HUDERICH spielt GUNDERMANN
am 21. Februar 2014 in Dresden-Weixdorf

 

 
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Ein Konzertbericht mit Fotos von Hartmut Helms
 


Man erzählt sich, bei den alten Germanen soll eine Pflanze namens GUNDELREBE als Heilpflanze gegolten haben. Ein Trank aus ihrem Pulver soll gegen Entzündungen der Atemwege und bei Behandlung von Wunden wirksam helfen, hat uns Hildegard von Bingen überliefert und wer sich in der Walpurgisnacht einen geflochtenen Kranz aus dem Kraut der Gundelrebe auf den Kopf setzt, kann sogar Hexen erkennen, überliefern alte Volkssagen. Stoff genug, um die Fantasie anzuregen.

Die alten Germanen sind Geschichte, die kleine unscheinbare Pflanze jedoch kann man noch heute draußen in der freien Natur, zwischen Wäldern und Wiesen, bewundern. Sie kriecht mit ihrem Stängel am Boden entlang und wenn sie etwas findet, dann reckt sie sich daran, mit ihren kleinen blauen Lippenblüten, empor, als wolle sie Sonne tanken. Deshalb nennt man sie in manchen Gegenden auch "Kiek durch den Zaun", weil dann die kleinen Blüten durch die Zaunslatten hindurch zu sehen sind. Bei uns würde man "Zaungucker" sagen und wer das sagt, kann auch den HUDERICH meinen, oder auch den GUNDERMANN, wie man die Gundelrebe auch noch genannt wird. Der Zufall will es außerdem, dass ein Liedermacher aus der Lausitz mit diesem Namen im Gedächtnis eines ganzen Volkes blieb, so wie die Volksweisheiten aus vergangenen Zeiten. Kein Wunder also, wenn sich fünf Musiker - von den Liedern und kleinen Botschaften Gundis inspiriert - als HUDERICH auf Reisen durch das Land begeben, um mit ihren Gästen gemeinsam, wie kleine "Zaungucker", in die Welt zu sehen, sich Gedanken zu machen und seinen Lieder auf diese Weise, immer wieder neu, frisches Leben einhauchen.

HUDERICH hatten sich auf ihrer Zaungucker-Tour im DIXIEBAHNHOF von Weixdorf, nördlich von Dresden, angekündigt und viele sind gekommen. Auf dem Vorplatz kann man die Kennzeichen aus allen Himmelsrichtungen erkennen und drinnen herrscht kurz vor Beginn rege Betriebsamkeit, als ich dort eintreffe. Nur mit einer gewissen Magie oder Faszination ist es wohl kaum zu erklären, dass überall dort die Hütten rappelvoll werden, wo man die Lieder von Gerhard Gundermann hören und mitsingen kann. Es muss mehr, als nur das sein. Vielleicht gesellt sich auch dieses spürbare Gefühl des Verbundenseins hinzu, wenn man für zwei Stunden bereit ist, sich im gemeinsamen Erleben einigen Liedern hinzugeben. Das sind nur einige Gründe, die mich - trotz noch immer geschwollener Bronchien - auf einen der Stühle im Dixie-Saal gelockt haben, in der Hoffnung, die HUDERICHs mögen vielleicht auch mir ein wenig helfen.

b 20140222 1188371601Dann stehen sie direkt vor uns, fünf junge Musiker aus Dresden, die sich HUDERICH nennen und schon mit den ersten Klängen ist klar, wohin die Reise gehen wird. Es geht ins "Niemandsland", "am Ende der Welt", wo man wieder etwas mehr Zeit hat, wenn die alte Uhr erst einmal in Scherben liegt. Raus aus dem Hamsterrad und mal einen Blick von außen riskieren mit einer "kleinen leisen Traurigkeit" im Gepäck. So wie die Fünf mit Gitarre, Akkordeon, Geige und Bass diese Lieder in ein anderes Gewand kleiden, gewinne ich Minute für Minute auch wieder die Ruhe, so wie einstmals, zwischen die Zeilen hinein zu lauschen, um die Worte zu deuten. HUDERICH nehmen, indem sie zum Beispiel auf Saxophon und die eingestöpselte Gitarre verzichten und auch kein Drum-Set dahinter steht, den Liedern ein wenig den Speed, ohne den Pep zu entfernen. Dabei entsteht ein folknaher Klang und ein intimes Gefühl des miteinander Fühlens, wenn REIMAR am Mikrofon stehend, von "wann ha'm wir je aus Spaß getanzt, statt auf des Messers Schneide" singt und man sich gegenseitig ein Kopfnicken zuschickt.

Das stille Kopfnicken verwandelt sich in Lachsalven aus dem Saal, wenn der Mann mit der Gitarre vor dem Mikro, seines Zeichens der einzige mit einem technischen Beruf in der Gruppe, über den ersten und zweiten Energieerhaltungssatz philosophiert und daraus Schlussfolgerungen für unser Leben in diesem Land abzuleiten versucht und immer wieder schräg und gekonnt, etwa die Hühner zu einer gewissen Zeitung mit den vier großen Buchstaben, ins Verhältnis setzt oder noch kühner, die böse Erkenntnis, dass Reiche den Armen etwas abgeben sollten, um danach immer noch reich zu sein, formuliert. Da ist er dann ganz nah am "Bagger fahrenden Volksdichter" dran und auch wenn Lieder wie "Keine Zeit mehr" oder das vom "Zweitbesten Sommer" erklingen. Sogar die Anregung, wie man den Begriff des Fastens mit eigenen Taten real werden lassen könnte werde ich, zumindest was den Rosenkohl betrifft, in die Tat umsetzen. Vorher aber singen wir alle gemeinsam bei "Und musst du weinen" mit und stimmen in das laute "Owehoweh" kräftig mit ein.

