räuberpistole und geht zum Glück glimpflich ab. Doch was für uns heute nett und kurzweilig scheint, war aus Sicht des jungen aufstrebenden Beatmusikers damals sicher weder lustig noch wünschenswert.

Nachdem er mit "Juliwarm" einen von Christine Dähns Lieblingssongs vom neuen Album spielt, greift sie wieder zu ihrem Werkzeug und setzt mit diversen Anekdoten fort, in denen sie uns von seinen ersten musikalischen Erfahrungen berichtet. Von der großen Orchesterprobe im Hause Natschinski, als der kleine Thomas helfend eingreifen will, weil alle so furchtbar laut durcheinander klingen. Er gibt alles an seiner Blockflöte und kann gar nicht verstehen, dass sein Vater wenig Begeisterung dafür zeigt. Aber woher soll er auch wissen, dass sie einfach nur ihre Instrumente stimmen? Später dann sein erster Flöteneinsatz im Orchester, wo er genau zwei Töne zu spielen hat. Es endet jeden Abend mit "Schdänding Owähschns" und er meint, es müsse doch wunderbar sein, so ein Musikerleben. Im Lager für Erholung und Arbeit (einer in der DDR weit verbreiteten Kombination aus Ferienarbeit und Freizeitspaß) hat er als Gitarrist das Privileg, sich aussuchen zu können, welches Mädchen abends am Lagerfeuer an seinem Arm hängen mag. Und wenn er dann noch Rocco Granatas "Marina" singt, könnte er gut und gern fünf Arme auf jeder Seite haben.

Beim Deutschlandtreffen 1964 hat er dann ein einschneidendes Erlebnis - eine tschechische Band spielt Songs von den Beatles und sie spielen wie die Beatles. Und das alles live und in Farbe und mitten im Osten - eine große Inspiration und Initialzündung, die er mit etlichen anderen Musikern teilt. "Hey Jude", den er natürlich auch im Repertoire hat, gehört für ihn noch heute zu den schönsten Beatles-Songs.d 20140924 1079300454 Die Marschrichtung für ihn und seine Freunde ist damit klar: Sie wollen so spielen und so werden, wie die Beatles ... oder zumindest fast so. Sie starten als Schülerband und beginnen zu proben. Zuerst im Arbeitszimmer seines Vaters, wo sie die gesamte verfügbare Technik nutzen, um ihr erstes Demoband einzuspielen. "Es wird schon gehen", sagen sie sich, gruppieren sich halbwegs nah um das einzige vorhandene Mikrofon und drücken die Aufnahmetaste des Tonbandgeräts. Die wenig begeisterten Reaktionen von Fernsehen und Radio können sie sich nicht so recht erklären, machen aber trotzdem weiter. Irgendwann gerät das Demoband in Vergessenheit. Doch er hat es nicht gut genug versteckt, um es nicht mehr wiederzufinden. Und so spielt er es zur allgemeinen Belustigung des Publikums. Immerhin - so betont Thomas Natschinski - kann man bei dieser Art Vergleich feststellen, dass er in den letzten 50 Jahren doch allerhand gelernt hat und das Publikum gibt ihm Recht.

Weiter geht die nette, unterhaltsame Reise durch die ostdeutsche Musikgeschichte der 60er Jahre. Christine Dähn berichtet über Freud und Leid aus Thomas Natschinskis Studienzeit, die er im Jahr 1966 an der Musikhochschule "Hanns Eisler" in Berlin beginnt. Tagsüber quält er sich mit Bach und Beethoven, während abends in den Klubs und Kneipen der Beat abgeht. Seinem Vater bleibt diese Musik weiterhin suspekt und auch sein Klavier-Professor ist nicht begeistert, als er seinem Schüler immer wieder vorspielen muss, wie es eigentlich klingen sollte, wenn ... ja, wenn Thomas Natschinski ausreichend geübt hätte. Heute sind keine Probleme mit Klavier oder Keyboard mehr erkennbar. Er präsentiert etliche alte und neue Titel in ganz unterschiedlicher Art und Weise. Er gibt den leicht gebückt stehenden Rock'n'Roller am Klavier, den bluesigen Mundi-Spieler oder den Rapper mit einer speziellen Fassung von "Für Elise". Christine Dähn beschreibt uns jedes einzelne Detail des damaligen Beatles-Stylings und Thomas Natschinski zeigt uns, dass er sie auch heute noch alle drauf hat. Genauso, wie das große Geheimnis der damals aufkommenden verzerrten Gitarrenklänge, das sie irgendwann entschlüsselt und stolz in ihre Songs eingebaut haben. Dass diese seltsamen Verzerrungen dem damaligen Berufsethos des Tonmeisters widersprechen, müssen sie bei den Aufnahmen zu ihrem ersten Album schmerzlich erfahren und dabei so manchen Kampf ausfechten. Dazu gehört auch der plötzlich ausgerufene Kampf gegen die Anglizismen, was dazu führt, dass sie TEAM 4 in THOMAS NATSCHINSKI GRUPPE umbenennen müssen, wenn sie wollen, dass ihre erste LP im Jahr 1968 endlich doch erscheinen kann.

