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Ein Bericht mit Fotos von Hartmut Helms (Quelle des Fotos in der Überschrift: wikipedia)



Es ist kalt draußen, es ist nass draußen, dunkel ist es auch und mich fröstelt. Die Scheinwerfer tasten sich am Straßenrand endlang, folgen den Markierungen, die einer, schlecht bezahlt, über Land gemalt hat. Minuten später verschwinden sie am Waldrand, hinter dem es auch kalt, nass und ungemütlich ist. Es ist außerdem Sonnabend und die bequeme Couch ist allein zu Hause geblieben. Das Zuhause ist die Lausitz, dieser schmutzige Flecken Erdkruste zwischen Wäldern, Heide und den großen Löchern in der Erde - immer noch und immer größer. Riesige Bagger, die längst still in der Landschaft stehen und andere, noch größere, die noch immer einen Heidenkrach machen, wenn man daneben steht und deren riesige Räder sich langsam drehen, sich dabei gierig in die Erde fressen. Es ist der Anblick von Gigantomanie und Unfasslichkeit, aber auch von verletzter Lebensplanung, weil die geliebte Heimat auf irgendeiner der Abraumhalden lagert und die Hoffnung für die anderen, die sich an ihre Arbeit klammern. Aus all dem hat einer Lieder gemacht und Verse entstehen lassen, die auch ein Stückchen Lausitz sind. Hier bin ich zwar nicht geboren, aber hier bin ich seit über 60 Jahren mit beiden Füßen auf dem Boden, der aus Sand, Kohle, Staub und Dreck gemacht ist. In dieser Erde ruhen meine Eltern und hier leben Freunde. Heimat eben.

In der Kulturfabrik Hoyerswerda ist vorn auf der Bühne so ein Kabuff aufgebaut. Ein Verschlag als Frühstücks- und Aufenthaltsraum für arbeitende Menschen. Kahle dunkle Bretter und an den Wänden sind große Nägel eingeschlagen, um die schweren Arbeitsklamotten für ein paar Minuten und einen Kaffee daran aufzuhängen. Zwei weiße nackte Stühle, die mich an meine Oma erinnern, stehen mitten darin. Die Szenerie kommt mir bekannt vor, denn ich habe "auf dem Bau" gelernt und in solchen Bretterkisten meine Bemmen gegessen und - wenn ich Glück hatte - eine heiße Brühe dazu getrunken. Manchmal, wenn der Wind günstig stand, wussten wir wieder, dass Plessa, Lauchhammer und Schwarzheide nur wenige Kilometer entfernt sind und ich wusste auch, da würde meine Mutter die Wäsche zum Trocknen nicht raus hängen. Der gelbe Helm an der Bretterwand ist der Hinweis, dass dieser dunkle Kabuff ein Pausenraum irgendwo in einem Tagebau sein könnte. Nur das Bild an der Wand, GUNDERMANN mit Gitarre, und die vielen Instrumente überall sind ein Hinweis, dass nicht gleich die Frühstückssirene heulen, sondern dass hier etwas anderes geschehen wird.

b 20140216 1674532906Das "Theater der Bergarbeiter Senftenberg", so nannte sich einst diese heimische Spielstätte, ist auf Wanderschaft nach Gundi-Land, genauer nach Hoyerswerda, gegangen. Das ist eine alte und gelebte Tradition des Theaters. Zwei aus dem Ensemble hatten eine Idee und nun versuchen sie mit dem Programm "Engel über dem Revier", GERHARD GUNDERMANN, den Baggerfahrer und Rockpoeten, aus einer anderen Perspektive zu entdecken und das Publikum bei einer intimen Begegnung im Erinnern zu begleiten.

Die beiden, die im proppevollen Saal die Bühne betreten, sind selbst in der Lausitz verwurzelt. Der eine, MIRKO WARNATZ, hatte sogar den Beruf eines Maschinisten für Tagebaugroßgeräte erlernt, dann aber wohl doch seine stärkere Liebe zum Theater entdeckt. Hier trifft er auf JAN SCHÖNBERG und beide haben jetzt auf den alten Holzstühlen Platz genommen. Was nun beginnt, kann man sicher nicht ein Theaterstück nennen, einen Liederabend erleben wir auch nicht und von einem Konzert kann keine Rede sein. WARNATZ und SCHÖNBERG werden zu Erzählern, die ihre Episoden aus dem Leben von Gundi mit seinen eigenen Liedern kommentieren, was zur Folge hat, dass der staunende Hörer eine neue Sicht auf die bekannten Lieder gewinnen kann. Dort, wo ich in den Konzerten meinem Herzen folge, bekommen die inszenierten Worte manchmal einen tieferen Sinn, den man in dieser Atmosphäre leise nachlauschen kann.c 20140216 1807348234 Es ist ein fein gesponnener Mix aus Texten von Gundi, aus niedergeschrieben Worten und Interviewfetzen, aus Statements und Äußerungen, die sich puzzlegleich im eigenen Kopf zu einem Bild fügen und wer mag, sieht hier und da sogar eine Vision aufblitzen. Die Zeit dafür lassen uns die beiden, denn es stehen viele Instrumente bereit, einige der Lieder von Gundi erklingen zu lassen.