Was mich bei den Fünfen von HUDERICH sehr fasziniert, ist die sichtliche Spielfreude und die kleinen Überraschungen, mit denen sie die Lieder von Gundermann liebevoll umsetzen, so dass ab und an auch ein Augenzwinkern zu spüren ist.c 20140222 1919883345 Da wird mal eben fix ein altes Volkslied als Intro zitiert und obwohl man natürlich die Stimme von Gundermann im Ohr hat, erlebe ich die bekannten Lieder an diesem Abend irgendwie anders frisch, weil durch das Spiel der beiden stillen Damen an Violine und Akkordeon die eher volksverbundenen Klangfarben die rockigen Originale gekonnt ersetzen. Man spürt die Liebe zum Detail ebenso, wie man sich die Botschaften, die in all den Liedern stecken, zu Eigen macht. Zwischen die zu echten Volksliedern gereiften Melodien wie "Scheißspiel", "Krieg" oder den "7ten Samurai" hat die Gruppe HUDERICH kleine Perlen wie "Morgens, morgens" oder das schon zu DDR-Zeiten für Conny, Gundis spätere Frau, geschriebene "Hochzeitslied" gesetzt. So gestaltet sich der Abend zu einem Erlebnis mit vielen Abwechslungen und die frechen Zwischentexte über den Sinn von Revolutionen und den Anteil der Bürgerbewegten daran, zumal in Dresden, ringen dem einen ein süffisantes Lächeln ab und den anderen malen sie ein kleines Staunen in die Gesichter.

Die da vorn singen sich tapfer - trotz des spür- und sichtbaren Unwohlseins, durch Husten, Schnupfen und rauer Stimme - durch die Fundgrube des Schaffens eines Baggerfahrers und Rockpoeten und lassen mich dabei fast meine eigenen Hustenanfälle vergessen. Wir singen trotzdem laut und gemeinsam "Nach Haus" und natürlich "Gras", mit diesem herrlichen Refrain, der einen über Stunden bewegen und tragen kann. Am Ende bleibt, ein Riesenkompliment allen Zaunguckern und Musikern von HUDERICH zu sagen, die - sichtlich von Schnupfenattacken gezeichnet - diesen Abend zu einem Erlebnis werden lassen. Es ist der Abend des 21. Februar, jener Tag, an dem vor genau 59 Jahren ein gewisser Gerhard Gundermann in Weimar geboren wurde, mit dessen Liedern später viele Menschen ganz persönliche Empfindungen und eigene Erfahrungen verbinden. Am heutigen Tag und zu später Stunde gehen sie alle heiter und fröhlich auf den Weg nach Hause in die Nacht hinein.

Ich kenne einen Bauernhof irgendwo in diesem Land. Da wächst der HUDERICH an Wänden nach oben und macht die alten dunkelroten Mauersteine im Hof schön, so wie die alten Lieder von diesem GUNDERMANN die heutige Welt für ein paar Minuten schöner, fröhlicher aber auch nachdenklicher machen können, wenn sie gesungen werden.d 20140222 1835444640 Fahre ich nach solchen Abenden in die Nacht, dann denke ich manchmal, dass es einstmals Zeiten gab, wo Lieder in den Medien gespielt wurden, die noch Anregung, Inspiration, Bestätigung waren oder wie Backpfeifen daher kamen. Die scheinbare Zufriedenheit lässt uns stumpf und ohne Träume, die vom großen Geld mal ausgenommen, durch die Welt wandeln. Es wird Zeit, dass eine moderne Hildegard von Bingen, sie muss ja nicht Angela heißen, einen Trank wider die schnelle (Selbst)Befriedigung und gegen dieses inhaltslose "Wir haben immer gesagt" findet, damit auch mal wieder, statt der vielen leeren Worthülsen, etwas inhaltsreiches die Menschen erreicht. Außerdem müsste die erbärmlich notgeile Erhöhung der Diäten von Abgeordneten chronische Kotzanfälle, ohne Aussicht auf Heilung, zur Folge haben. Mit einem Kranz aus HUDERICH auf dem Kopf, und etwas Fantasie im Kopf, würde ich mir so etwas wünschen und dafür auf die Sichtbarkeit der Hexen verzichten.

Dennoch, der HUDERICH wuchert überall, wo ein kleiner Blick auf die Sonne möglich ist. Man muss nur genau hinsehen, weil wir Menschen diese kleinen unscheinbaren Freuden mehr brauchen, als uns alle Gesichtsbücher zusammen genommen, geben können. Lasst uns wieder mehr miteinander reden, wieder mehr gemeinsam singen und es soll endlich wieder Frühling werden, im Land und in den Köpfen. So vielleicht könnte die Botschaft lauten und wer sie noch immer nicht verstanden hat - es gibt mehr Orte, wo man Gundermann-Lieder singt und die GUNDELREBE gedeiht, als mancher sich vorzustellen vermag.



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