
Ein Konzertbericht mit Fotos von Hartmut Helms

Die beiden vergangenen Wochenenden hatte ich mir ziemlich voll gepackt mit den schönen Liedern von GERHARD GUNDERMANN. Das Erlebnis einer Inszenierung der Neuen Bühne Senftenberg mit Texten und Liedern von Gundi (Bericht siehe HIER) ließ genug Raum, die eigenen Gedanken zwischen den Zeilen auf Wanderschaft zu schicken, sich seinen Songs einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu nähern, und der Geburtstagsabend mit Huderich eine Woche später (Bericht siehe HIER) war dann wie der Blick von einer Hochebene nach unten, wo man all die Details nicht sieht, aber einen wunderschönen Blick auf das große Ganze, zumindest aber einen Teil davon, genießen kann. Das war auch deshalb sehr reizvoll, weil dieser weite Blick nicht von Gundi's eigenen Gedanken und Worten, sondern von leichtfüßig spitzen Kommentaren aus dem Heute begleitet wurde und vielleicht deshalb in besonderer Weise ganz aktuell war. Plötzlich spürte ich wieder, wie zeitlos schön einerseits und wie brennend zeitnah solche modernen Volkslieder, liebevoll von Musikanten aus dem Volk gesungen, wirken können, weil einer irgendwann mal den Blick hinter die Kulissen messerscharf beschrieben hatte.
Zwar ging der Baggerfahrer mit der Gitarre und dem gestreiften Hemd viel zu früh von uns, aber er hat uns diese starken Lieder hier gelassen und einige derjenigen, die sie damals live auf die Bühne brachten - SEILSCHAFT genannt - sind ja auch noch aktiv. Zum Zehnjährigen in der Columbiahalle hatte es wieder gefunkt und wer - so wie ich - dabei war, konnte diese Magie tatsächlich spüren. Ein blonder junger Rockpoet namens HAASE und die ehemalige Band des zornig-zarten Liedermachers schienen wie füreinander geschaffen, so mein damaliger Eindruck. Der HAASE singt ohnehin in regelmäßig großen Abständen die Lieder von GUNDERMANN, zum Beispiel am Lagerfeuer im Zschoner Grund, zur eigenen und zur Freude anderer. Da war der Schritt, das auch mit einer Band zu versuchen, gar nicht mehr weit. Inzwischen ist aus dem Funken von Berlin wieder ein Feuer geworden, das SEILSCHAFT und HAASE ab und an live abfackeln und wer es erleben möchte, kann sich am beinahe Originalsound von einst erwärmen. Die 'Kulturbastion' von Torgau ist ein solcher Ort, wo SEILSCHAFT, HAASE und ein sangesfreudiges Publikum gut miteinander können. Das ist jetzt mein drittes Wochenende mit den "Engeln über dem Revier" in Folge.

Es sind wahrscheinlich all diese Bilder in den Köpfen, die man sich zu den wunderbaren Melodien von "Herzblatt" träumen oder beim Singen von "Hier bin ich geboren" ausmalen kann. Da könnte ich jetzt wirklich ellenlang über dieses "Hier" philosophieren, in das hinein wir alle ungefragt geboren wurden, könnte die Bilder beschreiben, während mir die Seilschaft exakt die Klänge dazu zaubert, die ich schon immer zu kennen meine. MARIO entreißt seiner akustischen Gitarre mal schneidende, mal wärmende Akkorde und ANDY entführt uns mit den heißen Soli seines Saxophons. Immer dann, wenn dieser so typische Gundi-Sound entsteht, kann man sicher sein, dass dezent im Hintergrund MICHAEL NASS über die Tasten gleitet oder sein Akkordeon dehnt und streckt. Ganz weit im Hintergrund, kaum zu sehen, spielt TINA POWILEIT mit den "Rhythmusartikeln" und der Bass von CHRISTOPH FRENZ tanzt quasi mit Tina um die Melodien herum. Alle gemeinsam sind sie DIE SEILSCHAFT.

