Café Gößenwahn am 6. September 2014 in der Arche in Neuenhagen
Hans-Werner Olm | Julia Neigel | Celina Bostic

 

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Das war kalter Entzug ... neun Monate lang ... und es war echt hart. Also war mir klar, bei der nächsten Ausgaben des Café Größenwahn MUSS ich wieder dabei sein. Was zählt da schon das gekaufte Ticket für ein anderes Konzert?! Nun ist es endlich soweit, und so mache ich mich am Samstagabend auf den Weg.a 20140909 1676978893 Die Zöllner haben diesmal zum Open Air in die Arche Neuenhagen geladen und der Hof der Arche bietet an diesem lauen Spätsommerabend die perfekte Kulisse. Dieser Meinung sind zum Glück noch etliche andere Livemusik-Freunde, und so füllt sich das Gelände langsam aber stetig.

Pünktlich um 20:00 Uhr geht es los. Als Dirk Zöllner und seine extrafeine Bigband-Besetzung auf die Bühne stürmen, werde ich das Gefühl nicht los, dass auch ihnen die Wartezeit seit der letzten Ausgabe viel zu lang war. Enthusiastisch vom Publikum begrüßt, legen sie sich gleich voll ins Zeug. "Alles oder nichts" eben. Doch musikalische Askese ist ihr Ding nicht. Im Gegenteil - heute steht die Völlerei im Vordergrund. Alles was sie zu sagen haben, klingt in ihrer Musik. Zum Warmwerden spielen sie mit "Auf der Flucht" und "Idylle im Krieg" einige der wunderbaren Songs vom immer noch aktuellen Album "Uferlos" und mixen sie mit Zöllner-Evergreens wie "Nie mehr", "Lass mich rein" oder "Allein". Wunderbar, so muss es sein!

Dirk Zöllner und seine Musikerfamilie bei der Arbeit zu erleben, ist wiedermal ein ganz besonderer Genuss. Wie übermütige Teenies springen sie auf der Bühne umher, grinsen über das ganze Gesicht und bearbeiten dabei ihre Instrumente, dass man am liebsten auch da oben mitmischen möchte. Die heutige Besetzung ist uns mit André Gensicke (keyb), Andy Bayless (git), Oliver Klemp (bg) und Marcus Gorstein (keyb, perc) bestens bekannt und wird ergänzt durch Tim Hahn (dr), der schon hin und wieder eingesprungen ist. Komplettiert wird die Runde durch die wunderbare Keren Trüger, die heute leider als einzige der Zöllner Chicks auf der Bühne die Flügel schwingt. Und nicht zu vergessen natürlich die Zöllner-Horns mit Gerald Meier (pos), Skip Reinhart (tr) und Frank Fritsch (sax), die dem Bigbandsound die unglaublich pikante Würze verpassen. Das was sie da oben spielen und wie sie spielen, führt dazu, dass der Funke augenblicklich von der Bühne aufs Publikum überspringt. Und löst überdies den unvermittelten Drang aus, sich dazu zu bewegen. Überall zucken die Füße im Takt und die Hüften schwingen. Vom lauthalsen Mitsingen der Konzertbesucher ganz zu schweigen.

Auf den Familienzuwachs lassen sie uns auch heute nicht lange warten. Zunächst kommt er in Person von Joerg Dudys, Gitarrist in der Band von Julia Neigel. Vom Gastgeber wird er als der beste Gitarrist der Welt ankündigt ... der aber nur fast so gut sei wie Andy Bayless.b 20140909 1637101608 Auf diese Weise angekocht, zieht sich der Wettstreit zwischen den Beiden zur Freude des Publikums durch den ganzen Abend. Immer wieder spielen sie sich die Gitarrenriffs zu und wir kommen in den Genuss der virtuos servierten Saitenklänge. Ein derart gitarrenlastiger Sound ist eine wahre Pracht.

