Henrik Freischlader am 9. März 2014 in Berlin

 

Ein Konzertbericht von Torsten Meyer mit Fotos von Rüdiger Lübeck

 

"Tatort" vs. Gitarrengewitter
Der Sonntagabend ist für Konzerte alles andere als ein optimaler Termin. Der drohende Beginn der neuen Woche drängt sich in unser Unterbewusstsein, man möchte das Wochenende in Ruhe ausklingen lassen, vielleicht mit einem "Tatort" oder - für zartbesaitete Seelen - auch gerne bei einer triefend nassen Rosamunde Pilcher-Schmusestunde Herzschmerzen bekommen. Wer käme schon auf die Idee, sich stattdessen auf den Weg zu einem Konzert in die Berliner City zu begeben? Nun, glücklicherweise eine ganze Menge Leute. Und zwar solche, denen nicht entgangen ist, dass es da in Deutschland seit mehreren Jahren einen jungen Mann aus Wuppertal gibt, der dafür sorgt, dass Bluesmusik im weitesten Sinne aus deutschen Landen jenseits unserer Grenzen nicht mehr müde belächelt wird. HENRIK FREISCHLADER heißt dieser Typ, der es tatsächlich schafft, an diesem Sonntagabend das eintausend Besucher fassende Kesselhaus so gut wie auszuverkaufen. Ganze 32 Jahre jung, hat er bereits einen ganzen Stapel eigener Studio- und Livealben am Start, eins grandioser als das andere. Und nicht nur deshalb muss sich dieser Mann mit dem eigentlich wenig werbewirksamen Namen vor keinem einzigen der vielgerühmten englischen und amerikanischen Bluesgitarristen fürchten. Es gäbe so vieles über diesen Ausnahmemusiker mit den unglaublich flinken Fingern zu berichten, aber ich denke, das soll letztlich ein Konzertbericht werden, und keine Biographie. Also lasst uns eintreten ins coole Ambiente des Kesselhauses.

Kleiner vs. großer Saal
Diese Frage stellte ich mir, nachdem HENRIK FREISCHLADER im letzten Jahr den deutlich kleineren Frannz Club gerade mal zu zwei Dritteln füllen konnte. Würde er also diesmal in das über dem Kesselhaus liegende Maschinenhaus ausweichen? Doch da habe ich wohl wirklich unterschätzt, wie sehr sich die permanente Tourerei und die vielen Alben des HF langsam aber sicher bezahlt machen. Als es pünktlich um 20:00 Uhr losging, war der große Saal des Kesselhauses nämlich voll. Nicht rappelvoll, dass einem die Luft zum Atmen fehlte, aber doch so, dass man nirgendwo gemütlich die Arme ausstrecken konnte.

Dreckiger Bluesrock vs. gefälligen "Night Train"-Sound
Die diesjährige Tournee stand unter dem Titel "Night Train to Budapest", kurz "NTTB". Man ahnt es, das ist auch der Name seiner gerade erschienenen neuen CD. Ich gestehe, bekennender Fan des Mannes mit der scheinbar angewachsenen Signature Hatteras-Ballonmütze zu sein. Doch zum Fan sein gehört auch, dass man mal ein Album nicht so toll findet. Diese Freiheit nehme ich mir beim erwähnten "Night Train to Budapest"-Werk heraus. Mir ist das Album eine Spur zu glatt, hier und da im Vergleich zu den Vorgängern auch viel zu melodiebelastet. Es sind richtige "Lieder" drauf, was mich anfangs doch etwas überrascht hat.b 20140312 1201695393 "Caroline" beispielsweise. Eine wunderbare Nummer, aber eher nach JACK JOHNSON und Lagerfeuerromantik klingend. Und vor allem ist die Platte auffallend fett produziert worden. Man hört schon bei den ersten Klängen, dass hier ein neuer Produzent am Werke war. Dieser rohe, dreckige Sound, den der vorherige Producer Martin Meinschäfer den letzten drei Studioalben verpasste, weicht auf "NTTB" einem zwar immer noch knackigen, aber leider auch sehr gefälligen und perfekten Sound, der eigentlich eher zu einem Pop-Album passen würde. Aber egal, live ist dieser Henrik Freischlader eh eine Klasse für sich, und ich war mir sicher, er würde schnell alle Zweifel meinerseits aus dem Saal fegen.