Es sind Lieder, die man schon lange kennt und dennoch - welch Überraschung - nicht sofort und auf Anhieb wiedererkennt. Das Duo WARNATZ & SCHÖNBERG hat sich die Songs des Liedermachers aus der Lausitz noch einmal neu erarbeitet, ihnen, dort wo es sich ergeben hat, ein neues Detail hinzu gefügt oder sie durch das wechselnde Spiel der Instrumente in eine andere Stimmung übertragen. Auch versuchen sie gar nicht erst, den Sänger zu imitieren, sondern geben ihren eigenen Stimmen Raum, sich in den Melodien zu entfalten. Manchmal braucht es einen Moment, sie zu erkennen und dann ist es besonders reizvoll, sich in diese Interpretation hinein zu hören. Dabei entpuppt sich MIRKO WARNATZ im Laufe des Abends als echter Allrounder, der mit seinen Fertigkeiten auf Gitarren, Mandoline, Steel-Guitar, Dulcimer oder Ukelele die Gundermann-Lieder instrumental kleidet und dabei von JAN SCHÖNBERG mit Gitarre, Bass und Perkussion adäquat unterstützt wird. Beide singen, beide gestalten sie die Lieder und beide leihen ihre Stimmen dem blonden Lausitzer, als säße der zuweilen neben ihnen auf dem Podium.

Auf diese Weise singen und erzählen sie sich durch einen Lebenslauf, der hierzulande ganz alltäglich, aber auch durch den Zwiespalt der Person, die sich ständig auf der Suche und auf der Überholspur wähnte, etwas ganz besonderes war. Von "Hier bin ich geboren" und "Herzblatt", über "Gras" bis zu "Linda" reicht die Palette im ersten Teil des Abends, wobei den "Ruhetag" mal laut getrommelt zu bekommen, sich als ein ganz besonderes Erlebnis erweist.e 20140216 2074625988 Bei mir hat sich außerdem die Erkenntnis eingebrannt, dass aus einem Waffeleisen immer wieder das gleiche heraus gepresst kommt. Es sind diese einfachen Satzfetzen, die in mir hängen bleiben, während der "philosophierende Gundermann", äußerst reizvoll in Szene gesetzt, aber leider zu viele Gedanken auf ein Mal formuliert, als dass man sie alle mit nach Hause nehmen könnte. Da wäre ein kleines Programmheft eine gute Hilfe.

Natürlich wird das Kapitel "Petzberichte" nicht ausgespart, aber - und das finde ich nun wirklich sehr sympathisch - die beiden Stimmen da vorn werten nicht. Jeder kann sich den Anstoß abholen, tief in sich hinein zu horchen, zu entdecken, zu erkennen und zu begreifen. Dann hört man wieder die Stimmen da vorn, die "das Leben unter Spielregeln" ansprechen und das vom kompletten Bild der Welt aussprechen. Während die "Engel über dem Revier" schweben und "Keine Zeit mehr" gesungen wird, bleibt genug Zeit, den Gedanken- und Satzfetzen hinterher zu denken oder auch den Fragen, die sich der fiktive Gundermann am Ende der Inszenierung laut stellt. Es könnten meine, Deine oder auch unsere Fragen sein, und die ausstehenden Antworten darauf könnten interessant sein, wenn sie denn ausgesprochen werden sollten.

Nein, ein Liederabend ist das nicht und ein Konzert auch nicht, obgleich wir 20 seiner Lieder zu hören bekommen. Ich glaube, dieser Abend ist eine Liebeserklärung an einen von uns, der hier gewohnt hat und der mir heute noch die Chance gibt, mich selbst in seinen Liedern und Worten zu erkennen. Wer ein Konzert mit Gundi-Liedern erwartet, der sollte zu Hause bleiben und wer "am Hintern zu schwer und im Kopfe zu bequem ist" erst recht.d 20140216 1689877946 Wer aber einfühlsam mitgenommen werden möchte und bereit ist, starren Denkmustern auszuweichen und keine Angst vor einem ehrlichen Blick zurück und einen nach vorn zu wagen, der sollte sich dieses liebevolle Programm mit Liedern und Gedanken der NEUEN BÜHNE Senftenberg unbedingt antun. Er wird in WARNATZ & SCHÖNBERG zwei Künstler erleben, die mutwillig abseits der eingefahrenen Spur ein Leben entdecken und so ganz nebenbei eine Liebeserklärung an ihre Heimat, die Lausitz, auf die Bretter, die dem GUNDERMANN gewidmet sind, in den Abend zaubern.

Als dieser Abend endet und das Licht der Funzel an der Bretterdecke erlöschen ist, nimmt einer der beiden das Bild vom Gundermann von seinem Haken an der Wand herunter und stellt es auf den Stuhl. Es ist wohl ein Symbol, denn die Lieder des GERHARD GUNDERMANN gehören mitten unter uns, müssen gesungen und gelebt werden und GUNDI selbst braucht keinen Thron an der Wand, gleich gar keinen Altar, auf dem man ihn anbetet. Seine Gedanken sind noch mitten unter uns, wie im Saal von Hoyerswerda deutlich zu spüren ist, und dieser Ort Lausitz ist auch keine "Tankstelle der Verlierer", sondern ein lebendiger Platz mit aktiven Menschen. Inzwischen steht auch die SEILSCHAFT von GUNDERMANN wieder auf den Bühnen und es gibt eine RANDGRUPPENCOMBO, die es sich nicht nehmen lässt, alle Jahre wieder zum Jahresende seine Lieder vor einem laut mitsingendem Publikum zu zelebrieren. GERHARD GUNDERMANN lebt, auch wenn er seine letzte Ruhestätte in Hoyerswerda gefunden hat.



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Termine:

• 17.04.2014 - Senftenberg - Theater Senftenberg
• 30.04.2014 - Senftenberg - Theater Senftenberg

Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos und weitere Termine auf der Homepage des Theater Senftenberg.



Bitte beachtet auch:

• Homepage vom Theater Senftenberg: www.theater-senftenberg.de
• Homepage von "Gundermanns Seilschaft e.V.": www.gundi.de
• Portrait über Gerhard Gundermann: HIER




Fotostrecke:

 
 

   
   
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