Sehr gespannt war ich schon vorher auf den Besuch von Julia Neigel, von der uns Dirk Zöllner erzählt, dass ihre Bravo-Poster in den 80er Jahren heiß begehrt waren und im Austausch gegen Mosaik-Hefte gehandelt wurden. Kein Wunder, auch mich hat sie 1989 bei der "Rockpoeten-Tour" auf der Freilichtbühne in Berlin-Weißensee begeistert. Seitdem habe ich sie - warum auch immer - nicht mehr live erlebt. Ein Fehler, den es definitiv zu beheben gilt, denn die Powerfrau überzeugt nach wie vor mit Energie und Leidenschaft. "Es geht mir nicht gut. Verdammt, es packt mich die Wut ... Und ich starre auf die Tür und hoff, du kehrst zurück zu mir ... Ich hab Sehnsucht, so Sehnsucht nach dir ... ", röhrt sie ins Mikrofon, und bei dem Temperament glaubt man ihr besser jedes Wort. Mit "Froh, dass es dich gibt" und "Herzlich Willkommen" kredenzt sie zwei weitere Gänge als Kür und setzt auf Wunsch von Dirk den Klassiker "Schatten an der Wand" als Sahnehäubchen obendrauf. Seine Furcht, sie würde diesen alten Song sonst womöglich nicht mehr singen, ist wie sie sagt völlig unbegründet. Sie liebt ihn immer noch und erobert das Publikum einmal mehr mit ihrer sensationellen Bühnenpräsenz. Mal ganz abgesehen davon, dass sie immer noch unverschämt gut aussieht, bringt sie mit ihrer einmal rauchig und druckvoll und ein andermal sanft und einfühlsam tönenden Stimme auch hier und heute jedes Eis zum Schmelzen. Ganz egal, ob sie in der letzten Nacht kurzfristig das Hotel wechseln musste und nicht viel Schlaf hatte, weil man dort ihren Hund nicht mochte - heute Abend ist sie glücklich, wie sie uns auf ihre Art mitteilt. Julia Neigel ist wundervoll - sie wirbelt über die Bühne, tanzt und jammt mit den Musikern, strahlt dabei und schüttelt hier und da eifrig hochgehaltene Hände aus dem Publikum.

Die sommerliche Festtafel wird mit weiteren beliebten Zöllner-Klassikern im Bigband-Gewand geschmückt und die Liebe steht dabei zweifellos im Mittelpunkt. Dirk Zöllner beschließt kurzerhand, "Aus Liebe" heute Andy Bayless zu widmen, was den Song in völlig neuem Licht erscheinen lässt. Mit "Ich kann dich nicht riechen" halten sie die Suppe weiter am Köcheln, während wir mit "Was geht ab" und "Heute biste dran" endgültig gar gekocht werden. Bei letzterem ist auch Joerg Dudys wieder mitten im Geschehen und es gibt kein Halten mehr. Mit Feuer, Passion und Können würzen sie die Gitarrenschlacht und versetzen uns einmal mehr in einen emotionalen Rauschzustand, den nur die Droge Livemusik erzeugen kann. Das Publikum dankt es ihnen auf seine Art - mit ausgiebigem Applaus, lautstarken Pfiffen und johlenden Begeisterungsrufen.

Der zweite Gast des Abends heißt Celina Bostic und ich gestehe, ich kannte sie vorher nicht. Noch ein Fehler meinerseits, den es auszumerzen gilt. Dirk Zöllner hingegen kennt sie sehr wohl, er hat sie vor etlichen Jahren kennengelernt, als sie mit dem Drummer seiner Band zusammen war.c 20140909 1682233351 Das ist zwar lange her, aber auch heute noch ist sie "... so ein verdammt junges Stück, eine Kindfrau ..." und Dirk offensichtlich noch immer so beeindruckt, dass er nach Worten sucht. Als "Kindfrau" ist sie allerdings noch nie angekündigt worden, erzählt sie uns, als sie mit ihrem strahlenden Lachen und der Akustikgitarre auf der Bühne erscheint. Sie legt direkt los, denn wie sie feststellt, ist das Publikum "schon schön warmgespielt". Wenn sie mit ihrer eigenen Musik unterwegs ist, dann üblicherweise mit Gitarre und Loop-Station. Als Ersatz für letztere hat sie heute die Zöllner-Bigband inklusive Verstärkung an der Seite, was sie sichtlich genießt. Ihr erster Titel heißt "Wann kommst du" - er klingt mädchenhaft, zart und frisch, absolut passend zu diesem sanften Sommerabend. Zwischendrin unterbricht sie sich immer wieder selbst, um der Band ihre Regieanweisungen zu geben und stellt dabei lachend fest, dass sie das sonst nie braucht, weil sie dann ja mit sich selbst reden würde. Die Gesangspausen nutzt sie, um die eine oder andere Anekdote zum Besten zu geben und auf ihr neues Album "Zu Fuß" hinzuweisen, das Mitte September erscheint. Dass man im Leben und in der Liebe nicht alles so verdammt ernst nehmen sollte, legt sie uns mit "Papa" nah. Ein Song, mit dem sie nun auch das Publikum zum Wettstreit herausfordert. Die Frauen singen den Refrain, "Alles Stricher außer Papa" und die Männer fordert sie auf, "Alles Schlampen außer Mutti." zu singen. Nicht nur die Musiker auf der Bühne haben augenscheinlich großen Spaß daran und singen lauthals mit. Aber es nützt ihnen nichts, denn die Frauen sind einfach lauter und überzeugender und somit Gewinner, wie Gensi lachend feststellt. Diese Celina Bostic ist einfach umwerfend - und ich um einen fabelhaften Musiktipp und einen Ohrwurm reicher.