Florian Lohoff Band - Klasse!
Ja ja, immer diese Vorbands ... Ich habe mittlerweile ein ziemlich gestörtes Verhältnis zu den eigentlich als Anheizer des Abends gedachten Truppenteilen. Viel zu oft habe ich wirklich unterdurchschnittliche bis schlechte Musik hören müssen, die mir nur die Zeit gestohlen hat anstatt mich zu unterhalten. Wen wundert's also, dass ich auch diesmal nicht allzu viel erwartete. Doch unverhofft kommt oft - diese eigentlich hohle Phrase passt hervorragend zu dem nun folgenden, überaus gelungenen Set der mir bis dato völlig unbekannten FLORIAN LOHOFF BAND. Sie selber beschreiben ihren Stil als "Modern Blues Rock", was ich eher noch erweitern würde. Ohne lange überlegen zu müssen, woher man es kennt, hört man aus den Eigenkompositionen Einflüsse von solchen Leuten wie GOV'T MULE, BONAMASSA, einen Touch HENDRIX, DOORS und auch FREISCHLADER heraus. Das ist ja auch gar nicht weiter schlimm, wenn die Songs am Ende trotzdem eigenständig klingen. Und das tun sie. Man höre sich nur mal "Learned from my mistakes" an - man fühlt sich umgehend back in the seventies! Florian und seine beiden Kollegen sind gerade mal Mitte Zwanzig, legen aber schon eine unglaubliche handwerkliche Klasse an den Tag, was mich vermuten lässt, dass wir künftig noch eine Menge von den Jungs hören werden. Erstaunlich und lobenswert, dass der Hauptact des Abends einer so qualitativ hochwertigen Band das Vorprogramm überlassen hat. Mir hat's gefallen! Noch erwähnen muss ich den 29.03. Da veranstaltet dieses aufstrebende Trio nämlich im "White Trash" in Berlin eine Release-Party ihrer ersten CD "Lifetimeshuffle". Nichts wie hin, ihr Fans des gepflegten Bluesrock!

c 20140312 1358752567Der "Night Train" rollt ein - mit (zu)viel Getöse
Schnell noch mal an die Bar gehüpft, das Näschen gepudert, und schon ist es 21:00 Uhr - Showtime. Im Gegensatz zu 2012 diesmal pünktlich. Man durfte gespannt sein, wie energiegeladen das Quartett, bestehend aus:

Henrik Freischlader (Gitarre)
Moritz "Mo" Fuhrhopp (Hammond-Orgel, Stage-Piano)
Theofilos Fotiadis (Bass)
Björn Krüger (Drums)

sich präsentieren würde, denn nach Dortmund, Erfurt und Göttingen ist Berlin erst die vierte Station auf der diesjährigen Tournee. FREISCHLADER geht 2014 einen anderen Weg. Spielte er mit seinen Mannen bislang immer um die 50 Konzerte pro Tour, sind es diesmal "nur" 21, dafür aber in etwas größeren Locations. Siehe Berlin. Und wie erwartet fliegen uns gleich mit den ersten Tönen die Bluesrock-Riffs nur so um die Ohren. "A better man" heißt der Opener. Natürlich eine Nummer vom neuen "NTTB"-Album. Ich hatte ehrlich gesagt eher mit "Point of view", einem echten Nackenbrecher, gerechnet, aber so eine Midtemponummer wie "A better man" lässt ja für den weiteren Verlauf noch jede Menge Steigerungen offen.

Schon jetzt sehe ich mich etwas erschrocken um, um die Reaktion meiner mich umgebenden Nachbarn zu sehen. Ja, es war laut, das hatte ich nicht anders erwartet. Aber - oh Schreck - so ziemlich das Einzige, was in meine Hörfelle knallte, war FREISCHLADERs Gitarrensound! Sicher, die erste Reihe war wie immer meine,d 20140312 1388469053 und des Meisters gewaltige, dreiteilige Realtone-Verstärkerwand befand sich auf meiner Seite, aber dennoch inmitten der Bühne. Und ja, mir ist klar, dass der Klang in der Saalmitte ein anderer ist als wenn man sich direkt auf Tuchfühlung mit den Akteuren befindet. Aber dass man eigentlich fast ausschließlich den rohen Gitarrenklang einatmet (so genial dieser auch rüberkommt), nur unterschwellig die Rhythmusgruppe wahrnimmt, den Gesang nur erahnen kann, das gefiel mir überhaupt nicht. Dennoch ließ ich mich nicht entmutigen und hoffte auf Besserung.