Einen Titel von diesem ersten Album hat er auch heute im Gepäck - "Unsere Träume" heißt er passenderweise. Und Thomas Natschinski kommentiert ihn mit den Worten: "Das war eine schöne Utopie. Leider ist sie nicht wahr geworden." Im Verlauf seines damals noch jungen Musikerlebens durchläuft er die üblichen Stationen und Erfahrungen.e 20140924 1660909559 Träume und Wünsche mischen sich mit Unsicherheit und Selbstzweifeln. Sei es die Begegnung mit der ersten Liebe oder die Episoden in der Armeezeit. Bei mancher Erinnerung überwiegt das Lächeln, bei mancher das Kopfschütteln. Doch all das hat ihn auf seinem Weg geprägt. Das Schlusskapitel wird eingeläutet mit "Yesterday" - und seinem schmunzelnden Hinweis, dass wir uns die Textaussetzer an der Kasse wiederholen könnten. Für mich einer der wenigen Momente des Abends, an denen er richtig spontan wirkt. So manche Dialoge oder Pointen hingegen scheinen eher einstudiert, wie die zeitgleiche Verbeugung, die sie wohl zigmal im Studio geprobt haben, wie Christine Dähn sagt. Vielleicht eine Erklärung dafür, warum mich das Programm nicht wirklich packt. Die Geschichten bleiben überwiegend in den 60er Jahren hängen, obwohl es danach doch erst richtig interessant wird, wo sich der Bogen zum Heute spannt.

Dass es ein Privileg ist, von dem leben zu können, was gleichermaßen Beruf, Berufung und Hobby ist, lassen sie uns schlussendlich wissen - das ist unbenommen. Wie auch der Fakt, dass Thomas Natschinski zweifellos auch heute noch ein gefragter Komponist ist. In meiner Wahrnehmung war er immer mehr der Musiker und Komponist, weniger der Sänger und Bühnenkünstler. So habe ich auch heute Abend das Gefühl, dass er vor allem dann richtig in seine Musik eintaucht, wenn er sich dem Spiel hingeben und es genießen kann. Beim Gesang wirkt er mehr konzentriert als emotional. Das gilt auch für den Kultsong aus dem Jahr 1967, der der Veranstaltung ihren Namen gibt - das Lied von der "Mokka-Milch-Eisbar", in die auch die Jungs um Thomas Natschinski nach den Proben regelmäßig eingezogen sind. Selbstverständlich haben sie noch ein paar Zugaben parat. Den Titelsong des gleichnamigen Albums "5 0 1", wilde Storys von ihren damaligen Bühnenoutfits und "Weit, weit und wild", einen Titel vom vorletzten Album - und das Publikum dankt es ihnen. Im Anschluss signieren sie noch die frisch verkauften Bücher und CDs, wie auch die mitgebrachten Amiga-Plattencover aus den heimischen Schatzkisten einiger Besucher. Und der eine oder andere nutzt die Gelegenheit für ein Foto oder den Austausch gemeinsamer Jugenderinnerungen.



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Termine:

• 11.10.2014 - Taucha - Cafe Esprit
• 21.10.2014 - Berlin - Speiches Bluesbar
• 22.10.2014 - Altenberg - Hotel Lugsteinhof
• 07.11.2014 - Forst - Pavillon Genuss & Kunst
• 08.11.2014 - Königs Wusterhausen - Turm
• 14.11.2014 - Lübben - Wappensaal Schloss Lübben

Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos auf der jeweiligen Bandhompage.



Bitte beachtet auch:

• Off. Homepage von Thomas Natschinski: www.thomasnatschinski.de
• Portrait über Thomas Natschinski bei Deutsche Mugge: HIER klicken




Fotostrecke:

 
 
 



   
   
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