Ein Konzertbericht von Christian Reder mit Fotos von Sandy Reichel

"Was haben Camembert, Wegwerfwindeln, Melitta Kaffeefilter und sowjetische Doppeldecker gemeinsam?", fragt Scarlett O' die Besucher ihrer Homepage, wenn diese den Link zu den NACHTHEXEN (unter "Programme") ansteuern. Die Frage wird auch umgehend beantwortet: " Es stecken Frauen dahinter, sehr besondere Frauen", heißt es da. Aus den Geschichten dieser besonderen Frauen haben Scarlett O', ihr Lebensgefährte Jürgen Ehle (Pankow), Dunja Averdung und Jörg Nassler schon vor zwei Jahren ein Programm erschaffen. Mit diesem Programm ist das Quartett bis heute schon fleißig live unterwegs gewesen, und begeisterte damit das Publikum. Was liegt da näher, als die vielen Momente des Live-Programms einzufangen und aus dem dabei entstandenen Material ein Live-Doppelalbum zu machen?

Am vergangenen Donnertag, dem 18. September 2014, erblickte dieses Doppelalbum, das einfach nur mit "Nachthexten" betitelt wurde, in Berlin das Licht der Welt. Was ist drauf auf dem guten Stück? Stolze 40 Tracks auf zwei CDs verteilt geben einen akustischen Einblick in die Herbsttournee 2013. Während dieser Tournee wurde fleißig mitgeschnitten und jetzt dem geneigten Hörer und Fan des Quartetts als Konserve kredenzt. Die Veröffentlichung dieser Doppel-CD ging am Donnerstag mit einem Konzert einher, zu dem die vier Musiker in Berlins Danziger Straße 101 einluden. In der dortigen WABE wurde entsprechend gefeiert und musiziert.

Eigentlich muss man nach dem Bericht meines Kollegen Hähle vom Konzert der NACHTHEXEN am 30. April 2012 im "Zimmer 16" in Pankow (siehe HIER) über das Programm der NACHTHEXEN nicht mehr viele Worte verlieren. Aber ich möchte dann doch noch etwas dazu schreiben. Die NACHTHEXEN bewerben ihre Muggen als "wilde musikalische Reise in die Welt und durch die Zeiten", und allein das macht schon neugierig. Darin stecken die Geschichten stiller und teils nicht so bekannter Heldinnen aus verschiedenen Epochen. Luftig, locker und leicht ... Manche kennt man vom Namen, wieder andere über das, was sie leisteten, andere aber eher nicht. Es geht um Pilotinnen, Erfinderinnen, Frauen berühmter Männer, Frauen in der zweiten Reihe königlicher Höfe und auch solcher der jüngeren Vergangenheit, die das Quartett mit kurzen Erzählungen und passenden Liedern auf künstlerische Art und Weise am Leben erhält. Für das Publikum sind diese Geschichten und Lieder spannend und höchst interessant angerichtet. Anna Magdalena Bach ist z.B. so eine Frau. Als zweite Ehefrau Johann Sebastian Bachs gab sie für die Liebe ihre Karriere auf, denn sie war - anders als Bachs erste Ehefrau - sehr talentiert und eine ausgebildete Sängerin. Ihre Geschichte erzählen die vier. Eine tragische Geschichte, die über eine Frau handelt, die sich aufopferte für die Familie und die am Ende letztlich einsam und verarmt starb. Auf gut Deutsch gesagt, würde heute wahrscheinlich kein Hahn mehr nach ihr krähen, würden die NACHTHEXEN nicht an sie erinnern - und das über 250 Jahre nach ihrem Tod.