Und weitere Delikatessen werden als Nachschlag gereicht. Unglaublich, aber wahr - bei "Rosarote Segel" steigt der Spaßfaktor sogar noch mehr. Strahlende Gesichter und hüpfende Menschen auf und vor der Bühne. "Der nächste Song ist älter als alle meine Kollegen auf der Bühne", verrät uns der Gastgeber. Aber Mitleid bekommt er dafür nicht, denn der liebevoll "Zappelfunk" titulierte Song "Was du verlangst" sorgt nach diesem ausgiebigen Gang für die nötige Bewegung.

Zum Ende hin werden noch einmal die Anforderungen hochgeschraubt. Mit dem komplizierten Refrain von "Lalala" haben wir unsere liebe Not, haben aber zum Glück ausgiebig Gelegenheit zum Üben, bis es dann endlich klappt. Die perfekte Vorlage für Hans Werner Olm, der die heutige Runde komplettiert. Bei seinem Besuch im letzten Jahr hat es ihm im Café Größenwahn offenbar bestens gefallen, so dass er heute kurzerhand noch einmal zum Nachtisch vorbeischaut. Dass er nicht nur als Kabarettist und Schauspieler, sondern auch als Sänger unterwegs ist, war mir damals nicht wirklich bewusst und auch heute kokettiert er mit seinen musikalischen Fähigkeiten. "Lass uns mal spielen. Was spielen wir denn?", will Andy Bayless von ihm wissen. Worauf er antwortet, "Keine Ahnung, ich kann ja nichts. Ihr seid ja hier die Profis." Spricht es und hängt sich dabei grinsend die Gitarre um. Aber das nehmen wir ihm genauso wenig ab, wie die Behauptung, dass er das uns servierte heiße schokoladige Medley damals eigenhändig für die gleichnamige Band zusammengerührt haben will. Was wir ihm dagegen sofort abnehmen, ist der Text, den er vorsichtshalber auf kleinen handlichen Spickzetteln festgehalten hat.d 20140909 1866146421 "Mich ereilt das späte Glück, ich werde schöner Stück für Stück. So wie die Gedanken waren, sieht man aus in hohen Jahren ... Du hast nichts mehr zu gewinnen, wahre Schönheit kommt von innen. Ich seh gut aus ..." Dass der Kopf auch das Aussehen beeinflusst, ist uns nicht neu und deshalb stimmen wir laut mit ein - in die Hymne für all diejenigen, die ihr Leben und den Blick in den Spiegel mit einer Prise Humor würzen. In seiner speziellen und wohl nie ganz ernst gemeinten Art legt Hans Werner Olm mit "Don't be schwul" und "Let's twist" gleich nochmal nach, bevor es dann endgültig ins große Finale geht.

Die Schlussrunde wird wie gewohnt vom Gastgeber und seiner Großfamilie eigenhändig serviert und folgt auch heute dem altbekannten und beliebten Ritual. "Viel zu weit" heißt wie immer der letzte Song, zu dem Dirk Zöllner alle seine Gäste mit auf die Bühne bittet. Was dem einen oder anderen ob des Überraschungseffektes an Textsicherheit fehlt, wird mit Liebe und Hingabe wettgemacht. Und was würde hier besser passen ... Als allerletzten Gang bringen sie dann "Wenn der Himmel mir am Arsch hängt" zu Gehör. Quasi der Espresso zum Abschluss, der nach einem ausgedehnten Festessen die Lebensgeister auffrischt und uns nach diesem Abend wieder für die Einflüsse der Außenwelt zugänglich macht.

Ja, es war ein exzellentes Festessen. Ein unglaublich opulentes Menü mit zig Gängen. Großartig angerichtet und wundervoll garniert. Mit jeder Menge Charme, Liebe und Leidenschaft serviert. Familiär und feudal. Der Dank dafür gebührt allen Beteiligten - Dirk Zöllner und seiner großartigen Bigband-Besetzung, genauso wie den Gästen des heutigen Abends, Technikern und Organisatoren. So und nicht anders kennen wir es aus dem Café Größenwahn. So und nicht anders haben wir es erwartet. Und trotz der ausgiebigen Völlerei fühlen wir uns leicht und beschwingt und gleiten später auf unserer Rauschwolke nach Hause. Dass unterwegs ganz sacht die ersten Regentropfen einsetzen ist uns egal, denn die Erinnerung an diesen traumhaften Sommerabend können sie nicht fortspülen…




 

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Bitte beachtet auch:

• Homepage vom Dirk Zöllner: www.dirk-zoellner.de
• Homepage von Julia Neigel: www.julianeigel.com
• Homepage von Celina Bostic: www.celinabostic.de
• Homepage von Hans-Werner Olm: www.hanswernerolm.de
• Portrait über Dirk Zöllner: HIER klicken
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