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Ein Bericht von Grit Bugasch mit Fotos von Sandy Reichel







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Was interessiert mich die Fernsehübertragung eines Song Contest, wenn ich Musik live erleben kann. Also steige ich am Samstagabend ins Auto und fahre einmal mehr nach Müncheberg. Ein Ort, den ich bis vor drei Jahren kaum kannte und inzwischen als Pilgerstätte für Kultur und Musik sehr zu schätzen weiß. So auch heute - die Veranstalter vom Landhaus Luckas haben zu einem ganz besonderen Konzert geladen, auf das ich mich schon lange gefreut habe.

a 20140514 1108521326Offensichtlich geht es etlichen anderen Menschen genauso, so dass die Müncheberger Stadtpfarrkirche gut gefüllt ist, als Monique Luckas Musiker und Gäste auf ihre typische, liebevolle Art willkommen heißt. Bettina Wegner ist eine der wunderbarsten deutschen Liedermacherinnen, die ich besonders wegen ihrer leidenschaftlichen Songs und ihrer intensiven Texte schätze. Untrennbar mit ihr verbunden ist vor allem der Titel "Kinder" - die Textzeile "Sind so kleine Hände ..." dürfte sehr vielen Menschen noch im Ohr klingen. Dabei hat Bettina Wegner eigentlich gar keine kleinen Hände, dafür aber eine große Klappe, wie uns Monique mit einem Augenzwinkern verrät. Und eigentlich gibt sie auch gar keine Konzerte mehr, seit sie sich 2007 offiziell von der Bühne zurückgezogen hat. Doch zum Glück macht sie hin und wieder eine Ausnahme und so kommen wir heute Abend in den Genuss, Bettina Wegner gemeinsam mit Karsten Troyke und dem Gitarristen Jens-Peter Kruse (El Alemán) in Müncheberg zu erleben.

"Stille ist's und doch kein Frieden, volle Münder schreien nicht ..." Von Stille kann bei Bettina Wegner wahrhaftig keine Rede sein. Auch wenn sie klein und zerbrechlich wirkt, wie sie da auf der Bühne steht - sie hat uns noch so viel zu sagen. Ihre Botschaften tönen klar und eindringlich, ihre Stimme klingt kraftvoll und einnehmend. Und so entfaltet der Abend nach und nach seinen besonderen Charme. Das Programm entpuppt sich als eine abwechslungsreiche und intensive Reise durch verschiedene Lebensphasen und Themenfelder, durch unterschiedliche Länder und Kulturen, durch wechselnde Erlebnisse und Emotionen. Dabei ergänzt sich das auf den ersten Blick so ungleich wirkende Trio ganz wunderbar. Der Umgang miteinander zeugt von der Wertschätzung füreinander, von gemeinsamen Bühnenerfahrungen, von freundschaftlicher Rücksichtnahme und natürlich von der Liebe zur Musik.

b 20140514 1783054402Umso älter sie geworden ist, desto mehr Liebeslieder hat sie geschrieben, erzählt uns Bettina Wegner. Auch, dass das aus ihrer Sicht alles nichts genützt habe, da der Anspruch gestiegen und der Marktwert gesunken sei. Aber davon ist hier nichts zu spüren, eher das Gegenteil scheint der Fall. Das Publikum weiß die Lebenserfahrung und die Mission der Musiker sehr zu schätzen und honoriert sie dankbar. Schon nach kurzer Zeit fühlt es sich an, wie ein Abend in familiärer Runde - in einer selbst gewählten Familie auf Zeit. Das hohe Kirchenschiff und der Einbau in Form eines Schiffsrumpfes verstärken das Gefühl der gemeinsamen Reise. Eine Reise für Augen und Ohren, für Kopf und Seele. Sie lassen uns teilhaben an ihren scharfsinnigen Beobachtungen, an kritischen Ansichten und freundlichen Empfindungen. Sie entführen uns in vielfältige, farbenprächtige Welten. Einen großen Anteil daran hat auch die spanische Gitarre von El Alemán - sein feinsinniges, pointiertes und zugleich dynamisches Gitarrenspiel in der Kombination mit den wechselnden, sich so fabelhaft ergänzenden Stimmfarben der beiden Sänger sorgt dafür, dass ich immer wieder die Augen schließe, um dem Klang der Musik zu folgen und dem Gefühl, das sie vermittelt. So finde ich mich mühelos wandelnd zwischen der israelischen Wüste, der Mark Brandenburg, dem andalusischen Hinterland, einem leeren Kinderzimmer, der ungarischen Puszta, einem Kongresssaal irgendwo im Westen Deutschlands, unter der Sonne Jamaikas, auf dem Parkett eines charmanten alten Tanzsaales, in der ernüchternden Realität einer kalten Stadt, hoch oben über den Wolken oder wo auch immer ... So manches Gefühl lässt sich gar nicht recht in Worte fassen, man muss es einfach selbst spüren.