Das kleine Podium in der Kulturbastion sorgt dafür, dass man quasi direkten Kontakt zu denen auf den Brettern hat. Man kann jeder Bewegung, jeder Nuance im Gesicht der Künstler folgen und erleben, wie auch ein CHRISTIAN HAASE sich tief in sie hinein begibt. Gleich, ob er mit uns gedanklich in den "Zweitbesten Sommer" eintaucht oder die feinen Nuancen im "Ruhetag" entdeckt, man sieht ihm die eigenen Emotionen in die glänzenden Augen gemalt. Bei diesen stillen Liedern kann jeder sich mit Energie aufladen und schon Momente später kann man sie wieder frei lassen beim "Rockin' in a free world", und dann höre ich den Chor hinter mir laut "Aber alle oder keiner" singen. Wenn das Neil Young hören könnte! Es ist ein Abend ganz unterschiedlicher Lieder von Gerhard Gundermann, der viele davon schrieb, als Christian Haase noch nichts davon wissen konnte. Der hat ihn auch nie treffen können, nie mit ihm gesprochen und auch sonst eher auf Umwegen vom Gundermann erfahren. Für mich ist das ein Teil der Faszination, die bei den Konzerten der SEILSCHAFT mit HAASE entsteht.

Für mich ist diese Seilschaft-Polkaholix-Haase-Truppe so etwas wie ein Geschenk des Zufalls, der uns genau in der rechten Zeit mit den passenden Liedern beschenkt hat. Diese Musiker pflegen ja mit ihren eigenen Projekten ähnliches Liedgut und deshalb wirkt so ein Abend mit den Liedern von GUNDERMANN noch immer so lebendig und vor Energie strotzend. Sicher auch deshalb, weil all diejenigen, die kommen, die Lieder zu hören und zu singen, sich in den Texten und Melodien selbst entdecken können. Obwohl eines der letzten des Abend vom "Ich kann mich nicht erinnern" erzählt, scheint gerade dieses Erinnern für das heutige Leben so wichtig zu sein, sei es nun der "Frieden, den man mit jemanden macht" oder die Erinnerungen an den "Vater". Hätten wir in Torgau gemeinsam "Brunhilde" oder "Linda" angestimmt, hätte wahrscheinlich jeder seine ganz persönliche Brunhilde oder Linda vor Augen gehabt. Zumindest geht es mir so beim GUNDERMANN und seinen Liedern.
Eines seiner schönsten Lieder, jedenfalls für mich, ist diese Story vom alten Mann, der uns zuwinkt und trotz schlechter Bezahlung einen langen weißen Strich über Land malt, damit wir "sicher nach Haus" kommen. Vielleicht sitzen wir dann im Auto und summen "Schlaf kleine Frau, mach die Beine lang",

Der rührigen Mannschaft von der 'Kulturbastion' in Torgau ist es gelungen, die SEILSCHAFT mit CHRISTIAN HAASE als Sänger auf ihre Bühne zu holen. Die Hütte hat gekocht, der Schweiß unsere Kleidung getränkt, meine Füße haben mir eine ganze Nacht lang ein Klagelied gesungen und trotzdem war es ein Riesenerlebnis. In drei Wochen drei Mal Gundermann, und jedes Mal völlig anders. Ob sich der Mann so etwas hätte vorstellen können? Seine Antwort bekomme und brauche ich nicht. Mir haben drei Mal Gundi-Lieder gut getan und wenn noch ein weiteres Wochenende hinzu käme, könnte ich auch dort dabei sein. Mein letzter Abend mit Liedern des Rockpoeten aus der Lausitz war das jedenfalls noch lange nicht und außerdem gibt es ja im kommenden Jahr einen besonderen und runden Geburtstag zu würdigen. Ob sich der lyrische Rockpoet aus der Lausitz das hätte auch vorstellen können? Wir wissen es nicht, aber es ist schön, dass diese Lieder erklingen und immer wieder gesungen werden. Völlig egal, wer da gerade auf der Bühne steht und für uns singt. Es ist GUNDERMANN.
Termine:
• 01.03.2014 - Annaberg/Buchholz - Alte Brauerei
• 17.10.2014 - Freiberg - Tivoli
Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos auf der bandeigenen Homepage
Bitte beachtet auch:
• off. Homepage der Seilschaft: www.dieseilschaft.de
• Homepage der 'Kulturbastion' in Torgau: www.kulturbastion.de
• Portrait über Gerhard Gundermann & die Seilschaft: HIER klicken