Im Vorfeld ließ HENRIK FREISCHLADER verlauten, er wolle diesmal neben dem neuen Album auch mal solche Songs spielen, die entweder älteren Datums sind oder aber live bisher kaum zur Geltung kamen. Ein solches Stück ist "Too cool for me" von seinem zweiten Album "Get closer" (2007). Ein herrlich entspannter Groove rollte hier über unsere Köpfe hinweg und ließ mich in Erinnerung an die alten Zeiten schwelgen, als man FREISCHLADER wirklich noch mit Blues in Verbindung bringen konnte. Inzwischen dienen die Zwölftakter höchstens noch als Grundgerüst, auf denen er seine Mixtur aus Funk, Soul und jeder Menge Rock aufbaut. Das hat Klasse und sorgt in der Regel für null Langeweile. Das gilt vor allem für seine Konzerte, wo der Lederjackenliebhaber vor Dynamik und übersprudelnder Energie fast platzt. Improvisation ist Ehrensache, da singen, tanzen, weinen und jaulen FREISCHLADERs Gibsons, Stratcoasters und was er sonst noch so spielt, in den unglaublichsten Tönen, die Schlagzahl kann dabei schon mal innerhalb von Sekunden vom wildesten Galopp in ein beinahe schon zärtliches Streicheln seiner Saiten übergehen. Das ist irre und unnachahmlich. Manchmal werden die Songs dadurch auf zwanzig oder mehr Minuten gedehnt, ohne dass man auch nur auf die Idee kommt, genervt auf die Uhr zu sehen. Manchmal ist aber nicht immer, und so ein "nicht immer" erlebten wir am Sonntag.

Ich weiß nicht, woran es lag, aber irgendwie hat mir diesmal ein richtig ausschweifender, nicht enden wollender Sololauf des deutschen Vorzeige-Bluesrockers gefehlt. Klar, wenn er angesetzt hat zu seiner Fingerakrobatik, die meine ungelenken Gliedmaßen schon beim puren Hinsehen schmerzen ließen, dann zogen alle im Saal symbolisch und ehrfürchtig den Hut. Da wurden Spannungsbögen erzeugt, die meist in einem regelrechten Gewitter endeten, und man sah FREISCHLADERs Mimik deutlich an, wie er die Töne direkt aus seinem Innern holte und diese dann gleich wieder inhalierte. Und doch wurde ich nicht richtig warm. Lag es daran, dass "zwei Balladen zuviel" gespielt wurden, wie mir nach dem Konzert ein Großer des einheimischen Blues seine Eindrücke beschrieb? Oder war es der nach wie vor schlechte, viel zu gitarrenlastige Sound vorne an der Bühne? Schwer zu sagen.

e 20140312 2030598444Hammond vs. Gitarre
Ein schweres Pfund, mit dem HF bei Liveauftritten wuchern kann, sind seine Begleitmusiker. Vor allem die Entscheidung, die übliche Trio-Besetzung zu sprengen und mit Mo Fuhrhopp einen über alle Zweifel erhabenen, grandiosen Keyboarder in Lohn und Brot zu nehmen, war eine hervorragende Entscheidung. Fuhrhopp spielt zu meiner Freude eine Hammond-Orgel, die einem schon mal eine länger anhaltende Gänsehaut bescheren kann, wenn Mo sich nicht nur darauf beschränkt, den brachialen Sound mit gleitenden Harmonien etwas aufzuweichen, sondern völlig in sich versunken zu einem Solo ansetzt. Erinnerungen an Jon Lord werden wach. Beim 2012er Konzert der Band im Frannz Club (Bericht siehe HIER), gab es mehrfach solche Momente. Diesmal möglicherweise auch, nur leider - und schon wieder muss ich es erwähnen - kam auf meiner Bühnenhälfte überhaupt nichts davon an, wurde von der übermächtigen Dominanz der Gitarre verschluckt. Lediglich während der Balladen, von denen mich vor allem "Cry again" vom "Recorded by ..."-Album begeisterte, und während der FREISCHLADER herrlich differenziert und deutlich gemäßigter agierte, hörte man den wunderschönen Hammond-Teppich, den Moritz Fuhrhopp auslegte. Sehr schade, denn gerade dieser geile Orgel-Sound macht neben den fantastischen Fähigkeiten des HF an seinen Gitarren einen Großteil der Faszination eines FREISCHLADER-Konzertes aus.