Genau das nennt man einen Weltmusikabend und so nennt es Karsten Troyke auch. Ein Abend, für den Bettina Wegner und er eine zauberhafte Mischung ihrer einzigartigen Lieder zusammengestellt haben. Die sehnsuchtsvollen Klänge alter jüdischer Lieder mischen sich mit dem warmen Blues traditioneller Folk-Balladen, eigenem Gedankengut und der warmherzigen Menschenkenntnis, die nur vermitteln kann, wer mit beiden Beinen im Leben steht.c 20140514 1500524828 Genau das beschreibt Bettina Wegner in ihren Liedern und den nicht minder spannenden Geschichten, die sie zwischendrin zum Besten gibt. In einer Welt, in der vermeintlich Jugend so viel zählt, ist es umso wertvoller, zu spüren, was Lebenserfahrung wirklich bedeutet. Sie vermittelt eine gewisse Gelassenheit und Ruhe; die Kraft, Erlebtes zu relativieren und vor allem das Positive mitzunehmen. Ganz deutlich wird das im Titel "Vincent", den sie ihrem kleinen Großneffen gewidmet hat. Mit einer unheilbaren Stoffwechselkrankheit und der Prognose für nur ein halbes Jahr geboren, hat er ihnen doch zwei gemeinsame Jahre geschenkt. Und all das, was sie von dem kleinen Menschenkind gelernt hat, steckt in diesem Lied. "Fliege Seele, fliege frei und leicht und weit. Leben haben wir durch dich erfahr'n. Engel streifen uns nur für ganz kurze Zeit - und sind fort, da wo sie immer war'n ..."

Parallelen zu anderen großen Stimmen des Chanson drängen sich mir auf. Und doch lassen sich die Eindrücke, die Bettina Wegner und ihre Lieder erzeugen, in keine Schublade einpassen. Mal wirkt sie zart und verletzlich, kurz darauf wieder ungestüm und forsch. Ihre Texte sind aufrichtig und direkt, gleichermaßen sensibel und nachdrücklich. Die Vielfalt der Klangfacetten ist in meinen Augen genau das, was sie mit Karsten Troyke verbindet. Auch wenn er diese Vielfalt auf eine ganz andere Art ausstrahlt. Sein kraftvoller, warmer Gesang scheint aus den Tiefen des Bauches oder auch aus dem großen Zeh zu kommen; seine Lieder tönen voller Energie und gefühlvoller Schwingungen. Seine Spezialität sind offensichtlich die jüdischen Lieder aus aller Welt, die er mit viel Seele und Herzblut präsentiert. Ganz besonders fesseln mich die von beiden gemeinsam gesungenen Titel, die gerade durch die Kombination der beiden so unterschiedlichen Stile faszinieren. Das scheinen sie selbst ähnlich zu empfinden und so kommt es nicht nur einmal vor, dass Bettina Wegner - eben noch im Publikum sitzend und kurz pausierend - von Karsten Troyke mitten im Lied vorzeitig zurück gebeten wird. Dieser Bitte kommt sie nur zu gern nach und so flitzt sie - den ganzen Abend auf Socken unterwegs - wieder zur Bühne zurück.