Wesentlich bekannter als Anna Magdalena Bach dürfte wohl Tamara Danz sein, an die mit der NACHTHEXEN-eigenen Version von "Asyl im Paradies" gedacht wird. Zugegeben, eine etwas ungewöhnliche Fassung des Stücks aus dem Jahre 1996, aber nicht ohne Reiz.
Auch die Geschichte der Berta Benz wird erzählt, wie sie die Erfindung ihres Mannes Carl Benz, nämlich das Auto mit dem Stern, durch eine Langstreckenfahrt erst erfolgreich machte. Dabei hatte sie schon die Mitgift bereits in der finanziell klamme Unternehmen ihres Mannes gesteckt. Die Quintessenz dieser Geschichte ist die, dass man Carl Benz ohne seine finanziell starke als auch ideenreiche Frau heute vielleicht gar nicht kennen würde. Das wirft - zumindest bei mir - die Frage auf, warum die im Mannheimer Stadtteil Oststadt befindliche Fußball-Arena nicht "Berta-Benz-Stadion" heißt ... Nun sind dies jedoch nur drei Beispiele von Frauen, die hier ins Gedächtnis zurück gerufen oder überhaupt erstmals bekannt gemacht werden. Das auf der Doppel-CD befindliche Programm erfuhr beim Record Release Konzert eine weitere Aufführung. Erstklassig arrangiert und dargeboten. Zu keiner Minute langweilig und regelrecht fesselnd. Die beiden Damen trugen die Kurzbiographien über eben schon erwähnte und viele andere Heldinnen vor, im Anschluss musizierte das Quartett zusammen ausgewählte und zum Thema passende Songs. Um beim eben erwähnten Stück zu bleiben: Das Lied "Fährt der alte Lord fort" kann nur nach der Geschichte von Berta Benz folgen ;-)

Dass die beiden Damen der NACHTHEXEN über eine ausgezeichnete und angenehme Singstimme verfügen, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass die beiden Herren von Natur mit dem Talent für ein exzellentes Gitarrenspiel bedacht wurden. Nicht bierernst, und überwiegend heiter, geht es auf der Bühne zu. Die Damen erzählen über die anderen, bereits verstorbenen Damen, und haben dabei genügend Platz für heitere Momente. Während der Geschichte zu Anna Magdalena Bach z.B. bringt Scarlett O' Beate Uhse ins Spiel. Umgehend wurde sie von Jörg Nassler unterbrochen, so dass sie gar nicht mehr richtig zu Wort kommen konnte ... Wer darauf wartete, ob die Geschichte zu Beate Uhse denn auch noch erzählt werden würde, musste bis ganz zum Schluss warten. Die NACHTHEXEN hatten sich bereits beim Publikum verabschiedet, als Scarlett O' noch einmal hervor kam, um endlich ungestört ihre Geschichte loszuwerden. Auch das findet sich auf der Doppel-CD wieder ... Solche Einlagen wie die eben erwähnte über Beate Uhse wirken bei den NACHTHEXEN spontan, auch wenn sie bei jeder Mugge so aufgeführt werden. Sie machen Spaß und kommen bei den Leuten sehr gut an, genauso wie die lustigen Moderationen und Gags. Wie gut das ankam, konnte man aus dem Publikum hören und in den Gesichtern der Konzertgäste ablesen. Aber es wird ob der vielen Details des Programms vom Publikum trotzdem aufmerksam zugehört. Das Programm ist nicht dazu gedacht, dass vor der Bühne rumgehopst oder gar "mitgefeiert" wird. Nichts für das Bierwagen-Publikum bei Stadtfesten ... Es ist vielmehr ein gemütlicher Ausflug in die Geschichte, bei dem der Anspruch und Witz nicht zu kurz kommen. In erster Linie also ein Zuhörprogramm mit echtem geschichtlichen Hintergrund, bei dem auch geschmunzelt und gelacht werden darf. So auch, als uns die vier Musiker zum Pausentee baten. Sie spielten den Song "La nuit" und verließen kurz vor Schluss singend und spielend einfach die Bühne. Hinter der Bühne sangen sie lauthals weiter, bis Dunja Averdung nochmals hervor kam und das Publikum in die Pause schickte. Der gesamte Abend war kurzweilig und gut über die Rampe gebracht.

Wenn man die Live-CD inzwischen gehört hat, stellt man fest, dass das Progamm im Konzert viel druckvoller und durch die visuellen Eindrücke dort noch viel interessanter ist. Trotzdem ist die Platte ein schönes Mitbringsel von einem der NACHTHEXEN-Konzerte und auch ein schönes Erinnerungsstück. Schon während der Pause konnte man sich die CD am Fanartikel-Stand kaufen, ebenso wie nach der Mugge. Und weil es ja eine Record Release Party war, hatte man auch die Gelegenheit, sich von den Musikern ein Autogramm auf den neu erworbenen Silberling zu holen oder ein gemeinsames Erinnerungsfoto mit den Protagonisten zu schießen. Tolles Konzert, tolle CD - am besten gleich beides konsumieren! P.S.: Die CD gibt es bei den Konzerten und im Shop auf der Homepage von Scarlett O' - Bitte greifen Sie zu!

 

Setlist:
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