Fazit
Die nun mehrfach erwähnte schlechte Abmischung des Sounds ist sehr ärgerlich. Ich habe im Kesselhaus schon unzählige Gigs erlebt, stehe immer am linken oder rechten Bühnenrand und weiß natürlich, dass man dort den Klang anders erlebt als in der Mitte des Saals. Aber es kam mir noch nie unter, dass ein einziges Instrument dermaßen dominiert und alles andere tot macht.

Davon mal abgesehen, empfand ich den Abend eher als "na ja" und "geht so". Mir fehlte irgendetwas, das Geschehen auf der Bühne wirkte mir zu statisch und leblos, so als würde man das Programm eben nur rein pflichtmäßig und mit viel Routine runter spielen. Mit diesem Eindruck stehe ich übrigens nicht allein da. Ich vermisse beispielsweise nach wie vor ein Drum-Solo im Programm, welches unter dem großartigen, ehemaligen Schlagzeuger der Band, Hardy Fischötter, zum Standard gehörte. Auch die Improvisationen, in die sich HF ansonsten gerne bis zur Erschöpfung ergeht, hielten sich diesmal in Grenzen. Selbst das einzige Cover des Abends, nämlich HENDRIX' "Voodoo child" war nach zehn Minuten beendet.f 20140312 1845104636 Okay, das ist immer noch deutlich mehr als bei tausend anderen Vertreter seiner Zunft, doch wer FREISCHLADER-Konzerte kennt, ist anderes gewohnt. Und wenn ich mich schon wundere, dann auch darüber, dass nach 95 Minuten der offizielle Teil sein Ende fand. Vorbei die Zeiten, als zwei bis zweieinhalb Stunden Spielzeit die Normalität darstellten, weil die Spiellust der Akteure keine Grenzen kannte?

Auf jeden Fall positiv zu vermerken: HENRIK FREISCHLADER und seine Band krempelten die Setliste total um und spielten tatsächlich neben fünf Nummern des neuen Albums etliche Songs, die man ansonsten nur von CD kennt. Das war prima, auch wenn ich der eingangs erwähnten Äußerung "zwei Balladen zuviel" zustimmen muss. Diese Balladen sind alle frei von Kitsch und Schmalz, aber eine davon ist genug. Der eine oder andere Klassiker war trotzdem dabei, was dem Set gut tat. "Disappointed woman" z.B. ist immer ein Kracher, "What's my name" sowieso. Ansonsten war es wie immer eine Freude, HF bei seinem solistischen Können zuzusehen und vor allem zuzuhören. Völlig zu Recht hat er sich mit der Zeit ein stetig wachsendes Publikum erspielt und ziert die Spitze der europäischen Bluesrockgemeinde. Während man bei vielen anderen Bluesrockern oft gar nicht weiß, wer denn da nun gerade agiert, ist ein absoluter Wiedererkennungswert bei FREISCHLADER gegeben. Er hat seinen Stil gefunden, ohne sich ständig zu wiederholen.

Auch wenn mich dieses Konzert im Berliner Kesselhaus nicht wirklich zu Jubelstürmen verleiten konnte, bleibt HENRIK FREISCHLADER für mich eine Ikone seines Genres. An seiner Klasse und seinem Können besteht kein Zweifel, und wenn beim nächsten Gig weniger Routine vorherrscht, und vor allem der Mann am Mixer auch an die vorderen Reihen denkt, nebenbei auch die Lautstärkeregler nicht ganz bis zum Anschlag schiebt, werde auch ich wieder mit einem breiteren Lächeln nach Hause gehen können.



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Bitte beachtet auch:

• off. Homepage von Henrik Freischlader: www.henrik-freischlader.de
• Homepage der 'Kulturbrauerei' in Berlin: www.kulturbrauerei.de




Fotostrecke:

 
 
 

   
   
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