Die gemeinsame Reise führt uns von einem wundersamen Ort zum nächsten. Sei es das alte Beduinenlied "Shedemati", mit dem in der Wüste Negev um Regen gebetet wurde; das Lied vom "Kälbchen", das genauso gut ein frei fliegender Vogel hätte werden können; "Ikarus", das Lied von dem kleinen Jungen, der sich nichts mehr auf der Welt wünscht,d 20140514 1369369383 als fliegen zu können; das israelische Volkslied "Shir Hanoded", das von der Sehnsucht des Wanderers erzählt, der immer fort will und doch nirgends ankommt; "Esperanza", die spanischen Impressionen der Hoffnung, die in dem großartigen Gitarrensolo von El Alemán erstrahlen; die bluesig klingenden "Traurigkeiten", die sie forttragen und begraben wollen oder die Reggae-Ballade "No woman, no cry". Den Bob Marley-Titel kennt wohl jeder; Bettina Wegner hat ihn ihrer Ex-Schwägerin gewidmet. "Einen prima Mann hast du bekommen, jedenfalls hat Vater das gemeint. Schläge hast du schweigend hingenommen, heimlich hast du auf dem Klo geweint ... No woman, no cry. Weine nicht, aber schrei!" All diese Lieder interpretieren sie auf ihre eigene Art und verleihen ihnen damit ihre persönliche Note. Es sind Lieder für Herz und Hirn, die animieren zum Denken und Fühlen. Sie sind hingebungsvoll, warmherzig, kämpferisch und anmutig.

Jeder einzelne Titel ist ein Geschenk, verbunden mit einer Geschichte - und davon dürfen wir heute Abend etliche mit nach Hause nehmen. Schmunzelnd berichtet Bettina Wegner von der Erkenntnis, dass sie den Gebrauchswert eines ihrer Lieder erst erkannt hat, nachdem es einer Punkband als Vorlage diente ("Sind so kleine Biere, sind so schnell dahin ..."). Glücklicherweise singt sie ihn heute - "Kinder", der Titel, den sie irgendwann nicht mehr mochte und mit dem sie sich inzwischen doch wieder versöhnt hat. "Sind so kleine Seelen, offen ganz und frei. Darf man niemals quälen, geh'n kaputt dabei. Ist so'n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht. Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht. Grade, klare Menschen wär'n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat hab'n wir schon zuviel."

Jedes Lied hat seine Zeit, manches kommt und manches geht. Und bei manchen zeigt sich - teils glücklicherweise, teils bedauerlicherweise - wie aktuell sie auch nach Jahren noch sind. Einige dieser Lieder scheinen Bettina Wegner ganz besonders am Herzen zu liegen. Die schmettert sie uns umso energischer entgegen, damit sie auch ja nicht überhört werden können. "Wenn alle Menschen dieser Erde nicht ewig wie die Hammelherde sich in ihr Schicksal brav ergäben, statt endlich wirklich loszuleben ... Wenn wir dies Leben einmal fänden, ganz fest uns hielten bei den Händen, dann haben unsre Träume Sinn, denn Menschsein wäre ein Beginn." Die Botschaft ist unüberhörbar - sie geht direkt ins Ohr und weiter ins Herz, wo sie auf all die anderen trifft, die aus dem Programm des heutigen Abends den Weg zu uns gefunden haben.

e 20140514 1831483167Es gäbe noch so viel zu erzählen, von diesem außergewöhnlichen Abend. Aber besser ist es, eine der seltenen Möglichkeiten zu nutzen, um Bettina Wegner, Karsten Troyke und Jens-Peter Kruse live zu erleben. Sie haben uns in ihren Bann gezogen, ihr reichhaltiges Repertoire poesievoller und emotionaler Lieder vor uns ausgebreitet und uns verzaubert. Kein Wunder, dass der Applaus genauso kräftig und nachdrücklich durch die Stadtpfarrkirche tönt - kommt er doch von Herzen und ist wohlverdient. Sie zieren sich nicht lange, wie Bettina Wegner bestätigt, sondern "erst singe ich noch einen, dann du noch einen ..." Genauso wird es gemacht und so fügen sie der Reise des Abends noch einige Stationen hinzu und wir folgen ihnen beseelt. Doch nach gut drei Stunden endet die gemeinsame Reise und so sind wir gezwungen, wieder unsere eigenen Wege zu gehen. Was uns bleibt, sind viele besondere Eindrücke und Erinnerungen, verbunden mit Menschen, die uns wichtig sind. Nicht zu vergessen natürlich unsere Wünsche und Träume. Auch wenn nicht alle in Erfüllung gehen, sollten wir trotzdem an unseren Wünschen und Träumen festhalten, legt uns Bettina Wegner ans Herz. Denn erst wenn wir die weggeben, sind wir wirklich verloren.



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Bitte beachtet auch:

• Offizielle Homepage von Bettina Wegner: www.bettinawegner.de
• Offizielle Homepage von Karsten Troyke: www.karsten-troyke.de
• Offizielle Homepage von www.el-aleman.de: www.el-aleman.de
• Homepage des Landhaus Luckas in Müncheberg: www.landhaus-luckas.de





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